Richard Voß
Zwei Menschen
Richard Voß

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Zweites Kapitel

Pater Paulus weiht bei der Königsfrau die Kapelle zum blutenden Herzen Mariä

Im Maienmonat war's. Und es war schön, daß die katholische Kirche die holdseligste Jahreszeit der holdseligsten Jungfrau geweiht hatte, der jungfräulichen Gottesgebärerin, die aller Mütter schmerzensreichste war, Maria mit dem blutenden Herzen.

Eine Poesie ohne Ende liegt in dem Marienkult, die lieblichste und zugleich erhabenste Dichtung der nach einem göttlichen Urbilde aller Frauenreinheit und Frauenhoheit sich sehnenden Menschenseele. Sie fand ihre Sehnsucht erfüllt in der Frau des Zimmermanns Joseph, in der Frau aus dem Volke.

Der ewig jungfräuliche Leib von Mutter Erde gebar den Göttersohn Frühling, den die Flammenpfeile der Sommersonne töteten. Den aus weißer Winterstarre erwachten braunen Schollen entwanden sich unter dem Jubilieren der Lerchenchöre die sprießenden Saaten und Felder, die bunten Blütengefilde der Fluren; und es schmückten sich die Wälder mit Lenzespracht...

Judith ließ für ihr Gesinde eine Kapelle bauen. Das kleine Heiligtum stand nahe beim Wohnhause auf einem Hügel unter einem uralten verwitterten Fichtenbaum. Der junge Martin erhielt den ehrenvollen Auftrag, nach Bozen niederzusteigen und ein schön geschnitztes Holzbild der Himmelskönigin in die Dolomitenwildnis herauszuführen.

Eines leuchtenden Maisonntags zogen Judiths Mägde, junge blühende Geschöpfe, dem Boten eine Strecke Weges entgegen. Wie für eine Prozession hatten sie sich Blumenkränze gewunden, die einen aus blauschwarzen Genzianen; aus blaßvioletten Anemonen oder goldgelben Primeln die andern. Hinabsteigend sangen sie ein Maienlied. Auch Judith ging mit. Schweigend schritt sie voraus, tiefen Ernst auf ihren Zügen, als wäre sie eine Chorführerin.

So feierlich wallte die kleine Schar von der Höhe herab durch die Frühlingsauen bis zur Grenze des Tannenwaldes. Dort erwartete sie Martin. Er sah den Zug kommen, befreite das Bildnis von seiner Umhüllung, stand unter den sprießenden Lärchen und hielt Herrin und Mägden mit beiden hocherhobenen Armen das Gnadenbild entgegen. Es wurde im Triumph vollends hinaufgeleitet und über dem Altar aufgestellt, der sich in einen Blumenhügel verwandelte. Aber noch fehlte der Kapelle die priesterliche Weihe.

Für Judiths Empfinden hätte es der Heiligung durch Priestermund nicht bedurft. Sie erkannte jedoch, daß es sich nicht um ihr Gefühl handelte, für welches das Sanktuarium nicht erbaut worden war. Ihr Gesinde forderte die Weihe; und sie mußte diesem Verlangen nachgeben.

Aber keiner der Geistlichen aus der Klause im Tal konnte die Heiligung vollziehen.

Es waren Büßer, Missetäter. Die Dolomitenleute hegten wenig Achtung vor den Bestraften, wenn auch Frauen und Kinder sich drängten, um jedem der heimlich Mißachteten demütig die Hand zu küssen. Aber auch die Männer wären zu den Geächteten in die Messe gegangen, hätten den Sündern ihre Sünden zur Beichte getragen und sie sich von ihnen vergeben lassen. Sämtliche Bewohner des Hofes sowohl wie der umliegenden Wälder und Höhen trugen ein heißes Verlangen nach den Segnungen der Kirche, selbst durch Mund und Hand solcher sündigen Büßer; waren sie doch immerhin Gesalbte des Herrn, in denen der Geist der Kirche lebendig war – wenn auch nicht in ihrer sündhaften Person, so doch in ihrem heiligen Amt.

Also sandte Judith auf dringliches Anliegen ihres Gesindes Botschaft und Bitte hinab, einer von den Vätern möge dem Waldkirchlein unter den Königswänden die Heiligung geben. Es sei dem blutenden Herzen Maria gestiftet.

