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1.

Erwin von Fürth hatte, als er mündig ward, den Besitz einer ihm von seinem Vater hinterlassenen Herrschaft in Norddeutschland angetreten, oder vielmehr, er hatte das große Gut, eines der bedeutendsten jener Gegend, dem Verwalter überlassen und verzehrte die glänzenden Erträgnisse, seinen Neigungen folgend.

Sein Vater hatte wild darauf los gelebt. Das ganze, allerdings noch sehr bedeutende Vermögen, das er Erwin hinterließ, bestand also in diesem großen Grundbesitz.

Um dieselbe Herrschaft aber schwebte schon seit lange ein Prozeß mit den Verwandten väterlicher Seite, die auf den Besitz alte, wie sie behaupteten, verbriefte Rechte geltend machten.

Diese Verbriefung aber war wegen Mangels des Originals eines nur in unzureichend legalisirter Abschrift vorhandenen Dokumentes in der ersten Instanz nicht anerkannt worden; auch die zweite Instanz hatte jenes Urtheil nur bestätigt.

Es war dieses Prozesses halber an Erwin nie eine Sorge herangetreten. Er würdigte die gerichtlichen Insinuationen kaum eines Blickes, überließ sie seinem Sachwalt und verzehrte seine Revenuen.

Da plötzlich aber erreichte ihn in der Schweiz eine Mittheilung des Letzteren, die wie ein Blitz auf ihn herabfuhr.

Die gegnerische Partei hatte dieses so lange fruchtlos gesuchte Dokument unter den Kirchenpapieren der Sakristei mit allen Appendixen aufgefunden.

Der erste Rechtsspruch hatte sich einzig und allein auf das Nichtvorhandensein dieses Dokumentes begründet; Erwin's Anwalt gab jetzt den Prozeß verloren, denn die Evidenz der gegnerischen Rechte sei unanfechtbar.

Erwin reiste von der Schweiz zu ihm, um Einblick in die Sachlage zu nehmen, so viel er davon verstand.

Er kehrte nach wochenlangem nutzlosen Bemühen, einen Vergleich zu Stande zu bringen, zurück mit dem trostlosen Bewußtsein eines armen Mannes.

Er hatte die Liebe eines der schönsten Mädchen genossen; er dankte ihr dafür noch an demselben Tage durch ein Schreiben, in welchem er von seiner Verzweiflung sprach, sich den unglücklichsten Menschen nannte und sie beschwor, ihm großherzig zu verzeihen ...

Als Constanze am Abend heimkehrte, fand sie Stella ohnmächtig auf dem Sopha. Die Magd saß in Verzweiflung neben ihr. Am Boden lag ein geöffneter Brief.

Constanze selbst war in schlechter Laune. Errathend was vorgegangen, hob sie den Brief auf und las.

»Ich hab's ihr ja vorausgesagt! Sie war zu einfältig!« murmelte sie, Hut und Shawl von sich werfend, um ihr Hülfe zu leisten.

* * *

Um dieselbe Zeit kehrte auch Fürth in seine Wohnung zurück. Er empfand die momentane Ruhe, welche uns der Gedanke des Abschlusses mit unserem Unglück, mit dem Unabänderlichen eingiebt.

Gleichzeitig aber bedrängte ihn die Notwendigkeit, entweder vor der Gesellschaft und dem Hofe abzudanken, oder von Neuem Position zu ergreifen.

Seine Zurückgezogenheit ward ein vollständiger Rückzug, wenn er nicht wieder in die Aktion eintrat.

Man war in der Stadt offenbar schon gut unterrichtet. Jede ihm begegnende Miene hatte ihm das gezeigt.

Am Hofe war sein Urlaub zwar noch nicht abgelaufen, aber man wußte, daß er zurückgekehrt. Die Damen des Hofes mußten ihm zürnen oder ihn bedauern.

Der Herbstabend sank an dem Tage, da er von Stella gekommen, früh herab. Erwin gab seinem Diener die Ordre, alle Lichter seiner nach der Straße zu gelegenen Zimmer anzuzünden. Man sollte wissen, daß er da war und in allem Glanz.

Eine Melodie summend, sich in einen Teufelshumor rettend, schritt er durch seine Räume.

So kurze Zeit war erst verflossen seit er sich mit einem, seinem Vermögen und den Aussichten für seine Hof-Carrière gebührenden Luxus eingerichtet, und jetzt war's, als lege sich trotz der splendiden Beleuchtung ein Trauerflor über all' Das!

