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Achtes Kapitel

Verhängnisvolle Begegnung Formosantes in einem Gasthofe. Die Gefahr, der sie ausgesetzt ist, und die List, die sie dagegen braucht. Sie kehrt mit ihrer Kammerfrau nach Bassora zurück

Kaum war sie, beim dritten Sonnenuntergang, in einem Gasthofe angelangt, in dem ihre Fouriere alles für sie vorbereitet hatten, als sie erfuhr, daß der König von Ägypten ebenfalls dort absteigen wollte. Durch seine Spione war er über den Weg der Prinzessin unterrichtet worden und hatte mit seinem großen Gefolge die Marschroute geändert. Er kommt an. Er läßt an allen Türen Schildwachen aufstellen; dann geht er in das Zimmer der schönen Formosante hinauf und sagt: »Prinzessin, Ihr seid es, die ich suche; Ihr habt sehr wenig Umstände mit mir gemacht, als ich in Babylon war; es ist gerecht, Hochmütige und Launische zu bestrafen; Ihr werdet also die Güte haben, heute abend mit mir zu speisen; Ihr werdet kein anderes Bett erhalten als das meine, und ich werde so mit Euch verfahren, daß ich damit zufrieden sein werde.«

Formosante sah ein, daß sie die Schwächere war; sie wußte, daß Klugheit darin besteht, daß man sich der Situation anpaßt; sie beschloß, sich durch eine unschuldige List von dem König zu befreien; sie sah ihn mit jenem Augenaufschlag an, den man mehrere Jahrhunderte später »liebäugeln« nannte; dann sprach sie zu ihm mit einer Bescheidenheit, Anmut, Sanftheit, leichten Verwirrung und mit einer Menge von Reizen, die den klügsten Mann toll und den am klarsten sehenden blind gemacht hätten:

»Ich gestehe, mein Herr, daß ich immer die Augen vor Euch niederschlug, als Ihr dem König, meinem Vater, die Ehre erwieset, ihn zu besuchen. Ich fürchtete mein Herz, meine zu große Einfalt; ich zitterte, daß mein Vater und Eure Rivalen meine Vorliebe für Euch, die Ihr so sehr verdient, bemerken könnten. Nun kann ich mich meinen Gefühlen hingeben. Ich schwöre beim Ochsen Apis, der nach Euch das Verehrungswürdigste für mich auf Erden ist, daß Euer Antrag mich entzückt hat. Ich habe schon beim König, meinem Vater, mit Euch zu Abend gespeist; ich werde es auch hier, ohne ihn, tun. Das einzige, worum ich bitte, ist, daß Euer Oberpriester uns Gesellschaft leiste. Er schien mir in Babylon ein sehr angenehmer Gast; ich habe ausgezeichneten Wein von Schiras, den ich euch beide gerne versuchen lassen möchte. Was Euren zweiten Vorschlag betrifft, so ist er sehr verlockend, aber es schickt sich nicht für ein wohlerzogenes Mädchen, davon zu sprechen: es genüge Euch, zu wissen, daß ich Euch für den größten aller Könige und den liebenswürdigsten aller Männer halte.«

Diese Rede verdrehte dem König von Ägypten den Kopf vollends; er hatte nichts dagegen, daß der Oberpriester der Dritte beim Mahle sei. »Ich habe noch eine Bitte,« sagte die Prinzessin, »nämlich daß Ihr meinem Apotheker erlauben wollt, mit mir zu sprechen. Mädchen haben immer gewisse kleine Unpäßlichkeiten, die einer gewissen Pflege bedürfen, wie Blutandrang zum Kopf, Herzklopfen, Kolik, Beklemmungen, die unter gewissen Umständen gewisse Verordnungen erheischen; kurz, ich brauche meinen Apotheker dringend und hoffe, daß Ihr mir dieses kleine Liebeszeichen nicht versagen werdet.«