Aus der Klause kam die Antwort: ›Ohne besondere Erlaubnis unserer geistlichen Oberbehörde dürfen wir die Weihe nicht vollziehen. Es soll darum nachgesucht werden.‹

Nach einiger Zeit erfolgte die Mitteilung: ›Die Erlaubnis wurde einem der Unsern erteilt. Wir werden diesen einen hinaufsenden.‹

An Maria Himmelfahrt sollte der Kapelle mit dem Bildnis Mariä zum blutenden Herzen die Weihe erteilt werden. Von allen Seiten versammelten sich die Dolomitenleute. Sie wußten, es gab dort oben bei Judith Platter nicht allein himmlische Seelennahrung, sondern auch irdische Speise und Trank. Denn – so war sie nun einmal! Alles an ihr war besonders geartet. Wenn sie gab, so gab sie gleich mit vollen Händen; und dann war ihr Geben stets ein Verschwenden. Auch deswegen hätte man sie nennen können, wie man sie nannte: »Die Königsfrau!«

Die eifrigen Mägde hatten die Kapelle mit Gewinden bekränzt. Da ließen es sich denn auch die Knechte nicht nehmen, für den Hochwürdigen, der zu ihnen heraufgestiegen kam, aus Tannengrün eine Ehrenpforte zu bauen und von dieser Stelle aus den Weg bis zum Kirchlein hinauf dicht mit Zweigen zu bestreuen; wie ein Kirchenfürst sollte der priesterliche Büßer in das Reich der Königsfrau einziehen.

In dem mit Zirbenholz ausgetäfelten großen Gemach ward für den geistlichen Herrn der Tisch gedeckt. Die Hausfrau selbst suchte dafür das Linnen aus. Erst in ihrem Hause wollte sie den Priester begrüßen. Verdachte man ihr das Fernbleiben von der Zeremonie, so machte ihr das nichts aus. Der Obermagd befahl sie, das Brot und die Würste für die Scharen der Andächtigen und Hungrigen nach dem Kapellenhügel schaffen zu lassen, desgleichen die beiden Fässer guten Terlaners; wo die Leute fromm gewesen waren, sollten sie nachher fröhlich sein ...

Der Geistliche traf ein. Er trug den violetten Talar eines Chorherrn vom heiligen Augustin der lateranensischen Kongregation. Den Priester begleitete ein Knabe mit dem von blasser Seide umhüllten Ciborium.

Das gab eine Erregung! Die Dolomitenleute teilten einander flüsternd die große Neuigkeit mit:

»Er hält das Hochamt! Er darf für uns das Hochamt halten. Der Himmel läßt für uns ein Wunder geschehen! Einem Büßer, einem Sünder ward die Erlaubnis erteilt, den Herrn zu uns zu bringen! Seine Buße muß groß gewesen sein; denn seine Sünde ward ihm vergeben. Seht ihn an! Er sieht nicht aus wie einer von denen dort unten, sondern wie einer, dem die Macht gegeben ward, zu binden und zu lösen.«

Andre sprachen: »Wir kennen ihn. Dieses Frühjahr ward er zu uns geschickt. Weswegen? ... Einer Missetat willen... Dieser ein Mörder? So hörten wir ... Wir glauben euch nicht. Seht ihn doch an! Das ist einer!«

So fand das Volk für die absonderliche Wesensart des Büßers Pater Paulus den nämlichen Ausdruck wie für Judith, die »Königsfrau«.

Er achtete nicht des Aufsehens, das seine Erscheinung erregte, nicht des Flüsterns. Mit einem Blick tiefster Ergriffenheit schaute er um sich, als suchte er etwas, das zu schauen er mit heißer Inbrunst ersehnte. Jetzt war dafür die Stunde gekommen. Nur sein Herz und sein Gott wußten, wie er darauf gewartet hatte. Er Hütte die Erfüllung seines Wunsches früher herbeiführen können; aber er wollte, daß die Stunde für ihn schlagen sollte.

So war es jetzt bei Judith Platter! ... Von der Tiefe aus hatte er die große Welt der Höhe nur als ferne Erscheinung erblickt; jetzt war sie ihm zur Nähe geworden.

Unwillkürlich hemmte er seinen Schritt.

Dieses ihr Haus; dieses ihr Hof, ihre Fluren, Felder, Wälder! Hier oben konnte sie frei genug atmen, stark genug schaffen. Unter diesen gewaltigen Gipfelwänden erfüllte sich ihre Natur; von diesen scharfen Lüften umweht, fühlte sie sich in ihrer wahren Lebenslust ... Umschau haltend, tat der Priester einen langen tiefen Atemzug. Dann schritt er weiter.

Wo und wann würde er sie wiedersehen? ... Vor dem Heiligtum, jetzt gleich! ... Sie müßte nicht – Judith Platter sein, wenn das geschehen sollte. Er würde noch eine Weile warten müssen, bis er ihr gegenüberstand. Aber dann!

