Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

§ 10.

Das Schöne läßt notwendig auch sein Gegenteil, das Häßliche, Disharmonische mit entsprechend mißfälligem Ausdruck in sein Gebiet ein, um durch Ueberwindung der Disharmonie seine Harmonie mit verschärftem Nachdruck herzustellen und eine durch Unlust vermittelte Lust zu erzeugen. So treten zwei entgegengesetzte Hauptformen auf, welche in verschiedenen Graden das Häßliche als ein Moment in sich führen: das Erhabene und das Komische. Im Unterschied von ihnen wirkt das rein Schöne unmittelbar anziehend, das heißt als Anmut. Gegenüber jenen starken, durch scharfe Contraste verlaufenden Hauptformen tritt diese zunächst in zarter Erscheinung, mit dem Charakter harmloser Lieblichkeit auf. Allein die Anmut des Schönen geht nun auch mit dem Erhabenen und Komischen bestimmte Verbindungen ein, und das Schöne erweist sich so als ein höchst reiches Ganzes von unendlichen Zusammenstellungen und Uebergängen aller dieser Formen.

 

Wir haben das schon mehrmals berührt, müssen es aber jetzt hervorstellen.

Das Häßliche ist einfach das Gegenteil des Schönen, wie das Böse das des Guten, und es hat sehr verschiedene Arten und Grade. Wo es erscheint, da fehlt die Ordnung, die Einheit im Mannigfachen, die deutliche Gliederung der Teile, da ist keine bestimmte Grenze eingehalten in Raum und Zeit; da wird das Maß überschritten, da wird die Norm, die Symmetrie, die Proportion verletzt. So z. B. wenn die zwei Augen im Gesicht nicht auf gleicher Höhe stehen, oder der Kopf zu groß oder zu klein, der Rumpf zu lang oder zu kurz ist. Statt Harmonie zeigt es Disharmonie, Dissonanzen, Unformen, Mißfarben. Aber alle Arten des Häßlichen werden auf dem ästhetischen Standpunkt so aufgefaßt, als ob sie auch eine innere, eine seelische Unordnung und Dissonanz ausdrückten; zumal im moralischen Gebiet. Ungleiche Augen wirken z. B. auf die ästhetische Stimmung leicht als ein inneres Schielen. Alles Häßliche wird uns erscheinen als eine Empörung gegen die Gesetzgebung des Schönen, als eine Revolution. Wir werden nicht umhin können, eine Art von Malice hinter ihm zu suchen. Wir haben einen Haß dagegen wie gegen eine Willkür. Was dienen sollte, wirft sich auf, als wäre es berufen, zu herrschen. Wie ein Kobold stößt es der zeichnenden Natur an die Hand, daß sie einen Fehler macht.

Das Schöne nun öffnet seinem Todfeind, dem Häßlichen, mit Absicht die Thüre, aber um ihn sofort zu überwältigen; der Teufel darf herein, nur wird ihm das Horn abgebrochen; er muß dem Schönen dienen. Lessing hat zum erstenmal diesen Satz, und zwar als einen außerordentlichen Fund, ausgesprochen. Er sagt in seinem Laokoon, diesem wahren Codex der Kunstgesetze, Kap. 20: »Der Künstler braucht das Häßliche als Ingrediens, um gewisse vermischte Empfindungen hervorzubringen und zu verstärken. Wenn unschädliche Häßlichkeit lächerlich werden kann, so ist schädliche Häßlichkeit allezeit schrecklich.« Damit sagt Lessing: das Häßliche wird ins Schöne hereingezogen, einmal, um das Erhabene, das Furchtbare und dann, um das Komische hervorzubringen.

Wenn gar nichts sollte erlaubt sein als fadengerade, idealharmonische Erscheinungen, wie ungesalzen wäre das; eine Modejournalwelt würden wir bekommen. Wir müßten immer wieder diese geschminkten Gesichter mit den Kreuzermäulchen sehen. Da muß Individualität hereinkommen.

Das deutsche Volk z. B. hat im Durchschnitt unendlich viel weniger rassemäßig schöne Köpfe als das italienische; vom griechischen nicht zu reden. Die romanischen Gesichter sehen einander viel ähnlicher. Die deutschen erscheinen auf Kosten der Schönheit, namentlich des normalen Profils, individuell. Wo die Natur ein individuelleres Volk schaffen wollte, konnte sie nicht so rein zeichnen.

Und in der nächsten besten Galerie finden Sie eine Menge Bilder, die nichts weniger als Grazien, oder schöne, heitere Gegenden darstellen. Es geht eben in der Kunst anders her, als zarte Gemüter sich vorstellen. Sie hat es in vollem Umfang mit dieser Welt der Uebel und Verkehrtheiten zu thun; und wir geraten damit in keinen Widerspruch zu dem früher aufgestellten Satz: im Schönen sind die Dinge einmal recht und vollkommen. Wenn ein Künstler in der Kunst Trauriges, Furchtbares oder Komisches darstellt, so ist das doch etwas anderes, als wenn es uns in der empirischen Wirklichkeit begegnet. Wir können zwar im Leben wohl einmal gestimmt sein, eine Scene des Leidens auch schön zu finden, aber es kann plötzlich etwas Störendes dazwischen treten. Die Kunst dagegen hält sich frei von solchen Störungen. Jetzt sollen die traurigen Accorde angestimmt werden, ein anderes Mal die komischen. Ein unerträgliches Beisammensein dieser beiden Faktoren, wie wir es im wirklichen Leben finden, wird hier verhütet.

Das Häßliche dient der Verschärfung. In der Welt des Furchtbar-Erhabenen und des Komischen bekommen wir immer zuerst einen Schlag; wir werden verdonnert. Nachher aber werden wir auf Harmonie geführt, und die Lust darüber ist um so größer, weil wir vorher diesen Schlag erhalten haben. Der Strom fließt nicht glatt dahin, er bricht sich an einem Wehr und rauscht. Diese zwei Formen, das Erhabene und das Komische, kommen stets im Schönen vor. Wo Schönes empfunden wird, da wird auch gestaunt und gelacht.