Am Ende der Zimmerflucht lag sein Speisesalon, eine künstlerische Musterleistung. Den dunklen broncirten Leder-Tapeten diente ein massiver Sockel von echt siamesischem Rosenholz in bewunderungswürdiger Maserung; antike Humpen, Vasen, Trinkhörner garnirten ihn.

Von Rosenholz waren der schwere Tisch, das hohe, wunderbar geschnitzte Büffet, die Stühle, die Galerien der schweren Vorhänge, die Rahmen der werthvollen Jagdbilder, alles mit dem Fürth'schen Wappen.

Einen Moment stand er still in dem gerade entgegengesetzt liegenden Arbeitszimmer, dessen Ebenholz-Mobiliar einen ernsten, gelehrten Eindruck machte.

Er las wenig, arbeitete gar nicht. Er gehörte zu denen, die im Fluge sich mit Wissenschaft sättigen, alles ohne Fleiß und Mühe erhaschen, und besaß bis zu einer scheinbaren Gediegenheit die Kenntnisse, die das high-life von einem Kavalier fordert – jene aristokratische Oberflächlichkeit, die, gewandt genug, sich nie auf den Zahn fühlen läßt.

Einen Moment nur warf er sich in den Sessel vor seinem Schreibtisch, lehnte die Ellbogen auf den Rand derselben, die Schläfe in die Hand und überschaute seine Gemächer.

In den Sälen Louis XIV. und XV., wie sie da im Lichte der Kronen vor ihm lagen, hatte er die Aristokratie der Residenz, die Persönlichkeiten des Hofes empfangen. Von seiner Garçon-Wohnung, von ihrer Ueppigkeit und von deren Soiréen sprachen die Damen wie von einem interessanten Geheimniß, einem ihnen sehenswerthen und doch verbotenen Eldorado.

Man erzählte sich von seinen Erfolgen bei den Frauen, die sich hier in süßem Mysterium verschleierten; man blickte zu seinen Fenstern hinauf wie zu denen eines Magiers, dessen Person mit wundersamen Zauberkräften begabt. Manch heimlichen Schauder flößten sie den zarten Gemüthern ein, und dennoch waren sie so interessant.

Erwin gedachte, wie er dasaß, der kurzen schönen Epoche seines Glanzes.

Dort in jenen, mit Gold, Bronce, Marmor und Onyx so reich ausgestatteten Salons hatte er die Crême der Gesellschaft versammelt. Seiner Unwiderstehlichkeit war es gelungen, selbst Damen der Aristokratie mit seinen Einladungen hierher zu zaubern.

Auf jenen gelben und rothen Sesseln, Puffs und Tabourets hatte er die Blüthe der Frauenwelt mit Champagner und Sorbet bewirthen lassen, wie in einen Rasen hatten die reizenden Füßchen ihre Spuren in die weichen Teppiche gedrückt.

In seinen großen Barok-Spiegeln hatten sich die schönsten Augen entgegen gelächelt. Selbst die Prinzen hatten ihm die Gnade erwiesen, seine Gemächer zu bewundern – und jetzt gehörte das Alles einem Bettler, der nicht einmal um ein Almosen zu flehen verstand.

Heiß stach ihm der Gedanke im Gehirn, auf seine Brust legte sich ein Druck, der ihm den Athem erstickte.

Mit einem Fluch sprang er auf.

»Unter den Hammer das Alles? ... Nimmermehr! Lieber zertrümmern, vernichten! ... Aber auch das nicht!«

Er preßte die Hand an die Stirn und starrte vor sich.

»Ein Lump, der sich selbst verloren giebt! ... Zeig' der Welt die Stirn und sie wird dir glauben! Stell' dich auf hohe Stelzen und sie wird zu dir aufschauen! Ich war ein Dummkopf, als ich ein Weib mit meinem Herzen davongehen ließ! Die Schönste, Reichste reicht dir heute noch, trotz deinem finanziellen Ruin, die Hand, wenn du die deinige nach ihr ausstreckst, und muß ein Opfer fallen, soll ich es sein? Was verloren, ist zu ersetzen; ich bin, der ich gewesen, wenn ich es bleiben will!«

Erwin schritt durch die Säle, trat in das Speisezimmer und sah zwei Flaschen Champagner, die der Diener nach seinem Geheiß in silbernen von Bacchantinnen getragenen Kühlbecken auf den Tisch gesetzt.

