Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9

Sivo Courtien war der Welt entrückt. Sie lag so tief unter ihm, daß ihm zumute war, als könnte von ihr nichts zu ihm hinaufdringen, als könnte er nie wieder zu ihr herabsteigen. Zu keiner Zeit seines Lebens hatte er – so glaubte er – mit solcher Wucht die Größe seiner Welt empfunden; zu keiner Zeit – so sagte er sich selbst täglich von neuem – mit solchem Glücksgefühl seine Einsamkeit und Unabhängigkeit von den Menschen genossen; und dennoch –

Es war nicht mehr, wie es gewesen war. Anders war es geworden, beunruhigend, beängstigend, anders. Und das doppelt qualvoll, weil er nicht den Mut fand, sich den Grund einzugestehen; weil er – jeden Tag von neuem – über die Ursache sich belog. Er fühlte diesen Zustand innerlicher Unwahrheit; und der Mann, dem die Lüge das feigste und schändlichste aller Laster war, litt darunter, wie er nie gelitten hatte.

Fels und Eis – Eis und Fels. Darüber der Himmel. Darüber Nebel und Gewölk. Immer das gleiche und doch niemals das gleiche. Jetzt ein Wolkenschatten – jetzt ein Sonnenstrahl, im Augenblick alles verändernd, jede andere Stunde eine andere Welt von Fels und Eis schaffend.

In dem ungeheuren Schweigen beständig die Stimme dieser großen, dieser grausamen Natur. Lawinendonner bald fern, bald nah; jetzt gewaltig anschwellend, jetzt im letzten matten Echo verhallend. Dumpfes Gepolter abbrechenden Gesteins; heiserer Adlerschrei; der schrille Pfiff einer Gemse; der pfeifende Zuruf der aus ihrem Winterschlaf erwachten Murmeltiere.

Und niemals der Laut einer Menschenstimme! Sivo Courtien wäre es wie eine Geisterstimme erschienen, wenn er in der geräuschvollen Lautlosigkeit plötzlich diesen Ton vernommen hätte. Trotzdem lauschte er beständig, ob er den Gespensterton nicht vernehme. Er hätte den nämlichen leisen Wohllaut haben müssen, der beständig in seinem Inneren erklang, den zu ersticken er beständig bemüht war und auf den er doch lauschte, als müßte er diese leise, seine Seele liebkosende Stimme plötzlich rufen hören: »Ich komme!«

Er hätte dann zurückgerufen, laut und jubelnd: »Ich habe auf dich gewartet; denn ich wußte, du würdest kommen. Kommen mußtest du! Jetzt bist du da, und jetzt –«

Und er wäre ihr entgegengestürzt ...

Weil er auf die Geisterstimme in seinem Inneren nicht hören durfte, mußte er versuchen, sie zu betäuben – da er sie nicht ersticken konnte! Betäuben durch seine Arbeit; betäuben durch die Stimme seines Genius, die seines Lebens Stimme war und einen Klang hatte wie Meeresrauschen, wie Sturmesbrausen, darin alle anderen Töne, die von der Welt waren, untergehen mußten.

Also – Arbeit, Arbeit!

Er hatte sich eingerichtet in seinem seltsamen Atelier, das einer meteorologischen Warte auf einem mit ewigem Eise bedeckten Alpengipfel glich. Das gewaltige, nach Norden liegende Fenster ließ sich zur Seite schieben, so daß der Raum zur offenen Halle ward, mitten hineingestellt in die Alpenwelt. Sie bildete in dieser Arena von Fels und Eis die Loge für das Künstlerdrama: »Alpentragödie.«

Da auf seinem Kolossalgemälde die Nebelmassen noch immer nicht »wie in Wirklichkeit« aufbrauten, sondern noch immer als starre, regungslose Masse verharrten, das Gewitter noch immer nicht heraufzog, so daß der Beschauer glaubte, im nächsten Augenblick den Blitzstrahl aufflammen zu sehen, den Donner rollen und grollen zu hören – begann Courtien mit dem Selbstverstümmelungswahn des Fanatikers zum dritten und vierten Male einen Teil seines Bildes zu zerstören, um zum dritten und vierten Male neu zu beginnen.