Nun die Sache näher angesehen!

Im Erhabenen geht es ohne irgend einen Grad von Häßlichkeit nicht ab. Erhaben nennen wir große, starke, gewaltige Formen, die ins Unbegrenzte zu steigen scheinen. Und diese haben immer etwas Hartes, Ungeschlachtes. Sie überschreiten das gewohnte, unseren Sinnen und unserem Denken faßbare Maß. Das gilt z. B. von wilden, reißenden Tieren. Ich will Sie auch erinnern an den Herkules Farnese. Dieses Bild der Kraft geht doch fast hinaus über den Kanon, den wir von den Proportionen des menschlichen Körpers in uns tragen. Das Muskelleben herrscht vor bis nahe an die Grenze wirklichen Uebermaßes. Der Kopf ist im Verhältnis zu den Schultern klein, der Hals stierartig. Das Animalische ist hier nicht vermieden, sondern gewollt. Die Griechen hatten ja im geringsten kein Aber, ihre Götter mit Tieren zu vergleichen. Die »ochsenäugige« heißt Juno im größten Ernst bei Homer. Die Riesengestalten der deutschen Sage sind wie zottige Bären, die in Eisenstangen beißen. Bei solchen Eindrücken geschieht die Wirkung der Stärke immer auf Kosten der Form. Was die Fassungsschranken unserer Sinne übersteigt, erzeugt uns immer zunächst eine Unlust. Jedoch auf diese Unlust folgt eine Lust, indem wir uns unseres Wertes als geistige Wesen erinnern und uns in den Gegenstand hinüberfühlen. Da gilt also Lessings Satz: »Es handelt sich im Erhabenen (wie im Komischen) um Formen, die stärkere oder schwächere Unlust erzeugen, dann aber Lust.« Und auf die Lust, welche dem Niederschlag folgt, fällt der verstärkte Accent. Es sind die gegensätzlich bewegten Formen des ästhetischen Wohlgefallens, die Formen, welche ein in sich gebrochenes Gefühl erzeugen. Die Lust, sage ich, wird » durch Unlust vermittelt«; das Große, Riesenhafte, Furchtbare gibt uns zuerst einen Stoß, während das Ruhig-Schöne sogleich anspricht; wir werden in das Gefühl unserer Kleinheit hineingeworfen, in das durchbohrende Gefühl unseres Nichts. »Ach, die Erscheinung war so riesengroß, daß ich mich ganz als Zwerg empfinden sollte.« Aber nachher richten wir uns mit verdoppelter Befriedigung auf, indem wir die Größe des Gegenstands als die unsrige empfinden, indem wir ihn zu uns herübernehmen und mit ihm zusammenwachsen. »In jenem seligen Augenblicke, ich fühlte mich so klein, so groß.« – »Ich bin's, bin Faust, bin deinesgleichen!«

Wir unterscheiden das Erhabene des Raums, der Zeit und der Kraft.

Das Erhabene des Raums. Im Anblick des Hochgebirgs, das seine Gipfel in Wolken hüllt, kommen wir in die Vorstellung hinein, als steige es ins Grenzenlose. Es ist eine Art Schwindel, der die Phantasie befällt. Und auch das Meer wirkt in solcher Art; seine horizontale Ausdehnung scheint ins Unendliche fortzugehen. Wir sagen uns: wie klein bin ich dagegen! Aber es lüften sich die Schranken unseres Selbstgefühls; wir glauben alsdann selbst ins Unendliche zu wachsen, indem wir uns zum Gegenstand hinüberschlagen.

Dann das Erhabene der Zeit. Der Gedanke, daß das Universum keinen Anfang und kein Ende hat, erregt in uns gleichfalls jenen Schwindel der Phantasie. Haller ruft in einem Hymnus aus: »Furchtbares Meer der ernsten Ewigkeit, unendlich Grab von Welt und Zeit!« Das ist ein schönes Bild dieser schwindelnden Vorstellung. Denken Sie ferner an Erscheinungen, die an die Unendlichkeit der Zeit erinnern! Uralte Riesenbäume, Monumentalgebäude haben Jahrhunderte, Jahrtausende überdauert, als ob sie die Zeit an sich gefesselt hätten, um sie an sich darzustellen. Wen erfaßt nicht das Gefühl des Erhabenen, wenn er den Ruinen in Rom, in Palmyra, in Aegypten gegenübersteht? Es war genial von Napoleon, als er vor der Schlacht bei den Pyramiden seinen Soldaten zurief: »Bedenkt, daß vier Jahrtausende auf euch herniederschauen!«

Nun das Erhabene der Kraft, der Naturkraft. Gewitter, Meerstürme, Wasserfälle, Ueberschwemmung, Feuersbrunst, Kämpfe zwischen wilden Tieren, das sind Erscheinungen, die die Kunst liebt, denn das Wilde hat seinen Reiz. Hier wird das Erhabene zum Furchtbaren.

Auch das menschliche Leben können wir hierher ziehen, aber nur, sofern wir es nicht in seiner eigentlichen Bedeutung betrachten. Bedenken Sie z. B. die ungeheuere physische Kraft, die der Mensch in Massen entwickeln kann, an die dynamischen Gewalten der Jagd und namentlich des Kriegs! Der Krieg, sei es nun in seiner antiken Form, oder mit all seinem schwerfälligen Rüstzeug des Mittelalters, oder mit all seinen modernen Waffen, hat eine ästhetische Wirkung gewaltigster Art und spielt in der Kunst eine ungeheure Rolle. Ohne den Krieg hätte Schiller seinen Wallenstein nicht geschrieben, nicht das holkische Corps und seine wilde Jagd verherrlicht.