Mit lechzender Zunge füllte er das Glas und stürzte den Inhalt hinunter.

Das kühlte, das bändigte den Groll, das gab neuen Muth. Er leerte das zweite und dritte Glas.

Eine neue Perspektive öffnete sich vor seinen Augen. Eine nach der Andern glitten die graziösen Gestalten, wie sie seine Erinnerung, seine Phantasie, sein Begehren herbeirief, an diesen Augen vorüber – alle die Damen der Hofbälle, deren Liebling er war.

Sollte er die Eine, sollte er die Andere haschen? Sie sanken unfehlbar seiner Eitelkeit in die Arme. Er hatte die Wahl ...

Und er wählte im Gedanken, wie sie ihm der Champagner in's Gehirn trieb. Er wählte lange, wählte Schönheit und Reichthum vereint ... Dann endlich sah er sich vor dem Altar ...

Er schloß die Augen ... Und da sah er mit Erschrecken eine andere Gestalt vor sich auftauchen ... Stella ...

Er legte die Stirn in die Hände, schloß die Augen fest. Ihm ward's so unheimlich ... Er glaubte eine weiche Hand auf seinem Nacken, einen Athem auf seinem Scheitel zu fühlen.

Wild aufschreckend fuhr er empor. Er war allein. Es waren thörichte Hallucinationen, die der Wein in ihm geboren ...

Er griff nochmals zu dem Kühlbecken. Das leere Glas zitterte in seiner Hand.

»Bin ich ein Knabe geworden? Man raubt mir mit kalter, mörderischer Hand, was mein, was schon meines Vaters rechtmäßiges Eigenthum! Man findet ein Dokument, ein elendes, vergessenes, halb vermodertes Pergament; man jagt mich auf Grund dieser Scharteke von Haus und Hof, schleudert mich auf die Gasse, und ich sollte feig genug sein, um eines Weibes willen zu zaudern, das so bereitwillig sich mir hingab? Was geschehen, davon trägt sie die eine Hälfte des Vorwurfs, die andere soll mir leicht auf meinen Schultern sein!« ...

»Ich verstehe kein anderes Leben als das, was mir anerzogen worden, ich will kein anderes verstehen! Ich habe nur zu leben, nicht zu erwerben gelernt! Mein Kopf, meine Hände würden linkisch und ungeschickt sein, also vorwärts!«

»Noch heut Abend soll man mich wieder im Klub sehen, heiter, lächelnd, spottend über die unbedeutende Schlappe, die mir das Gericht beigebracht. Auch im Palais soll man mich morgen wieder sehen, und fragt mich die Weiberneugier nach ...«

Erwin's Diener trat ein, ihn erschreckend inmitten seiner Lucubrationen.

Er sprang auf, trat dem Diener verstört entgegen.

»Was willst Du!«

»Herr Baron, ein junger Mann verlangt dringend Sie zu sprechen.«

»Ich bin nicht zu sprechen.«

»Er giebt vor, Dringendes und Wichtiges zu haben.«

»So führe ihn herein!«

Der Diener ging. Erwin trat vor den Spiegel, um seine Miene zu prüfen. Er war echauffirt, das krause Haar hing wild um seine Stirn.

Er glättete es, fuhr sich mit dem Taschentuch über das Gesicht und wandte sich zur Thür.

Unehrerbietig, den breiten, dunklen Filzhut auf dem Kopfe, stand eine Knabengestalt vor ihm, ohne sich zu verbeugen, ihn starr anschauend, mit glitzernden, und doch scheuen, schuldbewußten Augen.

Erwin musterte ihn erstaunt, fuhr aber erschreckt zurück und legte die Hand auf die Lehne des nächsten Sessels.

Der Knabe nahm jetzt den Hut vom Haupte; das unter demselben geborgene, seltsam helle Haar wallte über seine Schläfe und sank auf die Schulter herab. Zwei grelle, blitzende Augen leuchteten Erwin mit halb furchtsamem, halb herausforderndem Ausdruck entgegen.

»Sie erkennen mich, Herr von Fürth?« rief eine feine, klare, aber etwas unsichere Stimme.

»Fräulein von Frohberg!« flüsterte Erwin. Er fürchtete sich, den Namen auszusprechen.

