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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Die beiden Liebenden entschließen sich, nach Babylon zurückzukehren. Der König von Betika gibt ihnen Truppen zum Geleit mit. Sie gelangen nach Tyrus, reisen durch Ägypten. Der König von Äthiopien gibt ihnen Feste und verliebt sich in Formosante. Amazan straft diesen Herrscher und vermählt sich mit Formosante in Babylon

Man speiste im Palast und fuhr ziemlich schlecht dabei. Die Köche von Betika waren die schlechtesten in Europa. Amazan riet, welche aus Gallien kommen zu lassen. Die Kapelle des Königs spielte während des Mahles jene berühmte Melodie, die man ein paar Jahrhunderte später die »Folies d'Espagne« nannte. Nach der Mahlzeit sprach man von gewichtigeren Angelegenheiten.

Der König fragte den schönen Amazan, die schöne Formosante und den schönen Phönix, welches ihre Pläne seien. »Was mich betrifft,« sagte Amazan, »so gedenke ich nach Babylon zurückzukehren, dessen Thronerbe ich zu beanspruchen habe, und von meinem Oheim Belus mein Geschwisterkindeskind, die unvergleichliche Formosante, zu erbitten, sofern sie es nicht vorzieht, mit mir bei den Gangariden zu leben.«

»Mein Plan«, sagte die Prinzessin, »ist vor allem, mich niemals von meinem Vetter zu trennen. Aber ich glaube, es schickt sich, daß ich mich zum Könige, meinem Vater, begebe, um so mehr, als er mir nur die Erlaubnis erteilt hat, nach Bassora zu pilgern, ich aber die Welt durchreist habe.«

»Was mich betrifft,« sagte der Phönix »so werde ich diesen beiden zärtlichen und großherzigen Liebenden überallhin folgen.«

»Ihr habt recht,« sagte der König von Betika; »aber die Rückkehr nach Babylon ist nicht so leicht, wie ihr denkt. Ich bekomme täglich Nachrichten aus diesem Land, sowohl durch tyrische Schiffe wie durch meine palästinischen Bankiers, die mit allen Völkern der Erde in Briefwechsel stehen. Die ganze Gegend um Euphrat und Nil ist in Waffen. Der König von Skythien verlangt das Erbe seiner Gemahlin an der Spitze von dreihunderttausend Kriegern zu Pferd. Der König von Ägypten und der König von Indien verwüsten ebenfalls die Ufer des Tigris und des Euphrat; jeder steht an der Spitze von dreihunderttausend Mann, um sich zu rächen, daß man sich über sie lustiggemacht hat. Während der König von Ägypten außer Landes ist, zerstört der König von Äthiopien Ägypten mit dreihunderttausend Mann. Der König von Babylon aber hat bisher nur sechshunderttausend Mann, um sich zu verteidigen. Ich gestehe,« fuhr der König fort, »wenn ich von diesen wunderbaren Heeren höre, die der Orient ausspeit, und von ihrer unerhörten Pracht; wenn ich sie mit unseren kleinen Truppen von zwanzig- bis dreißigtausend Soldaten vergleiche, die zu ernähren und zu kleiden so schwierig ist, bin ich versucht zu glauben, der Orient sei lange vor dem Abendlande erschaffen worden. Es scheint, daß wir erst vorgestern aus dem Chaos und gestern aus der Barbarei herausgekommen sind.«

»Herr,« antwortete Amazan, »die zuletzt Gekommenen tragen manchmal den Sieg über die Ersten davon. Man glaubt in meinem Lande, der Mensch stamme aus Indien, aber ich habe keinen Beweis dafür.«

»Und du,« sagte der König von Betika zum Phönix, »was denkst du darüber?«

»Herr,« antwortete der Phönix, »ich bin noch zu jung, um über das Altertum etwas zu wissen. Ich habe erst siebenundzwanzigtausend Jahre gelebt; aber mein Vater, der fünfmal so lange lebte, sagte mir, er habe von seinem Vater gehört, daß die Länder des Orients immer bevölkerter und reicher gewesen seien als die anderen. Er wußte es von seinen Vorfahren, daß die Generationen aller Tiere an den Ufern des Ganges ihren Ursprung hatten. Ich für mein Teil bin nicht so eitel, dies zu glauben. Ich kann mir nicht denken, daß die Füchse Albions, die Murmeltiere der Alpen und die Wölfe Galliens aus meinem Lande kommen sollen; ebensowenig wie ich glaube, daß die Tannen und Eichen Eurer Länder von den Palmen und Kokosbäumen Indiens abstammen.«

»Woher kommen wir aber dann?« fragte der König.

