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§ 5.

Aus verschiedenen Gründen teilen sich die Künste in Zweige, und diese Zweige verzweigen sich selbst wieder. Am stärksten ist diese Teilung in der Dichtkunst, in deren drei Zweigen sich die Dreiteilung der Kunst in Künste wiederholt. Neben der selbständigen und freien Schönheit macht sich ferner die unselbständige, dienende Schönheit in ihrem Werte geltend, begründet Nebenformen, Anhänge zu den Künsten.

 

Jede Kunst treibt mehrere Aeste und Zweige aus ihrem Wesen hervor. Hierauf näher einzugehen, ist Sache der Lehre von den einzelnen Künsten. Einer der Gründe dieser Teilung wird im Unterschied der Stoffwelten liegen. So ergibt sich aus den Eindrücken der unorganischen und vegetabilischen Natur die Kunst des Landschafters als ein eigener Zweig der Malerei. Dieser spaltet sich wiederum in die stilistische und in die intime Richtung, dann auch nach den Seiten der Natur (Marine u. s. w.). So gehört einer besonderen Art an das Genrebild (oder wie ich gerne sage: Sittenbild), so das Tierbild, so das Porträt, so das historische Bild. Andere Sonderungen bewirkt das Material und das hiemit zusammenhängende technische Verfahren, weil es einen Unterschied im Stil begründet. Als eine Kunst für sich erscheint die Marmorbildnerei, die Erzplastik, die Malerei al fresco und die in Oel. Der Freskomaler muß schnell malen; er weiß, er muß fertig werden, ehe der frisch aufgelegte Kalkbewurf der Wand eintrocknet. Er hat keine Zeit, sich bei den kleinen Zügen aufzuhalten; er ist genötigt, sich auf das Wesentliche zu beschränken. So hat sich in der italienischen Freskomalerei der große Stil ausgebildet. Anerkannt ist auch, daß die Blüte der Münchener Kunst in Zusammenhang damit steht, daß König Ludwig I. den richtigen Gedanken hatte, Fresken malen zu lassen. Die alten Bilder, die sich dort unter den Arkaden befinden, sind zwar noch steif und haben manche Fehler (ganz abgesehen davon, daß sie in der Technik an Gegenbauers Fresken im königlichen Schloß zu Stuttgart nicht entfernt hinkönnen). Aber ich sehe sie immer mit Pietät an, weil ich mir sage: an ihnen hat sich der Stil entwickelt. –

Dann Umfang und Werkform: Büste, Maske, Herme, Statue, Gruppe, Reihe, Relief, Vollfigur, Höhe, Breite, Rundbild, Medaillon, Zwickelbild, Diptychon, Triptychon u. s. w.

Dann der Ort: Giebelskulpturen, Friesreliefs, Pfeilerstatue, Kirchenbild, Deckenbild u. s. w.

Endlich die Poesie. Sie spaltet sich am stärksten in Arten, und diese verselbständigen sich so sehr, daß sie fast wie eigene, voneinander grundsätzlich getrennte Gattungen auftreten: die Epik, die Lyrik und die Dramatik. – Worin ihr Unterschied begründet ist, hat die Lehre vom Wesen dieser Kunst zu zeigen. – Hier spiegelt sich nun das ganze Reich der übrigen Künste wieder ab: das Epos entspricht der bildenden Kunst, das lyrische Gedicht der Musik, das Drama aber – der Poesie, es ist konzentrierte Poesie. Es wird einleuchten: der epische Dichter hat die Aufgabe, zu malen, d. h. allerdings nicht so, wie Lessing es meint, wenn er es ihm verbietet, aber in gewissem Sinne. Er muß doch dafür sorgen, daß man seine Gestalten innerlich sehe. Und so gleicht er am allermeisten dem Maler, so auch und vielleicht noch mehr dem Bildhauer, denn vor seinem Auge steht die Welt vollkommen sächlich, vollkommen objektiv da.

Ferner bedenken Sie die Anziehung, die zwischen Lyrik und Musik waltet. Sie kommt davon her, daß beide innerlich verwandt sind. Die Musik ist ja Stimmungskunst und die Lyrik Stimmungspoesie; beide sind also ganz besonders recht subjektiv.

Dagegen also das Drama: die Poesie der Poesie, die Quintessenz, der gegorene Wein der Poesie. Da ist die Poesie am meisten sie selbst, weil sie hier die Welt, die Ereignisse, die Objekte darstellt, wie sie von den Centren menschlichen Willens bewegt werden, wie sie zu den subjektiven Kräften bezogen sind, weil also hier die höchste Vereinigung des Subjektiven und Objektiven stattfindet.

So viel hier über die Zweige der Dichtkunst.

Jetzt muß noch die Rede sein von den unselbständigen, unfreien, bloß anhängenden Künsten und ihrem Unterschied von den freien, selbständigen. Dies ist eine uralte Distinktion. Sie kommt schon vor bei den Kirchenvätern, von denen man es nicht erwarten sollte, daß sie auf Aesthetisches eingehen. So spricht bereits der gute Augustin (der freilich klassische Bildung hatte) von pulchritudo vaga, also einer Schönheit, die frei, schwebend, nicht an etwas gebunden, sondern für sich selber da ist, und von pulchritudo adhaerens, einer Schönheit, die geknüpft ist an ein anderes, was nicht zu ihr gehört.