»Dieselbe ... Aber schützen Sie mich vor der Neugier Ihres Dieners!« rief Hanna, sicherer werdend und vortretend. »Ich habe Wichtiges mit Ihnen zu sprechen, und das rechtfertigt mein Erscheinen hier,« bat sie hastig.

Erwin erholte sich von seinem Erstaunen. Er mußte sich bekennen, daß dieses Mädchens Entschlossenheit, ihr bewußtes Auftreten, die Kühnheit, mit der sie die letzten Worte sprach, ihm imponirte.

Er trat an die Thür und verschloß dieselbe.

»Sie sind im Schutz eines Freundes!« sagte er, sicherer zurückkehrend und auf einen Sessel deutend, dabei aber doch mit einer gewissen, fragenden Scheu den Gast anblickend.

Hanna nahm den Sessel. Sie schien schnell heimisch zu werden. Prüfend und dreist, fast überlegen hafteten ihre Augen auf ihm.

»Sie wissen, Herr von Fürth, daß ich Ihnen mein Leben zu verdanken habe. Ohne Ihre schnelle Hülfe wäre ich nicht mehr. Ich komme, Ihnen diesen Dank zu bringen.«

Erwin lächelte zerstreut. Er wußte, daß es sich nicht um diesen handeln könne.

»Ich lege kein Gewicht auf die That, nur auf die Person, der sie galt,« sagte er ablehnend und sich sammelnd. »Ich bedarf des Dankes nicht.«

»Ich desto mehr, Herr von Fürth! Ich komme daher, um auch Sie zu retten.«

»Mich ...?« Erwin erzitterte.

»Wie ich sagte, Herr von Fürth! ... Sie sind ruinirt!«

Erwin wollte sich entrüstet erheben. Hanna bat ihn durch eine Handbewegung, sich zu beruhigen.

Sie erschien sicherer als er, trotz dem Bewußtsein, daß sie einen Schritt gethan, den ihr Niemand verzeihen werde.

»Man spricht in der Stadt allgemein davon,« fuhr sie mit überlegenem Lächeln fort.

Erwin fand kein Wort. Sein Herz pochte laut.

»Sie liebten Stella, lieben Sie vielleicht noch! ...«

»Mein gnädiges Fräulein ...«

»Ich bitte, mich sprechen zu lassen!« unterbrach sie ihn. »Sie besitzt kein Vermögen; eine Heirath ist unmöglich.«

»Wer sagte Ihnen ...«

»Ich weiß Alles, was Stella angeht. Man sagt, ihr Vater sei bankerot.«

»Und woher? ...«

Fürth schaute sie erstaunt an.

»Der Bankier Moritzsohn, der auch der Tante die Geschäfte besorgt, hat seine Zahlung eingestellt, wie sie mir sagte, und Herr Lenning soll dadurch Alles verloren haben.«

»Wie unterrichtet Sie sind!« Erwin lachte bitter.

»In der Hofkanzlei ist heute auch erzählt worden, daß Ihre Verwandten Ihnen Ihr ganzes Vermögen abprozessirt, daß Sie nichts mehr besitzen,« fuhr sie mit bewegter Stimme fort. »Als ich das hörte, eilte ich zu meinem Vormund und fragte ihn nach der Höhe meines Vermögens, denn ich habe mich nie darum gekümmert, und ob er bereit sei, mich sofort mündig zu erklären, wenn ... ich Sie heirathe.«

Das Wort war heraus, aber nicht ohne ein helles Aufflammen ihrer Wangen. Sie blickte beschämt vor sich nieder.

Erwin war zurückgefahren. Dieser Freimuth erschreckte ihn.

»Mein gnädiges Fräulein ...« Er wußte nicht, was er sagen sollte.

»Sie erstaunen, Herr von Fürth, daß ich so offen spreche,« fuhr sie mit niedergeschlagenen Augen fort. »Als ich von Ihrem Unglück hörte, stand mein Entschluß fest. Ich sagte mir: du hast ein baares Vermögen von zweimalhunderttausend Thalern, wie dir der Vormund gestand, hast dazu drei schuldenfreie Güter. Was dein ist, soll ihm gehören, wenn er eine kleine unbedeutende Zugabe, deine Hand, nehmen will ... Seien Sie jetzt ebenso offen, wie ich gegen Sie gewesen bin. Worte sind überflüssig.«

Hanna erhob sich. Mit Fieberangst haftete ihr Auge an ihm.

