Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigstes Kapitel

Formosante ist verzweifelt über das, was sie gesehen. Sie verläßt Gallien und wünschte doch dort zu bleiben. Amazan ist untröstlich über seine Untreue und eilt hinter Formosante her

Formosante stieß einen Schmerzensschrei aus, der das ganze Haus erschütterte, aber nicht vermochte, ihren Vetter oder das Opernmädchen zu wecken. Ohnmächtig fiel sie in Irlas Arme. Sowie sie wieder bei sich war, verließ sie dieses unglückselige Zimmer mit einem Gefühl zornigen Schmerzes. Irla erkundigte sich, wer diese junge Dame sei, die solch süße Stunden mit dem schönen Amazan verbrachte. Man sagte ihr, es sei ein sehr gefälliges Opernmädchen, das mit seinen anderen Talenten das des Gesanges höchst reizvoll verbände. »O gerechter Himmel! O mächtiger Ormuzd!« rief die schöne Prinzessin von Babylon unter Tränen, »durch wen und für wen bin ich verraten! Er, der um meinetwillen so viele Prinzessinnen ausgeschlagen hat, verläßt mich jetzt um eine gallische Possenreißerin! Nein, diese Beleidigung überlebe ich nicht.«

»Prinzessin,« sagte Irla zu ihr, »so sind alle jungen Männer von einem Ende der Welt zum andern: liebten sie auch eine vom Himmel herabgestiegene Schönheit, sie würden ihr in gewissen Augenblicken selbst mit einer Gasthausmagd untreu werden.«

»Alles ist aus,« sagte die Prinzessin, »ich will ihn in meinem Leben nicht wiedersehen; ich will sofort abreisen; man spanne meine Einhörner an.«

Der Phönix beschwor sie, wenigstens zu warten, bis Amazan aufgewacht sei und mit ihr sprechen könne. »Er verdient es nicht,« sagte die Prinzessin, »es würde mich tödlich kränken: er würde glauben, daß ich dich gebeten hätte, ihm Vorwürfe zu machen, und daß ich mich mit ihm aussöhnen will. Wenn du mich liebst, füge nicht diese Beleidigung zu der, die er mir angetan hat.« Der Phönix, der ja sein Leben der Tochter des Königs von Babylon verdankte, konnte nicht anders als ihr gehorchen. Sie reiste ab mit ihrem ganzen Gefolge.

»Wohin reisen wir, Prinzessin?« fragte Irla.

»Ich weiß es nicht,« antwortete die Prinzessin, »der erste beste Weg ist mir recht, wenn ich dadurch nur Amazan auf immer entfliehe.«

Der Phönix, der klüger als Formosante war, weil ihn keine Leidenschaft beherrschte, tröstete sie unterwegs. Er legte ihr sanft dar, wie unklug es sei, sich selbst für die Sünden eines andern zu strafen; Amazan habe ihr so viele glänzende und zahlreiche Beweise seiner Treue gegeben, daß sie ihm wohl verzeihen könne, wenn er sich einen Augenblick vergessen habe; er sei ein Gerechter, dem die Gnade des Ormuzd gefehlt habe; sicher werde er von nun an um so beständiger in der Liebe und Treue sein; der Wunsch, seinen Fehler auszulöschen, werde ihn sich selbst übertreffen lassen, sie aber werde dadurch desto glücklicher werden. Mehrere große Fürstinnen hätten vor ihr schon ähnliche Fehler verziehen und seien dabei nicht übel gefahren. Er führte Beispiele an; und er besaß so sehr die Kunst der Überredung, daß Formosantes Herz endlich ruhiger und friedfertiger wurde. Sie bereute, so schnell abgereist zu sein, fand, daß ihre Einhörner zu schnell liefen, und wagte doch nicht, umzukehren. So schwankte sie zwischen der Lust, zu verzeihen und der, ihren Zorn zu zeigen, zwischen Liebe und Eitelkeit, und ließ ihre Einhörner weiterrennen. Sie durcheilte die Welt, wie es das Orakel ihres Vaters vorausgesagt hatte.

Bei seinem Erwachen hört Amazan von der Ankunft und Abreise Formosantes und des Phönix; er erfährt von der Verzweiflung und dem Zorn der Prinzessin. Man erzählt ihm, sie habe geschworen, ihm nie zu vergeben. »Es bleibt mir nichts,« rief er, »als ihr zu folgen und mir zu ihren Füßen das Leben zu nehmen.«

Seine Freunde von der guten Gesellschaft der Müßiggänger kamen auf das Gerücht dieses Abenteuers herbeigeeilt. Alle bewiesen ihm, daß es unendlich besser sei, er bleibe bei ihnen; daß nichts dem süßen Leben gleiche, das sie im Schoße der Künste und einer ruhigen, feinsinnigen Genußfreudigkeit führten; daß viele Fremde, ja sogar Könige dieses angenehm ausgefüllte, bezaubernde Nichtstun ihrem Vaterlande und ihrem Throne vorgezogen hätten. Daß im übrigen sein Wagen zerbrochen sei und ein Sattler ihm einen nach der letzten Mode mache; daß der beste Schneider der Stadt ihm schon ein Dutzend Kleider nach dem neuesten Geschmack zugeschnitten habe; daß schließlich die geistreichsten und liebenswürdigsten Damen der Stadt, bei denen sehr gut Komödie gespielt wurde, ihre Empfangstage aufgeschoben hatten, um ihm Feste zu geben. Das Opernmädchen trank inzwischen während der Toilette ihre Schokolade, lachte, sang und neckte sich mit dem schönen Amazan, der schließlich bemerkte, daß sie nicht den Verstand einer Gans besaß.

Da der Charakter dieses großen Prinzen ebenso aufrichtig, herzlich und frei wie erhaben und tapfer war, hatte er seinen Freunden von seinem Unglück und seinen Reisen erzählt. Sie wußten, daß er Geschwisterkindeskind der Prinzessin war; sie waren unterrichtet von dem verhängnisvollen Kuß, den sie dem König von Ägypten gegeben hatte. »Man trägt«, sagten sie, »unter Verwandten solch kleine Streiche nicht nach, sonst müßte man das ganze Leben in ewigen Streitereien zubringen.« Nichts erschütterte seinen Plan, Formosante nachzueilen; da aber sein Wagen noch nicht bereit war, mußte er drei Tage unter den Müßiggängern bei ihren Festen und Vergnügungen zubringen. Schließlich nahm er Abschied von ihnen, umarmte sie, schenkte ihnen die bestgeschliffenen Diamanten seines Landes und empfahl ihnen, heiter und leichtsinnig zu bleiben, da sie dies um so liebenswürdiger und glücklicher mache. »Die Deutschen«, sagte er, »sind die Greise Europas; die Albionier die reifen Männer; die Einwohner Galliens die Kinder; ich spiele gern mit ihnen.«


 << zurück weiter >>