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11.

Stella hatte am anderen Morgen ihre Toilette schon beendet, als Richter wieder zurückkehrte. Sie stand am Spiegel, um die letzte Hand an dieselbe zu legen.

Als er eintrat, fuhr sie leicht zusammen. Das Blut stieg ihr in die bleichen Wangen; ihre Augen schloßen sich für einen Moment, als solle er in ihnen nicht den Reflex ihrer Gedanken erkennen.

»Wie frisch Du aussiehst!« rief er, zu ihr tretend und ihr ein Rosenbouquet reichend. »Ich war recht besorgt heute Morgen, als ich Dich verließ. Das Ausruhen ist Dir nothwendig. Versäume lieber die Morgen-Promenade; der Schlummer ist Dir wohltätiger.«

Stella lächelte dankbar für die Besorgniß des Gatten, während er ihre Hand küßte und sich am Fenster niederließ.

»Es ist für heut Abend eine Reunion im Kurhause angesagt. Alles wird dort sein; willst Du daran teilnehmen?«

Sie wandte sich in's Zimmer, um das Bouquet auf den Tisch zu legen.

»Wenn es mein Befinden gestattet,« sagte sie in mattem Ton. »Liegt Dir daran?«

»Wir brauchen ja nur ein Stündchen dort zu sein; Du weißt, Zerstreuung thut Dir noth. Ich habe auch so halb und halb schon zugesagt.«

»Wem?« Stella's Stimme klang unsicher; ihr Herz krampfte sich zusammen.

»Nun, mehreren Herren! Es wird gerade hier an Tänzerinnen kein Mangel sein, aber unnöthig wollen wir uns doch nicht zurückhalten.«

»Es wird sich ja finden! Du weißt ich habe keine überflüssige Toilette mitgenommen. Ich liebe auch den Tanz nicht mehr.«

»Die Töchter der russischen Familie, denen ich vorhin wieder begegnete, erwarten Dich ... Willst Du mit mir das Dejeuner einnehmen?«

Stella setzte bereits das Hütchen auf den Scheitel. Sie war zerstreut. Die Wahrscheinlichkeit, mit jenen Beiden heute Abend in unmittelbare Berührung zu kommen! ... Fürth hatte vielleicht gar die Kühnheit gehabt, die Bekanntschaft ihres Gatten zu suchen! –

Sie hatte in schlummerloser Nacht wirklich schon so weit gehen können, eine gewisse Entschuldbarkeit für ihn in den Umständen zu finden; aber war sie ein Opfer ihrer Liebe geworden, sollte er sie noch bemitleiden dürfen? ... Aber andererseits: floh sie vor ihm, sollte er der Fliehenden nachlächeln? Und Hanna! Wenn sie, Stella, durch seinen Anblick litt, so sollte Hanna wenigstens durch den ihrigen gestraft werden!

Richter stand bereits an der Thür. Handschuhe und Sonnenschirm nehmend, schritt sie hinaus. Richter sah ihr nach, stolz wie immer auf sein schönes Weib ...

* * *

Die Soirée im Kurhause versammelte heute Alles, was an Eleganz und Noblesse sich im Badeorte zusammengefunden. Ein Orchester, das freilich auf künstlerischen Werth keinen Anspruch hatte, spielte die populärsten Melodien.

Die jungen Mädchen drängten sich über die Estrade in den Salon und zählten beim Eintritt mit Besorgniß das geringe Kontingent an Tänzern, das dieser den Frauen-Nerven und der Verschönerung der Haut geweihte Badeort aufzubringen vermocht.

Knapp kostümirt erschien die jüngere Damenwelt, die feinen Stoffe über die Hüften gespannt, die zarten, tanzlustigen Glieder unter dieselben gefesselt, den Oberleib nur mit einem Vorwande von schmiegsamem Stoff und Spitzen bekleidet, Nacken und Arme unbedeckt um der tropischen Hitze willen.