Sie sah, das Blut war aus seinem Antlitz zurückgetreten; er stand betroffen, verwirrt da, die Hand auf die Sessellehne gestützt.

»Sie begreifen, mein gnädiges Fräulein,« brachte er endlich heraus, »daß ich auf ein solches Opfer Ihrerseits nicht vorbereitet sein konnte.«

Hanna biß sich auf die Lippe. Er sprach das so kalt. Wieder aber stieg das Blut in ihre Stirn.

»Würden Sie es weniger gewesen sein, wenn eine Andere Ihnen dies Opfer geboten hätte?« fragte sie mit bebender Stimme und schwer verletzter Eitelkeit.

Erwin empfand, was ihr diese Frage dictirte. Er schaute sie an, sah, wie jetzt ihr Blick seine Lippen beobachtete, mit welcher Herzensangst sie seine Antwort erwartete.

Er trat zu ihr und nahm ihre Hand in die seine.

»Einer so heroischen Offenheit wie der Ihrigen, mein gnädiges Fräulein, bin ich eine gleiche schuldig,« sagte er schmeichelnd, leise ihre Hand drückend. »Keine Andere, ich bekenne es, wäre zu diesem Opfer bereit gewesen!«

Er schaute das Mädchen an, wie es, bald erröthend, bald erbleichend, mit gesenkten Augenlidern vor ihm stand; er fühlte, wie ihre Hand in der seinen zuckte. Er hatte an Alle gedacht, als er vorhin, die Damen des Hofes und der Gesellschaft zählend, nach einem Rettungsengel gesucht, nur an diesen nicht, von dessen kindlicher Neigung zu ihm er so viel originelle Beweise hatte.

Er sah Hanna zum erstenmal seit ihrer Genesung wieder, erkannte die vorteilhafte Veränderung, die mit ihr vorgegangen war.

»Lassen Sie mich dieser schönen Hand danken, die sich so heldenmüthig zu meiner Rettung bietet, denn Ihnen allein will ich es gestehen: ja, ich bin ruinirt! ... Aber wer ein so edles, großes Freundesherz besitzt, wie es heute sich mir bietet, der kann nicht verloren sein.«

Er beugte sich über ihre Hand und drückte einen Kuß auf dieselbe.

In Hanna's Herzen ward's lauter Jubel. Sie preßte seine Hand, sie blickte ihm überglücklich, leuchtend in's Auge.

»Herr von Fürth,« rief sie außer sich, »Sie sind mein Freund! Sie wollen meine Freundschaft annehmen, die eines Kindes; denn ach, ich weiß ja, daß ich noch wie ein Kind bin! Versprechen Sie mir, daß Sie mein Freund, mein wahrer, aufrichtiger Freund sein wollen, und Sie sollen mich nicht mehr wie früher, Sie sollen mich sanft und fromm wie ein Lamm finden.«

Erwin mußte lächeln über die naive Herzlichkeit, mit der Das über die Lippen des Mädchens quoll.

»Nicht wahr, Sie kommen morgen zur Tante, morgen, übermorgen, alle Tage? Sie behandeln mich nicht mehr wie ein unartiges Kind, und Sie versprechen mir, daß keine sterbliche Seele von dem erfahre, was ich heute gethan?«

Sie sprach auch das mit so überquellendem Herzen, selig in dem Gedanken, daß es geschehen werde, wie sie eben bat, ein vertrauendes, überglückliches Kind.

Und als Erwin auch das versprach, setzte sie sich ihm gegenüber, plauderte mit ihm in demselben rückhaltlosen Kindesvertrauen, fragte, gleichgiltig um die Stätte, an der sie sich befand, wie das nur alles habe geschehen können, daß man ihn so um das Seinige gebracht.

»Aber was schwatze ich da!« rief sie erschreckt, sich selbst unterbrechend. »Was geschehen soll, muß schnell geschehen! Es darf niemand erfahren, daß Sie ... ruinirt sind! Die Tante sagte mir, Sie seien auch noch zur Rückzahlung großer Summen an Ihre Gegner verurtheilt!«

Erwin ließ die heiße, sich plötzlich abkühlende Stirn in die Hand sinken.

»Ja!« rief er dumpf vor sich hin. »Auch das blieb mir nicht erspart! Aber wie kann mich das noch schrecken ... ich habe nichts mehr!«

Hanna blickte ihn lange mit innigem Mitgefühl an. Es that ihr im Herzen so weh, diesen von ihr angebeteten Mann so verloren zu sehen. Ihre Augen füllten sich mit Thränen. Das Schweigen machte ihr Bange.

