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Achtzehntes Kapitel

Amazan durcheilt Deutschland und kommt nach Venedig. Was er dort sieht. Ankunft in der Stadt der sieben Hügel. Merkwürdigkeiten, die ihm auffallen

Sobald Amazan auf dem gleichförmigen morastigen Boden Bataviens gelandet war, reiste er wie ein Blitz weiter nach der Stadt der sieben Hügel. Er mußte den südlichen Teil Deutschlands durchfahren. Alle vier Meilen fand man einen Fürsten und eine Fürstin, Ehrendamen, Bettler. Er war erstaunt über die Koketterie, welche diese Damen und Ehrendamen mit germanischer Gutherzigkeit ihm entgegenbrachten; er antwortete nur mit bescheidenen Absagen. Nachdem er die Alpen überschritten, schiffte er sich auf dem dalmatinischen Meer ein und landete in einer Stadt, die in nichts dem glich, was er bis dahin gesehen hatte. Das Meer bildete die Straßen, die Häuser waren in das Wasser gebaut. Die wenigen öffentlichen Plätze, die diese Stadt schmückten, waren gefüllt mit Männern und Frauen, die ein doppeltes Gesicht hatten, das, welches die Natur ihnen gegeben, und eine schlecht bemalte Pappfläche, die sie darüber trugen; so daß das Volk aus Gespenstern zu bestehen schien. Die Fremden, die in diese Gegend kamen, kauften zuerst ein Gesicht, wie man anderswo Mützen und Schuhe kauft. Amazan verachtete diese unnatürliche Mode; er ging umher, wie er war. Es gab in der Stadt zwölftausend Mädchen, die in dem großen Buch der Republik registriert waren; Mädchen, die dem Staat nützten, die den vorteilhaftesten und angenehmsten Handel ausübten, der je eine Nation bereichert hat. Die gewöhnlichen Händler versandten mit großen Kosten und auf große Gefahr Stoffe nach dem Orient; diese schönen Händlerinnen machten, ohne etwas aufs Spiel zu setzen, einen Handel aus ihren Reizen, der sich immer erneuerte. Sie boten sich alle dem schönen Amazan an. Er floh, so schnell er konnte, indem er den Namen der unvergleichlichen Prinzessin von Babylon aussprach und bei den unsterblichen Göttern schwor, daß sie schöner sei als alle zwölftausend venetianischen Mädchen zusammen. »Prächtige Schelmin,« rief er hingerissen, »ich werde dich schon lehren, treu zu sein!«

Endlich zeigten sich seinem Blick die gelben Wellen des Tiber, verpestete Sümpfe, abgezehrte, elende, vereinzelt daherkommende Einwohner in alten, durchlöcherten Mänteln, durch die ihre welke, lohfarbene Haut zu sehen war. Alles verkündete ihm, daß er am Tore der Stadt der sieben Hügel war, dieser Stadt von Helden und Gesetzgebern, die einen großen Teil der Erde erobert und zivilisiert hatten.

Er hatte sich vorgestellt, er würde am Triumphbogen fünfhundert von Helden befehligte Bataillone finden und im Senat eine Versammlung von Halbgöttern, die der Welt Gesetze gaben. Er fand anstatt eines Heeres einige dreißig Lumpenkerls, die aus Furcht vor der Sonne mit einem Sonnenschirm auf die Wache zogen. Nachdem er bis zu einem Tempel gedrungen war, der ihm sehr schön erschien, aber doch nicht so schön wie der Tempel von Babylon, war er überrascht, dort eine Musik zu hören, die Männer mit Frauenstimmen ausübten.

»Das ist«, sagte er, »ein spaßhaftes Land, dieses alte Land des Saturn! Zuerst sah ich eine Stadt, in der niemand sein eigenes Gesicht trug, und jetzt ein anderes, in dem die Männer weder ihre Stimmen noch ihre Bärte haben.« Man erzählte ihm, daß diese Sänger keine Männer mehr seien, daß man sie ihrer Mannheit beraubt habe, damit sie desto wohllautender das Lob einer fabelhaften Anzahl verdienstvoller Leute singen könnten. Amazan verstand diese Rede nicht. Die Herren baten ihn, zu singen; er sang eine gangaridische Melodie mit seiner gewohnten Anmut.

Seine Stimme war ein sehr schöner Alt. »Ach, Monsignor,« riefen sie, »welch entzückenden Sopran würden Sie haben! ... Ach! wenn ...«

»Wie, wenn? Was wollen Sie sagen?«

»Ach, Monsignor!«

»Nun?«

»Wenn Sie keinen Bart hätten!« Darauf erklärten sie ihm in sehr drolliger Art und nach ihrer Gewohnheit mit äußerst komischen Gebärden, um was es sich handle. Amazan war völlig verwirrt. »Ich bin viel gereist,« sagte er, »aber ich habe nie von einer solchen Verrücktheit gehört.«

Nachdem man genug gesungen hatte, ging der Alte von den sieben Hügeln mit großem Gefolge an die Türe des Tempels; er schnitt die Luft in vier Teile mit dem erhobenen Daumen, zwei ausgestreckten und zwei gebogenen Fingern, und sagte in einer Sprache, die nicht mehr gesprochen wird: diese Worte: »Der Stadt und der Welt« Urbi et orbi. Der Gangaride verstand nicht, daß zwei Finger so weit reichen sollten.