»Ich weiß es nicht,« sagte der Phönix; »ich will auch nichts anderes wissen, als wohin die schöne Prinzessin von Babylon und mein teurer Prinz Amazan ihren Weg nehmen können.«

»Ich zweifle sehr,« versetzte der König, »daß er mit seinen zweihundert Einhörnern imstande sein wird, durch diese Heere von je dreihunderttausend Mann zu dringen.«

»Warum nicht?« sagte Amazan.

Der König von Betika fühlte die Erhabenheit dieses Warum; aber er glaubte, daß Erhabenheit allein nicht gegen so ungeheure Heere genüge. »Ich rate Euch,« sagte er, »den König von Äthiopien aufzusuchen. Ich bin durch meine Palästiner in Verbindung mit diesem schwarzen Fürsten. Ich werde Euch Briefe an ihn mitgeben: da er der Feind des Königs von Ägypten ist, wird er nur zu froh sein, durch das Bündnis mit Euch Verstärkung zu erhalten. Ich kann Euch zweitausend sehr nüchterne, tapfere Mann mitgeben. Es kommt nur auf Euch an, ebenso viele bei den Völkern zu mieten, die am Fuße der Pyrenäen wohnen oder vielmehr hüpfen, und die man Vasconer oder Basken nennt. Schicket einen Eurer Krieger auf seinem Einhorn und mit einigen Diamanten hin: es wird keinen Basken geben, der nicht das Kastell, das heißt die Strohhütte seines Vaters verlassen wird, um Euch zu folgen. Sie sind ausdauernd, mutig und lustig; Ihr werdet Freude an ihnen haben. Bis sie ankommen, werden wir Euch Feste geben und die Schiffe instandsetzen. Ich kann mich für den Dienst, den Ihr mir erwiesen habt, gar nicht dankbar genug erzeigen.«

Amazan schwelgte im Glück, Formosante wiedergefunden zu haben und im friedlichen Gespräch alle Reize versöhnter Liebe zu genießen, die beinahe jenen der entstehenden gleichen.

Bald darauf kam, unter Tanzen zum Tamburin, eine stolze, fröhliche Truppe Basken an. Die andere stolze, aber ernste Truppe der Betikaner war schon bereit. Der alte ledergelbe König umarmte die beiden Liebenden zärtlich. Er ließ ihre Schiffe mit Waffen, Betten, Schachspielen, schwarzen Kleidern, Halskrausen, Zwiebeln, Schafen, Hennen, Mehl und vielem Knoblauch beladen und wünschte ihnen glückliche Überfahrt, standhafte Liebe und lauter Siege.

Die Flotte näherte sich dem Ufer, an dem, wie man sagt, viele Jahrhunderte später die Phönizierin Dido, Schwester eines Pygmalion, Gemahlin eines Sichäus, nachdem sie Tyrus verlassen, die wunderbare Stadt Karthago gegründet hat, indem sie eine Ochsenhaut in Riemen schnitt. Dies bezeugen die ernstesten Schriftsteller des Altertums, die niemals Fabeln erzählt haben, und die Professoren, die für kleine Knaben schreiben. Obgleich, genau besehen, nie jemand in Tyrus gewesen ist, der Pygmalion, Dido oder Sichäus geheißen hat, welches vollständig griechische Namen sind, und obgleich es schließlich in jenen Zeiten überhaupt keinen König in Tyrus gab.

Das stolze Karthago war auch keineswegs schon ein Seehafen. Nur ein paar Numidier waren da, die ihre Fische in der Sonne trockneten. Man fuhr an den Küsten von Byzacene und den Syrten vorbei und an den fruchtbaren Ufern, an denen später Cyrene und die große Chersones entstanden.

Endlich gelangte man an die erste Mündung des heiligen Nilflusses. Am äußersten Ende dieses fruchtbaren Bodens liefen schon Schiffe aller handeltreibenden Nationen in den Hafen von Kanopus ein. Und dies, obgleich man nicht wußte, ob der Gott Kanopus den Hafen gegründet hatte oder die Einwohner den Gott fabriziert oder der Stern Kanopus der Stadt seinen Namen geliehen oder die Stadt den ihrigen dem Stern. Alles, was man wußte, war, daß sowohl Stadt wie Stern sehr alt waren, also dasselbe, was man über den Ursprung der Dinge überhaupt wissen kann, welcher Art sie auch seien.