Alles das schmettert uns zunächst nieder. Wir fühlen uns als Wurm, wenn wir uns mit diesen Kräften messen wollen. Es sind die Gefühle des Schreckens, der Schwäche, der Ohnmacht, die uns in ihrem Anblick befallen. Aber auch hier wird durch die Unlust die Lust vermittelt; in einem zweiten Moment richten wir uns auf, denn auch in uns ist Naturkraft. Unsere Phantasie jagt mit diesen Wellen davon, kämpft im Kriegsbild mit. So schlagen wir uns hinüber zum Gegenstand, zu dem Schauspiel gewaltiger Kräfte, und die Unlust weicht dem Behagen. Und dazu kommt noch ein eigentümlicher Reiz, wo gegenüber verderblicher Ueberlegenheit das Leiden sehr hervortritt, der Reiz des Mitleids. In der hinschmelzenden Weichheit dieser Empfindung schwindet die Fremdheit zwischen mir und dem leidenden Menschen, weil ich mich nun eins mit ihm fühle. Das ist eine Harmonie, ein Accord.

Ein zweite, höhere Sphäre bildet das Erhabene der menschlichen Persönlichkeit. Was uns jetzt Unlust erregt, ist die Ueberlegenheit des großen Geistes hervorragender Menschen, und was uns dabei Lust bringt, ist das Gefühl, daß auch in uns etwas liegt, das sich mit ihnen messen kann. Es geht uns wie Correggio, der, zum erstenmal ein Werk von Raphael sehend, sich ganz zurückgeworfen fühlte, aber dann in erhobenem Selbstgefühl sich sagte: » sono pittore anch’io.«

Die Erhabenheit des Menschen, die Macht seines persönlichen, geistig beseelten Wesens tritt in verschiedenen Formen auf. Wir haben da nicht sogleich an sittliche Größe zu denken, sondern ihn zunächst als heftig bewegtes Naturwesen zu fassen. Die Leidenschaft gleicht dem Meersturm, und eine solche Erscheinung kann die Kunst sich nicht entgehen lassen. Ein Dichter, der sie nicht schildern kann, ist keiner. Sie hat Stufen. Wir unterscheiden einmal die blinde Leidenschaft, Zorn, Haß, Liebesglut, dann die edle Leidenschaft für das Gute, das Pathos. Kant nennt es einen Affekt wackerer Art. Das ist die Glut eines Marquis Posa.

Dies führt nun zum Sittlich-Erhabenen des guten Willens, zum Bilde der menschlichen Würde. Der Heros erscheint uns in unendlichem Abstand vom gewöhnlichen Menschen. Wir sehen bewundernd empor zu Mucius Scaevola und den beiden Nibelungenrecken Gunther und Hagen, wie sie ruhig dasitzen beim Herannahen des Hunnenheers. Die Würde ist in zwei Positionen anzusehen, als ruhige Erscheinung und im Streit mit widerstrebenden Kräften. Es erhebt uns der große Mann im Kampf mit Uebeln und im Kampf mit der eigenen Leidenschaft, die er bezwingt. Würde heißt speziell die zur anderen Natur gewordene Form der Selbstbezwingung. Lesen Sie darüber Schillers Schrift »über Anmut und Würde«. Er hat die Würde besser geschildert. Bei der Anmut moralisiert er zu viel.

Zum Erhabenen im menschlichen Wesen müssen wir aber auch rechnen das furchtbare Bild des Bösen. Unter welchen Bedingungen kann das Böse erhaben werden? Verbunden mit Größe und Genialität hat es trotz seiner Entsetzlichkeit einen Reiz für uns. Die Schauer, die es umgeben, ziehen uns an, weil etwas Unerforschliches, Dämonisches darin liegt. Wir blicken in einen finsteren Schlund unberechenbarer schädlicher Kräfte, und in der Poesie kommt dieser Eindruck in Wirkung, selbst noch abgesehen davon, ob eine Gerechtigkeit des Schicksals eintritt, die das moralische Ungeheuer vernichtet, denn selbst im Bilde der Umdrehung der sittlichen Natur erkennen wir noch die Tiefe, die im menschlichen Geist verborgen ruht. Aber es darf nicht beim Schaudern über das Böse bleiben. Richard III. wird geisterhaft, weil wir gar nicht berechnen können, was aus diesem Dunkel seiner Persönlichkeit noch Böses hervorquellen wird. Wir müssen aber dabei das Gefühl haben, daß das Böse sich schließlich selbst zerstöre; und damit erst tritt die volle Lust an der furchtbaren Erhabenheit des Bösen ein. Wir glauben in seiner Häßlichkeit schon die Spuren der inneren Nemesis zu erblicken. Niemals wird es sich die Kunst nehmen lassen, die Hölle und die Verworfenheit darzustellen. Denken Sie nur an die Bilder des jüngsten Gerichtes von Michelangelo und Rubens. Sie haben den Reiz des Schauderhaften. Aber es ist auch Gerechtigkeit darin, weil in der höllischen Verdammnis die Ungerechten unglücklich sind. Damit tritt die Lust der Sühne ein und wir haben damit die höchste Form des Erhabenen, das Tragische.

Es gibt also drei Hauptformen des Erhabenen:

  1. Das Erhabene im Raum, in der Zeit und in der Kraft.
  2. Das Erhabene im menschlichen Wesen.
  3. Das Erhabene in der Weltordnung, das Tragische.

Das wahrhaft Erhabene ist das Tragische, das Bild des Verschwindens jeder endlichen Größe vor dem unendlichen Geiste, das Bild davon, wie kein Mensch schuldlos bleibt, wie ihn das Schicksal an dieser Schuld packt und ihm dafür Leiden bereitet, wie jede menschliche Größe vor der Majestät des Allgeistes verschwindet. Dieses Bild schlägt uns am tiefsten nieder und erhebt uns am höchsten, nämlich zum Gefühl der Ehrfurcht vor einer Weltordnung, von der wir doch auch Ausstrahlungen sind. Im Tragischen soll das allgemeine Wohl, das Wohl der Gesellschaft gerettet werden. Es ist das Höchste der Kunst, wenn sie ein solches Bild entwickelt. Die Unlust, die Spannung, der Schauer, womit uns die Tragödien eines Shakespeare erfüllen, wird zur Lust, wenn wir durch alle Leiden und Schrecken hindurch ein großes Gesetz walten sehen; wie werfen uns hinüber zu jener tief im Leben herrschenden Gerechtigkeit, die eine Größe über allen Größen ist.

Jetzt das Komische.