Da hatte er nun sein Vorbild vor Augen: Fels und Firner und Gletscher; Luft und Licht; Wolkenschatten und Nebelwallen; und mit seiner ganzen Kunst kämpfte er gegen diese gewaltige Alpennatur, deren heißliebender Sohn er war und die ihm zur Todfeindin wurde. Er kämpfte wie ein Titan.

Bereits im Morgengrauen erhob er sich von seinem, mit einer schweren Friesdecke belegten Lager aus getrockneten Alpenkräutern. Er hatte sich in einer Weise abgehärtet, daß er unbekleidet aus seinem Hause trat, hinaus auf das Schneefeld. Hoch und schlank stand er auf dem eisigen Glanz, das Haupt wie anbetend erhoben, dem aufglühenden Tage entgegen, als hätte Gott der Herr in dieser Wüste von Fels und Eis seinen ersten Menschen geschaffen: aus Fels und Eis! Noch war der Mensch einsam: noch fehlte dem ersten Manne das erste Weib; war also noch nicht durch das Weib in Schuld und in jene Sünde verfallen, die der Menschheit »Erbsünde« werden sollte.

Bei jedem Wetter eines jeden Tages stählte Courtien auf dem Schneefelde seinen Körper durch gymnastische Übungen. Er rieb mit der eisigen Feuchte Gesicht und Glieder, ließ sich vom Alpenwind trocknen, der oft zum Sturm anschwoll. Bei dem Brausen des Elements überkam ihn ein derartiges Lebensgefühl, ein solches Bewußtsein seiner Kraft, daß er einen Schrei ausstieß, der etwas von dem Laut eines Urwesens hatte. Die Adler des Monte della Disgrazia kannten Courtiens »Jauchzen«, kreisten langsam über seinem Haupte und ließen ihren Königsruf in die Stimme des Menschen ertönen.

Unmittelbar nach dem Luftbade begann seine Arbeit. Fehlte es in der Landschaft an der für seine Gemälde notwendigen Beleuchtung und Stimmung, so machte er Studien, Skizzen: immer das nämliche Motiv in stets neuer Auffassung. Er hätte dort oben hundert Jahre alt werden und bis zu seinem letzten Tage dasselbe studieren und skizzieren können, ohne an seinem letzten Lebenstage mit dem einen Motiv fertig geworden zu sein.

Erst nachdem er einige Stunden gearbeitet, bereitete er sich sein Frühmahl aus Polenta und gebratenem Speck; von diesen kräftigen Lebensmitteln besaß er große Vorräte. Er hatte sich gewöhnt, nur zwei Mahlzeiten zu halten, und die zweite erst nach Anbruch der Dunkelheit: wiederum die Volksspeise des Südens mit einer Zutat von geräuchertem Wildbret oder Fisch, womit ihn bislang der treue Vital versorgt hatte.

War er von der Arbeit derartig ermüdet, daß seinen Händen Palette und Pinsel nahezu entfielen, oder packte ihn vor seiner Riesenleinwand Verzweiflung, so stürmte er aus dem Hause, das er nicht zu verschließen brauchte. Er schritt über den Firnschnee, überquerte den Gletscher, durchkletterte die Klippen des Wildschutzgebietes und lauschte aus diesen Irrwegen wiederum beständig aus die Stimme seines Inneren, die ihm wie Sirenengesang zurief: ›Ich komme!‹

Und er ließ seine sehnsüchtige Seele zurückrufen: ›Ich wußte, du würdest kommen! Kommen mußtest du!‹

Noch ein anderer Spuk gab ihm zu schaffen. Bei seinen wilden Gletscherwanderungen, die Todeswege waren, wurde ihm in seiner Phantasie die uralte Malojasage vom Gletscherweib des Monte della Disgrazia von neuem lebendig. So geschah es denn, daß der Geisterruf der geliebten Frau in seiner Brust mit dem Lockgesang der Unholdin sich mischte und so beide Stimmen zu einer wurden: zu der Stimme der Zauberin, der Verderberin. Trotzdem mußte er darauf lauschen, trotzdem zur Antwort geben: ›Ich wußte, du würdest kommen! Kommen mußtest du! Und jetzt bist du da!‹

Was geschah, wenn sie »da« war?