Sie erhob sich und trat schüchtern auf ihn zu, der vernichtet auf seinem Stuhl zusammen gesunken. Sie wagte es, ihre kleine Hand leise auf die Schulter des so verzweifelt Dasitzenden zu legen.

»Es muß schnell geholfen werden«, flüsterte sie, sinnend vor sich hinblickend. »Der Vormund erklärte sich bereit, aber ... Ich werde in einigen Tagen erst siebzehn Jahre alt!«

Ihre Hand preßte Erwin's Schulter, und als fordere sie ihn auf, ihr Beruhigendes zu sagen, schaute sie auf ihn. Ihre Hand zitterte auf seiner Schulter. Ein leiser Seufzer drängte ihn so bang und flehend um Antwort.

Erwin fuhr aus seinem Hinbrüten auf. Er schaute sie an, wie sie vor ihm stand, eine anmuthige Mädchengestalt in dem ihr so seltsam stehenden Knabenkostüm. Der Anblick scheuchte seine Empfindungen von Groll und Verachtung für sich, seine Existenz, für die Welt. Er lächelte bitter.

Unwillkürlich legte er den Arm um ihre Hüfte und sein Auge, das schon so viel gesündigt, schaute so versöhnt, so gut. Sie erzitterte am ganzen Körper bei seiner Berührung.

»Hanna!« sagte er, ihr aufrichtig bewältigt in's Antlitz schauend, ihre Hand ergreifend und sie in der seinigen pressend. »Zum zweiten Mal halte ich Sie in diesem Arm! Sie kamen zu mir, ein rettender Engel, als Alles unter mir zusammen zu sinken drohte! Ich bin arm, ärmer als der Bettler, dem diese kleine Hand ein Almosen zu spenden gewohnt. Sie bieten mir Alles; was kann ich Ihnen mehr dafür geben als ich bin! Und das gehört Ihnen!«

In Hanna's Herzen, in ihren Augen ward heller Jubel. Sie richtete sich in seligem Bewußtsein auf, nahm enthusiastisch seine beiden Hände.

»Kavalierswort?« rief sie erst furchtsam überrascht, aber mit burschikoser Ursprünglichkeit, dann, als seine Miene ihr bestätigte, diese Hände pressend, mit strahlenden Augen.

Erwin bedeckte noch immer, vor ihr sitzend, die ihrigen mit Küssen. Sie aber riß dieselben los, legte sie an die heiße Stirn, in der kein Raum für all Das war, an die pochenden Schläfe, sich besinnend, ob es denn möglich.

Und wie er jetzt plötzlich die Hand wieder über ihre Hüfte legte und sie an sich zog, ließ sie es geschehen. Sein Druck erstickte fast die fiebernden Schläge ihres Herzens, ihr Kopf schwindelte, ihre Sinne verwirrten sich, vor ihren Augen ward's dunkel. Sie fühlte seine Lippen auf den ihrigen, ihr Arm ruhte machtlos auf seiner Schulter.

Dann endlich fand sie Kraft genug, sich von ihm zu lösen, sich aufzurichten und ihm im Wonnetaumel in's Antlitz zu schauen. Sie sah ihn so treuherzig lächeln. Sie hatte jetzt keine Furcht mehr vor ihm. Es war Alles wahr; er gehörte ihr; sie war sein.

»Uebermorgen ist mein Geburtstag,« flüsterte sie, sein Haar streichelnd, »und, nicht wahr? ... unsere Verlobung!« fragte sie so bittend, wie eine Kinderstimme eine Puppe von der Mutter begehrt.

Und als er so herzlich lächelnd nickte, beide Hände um sie legte, entrang sie sich ihm, sprang zum Tisch, nahm das gefüllte Glas, tauchte ihre Lippen in den Perlenschaum und kredenzte es ihm mit einem Cherubslächeln und den graziösesten Gesten.

»Auf unser Glück, Erwin!« rief sie überselig.

Und er leerte das Glas hastig mit gierigen Zügen. Sie füllte es von neuem, und auf seinen Schooß gezogen, den Arm um seinen Nacken schlingend, trank auch sie bis zur Neige.

Sie wollte den Rausch, wollte den Augenblick dieser Seligkeit nur mit wilden, entfesselten Sinnen genießen, denn ihr Herz war ja trunken. Sie konnte nicht plaudern, denn auch ihre Lippen waren es von seinen Küssen.

