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Einundzwanzigstes Kapitel

Amazan fliegt über die Pyrenäen. Er begegnet dem Phönix, der ihm das Unglück Formosantes erzählt. Amazan befreit sie aus der Gefahr, verbrannt zu werden, und vernichtet die Schergen. Er versöhnt sich mit Formosante

Seine Führer hatten es nicht schwer, dem Weg der Prinzessin zu folgen; man sprach überall nur von ihr und ihrem großen Vogel. Alle Einwohner waren noch voll Bewunderung. Die Völker Dalmatiens und der Mark Ancona empfanden es seitdem nicht mehr als die köstlichste Überraschung, wenn sie ein Haus in der Luft fliegen sahen. Die Ufer der Loire, der Dordogne, der Garonne, der Gironde schallten noch von Bewunderungsrufen.

Als Amazan am Fuße der Pyrenäen war, ließen ihm die Beamten und Druiden des Landes gegen seinen Willen einen Tamburintanz vorführen. Sobald er aber die Pyrenäen überschritten hatte, erblickte er weder Heiterkeit noch Freude. Wenn er von Zeit zu Zeit einige Lieder hörte, so waren sie alle traurig im Ton. Die Einwohner schritten ernst daher mit aufgereihten Kügelchen und einem Dolch im Gürtel. Die ganze Nation war schwarz gekleidet und schien in Trauer zu sein. Wenn Amazans Diener die Vorübergehenden etwas fragten, so antworteten sie mit Zeichen. Trat man in ein Gasthaus, so belehrte der Herr des Hauses die Leute mit drei Worten, daß nichts zu haben sei. Man müsse das Notwendigste einige Meilen weit herholen.

Wenn man diese Schweigenden fragte, ob sie die schöne Prinzessin von Babylon gesehen hätten, antworteten sie etwas weniger kurz: »Wir haben sie gesehen, sie ist nicht so schön: nur sonnverbrannte Haut ist schön. Sie zeigt einen Alabasterbusen, das häßlichste Ding der Welt, das man unter unserm Himmelsstrich fast gar nicht kennt.«

Amazan näherte sich der Provinz, die vom Flusse Betis bewässert wird. Nicht länger als zwölftausend Jahre waren es her, seit dieses Land von den Tyriern entdeckt wurde, zur selben Zeit, als sie die große Insel Atlantis auffanden, die einige Jahrhunderte später unter den Meeresspiegel sank. Die Tyrier bebauten das Land am Betis, das die Eingeborenen brachliegen ließen, da sie behaupteten, sie wollten sich nicht dareinmischen, es sei Sache der Gallier, ihrer Nachbarn, ihren Boden zu kultivieren. Die Tyrier hatten Palästiner mitgebracht, die seit dieser Zeit in allen Ländern zu finden sind, vorausgesetzt, daß es Geld zu verdienen gibt. Diese Palästiner liehen fünfzig Prozent vom hundert auf Pfänder und hatten so alles Vermögen des Landes an sich gezogen. Das ließ das Volk des Betislandes glauben, die Palästiner seien Zauberer. Alle, die des Zaubers angeklagt waren, wurden ohne Erbarmen verbrannt von einer Gesellschaft Druiden, die man Inquisitoren oder Anthropokaier Menschenverbrenner (falsches Griechisch). nannte. Diese Priester zogen ihnen zuerst ein Maskengewand an, bemächtigten sich dann ihrer Güter und sagten fromm die eigenen Gebete der Palästiner her, während diese bei kleinem Feuer por l'amor de Dios schmorten.

Die Prinzessin von Babylon war in der Stadt abgestiegen, die man nachher Sevilla nannte. Ihr Plan war, sich auf dem Betis einzuschiffen, um über Tyrus nach Babylon zu ihrem Vater, dem König Belus, zu reisen und, wenn sie konnte, ihren untreuen Geliebten zu vergessen oder auch ihn zum Gatten zu verlangen. Sie ließ zwei Palästiner zu sich kommen, die alle Geschäfte des Hofes besorgten. Sie sollten ihr drei Schiffe verschaffen. Der Phönix machte alle notwendigsten Vereinbarungen mit ihnen und ward, nachdem er einen kleinen Streit mit ihnen gehabt, auch handelseinig.