Hier war es, wo der König von Äthiopien, nachdem er ganz Ägypten verwüstet hatte, den unbesiegbaren Amazan und die bewundernswerte Formosante landen sah. Er hielt den einen für den Gott des Kampfes und die andere für die Göttin der Schönheit. Amazan überreichte ihm den Empfehlungsbrief des Königs von Betika. Zunächst veranstaltete der König von Äthiopien nach der unumgänglichen Sitte jener heroischen Zeiten prachtvolle Festlichkeiten. Dann sprachen sie davon, die dreihunderttausend Mann des Königs von Ägypten, die dreihunderttausend des Königs von Indien und die dreihunderttausend des großen Khan der Skythen zu vertreiben, welche die ungeheure, stolze und wollüstige Stadt Babylon belagerten.

Die zweitausend Betikaner, die Amazan mitgebracht hatte, sagten, daß sie den König von Äthiopien nicht brauchten, um Babylon Hilfe zu bringen; es genüge, daß ihr König ihnen befohlen habe, die Stadt zu befreien, sie könnten diesen Auftrag allein ausführen.

Die Basken meinten, sie hätten schon andere Taten vollbracht; sie würden Ägypter, Inder und Skythen ganz allein schlagen und wollten mit den Soldaten von Betika nur unter der Bedingung zusammen marschieren, daß diese in der Nachhut blieben.

Die zweihundert Gangariden lachten über die Ansprüche ihrer Verbündeten und meinten, daß sie allein mit ihren hundert Einhörnern alle Könige der Erde in die Flucht schlagen könnten. Die schöne Formosante besänftigte alle durch ihre Klugheit und ihre bestrickenden Reden. Amazan stellte dem schwarzen Herrscher seine Gangariden vor, seine Einhörner, die Basken und seinen schönen Vogel.

Bald war alles bereit zum Abmarsch über Memphis, Heliopolis, Arsinoe, Petra, Artemisia, Sora und Apamea, um die drei Könige anzugreifen und jenen denkwürdigen Krieg zu führen, gegen den alle späteren Kriege nur Hahnen- und Wachtelkämpfe gewesen sind.

Jedermann weiß, wie der König von Äthiopien sich in die schöne Formosante verliebte, und wie er sie im Bett überraschte, als ein sanfter Schlummer ihre langen Augenwimpern schloß. Man erinnert sich, daß Amazan, welcher Zeuge dieses Schauspiels wurde, glaubte, den Tag und die Nacht beieinander schlafen zu sehen. Ebenso weiß man, daß der über diesen Schimpf empörte Amazan plötzlich seine Fulminante zog, den bösen Kopf des unverschämten Negers abhieb und alle Äthiopier aus Ägypten vertrieb. Sind diese Wundertaten nicht in den Chroniken von Ägypten verzeichnet? Hundertzüngiger Ruhm verkündet die Siege, die er über die drei Könige errang mit seinen Kriegern aus Betika, seinen Basken und seinen Einhörnern. Er brachte die schöne Formosante zu ihrem Vater zurück. Er befreite das ganze Gefolge seiner Geliebten, das der König von Ägypten in Sklaverei geführt hatte. Der große Khan der Skythen erklärte sich als sein Vasall, und seine Vermählung mit der Prinzessin Aldea wurde bestätigt. Der unbesiegbare, großmütige Amazan wurde als Erbe des babylonischen Reiches anerkannt. Er zog im Triumph in die Stadt ein mit dem Phönix und in Gegenwart von hundert tributpflichtigen Königen. Die Festlichkeiten bei seiner Vermählung übertrafen in allem jene, die der König Belus gegeben hatte. Der Ochse Apis wurde bei Tisch gebraten aufgetragen. Der König von Ägypten und der von Indien schenkten den beiden Vermählten die Getränke ein. Fünfhundert große Dichter von Babylon verherrlichten dieses Hochzeitsfest.