Schon ihr Name bekundet, daß die anhängenden Künste nicht auf der Höhe der freien stehen. Aber wir müssen ihren Wert ganz und fern von jeder Unterschätzung erkennen. Hier jedoch kann ich nur einen skizzenhaften Ueberblick geben.

Ein Grund, warum wir die Schönheit, die hier in Rede steht, »bloß anhängend« nennen, liegt darin, daß sie hier nicht rein um ihrer selbst willen auftritt, sondern bloß, um einen Gegenstand zu schmücken, der dem Bedürfnis und der Bequemlichkeit dient. Die Schönheit ist an sich zwecklos, ist Selbstzweck, aber sie baut, sie heftet, schmiegt sich auch an Dinge, die zu einem anderen, außerästhetischen Zwecke da sind, und erhebt sie damit zu ihrem Adel. Das ist das große Gebiet des Kunsthandwerks, dessen Wert ich nicht zu verfechten brauche zu einer Zeit, die so viel Gewicht darauf legt.

Dies gibt nun Anhänge an die verschiedenen bildenden Künste. An die Architektur schließt sich alles, was bauartig ist, Altar, Kanzel, Chorgestühl, in unserem Haus der Ofen; dann was der Schreiner und der Schmied macht, der Zimmermaler, der Weber, der Bordenwirker, der Tapezierer und der Polsterer.

Nun kommen die Zweige der Kleinkünste. Damit verbindet sich zum Teil die Skulptur, indem sie ihre Gebilde, Miniaturkopien plastischer Kunstwerke u. dergl. an diese Dinge knüpft. Der Töpfer, der Drechsler, der Bronzetechniker, Goldschmied und Juwelier, der Buchbinder hat Werke zu liefern, von denen wir erwarten, daß sie uns durch Form und Schmuck erfreuen. Künstlerisch gebildete Talente sollen ihre Zeichner sein; und ihre Modelleure sollen ihnen die rechten Farben angeben.

Auch der Schneider und der Sattler ist zu berücksichtigen; auch was sie machen, sind ja Dinge, die die Aesthetik recht sehr angehen.

Und noch etwas anderes hätten wir in diesem Zusammenhang zu schätzen: die graphische Nachbildung und Vervielfältigung, Kupferstich, Holzschnitt, Radierung, Lithographie, wodurch Kunstwerke in unzähligen wohlfeilen Kopien verbreitet werden. Was gibt dies einen schönen, großen, weiten Blick, wenn wir sehen, wie so die Kunst in unzähligen Röhren ins gewöhnliche Leben hineinströmt! Das freie, um seiner selbst willen geschaffene Kunstwerk ist etwas Vornehmes, Strenges; wenige können es sich aneignen, und es ist im höheren Sinne wichtig, daß es sehr viel kostet. Aber hier wird die Kunst populär; sie steigt herab von ihrem Throne und berührt mit dem Kuß des Genius die Stirne, die von der Not gefurcht ist. Ja, es ist wirklich reizend zu sehen, wie die Sonne der Kunst sich zerteilt in tausend Sterne und kleine Funken, die Welt zu erleuchten in die letzten Winkel. Dies ist das ganze Kunstleben. Der hat nicht den wahren Kunstsinn, der meint, solche Dinge dürfte er verachten. Wenn einer eine Galerie aufsucht, wo es ein neues Gemälde zu sehen gibt, aber an einer Auslage neuer Waren dekorativer Kunst gleichgültig vorbeigeht, so zweifle ich, ob er den wahren Formensinn hat. –

Zum Gebiete der anhängenden, nicht ganz eigentlich selbständigen Künste gehören nun aber auch die Künste, die mit lebendigem Stoff operieren.

An die Landschaftsmalerei knüpft sich die Gartenkunst. Ich habe schon konstatiert, daß sie unselbständig ist, weil sie mit Stoffen arbeitet, die nicht gut gehorchen Vgl. oben S. 227, 228.. Die lebendige Natur um uns läßt sich nicht so fügsam wie das Farbenzeug des Malers zur Herstellung schöner Veduten brauchen. Man kann zwar viel zu stande bringen durch die Art, wie man den Boden verändert, vertieft, aufschichtet, das Wasser leitet, die Bäume, Wiesen, Blumenbeete gruppiert. Bei Ludwigsburg z. B. befand sich ein Steinbruch. Man arbeitete daran, bis man den Felsen herausbrachte, auf dem jetzt die Emmisburg steht. Dann richtete man es ein, daß sich ein Wasserfall ergoß und unten einen See bildete. Das ist nun wohl etwas, aber doch wenig im Vergleich zu dem, was ein Maler machen kann. Alle wahre Kunst gibt nur einen Schein; und ihr Idealbild ist nicht wirklich. Der Landschaftsgärtner jedoch will es wirklich machen, daher seine Abhängigkeit von allem Möglichen.