Die Wirtin war sehr fromm, und ihr nicht weniger frommer Mann war Vertrauter, das heißt ein Spion der menschenverbrennenden Druiden. Er versäumte nicht, sie zu benachrichtigen, daß in seinem Haus eine Hexe und zwei Palästiner einen Pakt mit dem Teufel in Gestalt eines großen vergoldeten Vogels abgeschlossen hätten. Die Späher hatten erfahren, daß die Dame eine Menge wunderbarer Diamanten habe; sie erklärten sie ohne Verzug für eine Hexe. Sie warteten auf die Nacht, um die zweihundert Reiter mit den Einhörnern, die in weiten Ställen schliefen, einzuschließen, denn Späher sind Feiglinge.

Nachdem sie die Türen gut verbarrikadiert hatten, bemächtigten sie sich der Prinzessin und Irlas; aber sie konnten den Phönix nicht fangen, der in vollem Flug enteilte; er ahnte wohl, daß er Amazan auf dem Wege von Gallien nach Sevilla finden würde.

Er traf ihn an der Grenze von Betika und teilte ihm das Mißgeschick der Prinzessin mit. Amazan konnte nicht sprechen: er war zu sehr ergriffen, zu sehr in Wut. Er bewaffnete sich mit einem stählernen, goldausgelegten Harnisch, einer zwölf Fuß langen Lanze, zwei Wurfspeeren und einem scharfen Schwert, das Fulminante hieß und mit einem Hieb Bäume, Felsen und Druiden spalten konnte. Sein schönes Haupt bedeckte er mit einem goldenen Helm, der von Reiher- und Straußenfedern beschattet wurde. Es war die alte Rüstung des Magog, die ihm seine Schwester Aldea auf seiner Reise in Skythien geschenkt hatte. Das kleine Gefolge, das ihn begleitete, bestieg wie er die Einhörner.

Amazan umarmte seinen teuren Phönix und sagte nichts als die traurigen Worte: »Ich bin schuldig. Wenn ich nicht mit dem Opernmädchen in der Stadt der Müßiggänger geschlafen hätte, wäre die schöne Prinzessin von Babylon nicht in dieser furchtbaren Lage; laßt uns zu den Anthropokaiern eilen.«

Bald trifft er in Sevilla ein: fünfzehnhundert Schergen bewachen die Tore des umfriedigten Platzes, auf dem die zweihundert Gangariden und ihre Einhörner ohne Nahrung eingeschlossen waren. Alles war für das Opfer vorbereitet, zu dem man die Prinzessin von Babylon, ihre Kammerfrau Irla und die zwei reichen Palästiner bestimmt hatte. Der Groß-Anthropokaier saß schon, von seinen kleinen Anthropokaiern umgeben, auf seinem heiligen Richterstuhl. Eine Menge Sevillaner mit aufgereihten Kügelchen an ihren Gürteln falteten die Hände, ohne ein Wort zu sagen. Die schöne Prinzessin, Irla und die beiden Palästiner wurden mit auf den Rücken gebundenen Händen, in Maskengewänder gekleidet, hereingeführt.

Der Phönix flog durch eine Luke in das Gefängnis, in dem die Gangariden schon anfingen, die Türen einzuschlagen. Der unüberwindbare Amazan brach sie von außen ein. Sie kommen alle bewaffnet, alle auf ihren Einhörnern heraus: Amazan setzt sich an ihre Spitze. Es war ihm leicht, die Schergen, die Vertrauten, die anthropokaischen Priester zu schlagen: jedes Einhorn spießte Dutzende zugleich auf. Amazans Fulminante spaltete alle, die sie traf, in zwei Teile. Das Volk floh in seinen schwarzen Mänteln und schmutzigen Halskrausen und hielt dabei seine gesegneten Kugeln por l'amor de Dios in den Händen.