Was dann?

Was würde er ihr sagen? Was sie ihm? Wie würden sie einander gegenüberstehen?

Nicht daran durfte er jetzt denken. Er ward hinaufgesendet, um in dieser stolzen Höhe eine heilige Handlung zu vollziehen. Alle seine Gedanken, seine ganze Seele mußten jetzt bei dem Mysterium sein. Aber auch sein Wiedersehen mit Judith Platter kam etwas Geheiligtem gleich.

Der Priester betrat die Kapelle, um welche die Berggemeinde sich scharte; denn wenige nur konnten in das kleine Heiligtum selbst eingehen. Sie standen auf dem Hügel unter der uralten Fichte; und während der geistliche Herr drinnen die Weihe vollzog, sangen sie im Chor. Dann trat Pater Paulus heraus und sprach zu ihnen:

»Dem blutenden Herzen Maria weihte ich diese Kapelle unter den Gipfeln der Dolomiten. Des Sohnes Blut floß am Kreuz für die Leiden und Sünden der Welt; die Mutter aber ließ ihr Herzblut strömen um des gemarterten und gestorbenen Sohnes willen. Solche unblutigen Wunden sind der Wunden grausamste; Speerstich, Dornenkrone und Nägelmale sind lind gegen ein vor Seelenqual blutendes Herz.

»Wer auf dieser Welt so recht ein Mensch ist, der trägt auch des Menschen blutendes Herz in seiner Brust. Denn der Mensch muß leiden auf Erden.

»Bis in eure Täler hinein, bis zu euren Höhen empor dringt der Menschheit Leid. Die Felsenmauern, die euch von der Welt abschließen, schützen euch nicht vor dem allgemeinen Menschenlos; und den Feierfrieden eurer Einsamkeit zerreißt der Schmerzenslaut eurer Menschlichkeit. Auch ihr müßt Gräber graben, Tränen trocknen und zum Himmel aufschreien: ›Herr, Herr, warum verließest du mich?‹

»Wenn ihr in eurem Menschenleid eure Herzen bluten fühlt, so steigt herauf zu dieser Stätte über dem Dunst der Tiefe. Hier tretet ein! Dem blutenden Herzen der Mutter ward hier ein Tempel errichtet, von allen Heiligtümern der Erde das Heiligste. Denn es gibt nichts so sehr, was vom Himmel ist, als Mutterliebe und Mutterschmerz.

»Eure blutenden Menschenherzen tragt zu diesem Mutterherzen; und aus seinen Wunden wird es leis und lind in die euren überfließen, daß ihr getröstet von dannen geht, zurück in eure Hütten, zu eurer Arbeit, euren Mühen und Nöten, darüber ihr nicht murren sollt. Denn sie sind es, die euch hier herausführen, wo ihr dem Himmel näher seid, der euch segnen möge mit dem Segen der Liebe, der aller Segen machtvollster und göttlichster ist. »Und ich habe euch zu verkünden, daß mir Unwürdigem Erlaubnis erteilt ward, fortan eure Beichte abzunehmen, euch Absolution zu erteilen und für euch Messe zu lesen. Auch darf ich zu euren Sterbenden den Heiland bringen. So habe ich's für euch von meinen Oberen erbeten und so ward mir's gewährt.«

Die kleine Gemeinde dieser Bergpredigt geriet in fanatischen Taumel ... Nicht mehr länger brauchte sie mühselige und weite Wanderungen zu unternehmen, um ihre Sünden zu einem Priester zu tragen und sie sich vergeben zu lassen; brauchte nicht länger mehr nach dem Anblick des höchsten Heiligtums zu schmachten. In die wilde Einsamkeit hatte die Gottheit Einzug gehalten, hatte ihr Haus bezogen, blieb bei ihnen wohnen. Und wenn sie jetzt nach einem langen mühseligen Leben das Zeitliche mit dem Ewigen vertauschten, so konnten sie ihre letzten Stunden in Frieden erwarten; zu ihren Sterbebetten kam fortan der Herr und stand ihnen bei im letzten Kampf, der freilich ihres Lebens schwerster nicht war ...

Sie drängten vor, hin zu dem Mann, der ein Übeltäter sein sollte und der für sie so großes Köstliches vollbracht hatte. Sie küßten dem Abwehrenden gewaltsam Hände und Gewand; sie dankten und beteten, weinten und jubelten in dem Rausch ihrer fanatischen Freude.