Dann die Gymnastik, der ganze Reichtum an ästhetischen Bewegungen und Stellungen beim Turnen und Spielen, wie viel günstigen Stoff bietet sie dem Bildhauer! Man könnte sagen: dies ist wirklich lebendige, wirklich bewegte Skulptur. Allein sie arbeitet mit lebendigem Stoffe, und sie dient dem Zwecke, daß der Mensch lerne, seinen Körper zu beherrschen. Tausende und Tausende leben und meinen, ihr Körper gehöre ihnen. Er gehört ihnen aber nicht, weil sie versäumt haben, sich seiner zu bemächtigen, daß er ihnen folge; er macht ja allerhand Bewegungen, die sie nicht wollen, und sein Gang ist ein tierisches Schieben. Dagegen tritt nun die Gymnastik mit ihrer veredelnden Zucht ein, jedoch ihr Mittel und ihr Zweck ist nicht ästhetisch.

Im Anschluß daran wäre zu betrachten der Tanz, dessen Stoff ja auch ein lebendiger, nämlich der Menschenkörper ist Vgl. oben S. 291..

Endlich aber die höchste unter allen bloß anhängenden Künsten, jene, die das Drama zur wirklichen Anschauung umwendet: die Schauspielkunst. Wie wenig wir sie unterschätzen, wird sich stets zeigen, wo ein Anlaß vorliegt, ihr eine nähere Betrachtung widmen zu können. Aber dennoch bleibt es dabei: auch sie arbeitet mit lebendigem Stoff und ist deshalb nicht vollkommen frei Vgl. oben S. 291, 229..

Es ist dies also der zweite Grund, aus dem Nebenkünste unselbständiger Arten entstehen. – Der andere, haben wir gesehen, besteht darin, daß sich die Schönheit an bloß dem Gebrauch Dienendes anschmiegt. – Nun aber kommt hinzu noch ein dritter, der ja auch in der Gymnastik und in der Schauspielkunst mitwirkt: das ästhetische Vermögen kann ja auch der Erkenntnis, der Moral, der Politik und dem Staatsleben dienen.

Die Malerei z. B. geißelt mit tendenziösen Karikaturen die Schwächen und Laster ihrer Zeit.

Ebenso kann die Poesie sich dem Zwecke widmen, zu belehren, zu mahnen, zu strafen, zu verspotten, zu bessern, zu erbauen. Dann gibt es noch Gebiete, wo sich Wissenschaft und praktischer Zweck mit einem gewissen Grad von Poesie verbindet; Rhetorik und Geschichtschreibung. Das ist gewiß höchst respektabel. Es gibt allerliebste Lehrgedichte. Nehmen Sie nur die zwei prächtigen von Goethe und Schiller: »Der Zauberlehrling« und »Die Teilung der Erde«! Die sind ja ganz und gar köstlich. Aber alles derartige steht doch nicht auf der Höhe der wahren, reinen Poesie, denn diese hat als solche keinen Zweck; sie will nicht erziehen, sondern einfach die Welt in idealem Licht zeigen. Wenn einer sagt: den Zweck hat sie, daß man sich freue, so frage ich: was brauchst du dich zu freuen? Er entgegnet: das versteht sich doch von selbst! Und meine Antwort lautet hierauf: ja, eben darum sagen wir, die reine Poesie ist zwecklos. Der Zweck kann versteckt sein, aber man merkt die Absicht, und man wird verstimmt; es ist eben doch Tendenzpoesie. Uebrigens wirkt das in ihr enthaltene Schöne immer auch für sich; und es wäre schief, zu behaupten, die Satire sei nur um des Streites willen da. Es verhält sich damit wie mit dem komischen Bild fürs Auge. Wie scharf hat schon der Sauerteig der Karikatur ins Leben hineingewirkt Vgl. oben S. 46.! Aber schließlich ist sie bloß heiter um der Heiterkeit willen, und das recht Närrische, ausgelassen Lustige darin steht dann höher als das Scharfe, Polemische. So werden wir uns wohl hüten, Werke, die einesteils allerdings einen sittlichen Zorn auf die faule Gegenwart aussprechen, deswegen einfach für Satiren zu halten. Es schwebt mir Aristophones vor. Der schneidet mit einem furchtbar scharfen Messer ins faule Fleisch des Griechentums seiner Zeit. Darin ist er grimmiger Satiriker. Aber er gerät dabei wiederum in eine Tollheit, die über den Zweck hinausgeht; er wird an sich komisch. Und Rabelais, der war auch Satiriker; aber seine Spottlaune, die allerlei Unfug im Hof- und Staatsleben und namentlich die großen Lügenromane zum Gegenstande hat, geht weit darüber hinaus; sie ist kreuzlustig und begründet das freie Lachen, das ein besseres ist als das Lachen des Hohns.

Diese Andeutungen mögen Ihnen genügen, um sich jetzt ein Bild zu machen, wie reich die Kunst ist, wie sie in alle Poren des Lebens ihre reinere Luft ergießt.


Berichtigungen: eingearbeitet. joe_ebc für Gutenberg


 


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