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Sechzehntes Kapitel

Amazan begegnet an der Küste von Albion einem Lord, dem er einen Dienst leistet. Sonderbares Gespräch der beiden. Die Frau des Albionischen Lords verliebt sich in Amazan

Indessen fuhr Amazan in seinem von sechs Einhörnern gezogenen Wagen nach der Hauptstadt Albions und träumte von seiner Prinzessin. Da gewahrte er eine Kutsche, die in einen Graben gefallen war; die Diener waren fortgeeilt, um Hilfe zu holen; der Herr des Wagens saß ruhig auf seinem Sitze, zeigte nicht die geringste Ungeduld und unterhielt sich mit Rauchen, denn man rauchte damals. Er hieß Mylord »What-then«, was in der Sprache, in die ich diese Denkwürdigkeiten übertrage, ungefähr »Was liegt daran« bedeutet.

Amazan sprang ab, um ihm zu helfen; er richtete den Wagen ganz allein wieder auf, so sehr war seine Kraft der anderer Menschen überlegen. Mylord »Was liegt daran« sagte nichts als: »Das ist ein starker Mensch.«

Ein paar Bauernlümmel der Umgegend, die herzugelaufen waren, ärgerten sich, daß man sie umsonst geholt hatte, und ließen ihre Wut an dem Fremden aus; sie drohten ihm, nannten ihn »fremden Hund« und wollten ihn schlagen.

Amazan ergriff zwei von ihnen mit jeder Hand und schleuderte sie zwanzig Schritte weit von sich; die anderen wurden höflich, grüßten und baten um Trinkgelder: er gab ihnen mehr, als sie je gesehen hatten. Mylord »Was liegt daran« sagte: »Ich achte Sie; kommen Sie mit mir zum Mittagessen in mein Landhaus, das nur drei Meilen von hier entfernt ist.« Er stieg in Amazans Wagen, weil der seine durch den Stoß beschädigt war.

Nachdem der Lord eine Viertelstunde schweigend gesessen hatte, sah er Amazan an und sagte: »How d'ye do?« – was wörtlich heißt: »Wie tun Sie tun?« in der Sprache des Übersetzers: »Wie geht es Ihnen?« und was in keiner Sprache irgend etwas bedeutet. Er fügte hinzu: »Sie haben da sechs hübsche Einhörner.« Dann rauchte er weiter.

Der Reisende erklärte ihm, die Einhörner stünden zu seiner Verfügung; er komme mit ihnen aus dem Lande der Gangariden. Dies gab ihm Gelegenheit, von der Prinzessin von Babylon zu sprechen und von dem schicksalsvollen Kuß, den sie dem König von Ägypten gegeben hatte. Der andere erwiderte nichts darauf; es kümmerte ihn sehr wenig, ob es einen König von Ägypten und eine Prinzessin von Babylon gäbe oder nicht. Er schwieg noch eine Viertelstunde, dann fragte er seinen Gefährten von neuem, wie er »tun täte« und ob man im Lande der Gangariden gutes »Roastbeef« äße. Der Reisende antwortete mit seiner gewohnten Höflichkeit, daß man an den Ufern des Ganges die eigenen Brüder nicht verspeise. Er setzte ihm das System auseinander, das viele Jahrhunderte später das des Pythagoras, Porphyrius und Jamblichus wurde. Worauf der Mylord einschlief und nicht mehr aufwachte, bis man an seinem Hause angekommen war.

Er hatte eine junge, reizende Frau, der die Natur eine Seele gegeben, die ebenso lebhaft und empfindsam war wie die ihres Gatten gleichgültig. An diesem Tage waren mehrere albionische Herren zu Tische bei ihr. Es waren Typen aller Art: denn das Land war beinahe immer von Fremden regiert worden, und die Familien, die mit diesen Fürsten gekommen waren, hatten die verschiedensten Sitten mitgebracht. Es befanden sich in der Gesellschaft sehr liebenswürdige Leute neben solchen von überlegenem Geiste und anderen von tiefem Wissen.

Die Herrin des Hauses hatte nichts von dem unnatürlichen, linkischen Wesen, der Steifheit und falschen Scham, die man damals den jungen Frauen Albions vorwarf. Sie verbarg keineswegs durch geringschätzende Haltung und absichtliches Schweigen die Unfruchtbarkeit ihrer Gedanken und das demütigende Bewußtsein, nichts zu wissen. Sie war so die anziehendste aller Frauen. Sie empfing Amazan mit natürlichster Anmut und Höflichkeit. Die außergewöhnliche Schönheit dieses jungen Fremdlings und ein rascher Vergleich zwischen ihm und ihrem Gatten berührten sie außerordentlich stark.

Man ging zu Tische. Sie ließ Amazan neben sich Platz nehmen und bot ihm Puddings aller Arten an, da er erzählt hatte, daß die Gangariden nichts verzehrten, das von den Göttern das heilige Geschenk des Lebens erhalten habe. Seine Schönheit, seine Kraft, die Sitten der Gangariden, die Fortschritte in den Künsten, die Religion und die Regierung waren Gegenstand der ebenso unterhaltenden wie lehrreichen Gespräche bei Tisch. Das Mahl dauerte bis in die Nacht. Mylord »Was liegt daran« trank viel und sprach kein Wort.

Nach Tisch bereitete Mylady den Tee; ihre Blicke ruhten entzückt auf dem jungen Mann. Dieser unterhielt sich mit einem Parlamentsmitgliede: jeder weiß, daß es damals ein Parlament gab, das »Wittenagemoth« hieß, was die »Gesellschaft kluger Leute« bedeutet. Amazan erkundigte sich nach der Verfassung, den Bräuchen, Gesetzen, Streitkräften, Sitten und Künsten, die dieses Land zu einem Vorbild machten; der Herr antwortete mit folgenden Worten.


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