Wir haben gesehen: im Erhabenen herrscht immer etwas Uebermächtiges. Wir sind gebunden; jede Willkür ist niedergeworfen, alles Zufällige, Spielende ausgeschieden. Im Komischen dagegen gilt nun die Willkür, die liebe Schwäche, das Verkehrte, Dumme, die Bagatelle. Es ist das Widerspiel des Erhabenen und zwar der konträre Gegensatz dazu, eine Rebellion gegen seine strenge Aristokratie. Wo es kann, spielt es ihm einen Schabernack. Auch hier bekommen wir zuerst ein Gefühl der Unlust, wir stutzen einen Augenblick: Ei verflucht! Es wäre ja toll! Nicht möglich! Und dann erst folgt das Lachen.

Das Komische scheint sich nur so von selbst zu verstehen. Aber nein! Es ist ein äußerst verwickelter Prozeß und sehr schwer zu erklären. Es ist unglaublich, mit welcher Schnelligkeit verwickelte Seelenvorgänge darin mitspielen. Ohne Häßlichkeit geht es da gar nicht ab; sie spielt hier wie beim Erhabenen immer die erste Rolle. Das Komische kann zwar sehr fein sein, aber auch sehr derb; Komiker sind immer Cyniker gewesen.

Fangen wir an mit dem, worüber die Kinder, alte und junge, am meisten lachen. Also z. B. Niesen, Sichverschlucken, Rutschen, Stolpern, Hinfallen, die Schuhe im Kot verlieren, Sichversprechen, Zerstreutheiten, Verwechselungen, Unsinn, hervorbrechende Naivität, Herausrumpeln mit einem unbewußten Geständnis, unwillkürliche Verletzung des Anstands u. dergl. Es ist nichts ausgeschlossen, auch das Unsittlichste nicht. Das Cynische verpönen hieße die Welt des Schönen unerträglich einzäunen. Wo bliebe da Aristophanes und der Hanswurst unserer Volksbühne? Jean Paul und Goethe haben im Cynischen Ungeheures gewagt. Wer solches zurückweist, für den gibt es kaum etwas zu lachen. Häßlich ist es wohl – wenn es nur unschädlich ist.

Das Komische durchkreuzt immer etwas; es ist ein Zickzack. Im Komischen wird losgelassen alles, was einen vernünftigen Zusammenhang plötzlich stört. Sie kennen den Vers: »Bis zum Tier heruntersinkt, wer nur, wenn ihn dürstet, trinkt.« Man hängt den Rock an eine Fliege. Ein volles Ganzes zersplittert uns in Stücke. Gespannte Erwartung findet ein Nichts. Es ist uns zu Mut, wie wenn wir uns beim Fechten verhauen, oder wie wenn wir die Treppe hinabgehen und eine nicht mehr vorhandene Stufe annehmen. Das Kleine, Triviale erscheint im Recht. » Vive la bagatelle!« heißt es da, » parturiunt montes, nascetur ridiculus mus.« Was ganz nebensächlich und untergeordnet ist, drängt sich auf. Das Komische ist die Thürangel, die das ganze Jahr nach Oel schreit. Man will sie stets ölen, thut es aber nicht. Es ginge wohl, aber es geht nicht. Die Ursache ist immer eine Absurdität, eine Schwäche, ein Unsinn, ein läppischer Zufall, eine Zweckwidrigkeit, ein störender, unterbrechender Anprall auf eine Ordnung. Und dieser geschieht im Handumdrehen. Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt. Das unendlich Kleine wird im Gegensatz zum Erhabenen, dem unendlich Großen, dargestellt, wie es ihm ein Bein stellt. Und das muß plötzlich geschehen, sonst bekommen wir den Puff nicht, der zu allem Komischen gehört.

Wie aber? Ist wirklich in allem Komischen der Vorgang ein plötzlicher? Kinder lachen über einen Höcker, einen unverhältnismäßig großen Kopf, über krumme Beine und alle Deformitäten, Disproportionen. Diese Mißformen sind doch ein ruhender Zustand; woher soll da der Stoß kommen? Und doch ist auch da Bewegung. Bewegt ist die Bahn durch das Auge. Der Blick verfolgt die Form, und sein Lauf bricht auf einmal ab, indem die Linie nicht kommt, die er erwartet. Die Folge davon ist, daß wir diese ruhende Häßlichkeit uns so erklären, als habe sich die Natur verzeichnet, als habe sie beim Zeichnen einen Stoß an den Ellenbogen bekommen, als sei ihr der Griffel ausgerutscht. Wir zeichnen das richtige Bild darunter hin; auf der Folie dieses richtigen Bildes haben wir das unrichtige. Das richtige und das unrichtige Bild zusammen geben das Komische. So erscheint auch das ruhend Häßliche als ein bewegtes.

Nun die Fälle, wo Bewegung schon da ist und nicht suppliert zu werden braucht. Der witzige Molière läßt in einem Stück einen hereinkommen, einen zweiten hinausgestoßen werden, und beide prallen zusammen. – Aber nun ein anderes Beispiel. Auf einem englischen Schiffe, das nach Indien fährt, befinden sich Missionäre und zugleich eine Sendung heidnischer Götzenbilder, die eine englische Fabrik dorthin liefert. Hier bekommt unsere Vorstellung eine geistige Ohrfeige durch das Zusammentreffen der englischen Missionäre mit den heidnischen Götzenbildern auf demselben Schiffe. Der heilige Augustin war in Alexandrien ein sehr liederlicher Student. Er bekehrte sich und gesteht in seinen Konfessionen, er habe damals oft gebetet: »Vater, befreie mich aus diesem Schlamm von Sünden,« jedoch der alte Adam in ihm sei plötzlich wieder hervorgebrochen und er habe in einem Atem hinzugesetzt: »aber nur nicht so schnell.« Das ist komisch. Lichtenberg erzählt, wenn er recht traurig sei, stelle er sich folgende Geschichte vor: Es sollen in einem Negerland auf einmal 300 Bekehrte getauft werden, das gibt viel Arbeit. Da greifen die Missionäre zu der Abkürzung, daß sie die Neger mit einer Feuerspritze taufen.