 

O Musen! die man sonst am Anfang eines Werkes anfleht, ich rufe euch erst zum Schlusse an! Vergebens wirft man mir vor, daß ich die Gnade vor dem benedicite erteile. Musen! Ihr werdet deshalb nicht weniger meine Beschützerinnen sein! Verhindert, daß freche Nachahmer durch ihre Fabeln die Wahrheiten entstellen, die ich in dieser getreuen Erzählung den Sterblichen beigebracht habe, wie sie ja schon meinen Candide und den Harmlosen gefälscht haben, ebenso die keuschen Abenteuer der keuschen Jeanne, die ein Exkapuziner in batavischer Ausgabe durch Verse entstellt hat, die eines Kapuziners würdig sind. Möchten sie doch meinem Drucker, der eine zahlreiche Familie hat und der kaum die Typen, das Papier und die Druckerschwärze aufbringt, dieses Unrecht nicht antun.

O Musen! bringet den verachtungswerten Cogé, den Professor der Schwatzkunst am Kolleg Mazarin, zum Schweigen, den die moralischen Reden des Belisar und des Kaisers Justinian nicht befriedigten, und der abscheuliche Schmähschriften gegen diese beiden großen Männer schrieb.

Leget dem Pedanten Larcher einen Maulkorb an, der, ohne ein Wort der altbabylonischen Sprache zu kennen, ohne wie ich die Ufer des Euphrat und des Tigris bereist zu haben, voll Frechheit behauptet, die schöne Formosante, Tochter des größten Königs der Welt, die Prinzessin Aldea und alle Frauen dieses ehrenwerten Hofes hätten im großen Tempel zu Babylon aus religiösen Gründen mit allen Stallknechten Asiens für Geld geschlafen. Dieser Kolleglüstling, euer Feind und der Feind jeder Scham, klagt die schönen Ägypterinnen von Mendes an, nur Ziegenböcke geliebt zu haben, wobei er sich insgeheim vornimmt, angeregt durch dieses Beispiel, nach Ägypten zu reisen, um endlich ein Liebesabenteuer zu erleben.

Da er die moderne Zeit ebensowenig kennt wie die alte, deutet er an, in der Hoffnung, sich bei irgendeiner Alten einzuführen, daß unsere unvergleichliche Ninon im Alter von achtzig Jahren mit dem Abbé Gédoin schlief, dem Mitglied der Académie française und der Akademie der Geschichte und der schönen Künste. Er hat nie etwas vom Abbé von Châteauneuf gehört, den er mit dem Abbé Gédoin verwechselt. Er kennt Ninon ebenso wenig wie die Mädchen von Babylon.

Musen, Töchter des Himmels! Euer Feind Larcher tut mehr: er verbreitet Lobschriften auf die Päderastie. Er wagt zu sagen, daß alle Knaben meines Landes dieser Schande ergeben seien. Er glaubt sich selber dadurch zu retten, daß er die Zahl der Schuldigen vergrößert.

Edle, keusche Musen! die ihr den Pedantismus ebenso wie die Päderastie verachtet, beschützet mich gegen den Meister Larcher!

Und Ihr, Meister Aliboron, Fréron genannt, ehemals sogenannter Jesuit, Ihr, für den der Parnaß bald in Bicêtre, bald in der Winkelschenke liegt; Ihr, dem auf allen Bühnen Europas Gerechtigkeit widerfuhr in der ehrlichen Komödie »Die Schottin«, würdiger Sohn des Priesters Desfontaines, der aus seiner Liebschaft mit einem jener schönen Kinder hervorging, die ein Eisen und eine Stirnbinde wie der Sohn der Venus tragen und sich wie dieser in die Lüfte schwingen, obgleich sie nie weiter als in Kaminhöhe kommen; mein teurer Aliboron, für den ich stets so viel Zärtlichkeit übrig hatte, weil Ihr mich zur Zeit jener »Schottin« einen Monat hintereinander zum Lachen brachtet, ich empfehle Euch meine Prinzessin von Babylon. Saget so viel wie möglich Schlechtes über sie, damit man sie lese.

Auch Ihr, geistlicher Zeitungsschreiber, berühmter Sprecher der Epileptiker aus religiösem Wahnsinn, Vater der vom Abbé Bécherand und von Abraham Chameix gegründeten Kirche, verfehlet ja nicht, in Euren Blättern, die ebenso fromm wie beredt und klug sind, zu sagen, die Prinzessin von Babylon sei ketzerisch, deistisch und atheistisch. Vor allem versuchet den Sieur Riballier zu gewinnen, damit er die Prinzessin von Babylon durch die Sorbonne verdammen läßt. Ihr würdet damit meinem Buchhändler, dem ich diese kleine Erzählung zu Neujahr geschenkt habe, ein großes Vergnügen bereiten.


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