Amazan faßte eigenhändig den Groß-Späher auf seinem Richterstuhl und schleuderte ihn auf den Scheiterhaufen, der vierzig Schritte davon bereitet war; die kleinen Späher folgten, einer nach dem andern, auf demselben Wege. Dann wirft er sich zu Füßen Formosantes. »Ach!« sagte sie, »wie liebenswert Ihr seid und wie ich Euch anbeten würde, wenn Ihr nicht diese Untreue mit dem Opernmädchen begangen hättet!«

Während Amazan mit der Prinzessin Frieden schloß, häuften die Gangariden die Körper der Anthropokaier, daß die Flammen bis in die Wolken drangen. Da sah Amazan von weitem ein Heer auf sich zukommen. Ein alter Monarch mit der Krone auf dem Haupt kam auf einem Wagen daher, der von acht mit Stricken gesattelten Maultieren gezogen wurde; ihm folgten hundert andere Wagen; dann kamen würdige Leute in schwarzen Mänteln und Halsrüschen auf sehr schönen Pferden, den Schluß bildete eine Menge Fußvolks mit fettigem Haar, alle in tiefem Schweigen.

Zuerst sammelte Amazan seine Gangariden um sich, dann rückte er mit eingelegter Lanze vor. Sowie der König Karl III. Sein Minister d'Aranda war eben der Inquisition scharf entgegengetreten. ihn sah, nahm er seine Krone ab, stieg von seinem Wagen, küßte Amazans Steigbügel und sagte: »Von Gott gesandter Mann, Ihr seid der Rächer der Menschheit, der Befreier meines Landes, mein Beschützer! Diese geistlichen Ungeheuer, von denen Ihr die Erde gesäubert habt, beherrschen mich im Namen des Alten von den sieben Hügeln. Ich war gezwungen, ihre verbrecherische Macht zu dulden. Mein Volk hätte mich verlassen, wenn ich ihre abscheulichen Grausamkeiten auch nur hätte mäßigen wollen. Heute atme ich auf; ich regiere wieder, und das verdanke ich Euch.«

Darauf küßte er ehrerbietig die Hand Formosantes und bat sie, mit Amazan, Irla und dem Phönix auf seinen Maultierwagen zu steigen. Die beiden Palästiner, Hofbankiers, die vor Schreck und Dankbarkeit noch auf dem Boden lagen, erhoben sich. Die Truppe mit den Einhörnern folgte dem König von Betika in seinen Palast.

Da die Würde des Königs eines ernsten Volkes verlangte, daß seine Maultiere in langsamem Schritt gingen, hatten Amazan und Formosante Zeit, ihm ihre Abenteuer zu erzählen. Er unterhielt sich auch mit dem Phönix, bewunderte ihn und küßte ihn hundertmal. Er begriff, wie sehr die Völker des Abendlandes, die die Tiere aßen und ihre Sprache nicht mehr verstanden, unwissend, brutal und barbarisch sein mußten; daß allein die Gangariden die Natur und die ursprüngliche Würde des Menschen bewahrt hatten. Vor allem aber räumte er ein, daß die brutalsten aller Sterblichen jene Anthropokaier waren, von denen Amazan soeben die Welt gesäubert hatte. Er hörte nicht auf, ihm zu danken und ihn zu segnen. Die schöne Formosante vergaß schon das Abenteuer mit dem Opernmädchen. Ihre Seele war nur erfüllt von der Tapferkeit des Helden, der ihr Leben gerettet hatte. Sie unterrichtete Amazan von der Unschuld des dem König von Ägypten gegebenen Kusses und von der Auferstehung des Phönix. Da empfand er die reinste Freude und wurde von heftigster Liebe berauscht.


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