Nehmen Sie ferner das bekannte komische Bild: Es soll einer eine Dachrinne absägen. Er setzt sich auf das abzusägende Stück und sägt sich selbst damit herunter. Da ist das Komische eine Bewegung von rein widersprechender Art, eine Bewegung, die vorwärts und zurück gegen sich selbst geht, die sich in sich widerspricht. Also perverse Durchkreuzung eines vernünftigen Zusammenhanges. Der Unsinn rennt den Sinn über den Haufen.

Warum ist das aber häßlich und doch zugleich lustig? Das Häßliche an diesem Stoß muß unschädlich sein, sonst ist es nicht komisch. Das hat schon Aristoteles erkannt. Dieser Grundgescheite hat den für immer gültigen Satz aufgestellt: Das Komische ist eine Häßlichkeit schmerzloser und unschädlicher Art. Die Verkehrungen, Durchkreuzungen zu irgend einem komischen Zweck dürfen keinen ernstlichen Verlust fühlbar machen. Das Uebergewicht des Sinnlichen, Kleinen, Schwachen soll dabei kein unbedingtes sein. Das Häßliche wirkt hier so, daß es dem Betroffenen und damit dem Weltstand überhaupt nichts anzuhaben scheint, oder doch nur wenig. Das komische Objekt selbst scheint zu lachen. Unser Lachen steckt darin. Wir sind ja noch da. Es ist ja schon gesorgt, wird nicht so gefährlich sein. Es gibt zwar im Komischen viele Verlegenheiten, aber nur leichtes Leiden, es geht nicht auf ein Uebel hinaus; wenigstens wird das nicht vorgestellt. Zum Beispiel über körperliche Häßlichkeit lacht nur ein Kind; und das ist von ihm nicht boshaft, sondern nur Armut oder Trägheit des Denkens; es kann sich nicht vorstellen, wie viel der Mißgestaltete durch seine Häßlichkeit leiden muß. Es läßt das aus Dummheit weg, so daß es unbarmherzig lacht. Was nun hier aus einem Unvermögen erfolgt, das leistet in einem freien Akt die Gabe der Phantasie. In dem komischen Bilde, das uns der Künstler, der Dichter gibt, wird der Begriff der Schädlichkeit weggeschoben; wir haben keine Zeit, an das in diesem Falle enthaltene Schlimme oder moralisch Verwerfliche zu denken. Körperliche Abnormitäten erscheinen uns also komisch, sofern wir vergessen, wie traurig sie für den sind, der damit behaftet ist. Und wir lachen nur so lang über das Taumeln eines Betrunkenen, als es uns nicht einfällt, daß der Mensch ein Säufer ist und sich schaden könnte durch sein Taumeln. Dann Falstaff. Er ist, wie gesagt, moralisch genommen, höchst verkommen. Er schlemmt nicht nur, er lügt und trügt, begeht einen Straßenraub. Er wirbt Jammergestalten und steckt das Werbegeld ein. Und doch lachen wir über all dieses Abscheuliche. Ich habe den Grund schon früher genannt Siehe S. 42.. Die Zweckwidrigkeit beseitigt das moralische Urteil. Falstaff renommiert als Straßenräuber und ist so feig, daß er vor dem Straßenraub fürchtet, ausgeraubt zu werden. Da denken wir nicht an das Verbrechen des Straßenraubs, sondern an die Feigheit des Straßenräubers. Dann nachher seine faustdicken Lügen! Das Lügen ist ja schändlich. Aber weil er dann ertappt wird, kommt uns das Schlechte der Lüge aus dem Auge. – Ueber den Krieg, womit England erzwang, das von ihm fabrizierte Opium in China einführen zu dürfen, können wir nicht lachen; er ist nur scheußlich, wie überhaupt seine ganze Eroberungspolitik, die an Brutalität die römische weit übertrifft. Aber über jenes Missionsschiff müssen wir lachen, und über jenes Gebet des heiligen Augustinus; da erscheint die Durchkreuzung des vernünftigen Zusammenhangs unschädlich. Der Widerspruch, der im Komischen liegt, muß gefaßt werden als eine bloße Narrheit. In seinem Gebiet befinden sich die Menschen auf dem Standpunkt der Thorenwelt, und deshalb kommen sie auch leichter davon. Man vergleiche nur den glimpflichen Ausgang Falstaffs. Es gibt kein Schicksal, bloß Pech. Der Geiz ist abstoßend, kann aber doch auch lächerlich wirken. Das Mittel wird da zum Zweck gemacht. Daß ein Mensch spart, nur um zu sparen, ist ein solcher Verstandesunsinn, daß es komisch erscheinen kann, besonders unter der Hand eines Dichters.

Aber dazu kommt noch etwas ganz Wesentliches; und das Verdienst, es entdeckt zu haben, gehört Jean Paul, der, selber höchst produktiv im Komischen, als Philosoph das Komische viel tiefer und scharfsinniger untersucht hat als andere. Es ist die Unterschiebung. Bei allem Komischen leiht der Zuschauer dem Gegenstand etwas aus seinem Bewußtsein und zwar sein Besserwissen. Wir würden nie lachen, wenn wir nicht dem irrenden Wesen (und das ist immer der Mensch, Tiere werden nur durch Vergleichung mit dem Menschen komisch) unterschieben würden, es wisse eigentlich das Rechte und verfahre doch so verkehrt. Dadurch bringen wir erst einen eigentlichen, ganzen Widerspruch hervor, und nur über einen solchen ist zu lachen. Eine totale Ungereimtheit muß entstehen. Daß der Mensch weise und zugleich thöricht ist, das erscheint uns unmöglich, aber es ist doch so, und nun müssen wir lachen. Diese Unterschiebung geschieht aber ganz unbewußt, ist ein ganz verhüllter Akt in dem mit staunenswerter Geschwindigkeit verlaufenden Geistesprozeß, wodurch der komische Eindruck entsteht.