Mit der Kargheit, mit welcher der Bildhauer die Konturen seiner olympischen Marmorgestalten vor der Entweihung durch ungöttliche Gewandung zu wahren gewohnt, mit derselben Unbefangenheit, mit welcher die Sünde sich zur Schau stellt, spendete die Tugend nach der Mode Gebot mit der Miene des Unbewußtseins verschwenderisch den Anblick dessen, was sie zuhause, wo kein profanes Auge sie sieht, doch so keusch verhüllt.

Die Bade-Saison ist eine Lizenz, eine Ferienzeit für alle Fesseln, eine Epoche, in der Alles gern Urlaub nimmt, auch die Sittsamkeit. Man badet, sei's im Meer, sei's in der Luft, und der Körper flieht den Zwang, besonders, wenn er schön ist.

Jene Zeit des ersten Christenthums, die das göttlich Statuarische als heidnisch floh, ist längst vorüber, und die moderne Kunst unserer Modistinnen übt im Wetteifer einen Naturdienst, der selbst die Unschuld mit herausfordernder Sinnlichkeit kleidet.

Die Gesellschaft, wie immer aus der fine fleur bestehend, nahm die Gelegenheit wahr, den ganzen für die Badesaison vorbereiteten Toiletten-Luxus zu entfalten.

Aeltere und alte Damen mit strengen aristokratischen Gesichtern, die eintretenden Toiletten musternd, garnirten in stiller Transpiration bereits frühzeitig die Wände. Hanna's Auftreten gab unter ihnen eine sensationelle Bewegung.

Die dürre Gestalt, fleischlos durch ununterbrochene geistige Aufreibung, erschien am Arm des interessanten, bereits bei seiner ersten Promenade durch den Ort bemerkten Kavaliers, eines Mannes von feinem, degagirtem Benehmen, dem man den Hofmann ansah.

Erwin's Auge schweifte, gleichgültig gegen die Gattin, über den Raum, über die denselben belebenden Gestalten. Sie hingegen hing an seinem Arm mit dem sichtbaren Bedürfniß engsten Anschließens, fast einer Besorgniß um ihr Eigenthum, den Gatten, der ihr auch hier beim ersten Schritt in den Salon schon gefährdet erscheinen mochte.

Hanna hatte das Seltsamste in ihrer Toilette geleistet. Was Andere mit mehr jugendlicher Fülle und Rundung des Körpers vortrefflich kleidete, die um Brust und Hüften eng anschließende Robe, gab ihrer schmalen Gestalt mit den bis zur Schulter nackten Armen die Form einer langgestreckten Vase, an der die Spitzen-Garnitur wie antike Relief-Verzierung erschien.

Ihr aschfarbenes Haar mit dem über ihm im Lichte zitternden mattgoldnen Schein, künstlich aufgebaut über dem Scheitel, machte den Eindruck einer gepuderten Männer-Perrücke, stand aber vortrefflich zu den klugen, grauen Augen und übte eine vorzügliche Zusammenwirkung mit den ihre Ohren und ihren Nacken umblitzenden Brillanten.

Das weiße Kleid war mit aschfarbenem Atlas garnirt; auf den Schultern, an der Brust und auf den stark gerafften Falten der Robe waren Vergißmeinnicht in der schüchternsten Weise zwischen den Spitzen angebracht; ihre Handschuhe reichten fast bis zur Schulter, mit goldenen Spangen am Ober- und Unterarm gehalten.

Sie war bleich, und das machte ihr Erscheinen noch schemenhafter. Ihr Auge war unruhig, furchtsam; es flackerte unstät durch den Saal, als suche es mit Besorgniß; ihre Hand bewegte unruhig den mit Brillanten besetzten Fächer über der Brust.

Ein seltsamer Kontrast, diese Beiden: der kräftige, so bewußt und sicher auftretende Gatte im Ballkostüm mit der Ordenskette am Frack, dem brennenden Auge, der gesunden dunklen Gesichtsfarbe, – und dieses elfenhafte, zitternde, sichtbar sich selbst verzehrende Geschöpf, das sich so fest an ihn klammerte und den Eindruck machte, als könne es plötzlich wie eine Libelle versteckte Flügel ausbreiten und davonflattern.