Bald darauf sah er den ganzen Hof des Herrn der Welt vorbeidefilieren: er bestand aus gewichtigen Männern, die einen in roten, die anderen in violettfarbenen Röcken. Beinahe alle schauten den schönen Amazan mit sanfteren Augen an; sie grüßten ihn, und einer sagte zum andern: »San Martino, che bei ragazzo! San Pancratio, che bel fanciullo!«

Die Mönche vom Orden des heiligen Antonius, deren Handwerk es war, Fremden die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu zeigen, beeilten sich, ihn in altem Gemäuer umherzuführen, in dem kein Maultiertreiber übernachten möchte, die aber ehemals würdige Denkmäler der Größe eines königlichen Volkes waren. Auch sah er zweihundertjährige Gemälde und Statuen, die mehr als zweitausend Jahre alt waren; sie schienen ihm Meisterwerke. »Werden bei euch noch derartige Werke geschaffen?«

»Nein, Eure Exzellenz,« antwortete einer der Führer; »aber wir blicken auf die übrige Welt herab, weil wir diese Seltenheiten bewahren. Wir sind eine Art Trödler, die ihren Ruhm aus alten Kleidern ziehen, die in ihren Buden übriggeblieben sind.«

Amazan wollte den Palast des Fürsten sehen; man führte ihn dorthin. Er erblickte violett gekleidete Männer, die das Geld der Staatseinkünfte zählten: bald aus einem Donauland, bald aus einem an der Loire oder am Guadalquivir oder an der Weichsel. »Oh, oh!« sagte Amazan, nachdem er seine Landkarte befragt hatte, »euer Herr besitzt also ganz Europa, wie jene alten Helden der sieben Hügel?«

»Er sollte aus göttlichem Recht das ganze Weltall besitzen,« antwortete ein Lilafarbener; »und es hat auch eine Zeit gegeben, in der seine Vorgänger sich der Weltherrschaft näherten. Ihre Nachfolger aber haben die Güte, sich heute mit etwas Geld zu begnügen, das ihre Untertanen, die Könige, ihnen in Form eines Tributs auszahlen lassen.«

»Euer Herr ist also wirklich der König der Könige? Ist dies sein Titel?« sagte Amazan.

»Nein, Eure Exzellenz; sein Titel ist: Diener aller Diener; er war ursprünglich Fischer und Pförtner; deshalb sind die Abzeichen seiner Würde Schlüssel und Netze; aber er erteilt allen Königen Befehle. Es ist noch nicht lange her, daß er einem Könige der Kelten hundertundeinen Befehle zuschickte; der König gehorchte.«

»Euer Fischer«, sagte Amazan, »entsandte also ein Heer von fünf- oder sechshunderttausend Mann, um die Durchführung seiner hundertundeinen Befehle zu erzwingen?«

»Keineswegs, Eure Exzellenz; unser heiliger Herr ist nicht reich genug, zehntausend Soldaten zu besolden. Aber er hat vier- oder fünfhunderttausend himmlische Propheten in die anderen Länder verteilt. Diese Propheten aller Farben werden, wie billig, auf Kosten der Völker erhalten; sie verkünden im Namen des Himmels, daß mein Herr alle Schlösser, und besonders die der Geldschränke, mit seinen Schlüsseln öffnen und schließen kann. Ein normannischer Priester, der bei dem König, von dem ich spreche, das Amt eines Vertrauten seiner Gedanken hatte, beredete ihn so, daß er ohne Widerspruch den hundertundeins Gedanken meines Herrn gehorchte: denn Ihr müßt wissen, daß eines der Vorrechte des Alten von den sieben Hügeln ist, immer recht zu haben, ob er nun zu sprechen oder zu schreiben geruht.«

»Bei Gott,« sagte Amazan, »das ist ein seltsamer Mann! Es würde mich reizen, mit ihm zu speisen.«

»Selbst wenn Eure Exzellenz König wären, könntet Ihr nicht an seinem Tische speisen; alles was er für Euch tun könnte, wäre, Euch an einem kleineren und niedrigeren Tisch an seiner Seite Platz nehmen zu lassen. Wenn Ihr die Ehre haben wollt, mit ihm zu sprechen, werde ich Audienz für Euch nachsuchen vermittels der buona mancia Trinkgeld., die Ihr die Güte haben werdet, mir zu geben.«

»Sehr gern«, sagte der Gangaride.

Der Violette verbeugte sich. »Ich werde Euch morgen einführen; Ihr müßt drei Kniefälle machen und die Füße des Alten von den sieben Hügeln küssen.« Bei diesen Worten brach Amazan in solch ungeheures Gelächter aus, daß er beinahe erstickt wäre; er ging und hielt sich die Seiten auf dem ganzen Weg bis zu seinem Gasthaus, wo er noch lange weiterlachte.

Bei seiner Mittagsmahlzeit erschienen zwanzig bartlose Männer und zwanzig Violinspieler, die ihm ein Konzert gaben. Den Rest des Tages besuchten ihn die angesehensten Männer der Stadt; sie machten ihm noch seltsamere Vorschläge als jenen, die Füße des Alten von den sieben Hügeln zu küssen. Da er außergewöhnlich höflich war, glaubte er zuerst, diese Herren hielten ihn für eine Dame, und gab ihnen ihren Irrtum in feinster Umschreibung zu verstehen. Als ihn aber zwei oder drei der entschlossensten Lila-Röcke etwas sehr deutlich bedrängten, warf er sie zum Fenster hinaus, ohne hierin ein großes Opfer für die schöne Formosante zu sehen. So schnell er konnte, verließ er diese Stadt der Herren der Welt, bei der man die Zehen eines Greises küssen mußte, als ob seine Wange am Fuße sei, und wo junge Leute mit Höflichkeiten begrüßt wurden, die noch seltsamer waren.


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