Dann ertönte in dieser hohen Welt der Alpen zum erstenmal das Glöcklein; der junge Martin läutete es, dabei der geliebten Herrin gedenkend; dann vollzog der Priester vor der Kapelle das Meßopfer. Und über der Schar der demütig Niedergesunkenen wurde an diesem Ort zum erstenmal zu den starren Häuptern der Alpenriesen und dem von Morgensonne umfluteten Antlitz des Himmels von sündigen Händen der Kelch emporgehoben.

»Der hochwürdige Herr möchte ins Haus kommen.« Der Gerufene mußte sich zusammennehmen, um der Botin mit möglichst ruhiger Stimme zu erwidern: »Melde deiner Herrin, ich würde kommen.« »Ich soll Hochwürden führen.« »Geh nur voraus.«

Er ließ den Knaben, der als Ministrant mit ihm hinaufgestiegen war, bei den jetzt froh Feiernden auf dem Hügel und folgte der vorausgeeilten Dienerin mit schweren Schritten. Judiths Hunde empfingen ihn vor ihrem Haus. Sie begrüßten den Gast mit wütendem Gebell, als witterten sie in ihm einen Feind. Sie mußte selbst heraustreten, um Ruhe zu schaffen.

Da sah sie ihn denn.

Ich bin's, Judith Platter.« Das letzte Wort brachte er kaum über seine Lippen. Daß ihn das Leben dahin hatte bringen können, das Judithlein jemals Judith Platter zu nennen! Und sie trug an ihrem Finger noch immer seinen Ring...

In derselben Weise, wie er sie ansprach, erwiderte sie:

»Ich sehe, Ihr seid's, Pater Paulus.«

Wie kalt und fremd ihre Stimme klang; wie kalt und fremd ihr Blick auf ihm ruhte. Grauen hätte diese beiden Menschen fassen müssen, Grauen vor einem Leben, das zwei Menschen in solcher Weise trennen konnte.

Dann nach einem langen Schweigen:

»Ihr ließet mich einladen, in Euer Haus zu kommen. Darf ich auch jetzt bei Euch eintreten, nun Ihr wißt, wen Ihr ludet?«

»Ich lasse nicht vor meiner Tür stehen, wen zu kommen ich einmal bat. Tretet also ein, hochwürdiger Herr. Verzeiht, daß ich Euch kein anderes Willkommen zu bieten vermag.«

»Ich erwartete kein andres.«

Sie antwortete nicht und ging, ihm den Weg weisend, voraus.

Hatte er eigentlich gehört, was sie ihm sagte? ... Nur dunkel erinnerte er sich ihrer Worte. Während sie zu ihm sprach, lauschte er auf ihre Stimme. So kalt und fremd sie klang, war es doch ihre Stimme, die er wieder vernahm – endlich, nach Jahren und Jahren, nachdem er ihren Klang in hundert schlummerlosen Nächten sich vorgestellt, darauf in seinen Träumen gelauscht hatte. Als er in der Frühlingsnacht am Rande des Eisacks bei ihr gestanden, war sie schweigend vor ihm zurückgewichen. Erst heute hörte er sie wieder zu ihm reden; und keine Engelstimme hätte ihm so überirdisch durch die Seele schallen und hallen können.

Er war ins Haus getreten ... Zwischen diesen Mauern lebte sie also! Alles in ihrem neuen Hause war wie sie selbst: weit, luftig, hell. Jedes Gerät darin zeugte von ihr, von ihrem Geist, ihrer Arbeit. Pater Paulus mußte sich zwingen, bei diesem und jenem Stück Hausrats nicht zu verweilen, um seine Hand auf eine Stelle zu legen, woran die ihre gewiß häufig rührte, niemals müßig, beständig sich regend.

»Wollt Euch setzen und vorlieb nehmen.«

»Und Ihr?«

»Der Wirtin geziemt es, bei dem Gast zu bleiben.«

Sie stand an dem mit Speisen und Getränk reich besetzten Tische und deutete auf den für den Gast bestimmten Platz. Jetzt sagte sie:

»Meine Leute haben für die Gäste draußen zu schaffen; für Euch muß ich sorgen.«

Sie schenkte ihm Wein ein und legte ihm von den Forellen vor; suchte für ihn sorglich denjenigen Fisch aus, der mit gekrümmtem bläulichem Rücken unter den Kräutern in der bunt ausgemalten Schüssel lag. Auch Brot und Butter reichte sie ihm. Die Forellen waren aus ihrem Wildwasser, Brot und Butter von ihrem Hof – genau wie einstmals auf dem Platterhof im grünen, grünen Vahrn. Genau so wie einst trug sie für ihn Sorge. Aber heute war es die Sorge der Hausfrau, die ihrem Gaste an Speise und Trank des Hauses Bestes vorsetzt, damit der Gast von der Wirtin nicht sagen kann: »Sie ladet ein und gibt nicht reichlich und gut.«

Pater Paulus setzte sich. Er aß, was Judith Platter ihm vorlegte; trank, was sie für ihn einschenkte. Sie stand ihm gegenüber, sah ihn essen und trinken, mußte sich gewaltsam erinnern, wer an ihrem Tische saß und von ihren Speisen genoß.

