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7

Courtien verschloß das Haus hinter seinem Gast ... Erst als die Gräfin vor seinem Bilde gestanden, als er in ihrem Gesicht die jähe Veränderung gesehen hatte, ward er sich bewußt, daß er ihr Porträt, das zu malen er sich damals weigerte, schließlich doch gemalt hatte. Größer noch als der Schrecken über diese plötzliche Erkenntnis war die Scham, die ihn dabei befiel. Ihm war zumute, als enthüllte er ein angstvoll gehütetes Geheimnis. Und es war sie, vor der er sich so hüllenlos zeigte. Jetzt wußte sie's!

Jetzt wußte sie, daß er sie immer geliebt hatte; seit jener ersten Stunde geliebt ...

Es mußte eine hassende Liebe geben. Denn was er in diesem Augenblick für die Geliebte empfand, kam dem Haß gleich. Von der Möglichkeit all dieser Dinge hatte er nichts gewußt – nichts bis heute. Was sollte er beginnen, um diese Schwäche zu neuer Stärke zu machen, seine Scham über sich selbst zu neuem Selbstbewußtsein? Würde ihm das jemals gelingen? War er nicht für sein ganzes Leben gedemütigt, erniedrigt, beschimpft? ... Es gibt Männer, die ihren Stolz erst erkennen, wenn er gebrochen ist. Was konnte dann helfen?

Im Augenblick fiel seinem durch seine Schwäche tödlich beleidigten Männerstolz keine andere Hilfe ein, als in finsterer Versunkenheit an ihrer Seite auf der längs des Sees sich hinziehenden Landstraße dem Hotel zuzuschreiten. Noch war der Tag nicht vorüber, noch »gehörte« er ihr. Das Wort besaß für sein Ohr einen fatalen Klang, dem von Leibeigenschaft ähnlich; und keine Faser seines Wesens sollte einem anderen Menschen zu eigen sein! Also wähnte er noch immer, trotz seines Kusses, frei von ihr zu sein, wo er doch bereits mit unzerreißbaren Ketten an sie gebunden war.

 

Das Hotel!

Eine strahlende Halle; Teppiche, Blumen, Luxus; ein Kellnerheer in Lakaienlivree; Damen und Herren aller Nationen in Gesellschaftstoilette; eine fremde Kulturwelt, plötzlich, gleichsam über Nacht, in diese Welt einsamer Alpenherrlichkeit verpflanzt. Dem Sohn der Alpen preßte es das Herz zusammen, so daß er nur mühsam Altem holen konnte. Seine Erscheinung an der Seite der eleganten Frau erregte Aufsehen. Man starrte ihn an, man flüsterte. Der Direktor des Etablissements, der wie ein Grandseigneur aussah, erkannte ihn, grüßte ihn fast ehrerbietig, und nach wenigen Augenblicken wußten es alle: ›Sivo Courtien! Das ist Sivo Courtien! Der berühmte Künstler, der Stolz von Maloja. Ein Sonderling, ein Menschenfeind. In der Nähe des Monte della Disgrazia hat er sich ein Haus gebaut. Man denke! Er malt dort ein Bild, das ein Unikum sein soll. Kein Mensch bekommt es zu sehen ... Sivo Courtien im Hotel? Mit einer Dame: mit der schönen Gräfin Oberndorff! Was will er bei ihr? Was will sie mit ihm? Seltsam! ... Jedenfalls ist er ein merkwürdiger Mann, Und – auch – jedenfalls ist es eine merkwürdige Sache.‹

Sivo Courtien sah nicht die Blicke; aber er fühlte sie. Er hörte nicht die Worte; aber er wußte, daß sie gesprochen wurden. Er erbebte. Seinetwillen steckten sie die Köpfe zusammen, über ihn flüsterten sie –

Wenn er sich jetzt, vor allen diesen gaffenden, tuschelnden Menschen, schweigend vor der Gräfin verneigt und sich entfernt hätte? Welche Schwäche, welche Feigheit! Er biß die Zähne zusammen und folgte ihr. Unwillkürlich ballten sich seine Hände, als griffe er nach einem unsichtbaren feindlichen Etwas. Er faßte es, zerdrückte es in seiner geballten Hand: seine Schwäche, seine Feigheit ...