Ein Traum der Ewigkeit, geträumt in einem Augenblick. Und was kam hernach?

Das Ende, das Nichts ...

Die Phantasien eines Fiebernden. Also – Arbeit, Arbeit! Alles andere war eben das Ende, das Nichts. Wie konnte es geschehen, daß es plötzlich für ihn etwas anderes gab als seine Arbeit, sein Gemälde, sein Lebenswerk?

Solchen Paroxysmen folgte physische und seelische Ermattung und dieser neues gewaltsames Aufraffen und Arbeiten bis zur neuen gänzlichen Erschöpfung aller Lebensgeister. Dann stürmte er hinaus, um in der grauenvollen Wildnis der Eisalpen gegen Mächte zu kämpfen, denen die Menschen der Tiefe erlagen. Weshalb erlagen sie? Weil sie sich nicht zu Gipfeln emporringen konnten; weil sie nur das Klein-Menschliche wollten; weil sie sich nicht das Ziel des Übermenschen gesteckt, kein Titanenwerk als Lebenswerk vorgenommen hatten.

Und was war jetzt mit ihm, daß ihn Zweifel beschlichen? Zweifel an seinem Können, seiner Kunst, an sich selbst. Solche Zweifel waren dem Tode gleich: dem Tode des Künstlers sowohl wie des Menschen. Tod ... Konnte er sterben, bevor er sein Werk vollendet hatte? Wenn er früher Wanderungen unternahm, bei denen ihn ein Schritt, eine Bewegung in Abgründe reißen konnte, so hatte er jeder Todesgefahr gelacht. Für ihn gab es keine Gefahr. Er konnte nicht wie ein gewöhnlicher Sterblicher abstürzen und zerschmettern. Sein Leben war gefeit durch sein Werk.

Und jetzt?

Jetzt mußte er bisweilen daran denken, daß auch er nur sterblich sei. Und wodurch war er es plötzlich geworden? Durch eine große, eine gewaltige Empfindung! Sie sollte den Menschen aus Dunst und Tiefen zu Gipfeln erheben; erst durch sie sollte der Mensch sein Menschlichstes erkennen, das zugleich sein Göttlichstes war. Mächtige Leidenschaft gab dem Menschen das Gefühl von Unsterblichkeit; denn –

»Kein Ende, kein Ende!«

Und gerade für ihn sollte es alles Lebens Ende bedeuten, wenn er seiner Leidenschaft für die schöne Frau sich hingab; wenn er sie wiedersah und sie zu ihm kam. Denn er kam nicht zu ihr! Er blieb droben in seiner Gletscherhütte, unter Felsen und Firnern; bei Adlern und den Tieren der Alpenwildnis; bei seiner Riesenleinwand und seiner Arbeit.

Sie zu ihm hinaufkommen ... Die Nerina konnte zu dem Bärenjäger kommen; aber die Gräfin von Oberndorff niemals zu Sivo Courtien. Tollheit war's! Er sagte es sich selbst, verhöhnte, verachtete sich selbst und – träumte den Fiebertraum weiter, ließ von dem Wahnsinn sich packen ...