Er hatte sich sehr verändert. Und doch, und doch – noch immer glich er in keinem Zuge einem Priester der katholischen Kirche; noch immer war er in jeder Miene Junker Rochus: Junker Rochus von Enna, ein Mann geworden! Nur um seine Lippen bisweilen ein unruhiges Zucken; nur in seinen Augen ein unsteter, flackernder Blick. Dann bekamen seine Augen etwas Unheimliches. Eine Flamme schlug darin auf. Seine Seele mußte beständig von Flammen verzehrt werden, mußte schon jetzt ein Fegfeuer erdulden.

Plötzlich wußte sie: ›Er kam meinetwillen in diese Verbannung und meinetwillen wird er bleiben. So lange wird er bleiben, bis er erreichte, weswegen er kam .... Was kann das sein? .... Er will, daß ich mich ihm unterwerfe! Eher würde der Eisack stromaufwärts fließen, würden die Dolomiten zu sanften Hügeln werden, bevor er – Er war es, er, der den Jüngling in seinen gräßlichen Tod trieb! In mein Haus trat ein Mörder ein; ein Mörder sitzt an meinem Tisch und ißt mein Brot; ein Mörder kam meinetwillen, wird meinetwillen bleiben, bis er –‹

In diesem Augenblick hörte sie ihn fragen:

»Also hier oben habt Ihr Euch das Haus gezimmert. Steht es Euch hoch genug?«

»Höher konnte ich nicht.«

»Sonst wäret Ihr höher gestiegen?«

»Ja.«

»Um dem Himmel möglichst nahe zu sein?«

»Um von den Menschen möglichst entfernt zu sein.«

»Taten sie Euch so viel zuleide?«

»Nein.«

»Dennoch floht Ihr vor ihnen?«

»Ich mied sie und –«

»Und Ihr fürchtet Euch nicht auf Eurer einsamen Höhe?«

»Ich zimmerte mein Haus fest.«

»Wißt Ihr, Judith Platter, daß Ihr hochmütig seid?«

»Ich weiß.«

»Hütet Euch also.«

»Wovor?«

»Vor Euch selbst.«

»Das will ich.«

Dabei sahen sie sich an, einander fest in die Augen. In des Priesters Blick brannte ein fanatischer Wille. Sein Blick sprach zu ihr: ›Ich unterwerfe dich doch!‹ In den Augen Judiths lag der Ausdruck ihrer starken Kraft: ›Ich unterliege dir doch nicht!‹ Ihre Blicke maßen sich, zwei Gegner, die in diesem Augenblick sich vornahmen, miteinander zu kämpfen, und sollte es ein Kampf sein um Leben und Tod. Ein solcher würde es sein! Das fühlte in diesem Augenblick jeder.

Ein Augenblick war's, der das Schicksal eines jeden entschied. »Ich muß gehen.«

»Habt guten Weg hinunter.«

»Ich komme wieder herauf.«

»Wie Ihr wollt.«

»Ihr verwehrt mir nicht, wiederzukommen?«

»Ihr wißt, zu wem Ihr kommt.« »Zu Judith Platter.«

»Die niemals eine gute Christin war. Keine gute Christin in Eurem Sinn.«

»Das könnte sich ändern.«

»Gewiß nicht.«

»Ändern wird es sich.«

»Glaubt Ihr?«

»Ja, ja, ja!«

Gewaltsam mußte er an sich halten. Sein Leben hätte er dafür gegeben, in diesem Augenblick ihr trotzig erhobenes Haupt mit beiden Händen fassen und hinabbeugen – hinabreißen zu können, bis auf den Boden hinab, nicht zu dem blutenden Herzen Maria, sondern zu den Füßen des Heilands! Hinab zu seinen Füßen.

Er ging. Und er ging, ohne den üblichen priesterlichen Abschiedsgruß zu sprechen.

Judiths Blick folgte der hohen Gestalt bis zur Tür. Dann mußte sie gehen, um nach den Hunden zu sehen, damit diese dem Priester nicht nachstürzten.

Dahin hatte es zwischen ihnen kommen können!

Daß Judith Platter ihre Hunde zurückhalten mußte, weil sie sich sonst auf den Mann gestürzt hätten, der einstmals Junker Rochus gewesen.


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