Ich will nur etwas ganz Gewöhnliches anführen. Es sucht einer seine Schreibfeder und hat sie hinter dem Ohr. Was ist denn da zu lachen? Eigentlich gar nichts, denn er weiß es eben nicht, daß er sie hinter dem Ohr hat. Und wenn einer über die Straße geht, dem die Bändel aus den Hosen hängen, so ist das an sich nichts Lächerliches. Aber warum lachen wir doch darüber? Weil wir diesem wie jenem unser Wissen unterschieben und uns den Schein erzeugen, als ob er es wisse und doch nicht wisse. Das macht den Lachkitzel. Der Zuschauer schmiegt sich also mit seinem besseren Wissen in den Zustand des Pech Erleidenden hinein. Hierauf beruht alles Komische; das ist wesentlich; es gibt nichts zu lachen, wo dieses Unterschieben nicht stattfindet.

Wie ist es nun damit, wenn die blind nach ihren Gesetzen fungierende Natur in einen vernünftigen Zusammenhang eine plötzliche Störung hineinbringt? Wenn der Wind graziös mit unserem Hute spielt, daß wir ihm, alle Würde vergessend, nachlaufen müssen, worüber lacht man? Oder wenn wir interessante Gedanken vortragen wollen und uns verschlucken? Für diesen Naturstoß können wir nichts. Oder es will einer eine Festrede halten, und es kommt ihm Fackelrauch in den Mund. Da, wo er gerade recht feierlich reden sollte, wird er am fürchterlichsten gestört. Seine Stimme schlägt um, und er muß nun mit Fisteltönen sprechen. Wie ist es da? Können wir da auch lachen? Gewiß, in dem vorhin genannten Sinne. Es kostet wenig Phantasie, um uns vorzustellen, daß der Naturvorfall uns von einem Dämon als Streich gespielt ist. Der Wind erscheint uns wie ein neckischer Kobold. Es möge sich jeder fragen, ob er nicht auch schon einen Stein angeflucht hat, über den er gestrauchelt ist. Er thäte es ganz gewiß nicht, wenn er ihm nicht einen Geist unterschöbe. Der Mensch lebt in einem beständigen Krieg mit dem Zufall. Wir wandeln auf Glatteis und sind keinen Augenblick sicher, daß wir nicht fallen. Auch die innere Natur kann uns so ein Bein stellen. Wenn einem guten Menschen plötzlich eine Naivität, eine Eitelkeit etc. herausplatzt, wenn er in einer Gesellschaft irgend einen fürchterlichen Bock schießt, so ist es, als ob uns das aus einer dämonischen Absicht angethan würde. Der Mensch erscheint im Komischen als ein taumelndes Wesen. Wir fahren alle im Leben Schlittschuh, und plumps, da liegen wir. Wir haben aber dabei das dunkle Gefühl, als habe uns vorher etwas halb verständlich gezupft, gewarnt. Und im Zuschauer wirkt das noch stärker und unterstützt wesentlich sein Lachen. Es kommt der Schein von einer halben Schuld auf den Betroffenen, weil er auf den Zufall nicht genug geachtet hat und ihm deshalb unterlegen ist. Es ist die Fiktion, als habe der Pechvogel gewußt, wie es kommen wird und doch nicht aufgepaßt, doch verkehrt gehandelt; wir leihen ihm unser besseres Bewußtsein. Wir lachen darüber, daß der Mensch weise und thöricht ist in einem Moment.

Sie haben da also einen Verlachenden und einen Verlachten, einen Beobachtenden und einen Beobachteten. Der Beobachtete ist ertappt über einer menschlichen Blindheit. Beide sind Menschen: der Ertappende und der Ertappte. Einer lacht über den anderen. So lacht die Menschheit über sich selbst. Es kann aber auch nur einer sein und dies ist der feinere Fall des Komischen. Ich entdecke Schwächen an mir selbst und lache über mich selbst. Dies ist der Humor: der sich selbst ertappende und verlachende Mensch. Da es also im wesentlichen gleich ist, ob das Komische von zweien oder von einem erzeugt wird, so ist es gleich, ob wir sagen: das Komische ist der ertappende Mensch, oder: es ist der ertappte Mensch. Die menschliche Blindheit kommt über sich zum Bewußtsein. Es ist die Besinnung des Menschen über seine Verkehrtheit. Also das Komische und zwar das wahrhaft, das humoristisch Komische ist der über seiner Schwäche sich ertappende und zur Besinnung kommende Mensch. Darin liegt eine Befreiung. Indem ich mich erkenne, löse ich mich aus der Enge; ich steige heraus, ich entlaste mich. Die Humoristen entdecken ihre eigenen Schwächen und geben sie preis im Gespräch. Was der Humorist hiermit preisgibt, erniedrigt ihn (denn es sind Schwächen). Daß er es aber preisgibt, erhebt ihn, hebt seinen Geist heraus aus der Klemme des Lebens, in der wir alle stecken, heraus aus dem allgemeinen Weltspital.

Ein Bauer ist stark berauscht und taumelt im Zickzack. Er hat roten und weißen Wein getrunken. Wenn es ihn nach rechts wirft, ruft er: »weißer, wehr dich!«; wenn nach links: »roter, wehr dich!« Er meint, diese zwei Weine haben einen Krieg in ihm. Dieser betrunkene Bauer ist der Mensch, der weiße Wein in uns die Vernunft, der rote die Leidenschaft, die Schwäche. Diese zwei Weine werfen uns im Zickzack hin und her. Im Leben ist nichts recht bestellt; wir wissen keinen Augenblick, ob nicht jeder vernünftige Zusammenhang durchstoßen wird. Das Schönste, Zarteste liegt hart neben der Bagatelle. Immer wieder liegen die Dinge kreuz und quer, schief und vertauscht. Aber am Ende thut's nichts; unsere Existenz ist trotzdem nicht schlecht, weil doch diese Besinnung darin ist. Wenn wir es erkennen und den Mut haben, es auszusprechen, so erheben und befreien wir uns. Ueber die Blindheit siegt das Bewußtsein, und wenn es sich im Menschen immer wieder erzeugt, so bleibt die Welt stehen und wird nicht verloren sein, auch wenn sie voll Thoren wäre. Wir gehen auf behaglicher Mittelstraße. Die Wolken über uns sind hinweg. Wir sind nicht bange. Es herrscht Generalpardon, allgemeiner Karneval. Der Papst des Lachens hat Plenarindulgenz ausgeschrieben.