 

Der Frühling in dem Gletschergebiete des Monte Sissone und Monte della Disgrazia war schön. Föhnwind und Sonnenschein tauten den Schnee auf den Klippen, und diese bedeckten sich mit der Lenzflora jener hohen Zone, mit leuchtend gelbem und violettem Krokus, so daß die Felseninsel als buntes Eiland inmitten des in allen Farben spielenden Gletschermeeres lag. Aber in diesem wundersamen Garten gaukelten nur selten Schmetterlinge von Blüte zu Blüte, und die sanfte Sommermusik, das Summen schwärmender Bienen und Käfer, ward darin nicht gehört. Das zahlreiche Wild, dem die »Gemsfreiheit« ein Refugium bot, freute sich des sprießenden zarten Grases, das einen lichten Schleier um die braune Wildnis webte, und ließ sich beim Äsen durch ihren menschlichen Mitbewohner nicht stören: das Tier der Wildnis mochte den einsamen Mann für ein Geschöpf halten, darauf Jagd gemacht wurde und das, gleich ihm, hier oben eine Zuflucht fand, wohin kein Verfolger gelangen konnte, wo kein Schuß abgegeben werden durfte. Da war es denn seltsam, die Hütte des Einsiedlers wie von frommen Heiden umgeben zu sehen. Es fehlte freilich das helle Geläut der Glocken.

Nicht nur bis unmittelbar vor das Haus traten die Gemsen; einmal geschah's sogar, daß Courtien in seinem Atelier den Besuch eines stattlichen Bockes empfing. Der würdige alte Herr stand erstaunt vor des Künstlers Leinwand, nahm sie jedoch nicht wie die Vögel das Bild des griechischen Meisters für Wirklichkeit – zum Glück für das Gemälde!

Vital kam, brachte Vorräte und Neuigkeiten: er sei über Nacht von der Gemeinde entlassen worden. Aus welchem Grunde? Danach sollte Courtien den Pfarrer Briccius Ladien fragen. Der wisse es ... Was wisse der geistliche Herr? ... Daß er ein miserabler Christ sei! Es könne jedoch leicht geschehen, daß sehr bald ein noch ärgerer Heide aus ihm werde ... Was er nun beginnen wolle? Ob er nicht Lust habe, bei seinem guten Freunde zu bleiben? Sie wollten gute Kameradschaft halten ... Schönen Dank. Einstweilen könne er die Sache bedenken. Vielleicht komme er im Winter herauf – wenn der Maler wirklich so verrückt sein sollte, auch winters hier oben zu sitzen ... Ja! Der Maler werbe so verrückt sein. Bei vollem Verstand so verrückt! ... Nun, dann könnten sie sich zusammen einschneien und im Schnee begraben lassen. Das Lebendigtotsein wäre doch etwas pläsierlicher.

Und die Nerina?

Oh, die! Die sei drunten in der Fornohütte und warte den feinen Fremden auf. Die werde jetzt selber fein: in einem Kostüm aus blankem, schwarzem Tuch mit weißer Spitzenschürze und weißer Spitzenhaube auf dem schwarzen Kopf, rings um das braune, garstige Gesicht, darin die Augen glitzerten wie gelbe Lichter, und die Lippen glühten wie rotes Blut. Die Nerina – Oh, die! ...

Ob er von dem Mädchen denn gar nicht lassen könne?

Ganz und gar nicht! Zeitlebens nicht! Auch im Tode nicht! In aller Ewigkeit nicht! Sie habe es ihm nun einmal im Namen alles Bösen angetan, habe ihn verhext, ihn toll gemacht. Sivo Courtien werde selbst erfahren, was das für einen Mann bedeute, wenn er von einem Weibe nicht lassen kann.