Erwin hatte vergessen, was am Morgen geschehen. Sie kredenzten sich den schäumenden Becher, Lippe wechselnd am Perlenrand und an Lippe, und wie ein naschendes Kind, das die Wirkung des Verbotenen nicht kennt, trank sich Hanna den Rausch in's Herz.

Sie sah sich als Erwins Braut vor der ganzen, staunenden Welt, und das feuerte ihre Sinne immer wieder zu neuem Freudentaumel, wenn sie sich zu umschleiern drohten.

Erwin's Anblick, seine großen, feurigen, wilden Augen, sein Kuß, seine Umarmung, seine Worte, der Wein, Alles steigerte ihr Seligkeitsgefühl, ihre endlich an der Brust dieses Mannes sich befriedigende Leidenschaft, bis sie, vom Doppelrausch überwältigt, die Stirn bewußtlos an seine Brust lehnte.

Erwin hob sie in seine Arme, trug sie in das andere Zimmer und legte sie auf den Divan. Ihr Haar, das bei ihrem Kommen so künstlich unter dem Hut aufgesteckt, war längst über Stirn und Nacken herabgesunken; Erwin stand vor einer schlummernden Elfe, deren Wangen und Hals so hoch gefärbt, als habe sie heißer Schlaf geröthet.

Hanna's Augen waren geschlossen, ihre Arme hingen schlaff herab. Sie schlief fest, aber mit süßer Verklärung einem freudigen Erwachen, der Erfüllung ihrer höchsten Wünsche entgegen, und ihre halb geöffneten, vom Kuß noch glühenden, so unersättlichen Lippen flüsterten: »Uebermorgen ist unsere Verlobung!«

Mit dem Taschentuch die erhitzte Stirn kühlend, stand Erwin neben ihr. Hanna's Traum rief ihm sein »Kavalierswort« in's Gedächtniß.

»Uebermorgen!« klang es von seinen Lippen zurück, die der wilde leidenschaftliche Kobold so wund geküßt.

Ein Gefühl der Nüchternheit kam über ihn. Diese war's ja nicht gewesen, gerade diese nicht, die, ehe sie kam, seine nach Rettung suchenden Gedanken beschäftigt hatte. Aber gerade diese war's, die ihm die letztere so uneigennützig gebracht ...

Uneigennützig? ... Sie forderte seine Zukunft, sein Leben dafür, und ohne Zögern, ohne Bedenkzeit, die ihm ja auch sein Mißgeschick nicht einmal gestattete.

Er schaute auf die kaum gereifte Frauengestalt. Er sah, wie das im Schein des Lustre silberglänzende Haar ein Elfenantlitz umfloß, das im Traum so selig lächelte, und das versöhnte ihn mit dem Unvermeidlichen.

»So sei's denn in Gottesnamen!« rief er mit der Resignation des letzten Entschlusses, und dann verlegen im Zimmer umherschauend: »wie rette ich nur heute vor dem Diener die Ehre der Baronin von Fürth!« ...

»Erwin!« hörte er jetzt plötzlich seinen Namen so laut rufen, daß er erschreckt sich zu ihr zurück wendete. Hanna mochte ihn im Traum vermissen.

»Erwin! Nicht sie! ... Nein, nein. Du bist mein!« Hanna richtete sich im Schlummer erschrocken auf, sie stützte sich auf beide Arme. Ihre Augen öffneten sich furchtsam groß, schauten wild umher und hafteten auf ihm wie die eines erwachenden Nachtwandlers.

Er beugte sich zu ihr, um sie zu beruhigen, und sie erkannte ihn.

»O, Du bist ja bei mir! Es war ein schrecklicher Traum, Erwin! Gott sei gelobt, er ist nicht wahr!«

Sie sank zurück, umschlang, wie er sich herabgebeugt, seinen Nacken mit beiden Armen und preßte ihn an sich mit einer Seelenangst, als könne das Gespenst ihn ihr entreißen, das in ihren Träumen spukte ...

Das war um dieselbe Stunde, um welche Helmine, eiligst zur Stadt gerufen, an das Lager Stella's trat, deren Fieberphantasien ihr enthüllten, was vorgegangen während sie in ihrem thörichten Schützling eine Leidenschaft ertödtet zu haben glaubte, die nimmer zum Guten führen konnte.

* * *


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