So hat das Komische eine eigentümlich entlastende Kraft. Im Lachen befreien wir uns vom Alpdruck des Lebens. Voltaire sagt, ein guter Engel habe uns zwei Sachen gegeben: den Schlaf und das Lachen. Das Lachen erzeugt eine Schüttelbewegung des Zwerchfells, wobei der Atem stoßweise ausströmt, und das ist gesund für den Unterleib; die vegetative Seite des Lebens kommt in starke Bewegung. Das Eingeweide, das Materialste am Menschen, wird heftig geschüttelt und dadurch der Druck des gemein Materiellen weggeschüttelt. Das ist das allgemein Erleichternde am Lachen.

Welche Hauptformen des Komischen lassen sich unterscheiden?

Als erste setze ich das handgreiflich Komische, das Drollige, Possenhafte, Burleske. Burla heißt Scherz. Da geht es massiv her und ohne Cynismus ist dabei nicht auszukommen. Das einfachste Beispiel hierfür ist die Hanswurstiade des Marionettenspiels, das sich auch ohne Rede ganz nett macht. Hier wird das Unschickliche ins Höchste idealisiert. Es geht aber in dieser Sphäre nicht immer kindisch zu; man kann sich auch erhabene Stoffe, bedeutende, hohe Gegenstände wählen. Zum Beispiel Aristophanes greift in die damals verdorbenen Staatszustände ein. Dabei thut er freilich Sokrates unrecht, indem er ihn einen Sophisten nennt. Der Chor trug in seinen Stücken Wespenmasken, Froschmasken, Wolkenmasken, was sich gewiß allerliebst ausnahm. Sokrates wird als Wolkengucker komisch gemacht. Er guckt hinauf, und ein Wiesel kriecht ihm in den offenen Mund.

Auch in den christlichen Mysterien und Passionsspielen des Mittelalters gab es viel handgreiflich Komisches im derben Volksgeschmack der Zeit. Zum Beispiel: Zwei Teufel mit enorm langen Nasen empfangen Christus bei seinem Eintritt in die Unterwelt. – Unvereinbare Vorstellungen soll man da vereinen; das gibt den Stoß des Komischen.

Die zweite Hauptform des Komischen ist der Witz. Er ist, wie Ruge treffend sagt, das bewußte Vollbringen des komischen Aktes, das Vollziehen desselben durch Reflexion. Zwei an sich unvereinbare Vorstellungen werden dennoch in einen Schein von Einheit gestellt, und das geschieht mit berechnender Absicht. Der Witz muß gemacht werden; die pointe des Konflikts in der falschen Einheit wird bewußt herausgehoben. Der Witz zieht aus ganz entlegenem Gebiet eine Vorstellung herbei, die er der jetzt wirkenden blitzartig unter die Beine wirft. Der Wortspielwitz thut, als ob zweierlei Bedeutungen eines Wortes dasselbe wären. Zum Beispiel es erzählt einer: In Alessandria fiel der Papst Pius IX. und die ganze zum Diner um ihn versammelte Gesellschaft von höheren Geistlichen durch den unter ihrem Gewichte brechenden Boden. Zum Vorstellen ist das komisch im burlesken Sinn. Ein Zuhörer fügt aber bei: »Da wäre der Papst also doch nicht infallibel;« – und jetzt haben Sie einen Witz. – Dann der bekannte Witz von Börne: Als Pythagoras seinen mathematischen Lehrsatz gefunden hatte, opferte er eine Hekatombe. Seitdem zittert jeder Ochs, wenn eine neue Wahrheit gefunden wird. – Oder: Es wurden deutsche Tierärzte nach Italien geschickt, weil eine päpstliche ›Bulle‹ ausgebrochen war.

Der Witz ist ein spitziges Ding, – der destillierte Geist des Komischen, aus feinen Spitzgläsern genippt. Er neigt zur Satire. Dieser wollen wir ihre Bedeutung nicht absprechen; sie kann für eine Zeit von hohem Werte sein; aber sie ist keine reine Form des Komischen und nimmt im Gebiete des Schönen eine untergeordnete Stelle ein, denn sie hat einen Zweck (der wohl sehr gut sein kann), und das Schöne hat keinen Zweck. Höher steht deshalb der zwecklose, der sogenannte »schlechte« Witz, der in der That der gute ist. Das Schöne will nicht packend treffen, will nichts polemisch erzielen, und man könnte deshalb sagen: der zwecklose Witz ist treffender als der satirische. Es klagt z. B. einer in der Schweiz, er habe beim Bergsteigen seine Kleider verderbt und ein Paar Hosenstege aufgerieben, und es erwidert ein anderer: »nicht umsonst sagt Schiller: ›es donnern die Höhen, es zittert der Steg‹«. Da haben Sie einen guten schlechten Witz.

Der Kladderadatsch bringt mehr stechend satirische Witze, wie es der Norden überhaupt liebt, aber auch schlechte Witze mit köstlich blödem Sinn. Die Fliegenden Blätter versetzen uns dagegen in einen naiv humoristischen Zustand hinein. Es ist gewiß recht, daß wir beides haben, und ich wiederhole: eine jede Zeit braucht ihre Satire. Aber der beste und geistreichste Witz ist doch der, welcher in komischer Vergleichung liegt; er beweist am meisten Talent. Er vergleicht Dinge, wo es niemand einfallen sollte, zu vergleichen, und dann merkt man erst, daß es klappt. G. Keller sagt in einer Novelle: »Die Jäger zogen durch die Stadt, und die schrillen Töne ihrer Blechmusik schnitten durch den Abendhimmel wie ein schartiges Rasiermesser.« Das ist vortrefflich.