Man kannte Beide, obgleich Fürth mit der Miene im Badeort erschienen, als liege ihm nichts daran, Bekanntschaften anzuknüpfen. Beide waren zu auffallend, Jedes in seiner Weise, um nicht bemerkt zu werden.

Sie grüßten die wenigen Bekannten, die ihnen entgegenkamen, näherten sich einigen anderen, die auf ihren Plätzen saßen, und Fürth überließ, in ihrer Nähe bleibend, seine Gattin der Unterhaltung mit einigen Damen, sich selbst halb in den Salon wendend.

Er suchte nicht. Sein Auge haftete fest und ruhig auf den Gästen. Er ward gesehen und schien selbst nichts zu bemerken, bis plötzlich seine Gesichtsmuskeln zuckten, sein Blick unruhig dem Eingange zugewendet blieb.

Richter war mit seiner Gemahlin erschienen.

Auch die Mehrzahl der Uebrigen bemerkte das Paar: Richter, eine muskulöse, fast imponirende Gestalt; seine Gattin, durch ihre heliotropfarbene, silberweiß garnirte Robe andeutend, daß sie nicht die Absicht habe, sich am Tanze zu betheiligen.

»Die schöne Frau Richter!« vernahm Hanna vor sich den Ausspruch der Dame, mit der sie eben, dem Eingang den Rücken zugekehrt, plauderte. »Die Herren werden ihr dankbar sein für ihr Erscheinen!«

Hanna fuhr zusammen, ihr Auge blitzte schräg hinüber zur Thür; ein schneidend boshafter Zug legte sich um ihren Mund.

Sie sah das Schicksal des Abends bereits. Die Gegnerinnen trafen sich in der Arena.

Zu einiger Beruhigung gewahrte sie, wie Richter seine Gattin an den Anwesenden vorüber nach dem oberen Theile des Salons führte und Stella dort neben einigen ihr bekannten Damen, der von ihm erwähnten russischen Familie, Platz nahm, ohne den Gästen irgend welche Aufmerksamkeit zu zeigen.

Hanna's Blick folgte ihr. Ein anderer Blick streifte ihren Gatten. Sie sah, wie auch er, anscheinend gleichgültig, den Beiden nachschaute.

»Welch' eine Frechheit, zu erscheinen, da sie vermuthen muß, daß ich hier bin!« Hanna zischelte das vor sich hin und preßte den Fächer in beide Hände zusammen. »Aber wehe ihr, wenn sie mir zu nahe kommt!«

Das Orchester begann soeben und brachte Bewegung. Einer der ihr bereits gestern vorgestellten Herren trat zu ihr heran.

Er war ihr willkommen. Sie wollte tanzen. Erwin sah ihr zufrieden nach.

Stella's Anblick war ihm kein unerwarteter; er wußte schon, daß sie kommen werde.

Sie erschien ihm verführerischer als je – doppelt anmuthig seiner Gattin gegenüber. Er sah einen Schimmer des Leidens auf ihrem Antlitze, sah sie, wie sie ihre geistige Kraft zusammenfaßte, um indifferent aufzutreten. Was Uneingeweihte für ein vornehmes reservirtes Air halten mußten, erkannte er als ein Beherrschen ihrer Aufregung.

Die Räume des Hauses waren kaum groß genug, um jede Berührung, auch die oberflächlichste, im Laufe des Abends vermeidlich zu machen; und er fürchtete von Hanna's Seite eine Feindseligkeit. Ihre Miene schon verrieth eine Kriegsrüstung.

Er wollte den Tanz vermeiden, zog sich in die Thür zum Kaffeezimmer zurück und kehrte erst wieder, als das Orchester schwieg.

Hanna vermißte ihn bereits. Sie war erhitzt mehr durch innere Aufregung, als durch den Tanz. Während desselben hatte ihr Auge bei jeder Tournée das Antlitz der Nebenbuhlerin suchen müssen.