Jetzt befand er sich in ihrem Salon, in dem sie ihn allein gelassen hatte, um ihr Kostüm zu wechseln. Im Nebenzimmer hörte er sie mit der französischen Kammerfrau sprechen. Er stand und sah sich um, mehr und mehr die Wirklichkeit als unwirklich empfindend.

Noch niemals hatte er sich in einem von einer Dame bewohnten Räume aufgehalten. Das Gemach der feinen Frau erfüllte ein Wohlgeruch wie ein exotischer Frühling. Courtien hätte am liebsten ein Fenster aufgerissen, um die Kälte und Kraft der nächtlichen Alpenluft in das Zimmer strömen zu lassen. Alles daran verriet die Gegenwart der Frau: gestickte Kissen und seidene Decken auf den Diwans; Majolikavasen und Kristallschalen voller Blumen – Parmaveilchen und Maréchal-Nielrosen; niedliche Sächelchen in Silber und Email, die eine verwöhnte Dame selbst auf Reisen mit sich führt; Bücher in prächtigen Einbänden: französische, englische, italienische. Kein einziges deutsches Buch! Courtien bemerkte alles, fand alles seiner Natur zuwider, empfand in allem einen sonderbaren, prickelnden, beunruhigenden, quälenden Reiz. Unwillkürlich stellte er sich Mairas Kämmerlein vor: dort oben in dem alten Gemäuer auf der Paßhöhe, über dem Abgrund mit der Königsschau auf Bergell und Engadin. Und erst sein Atelierhaus auf der Gletscherinsel! ... Heute abend, wenn er seiner guten Freundin Lebewohl sagte, wollte er ihr von diesem Salon erzählen. Beide wollten darüber lächeln.

Sie kam noch immer nicht. Ja – bis solche Dame Toilette gemacht hatte!

Aber Kellner kamen und deckten den Tisch. Er ärgerte sich über das freche Gesindel, trat an das Fenster, zog den Vorhang auseinander, starrte hinaus ... In der schwarzen Seeflut spiegelten sich die Sterne, der Glanz des erleuchteten Palasthotels lag darauf, und durch die Dunkelheit blaßten die fernen Firner herüber, als wären die Alpenriesen gestorben und stünden noch im Tode aufrecht, eine Schar gespenstischer Herrscher in Leichentücher gehüllt – die Phantasie eines Fiebernden, wie Courtien sich selbst sagte, um das Spukbild abzuschütteln.

Endlich! Seide umschimmerte sie, Perlen schmückten sie, ein königlicher Schmuck.

Wie schön sie sich gemacht hatte. Für ihn! Sie mußte doch wissen, daß er für dergleichen Dinge unempfänglich war: malte er doch keine Damen in großer Toilette, war er doch kein John Lavary! Aber der gelbliche Atlas stand herrlich zu ihrem flammenden Goldhaar; dazu der matte Glanz der Perlen um ihren blütenweißen Hals ... Es war von ihr geschmacklos, so prunkvoll zu erscheinen, wo er wie ein Bauer vor ihr stand. Beleidigend für ihn war's! Er wollte sie durch seine Gleichgültigkeit strafen: nicht ein Wort über ihre Herrlichkeit sollte ihm entschlüpfen.

Auch jetzt las die schöne Frau in des Mannes Seele, als sei sie ein aufgeschlagenes Buch. Sie brauchte nur hineinzusehen, nur umzublättern. Auf jeder Seite standen dieselben tief eingegrabenen Worte: »Ich will dich nicht lieben; denn du gehörst nicht zu mir ... Ich muß dich lieben: leidenschaftlich, verzehrend, ohne Maß und ohne Ende; denn ich gehöre dir!«

»Und ohne Ende« ... Nein, das letzte Blatt schlug sie nicht auf ... Was würbe wohl auf der letzten Seite zu lesen sein?