»Prinzessin,« antwortete der König von Ägypten, »obwohl ein Drogenmischer Ansichten hat, die den meinigen ganz entgegengesetzt sind, und obwohl die Gegenstände seiner Kunst sich von der meinen völlig unterscheiden, habe ich doch zu viel Lebensart, um solch eine gerechte Bitte abzuschlagen: ich werde befehlen, daß er vor dem Abendessen zu Euch komme; ich verstehe, daß Ihr ein wenig ermüdet von der Reise seid; Ihr werdet Eure Kammerfrau brauchen, lasset diejenige kommen, die Euch am meisten zusagt. Ich harre Eurer Befehle und wünsche baldige Wiederherstellung.«

Er zog sich zurück; der Apotheker und die Kammerfrau Irla kamen. Die Prinzessin hatte volles Vertrauen zu ihr. Sie befahl ihr, sechs Flaschen Schiraswein für das Abendessen bringen zu lassen und ebenso viele allen Schildwachen, die ihr Gefolge gefangenhielten, zu trinken zu geben. Dann ordnete sie an, daß der Apotheker in alle Flaschen gewisse Drogen schütte, die er immer bei sich hatte, und welche Menschen in einen vierundzwanzigstündigen Schlaf versetzten. Ihr Befehl wurde pünktlich befolgt. Nach einer halben Stunde kam der König mit dem Oberpriester zurück. Das Mahl verlief sehr heiter; der König und der Priester leerten die sechs Flaschen und gestanden, daß es in Ägypten solch guten Wein nicht gäbe; die Kammerfrau sorgte indessen, daß die Dienerschaft, die bei Tisch serviert hatte, ebenfalls davon trank. Was die Prinzessin betrifft, so hütete sie sich wohl, zu trinken; sie erklärte, ihr Arzt habe ihr Diät verordnet. Bald lag alles in tiefem Schlaf.

Der Oberpriester des Königs von Ägypten hatte den schönsten Bart, den ein Mann seiner Art tragen kann. Formosante schnitt ihn sehr geschickt ab; dann ließ sie ihn an ein kleines Band nähen und befestigte ihn an ihrem Kinn. Sie hüllte sich in den Rock des Priesters und in alle Würdenabzeichen, kleidete ihre Kammerfrau als Sakristan der Göttin Isis; schließlich nahm sie ihre Urne und ihre Edelsteine an sich und ging aus dem Gasthof, an den Schildwachen vorbei, die ebenso fest schliefen wie ihr Herr. Die Zofe hatte dafür gesorgt, daß am Tor zwei Pferde bereitstanden. Die Prinzessin konnte keinen der Beamten ihres Gefolges mit sich nehmen; sie wären von der großen Wache aufgehalten worden.

Formosante und Irla kamen durch Reihen von Soldaten hindurch, die die Prinzessin für den Oberpriester hielten, sie »hochwürdigen Vater in Gott« nannten und um ihren Segen baten. Die beiden Flüchtlinge kamen in vierundzwanzig Stunden nach Bassora, bevor der König noch erwacht war. Sie ließen nun ihre Verkleidung fallen, da sie Argwohn hätte erregen können. Sie mieteten unverzüglich ein Schiff, das sie durch die Meerenge von Ormus nach dem schönen Ufer von Eden, in das glückliche Arabien brachte. Dieses Eden ist es, dessen Gärten so berühmt wurden, daß man später die Wohnung der Gerechten dort glaubte; sie wurden das Vorbild der elysäischen Gefilde, des Gartens der Hesperiden und der Insel der Glückseligen; denn in jenem heißen Klima stellten sich die Menschen unter höchster Seligkeit nichts anderes vor als Laubschatten und murmelnde Gewässer. Das ewige Leben im Himmel mit dem höchsten Wesen oder ein Spaziergang im Garten, im Paradies, wurde zur selben Sache bei den Menschen, die immer sprechen, ohne sich zu verstehen, und die noch kaum zu klaren Vorstellungen und richtigen Ausdrücken gelangt sind.


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