Da fuhr Sivo Courtien auf: »Sprich nicht von mir! Ich bin nicht du. Und die Frau, die du meinst, ist keine Nerina.«

Ihm wurde gleichmütig erwidert: »Weib ist Weib. Du brauchst nicht gleich wild zu werden ... Sie steckt übrigens noch immer drunten und wartet auf dich. Und wenn du kommst, geht in Gottes Namen deine ganze Mannheit zum Teufel. Was ich sagen wollte –«

»Ich will von dir hören, was du zu beginnen denkst? Du mußt etwas tun. Arbeiten mußt du! Hart und schwer arbeiten; im Schweiße deines Angesichts arbeiten; arbeiten, bis du vor Todmüdigkeit hinsinkst, damit du nicht gleich wieder deinen alten, wilden Leidenschaften verfällst.«

»Damit ich nicht gleich wieder Blut sehen muß ... Meinetwegen sei ohne Sorge, Malerlein. Einstweilen bin ich prächtig versorgt: in dem feinen Gasthof ... Reiß nur die Augen auf. Hab's der Schwarzen nachgemacht. Gleich nahmen sie mich. Überdies um vieles Geld. Bekomme jetzt in einem Monat mehr als sonst im ganzen Jahr. Bergführer, verstehst du. Führe die feinen Damen und Herren, wohin sie geführt sein wollen. Meinethalben dorthin, wo sie sich den Hals brechen können. Auch mit deiner Gräfin bin ich schon gegangen. Das ist eine! Ich sag' dir, Bürschchen ... Sieht aus wie eine Puppe, wie ein Kinderspielzeug, das zerbricht, wenn du's nur anfaßt; aber ... Die kann's! Die kann alles, was sie will.«

Courtien wandte sein Gesicht ab, um den neuen Führer vom Malojahotel nicht sehen zu lassen, welchen Eindruck es auf ihn machte, daß Vital mit der Gräfin Bergtouren unternahm, daß der wilde Gesell in der Gesellschaft der holden Frau sein konnte, jederzeit ihre Schönheit schauen, ihre Stimme hören durfte, die auch er vernahm: in seiner Seele; und auf die er lauschte, mit angehaltenem Atem, pochenden Herzens, fiebernden Pulses. Gian Vital, dem nichts entging, fuhr fort: »Sie will, ich soll sie womöglich jeden Tag führen. Für die ganze Zeit will sie mich in ihren Dienst nehmen: solange sie auf Maloja bleibt. Und sie bleibt lange: bis in den Herbst hinein. Vielleicht den ganzen Winter über – da das Hotel dieses Jahr den ganzen Winter über offen sein soll ... Du weißt natürlich nicht, weswegen sie gerad mich immer um sich haben will und warum sie so lange bleibt?«

Sivo Courtien antwortete nicht: er mußte sein Erbeben bekämpfen. Der Kapuzinerjäger beobachtete ihn scharf, erkannte alles, dachte voll Ingrimms: ›Dich hat's auch fest gepackt! Wüßt' ich nur, wie ich dich losbringen könnt'? Du sollst mir noch einmal so von oben herab von der Schwarzen sprechen und mich einen Schwächling schimpfen. Aber um dich ist's mehr schade. Tausendmal mehr! Wehr du dich nur. Sie fängt dich doch!‹

Laut meinte er: »Was gibst du mir dafür, wenn ich sie wohin führ', wo sie sich den Hals bricht? 's ist leicht getan. Nichts leichter als das. Du brauchst mir nicht einmal ein ›Vergelt's Gott‹ dafür zu sagen; und wärst sie los, bevor sie dich hat. Darum müßt's gleich geschehen. Nachher geht's schwerer, geht's gar nicht. Überleg's also. Was tut man nicht für einen guten Freund!«

Nach einer Weile schweren Schweigens stieß der Befragte plötzlich hervor: »Wovon spricht sie mit dir?«

»Wovon sollte sie wohl mit mir sprechen?«

»Quäle mich nicht!«

»Ich muß ihr von dir erzählen. Immerfort nur von dir. Jetzt weißt du's. Als ob du's nicht gewußt hättest!«

Courtien schritt langsam von Vital fort, trat an seine Leinwand, nahm Palette und Pinsel und malte. Seine Hand zitterte. Das war ihm noch nie geschehen. Er mußte krank sein. Damit wollte er fertig werden. Und das leichter als mit – dem anderen ... Er und krank! Wer hätte das denken können? Er selbst gewiß nicht. Der Mensch muß eben alles an sich selber erleben. Auch das Kranksein.