»Du tanzest nicht? Ich errathe, warum!« zischte sie ihm zu, seinen Arm ergreifend.

Erwin lächelte bitter.

»Du weißt, ich folgte Dir nur auf Dein Begehren! Kümmere Dich nicht um mich!!« antwortete er scharf.

»Erwin, ich bitte Dich, sei heute fest! Störe mir den Abend nicht!«

Er fühlte, wie ihre Hände seinen Arm wie eine Klammer packten, sah die Flamme der Eifersucht in ihrem Auge. Das kannte er aus langer Gewohnheit.

Mit eisernem Drucke legte er seine Hand auf die ihrige. Er lächelte, um unberufenen Zuschauern eine Ehestandsscene zu verstecken, packte aber inzwischen ihre Hand so fest, daß das Blut aus ihrem Antlitz wich und legte den willenlos gewordenen Arm in den seinigen, um sie auf die Estrade hinaus zu führen, auf der die Tanzenden Kühlung suchten.

Kein Wort ward auf dem Wege zwischen ihnen gewechselt, und nur Eine hatte jene Scene beobachtet, Stella, die eben allein saß, während ihr Gatte in ihrer Nähe mit einem Herrn plauderte, den er ihr jetzt zuführte.

Stella hatte Hanna zu ihrem Gatten treten sehen; sie hatte bemerkt, wie Erwin die Eifersüchtige zügelte und ihr Gelegenheit gab, draußen zu sich zu kommen. Sie lächelte bitter, spöttisch.

»Ich hatte meinem Manne nur versprochen, ein Stündchen zuzuschauen,« antwortete Stella dem ihr vorgeführten Herrn.

»Ich werde uns draußen auf der Terasse ein Plätzchen aussuchen,« sagte Richter, »die Abendluft wird Dir wohlthun. Ist's Dir recht so?«

Stella lächelte bejahend mit einem Kopfnicken.

»Wünschest Du nicht, daß ich Dir Herrn von Fürth vorstelle? Er ist ein liebenswürdiger Kavalier,« fuhr Richter fort, in dem Bedürfniß, ihr Zerstreuung zu verschaffen. »Ich kenne freilich seine Frau noch nicht, doch könnte ich ... Da kehren sie eben wieder zurück ... wenn es Dir recht ist ...«

Stella empfand in diesem Augenblick ein sündhaftes Bewußtsein. Richter fragte so unbefangen.

»Erlaß mir das!« sagte sie nicht ohne Erbeben. »Du weißt, ich suche keine Bekanntschaften! Führe mich lieber hinaus, es ist so schwül hier!«

Richter gab ihr den Arm, geleitete sie zur Thür und stieß hier wirklich auf Erwin, der im Begriffe stand, Hanna ihrem Tänzer zuzuführen.

Er wechselte mit Erwin einen höflichen Gruß. Sie bewegte, Kühlung suchend, den Fächer vor dem Gesicht.

Richter's Arm zuckte plötzlich unter dem ihrigen.

»Sahst Du, mit welchem Blicke Frau von Fürth Dich eben maß?« fragte er draußen. »Sie kennt Dich?«

Richter blickte fragend und bestürzt in das Antlitz seiner Gattin. Diese ließ sich auf einen Stuhl nieder; er nahm ihr gegenüber Platz. Die matte Beleuchtung der Veranda beschattete ihre Züge.

»Eine Jugendfreundin, die sich gehässig gegen mich benommen ... Du erinnerst Dich, ich sagte Dir gestern davon.«

»Diese Frau von Fürth ist es also?«

»Er ließ aber doch durchscheinen, als sei es ihm angenehm, uns näher zu kommen.«

Stella's Herz pochte laut. Er hatte es gewagt, sich ihrem Gatten zu nähern.

»Laß uns die wenigen Tage, die wir noch hier sind, in Ruhe verbringen!«

* * *


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