 

Voll strahlender Heiterkeit rief die Gräfin ihm zu: »Sie sind mir böse, weil ich mich ›schön machte‹, wie wir aus Höflichkeit gegen uns selbst zu sagen pflegen. Es geschah für Sie, mein zürnender Herr. Das verstärkt natürlich nur Ihren Zorn. Jedem anderen würde es schmeicheln; Sie sind freilich kein ›anderer‹. Haben Sie Mitleid mit der Eitelkeit einer armen schwachen Frau, die schließlich nichts hat als – eben ihre Schwäche ... Nachen Sie kein solch finsteres Gesicht – es gefällt mir, nebenbei gesagt, von Ihren vielen verschiedenen Gesichtern am besten – und seien Sie mir willkommen. Es wäre eine Redensart, Ihnen zu sagen, wie sehr ich mich freue, Sie bei mir zu sehen; und Ihnen gegenüber macht man keine Redensarten. Das weiß ich schon von Rom her und will nicht wieder eine Lektion haben – so gut mir jene eine getan hat. Aber immerhin ... Unser letztes Beisammensein soll freundlich ausklingen. Darauf kommt es bei jeder Freundschaft an: auf einen guten Schlußakkord. Wohlverstanden spreche ich nur von Freundschaft. Was das andere betrifft: Liebe, Leidenschaft ... Sooft ich von zweien höre, die sich leidenschaftlich lieben, die einander angehören, als wären sie ein Mensch, und die sich dann in Feindschaft, in Haß trennen ... Ich kann es nicht verstehen, finde es namenlos traurig, finde es trostlos. Das sind jedoch Dinge, über die Sie sicher nie nachdachten.«

»Niemals. Woher wissen Sie das?«

»Weil ich Sie kenne.«

»Sie mich kennen?«

»Kein Mensch kennt Sie so gut. Nicht einmal Ihre wunderschöne Freundin.«

»Sie sollen nicht von ihr sprechen!«

»Gut. Wir wollen an sie nur denken. Sie denken nämlich beständig an sie.«

»Sagten Sie nicht soeben: Sie kennten mich so gut?«

»Und das empört Sie. Ihre Herrenseele will einsam sein und bleiben, so unnahbar wie einer Ihrer unzugänglichen Gipfel. Wehe dem, der zu Ihnen hinauf will, um die Einöde mit Ihnen zu teilen. Sie möchten den frechen Eindringling am liebsten in den Abgrund hinabschleudern. Sehen Sie nun, wie gut ich Sie kenne ... Wollen wir noch lange so feierlich stehenbleiben?«

Nun saß er ihr gegenüber, und die Livrierten trugen das Diner auf, nach allen Regeln höchster Tafelkunst serviert. Nach jedem Gange verschwanden sie lautlos im Vorzimmer, um erst wieder zu erscheinen, wenn die Gräfin die kleine Silberklingel neben ihrem Teller bewegte. Courtien aß wenig und rührte sein Glas nicht an; auch dann nur stumm dankend, als sie mit liebenswürdigster Anmut ihm zutrank. Sie freute sich über seine gute Haltung und gestand sich freimütig, daß sie sich vor diesem Essen etwas gefürchtet hatte: vor den schlechten Manieren des Unkultivierten! Denn wenn er wie ein Älpler, wie ein Bauer gegessen hätte – Es war erstaunlich, wie die Natur bisweilen ihre Menschen schuf. Einem Genie, das von Hirten abstammte, gab sie in einer ihrer Schöpferlaunen die Vornehmheit des Adelsmenschen. An diesem Mann war alles edel! Und die Gräfin Oberndorff mußte an den Blick, an das Lächeln denken, mit dem ihr Gatte ihr damals in Rom den Engadiner vorgestellt hatte: ›Betrachte ihn dir recht genau. Das ist er, der berühmte Bauer! Gänzlich ungefährlich für die Gräfin Oberndorff. Gänzlich ungefährlich für jede Frau von Welt. Ich kann mit aller Ruhe riskieren, dich von ihm malen zu lassen, da du die geschmackvolle Phantasie hast, dich für dieses Original zu interessieren.‹ Graf Oberndorff riskierte also und – wurde abgelehnt. Als das geschah, betrachtete sich die Gräfin Sivo Courtien sehr genau und ... Ja, und bereits damals begann das Spiel mit dem Schicksal, das jetzt seine Fortsetzung nahm, davon sie das Ende nicht wußte – nicht wissen wollte.

