Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel

Amazan reist durch Skandinavien, Sarmatien und Deutschland; was er in diesen Ländern sieht. Er gibt überall das Beispiel der Treue

Er war nach Skandinavien Schweden. abgereist. In diesen Gegenden boten sich seinen Augen wieder neue Eindrücke. Hier gelangte Königtum und Freiheit zu einer Einheit, die in anderen Staaten unmöglich schien; die Bauern hatten teil an der Gesetzgebung so gut wie die Großen des Reiches; und ein junger Prinz Der Kronprinz, drei Jahre später Gustav III. erweckte die größten Hoffnungen, daß er würdig sein werde, eine freie Nation zu beherrschen. Es gab da noch etwas Seltsameres: der einzige König Der König von Dänemark Christian VII., der durch einen förmlichen Vertrag mit seinem Volk das Recht hatte, despotisch zu sein, war zugleich der jüngste und gerechteste aller Könige.

Bei den Sarmaten In Polen. sah Amazan einen Philosophen Stanislaus Poniatowski, geboren 1732, erwählter König von Polen 1764. Unter seiner Regierung fand (nach der Veröffentlichung der Prinzessin von Babylon) die erste Teilung Polens 1773 statt; und zwanzig Jahre später die zweite Teilung. Er starb 1798. auf dem Thron; man konnte ihn den König der Anarchie nennen, denn er war das Haupt von hunderttausend kleinen Königen, von denen jeder einzelne durch ein Wort die Beschlüsse der anderen aufheben konnte. Äolus hatte nicht mehr Mühe, alle Winde, die sich ununterbrochen bekämpfen, zusammenzuhalten, als dieser Monarch, die Geister zu versöhnen: er war ein Pilot, der von beständigem Sturm umgeben war; und dennoch zerschellte das Schiff nicht, denn der Fürst war ein ausgezeichneter Pilot.

So durcheilte Amazan alle diese von seinem Vaterland so verschiedenen Länder. Standhaft wies er jeden Liebesantrag von sich, einzig verzweifelt über den Kuß, den Formosante dem König von Ägypten gegeben hatte, und fest in dem Entschluß, ihr ein Beispiel einziger, unerschütterlicher Treue zu geben.

Überallhin folgte die Prinzessin von Babylon mit ihrem Phönix seiner Spur; sie verfehlte ihn stets nur um einen oder zwei Tage. So wenig er müde wurde, umherzuwandern, so wenig ließ ihre Sehnsucht nach, ihm zu folgen.

So reisten sie quer durch Deutschland, sie bewunderten die Fortschritte, die Vernunft und Philosophie im Norden gemacht hatten. Alle Fürsten in diesem Lande waren gelehrt, alle gaben Gedankenfreiheit; ihre Erziehung war nicht Männern anvertraut worden, die Interesse daran hatten, sie zu täuschen, oder die selber getäuscht wurden. Man hatte sie in der Kenntnis allgemeiner Moral und in Verachtung des Aberglaubens erzogen. Aus all diesen Staaten war ein sinnloser Brauch verbannt, der mehrere südliche Länder entnervt und entvölkert hat: der Brauch, eine unerhört große Zahl Menschen beiderlei Geschlechts, für immer voneinander getrennt, in weiten Kerkern zu begraben und sie schwören zu lassen, nie eine Verbindung miteinander zu suchen. Dieser grenzenlose Wahnsinn, der seit Jahrhunderten in Ansehen stand, hatte die Erde ebenso entvölkert wie die grausamsten Kriege.

Die Fürsten des Nordens hatten schließlich begriffen, daß man die stärksten Hengste nicht von den Stuten getrennt halten dürfe, wenn man ein Gestüt haben wollte. Sie hatten auch andere, nicht weniger seltsame und schädliche Irrtümer zerstört. Kurz, in diesen ausgedehnten Ländern wagten die Menschen, Vernunft zu haben, während man anderwärts immer noch glaubte, daß man sie nur dann regieren könne, wenn sie einfältig seien.


 << zurück weiter >>