Bevor der neue Fremdenführer von Maloja den Maler verließ, sagte er: »Nach Maira fragst du nicht?«

»Gibt's etwas von ihr zu sagen?«

»Ich meinte nur, du würdest gern von ihr hören.«

»Da es ihr gewiß gut geht –«

»Die ist wie du. Ihr beide paßt zueinander wie zu unseren Bergen die Firner und Gletscher.«

»Wir sind gute Kameraden, bleiben es auch. Daran ist nicht zu rühren.«

»Nicht zu rühren. Und doch ist sie eifersüchtig.«

»Wer eifersüchtig? Auf wen?«

»Du fragst noch!«

»Hat sie dir etwas gesagt?«

»Die und etwas sagen! Nein – sie ist doch nicht wie du. Wenn sie sterben sollte, und wenn ein Wort sie retten könnte, so würde sie schweigen und sterben. Von euch zweien ist sie die stärkere. Also wird sie fertig damit.«

»Mit ihrer Eifersucht auf die Gräfin?«

»Und mit ihrer Liebe zu dir. Obgleich ihre Liebe zu dir ihr Leben ist.«

»Mensch!«

»Schon als sie noch ein Kind war, hat sie dich lieber gehabt als ihr Leben ... Denk drüber nach, wenn du noch an etwas anderes denken kannst. Zeit zum Nachdenken hast du genug, und allein genug bist du auch. An die Maira à Mara denke. Es wird dir gut tun, und du brauchst gute Gedanken.«

Er schickte sich an, zu gehen.

»Bleib noch! 's ist gar zu einsam!«

»Ich muß herab zur Fornohütte, muß zu der Schwarzen. Und darum ... Bürschlein, darum kenne ich das alles: es packt einen und läßt einen nicht los. Selbst nicht, wenn man ein ganzer Kerl ist. Und ganze Kerle sind wir beide. Du hast's übrigens besser: du kannst an die Maira denken. Während ich – Wenn mir der Pfarrer die Nerina nicht zur Frau gibt, damit ich sie für alle Ewigkeit hab', so –«

Überrascht rief Sivo: »Du willst heiraten? Trotz allem, was du immer gegen das Heiraten sagtest!«

»'s ist eine Schande! Ich meine, daß ein Mann auf einmal anderen Sinnes werden kann. Einer wie ich, der ich doch ein ganzer Kerl sein will. Und zwar anderen Sinnes wegen eines Frauenzimmers! Obenein wegen solchen schwarzen Dings, solcher häßlichen Hexe. Aber – kann sein, daß ich dann von ihr loskomme. Jetzt weißt du, weshalb ich heiraten will – wenn der Briccius Ladien mich heiraten läßt. Aber er läßt mich nicht! Nicht eher, als bis ich ihm zu Kreuz kroch. Und das – Herrgott, und das wegen eines Frauenzimmers! Es würde mich würgen; umbringen würd's mich. Vor solchem sich demütigen, der trotz seiner Hochehrwürdigkeit ein zehnfach schlechterer Christ ist als ein entlaufener Klosterschüler, als der unbußfertige Unchrist Gian Vital ... Ist das eine Narrenwelt dort unten! Hast recht, Malerlein, hier oben zu sitzen. Bleibst hier oben ein besserer Mensch.«

Ohne weiteren Abschied und Gruß ging er.

Courtien sollte in seiner tiefen Einsamkeit bei seiner Arbeit an Maira à Mara denken – und dachte nur an die Frau, auf die seine treue Jugendfreundin, seine gute Kameradin eifersüchtig war; denn diese hatte ihn schon als Kind geliebt, »mehr geliebt als ihr Leben«. Aber sie würde eher sterben, als es ihm sagen.


 << zurück weiter >>