Sie plauderte, und er hörte ihr zu, gierig auf jedes ihrer Worte. Von dem glanzvollen Gewande umschimmert, den vielfachen Perlenketten umwunden, erschien sie ihm von neuem fremd. Das erregte ihn von neuem. Alles an ihr paßte sich dem festlichen Schmuck an, war gemessen und hoheitsvoll. Das empörte ihn und entzückte ihn zugleich. Die mit Silber und Kristall besetzte, mit Blumen reich verzierte Tafel; die hohen Kandelaber mit den brennenden Wachskerzen flößten ihm ein nie zuvor gefühltes ästhetisches Wohlbehagen ein; und er mußte sich widerstrebend gestehen, daß Luxus zugleich Schönheit sein konnte. Selbst Frauenschönheit, die auch im ärmlichsten Kleide höchste Erdenherrlichkeit war, empfing dadurch etwas Verklärtes, freilich zugleich auch Unnahbares. Und diese Hoheit in Weibesgestalt wollte von ihrem Thron zu ihm herabsteigen, wollte ihn zu sich erheben? ... Als ob er der Mann wäre, der einen Menschen zu sich »herabsteigen«, von einem Menschen sich »erhöhen« ließ!

Die Gräfin hätte es verstanden, ihren Gast zum Reden zu bringen. Sie wollte ihn jedoch schweigsam haben, stumm ihr zuhörend: mit diesem Blick, diesem Ausdruck, den sie noch in keines anderen Mannes Augen und Gesicht gesehen. Keine Schmeichelei, keine Huldigung, die sie jemals erfahren – und das von den Ersten der Nationen –, schmeichelte und huldigte ihr in ähnlicher Weise wie diese unverwandt auf sie gerichteten verstörten und zugleich trunkenen Blicke, diese blasse, leidensvolle Miene. Es hätte der Ähnlichkeit des Gletscherweibes auf seinem Gemälde mit ihrem eigenen Gesichte nicht bedurft, um sie mit Siegeszuversicht zu erfüllen. Ihr Triumph sollte sie jedoch nicht hochmütig machen: Demut sollte der Sieg über dieses starre Männerherz, diese stolze Künstlerseele sie lehren.

»Sie müssen jetzt gehen; müssen mir hübsch artig Ade sagen und ein Aufnimmerwiedersehen. Ihre Freundin erwartet Sie.«

»Ich muß jetzt gehen. Danke.«

»Wofür?«

»Daß Sie mich erinnerten. Es ist spät geworden und – Und ich muß jetzt gehen.«

»Leben Sie wohl, lieber Freund.«

Sie erhob sich, stand vor ihm, sah ihn an. In ihren Augen war ein Schein wie an ihrem Halse der Perlenschimmer ... Wie weiß und fein dieser Hals war, bis tief in den reizenden Nacken hinab von dem matten Gold ihres Haares umringelt. Auch jetzt überkam es ihn plötzlich gleich einer Vision. Er sah sich selbst, sah sein eigenes todblasses, von Leidenschaft entstelltes Gesicht, wie er es in den kühlen Glanz ihres flutenden Haares barg, als wollte er darin sich begraben; sah sich selbst, wie seine Lippen auf den schneeigen Schmelz ihres Halses, ihres Nackens sich preßten und daran haftenblieben, bis er unter seinem Kuß ihr Blut rieseln fühlte, Und der Mann, der heute zum erstenmal in seinem Leben ein Weib geküßt hatte, trank in seiner Vision dieses heiße, flutende Frauenblut, trank gierig, unersättlich, gleich einem Verschmachtenden.

Schwindel ergriff ihn. Seine Knie wankten. Er drohte hinzustürzen, mit einem Seufzer, einem Stöhnen wie ein erstickter Sterbeschrei. Da, mit letzter versagender Kraft, ohne Worte, ohne Gruß entfernte er sich von ihr, tastete wie ein plötzlich Erblindeter mit zitternden Händen nach der Tür, öffnete sie, ließ sie hinter sich ins Schloß fallen, sank dagegen, verharrte in dieser Stellung wie von einer Ohnmacht befallen, belebte sich und ging schwankenden Schrittes davon, kaum fähig, die Augen offen zu halten. Er stieg die Marmortreppe hinunter, schritt durch die Prachthalle, durch die ihn anstarrenden Menschen, schritt hinaus in die Sternennacht, hinaus in die nächtliche Alpenwelt, in Einsamkeit, Schweigen und Größe. Auf der Heide, an einer Stelle, wo er ihr Licht sehen konnte, fiel er zu Boden.

Das Licht brannte die ganze Nacht über in ihrem Zimmer. Die ganze Nacht über blieb Sivo Courtien auf seinem Platz und bewachte den Schein, der über die Schönheit der geliebten Frau seinen Glanz warf.

Er wußte: sie wachte und dachte an ihn.


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