Der Witz ist eine blendende und doch relativ arme Kraft, welche außerhalb der Sache steht und sie gewaltsam behandelt. Der nötige Akt der Leihung ist da fast nicht mehr möglich. Daher fehlt dem Witz das Eingehende, Einläßliche. Er ist auch ohne Kontinuität. Diese ersetzt er durch Vielheit. Er hat keinen Tenor, keinen Strich, er spielt Pizzicato, und so entsteht die Witzelei. Wer bloß Witze macht, ist im Grund noch keine bedeutende Figur. Und niemand steht dafür, ob er gutmütig oder malitiös ist. Ist aber sein Scherz boshaft, so fehlt ihm der komische Widerspruch, denn das Erhabene wird ja von ihm vernichtet. Im echt Komischen wird es nicht vernichtet, es muß sich nur gefallen lassen, daß es in einer Haut steckt mit dem Kleinen; und nur diese beiden ergeben durch ihr Ineinanderscheinen und -schillern den komischen Widerspruch. Deshalb ist alles echt Komische gutmütig. Das Erhabene wird nur seiner angemaßten Autorität entkleidet. Im frei Scherzenden selbst wird der Inhalt des Lebens gerettet. Das Kleine hat nur die Macht, durch Ueberraschung zu erhärten, daß inmitten der Dinge dieser Welt nichts absolut sein kann. Keiner bleibt ungerupft, auch nicht die eigene Person des Lachenden. Anders der Witzbold: der macht auf alles Witze, nur nicht auf sich selbst; er nimmt sich aus.

Wir suchen daher eine höhere Art der komischen Kraft und finden Humor – das Wort im tieferen Sinn genommen und nicht bloß als Stimmung zum Komischen verstanden. Der Humorist, haben wir schon gesehen, hat die geistige Freiheit, das ego nicht zu schonen, er erkennt und bekennt die Schwäche seines eigenen Thuns, er verspottet sich selbst Vergl. oben S. 187..

»Ich liebe mir den heitren Mann,
Am meisten unter meinen Gästen:
Wer sich nicht selbst zum besten haben kann,
Der ist gewiß nicht einer von den Besten.«

Sie kennen dieses prächtige Wort von Goethe. Das innige Gemüt des Humoristen ist durchdrungen vom tiefsten Gefühl des Wertes der Harmonie. Er erfährt an sich selbst, wie das Hohe mit dem Niedrigen, die Wahrheit mit dem Irrtum behaftet ist, wie schlecht das Gefäß seinem Inhalt entspricht. Er beobachtet sich aufs schärfste. Und mit universalem Sinn sieht er in der ganzen Welt sich um. Er erlebt mit tiefstem Einblick und im Mark seines Wesens ihre Widersprüche, ihre Uebel und Gebrechen, die Dummheit und Schlechtigkeit der Menschen, arbeitet sich aber fort zu dem Gefühl, daß die Welt trotzdem nicht verloren sein kann, daß trotz aller Argheit der Geist, das Gute, die aktive Kraft ihres Lebens ist, und auf dem Grunde dieser Ueberzeugung sieht er sie nun in einem komischen Licht, als eine verkehrte Welt; er belächelt sie, aber wohlwollend.

Sie finden bei allen Humoristen, daß die Flamme ihrer Scherzlaune sich mit dem Oel ihrer Schmerzen speist. Einen Zug davon hat auch der tolle Aristophanes. Welche Seufzer klingen da hervor über den Untergang des alten tüchtigen Griechentums und über das Frivolwerden der Zeit! Den tiefen, über die Welt und sich selbst lächelnden Humor finden wir aber erst ganz entwickelt bei Sterne, Goldsmith (Vicar of Wakefield) und Jean Paul. Der Humor der Engländer ist ganz vorzüglich, jedoch häufig trivial. Der unseres Jean Paul, der es leider durch Formlosigkeit verscherzt hat, noch so gelesen zu werden, wie er es verdient, hat mehr Tiefe und bleibt frei von geschlechtlichen Schlüpfrigkeiten und Zweideutigkeiten. Da gibt es keinen Teufelsdreck von Frivolität.

Fragen wir nach dem Grad und Umfang, worin die Künste das Komische wirken lassen, so ergibt sich sofort: die Architektur hat nichts und die Skulptur nur wenig damit zu thun; in der Malerei und Poesie dagegen spielt es, wie das Schauderhafte, eine große Rolle.

Weiter. Sehen wir nun wieder nach dem einfach Schönen, wobei das Angenehme nicht erst zu erkaufen ist mit irgend einer Unlust, sondern uns mild eingeht wie ein willkommener Trank.

Eine Erscheinung, die ohne weiteres, ohne Störung schön ist, heißen wir anmutig. Das Wort kommt von dem Verbum Anmuten und bezeichnet, näher gefaßt, etwas, was sich anzuschmiegen scheint. Wir fühlen dabei ein Entgegenkommen. Es braucht nicht ein eigentliches, objektives Entgegenkommen zu sein. Das schöne Bild ist anmutig, ohne daß es sich bewegt; aber sein Wesen scheint sich uns willig zu nähern und hinzugeben. Seine Harmonie erweckt unsere Sympathie. Der Italiener sagt grazia, der Franzose grâce, womit mehr die Form gemeint ist. Das deutsche Wort Anmut bezeichnet mehr das Seelische in der Sache. Jedoch berühren und ergänzen sich beide Ausdrücke.

Hier müssen wir nun etwas verweilen bei Schillers berühmter, inhaltvoller Schrift »über Anmut und Würde«. Er nimmt das Wort in engerer Bedeutung und bezieht es nur auf die menschliche Erscheinung, denkt dabei fortwährend an Personen. Er unterscheidet sehr fein Anmut von Schönheit. Juno entlehnt von Aphrodite den Gürtel des Liebesreizes. Aber wie? Juno ist doch schön! Braucht sie diesen Gürtel? Jawohl, denn man kann schön sein, ohne Anmut zu besitzen. Eine Gestalt kann in ihrem Wuchs, in ihrem Profil sehr wohl geschaffen sein, ohne den Charakter des Anziehenden zu haben. Der Oesterreicher hat ein gutes Wort für eine weibliche Schönheit solcher Art; er sagt: das ist ein Bild »ohne Gnaden«, also ein Madonnenbild, das kein Wunder thut, keinen Trost gewährt. Die Schönheit liegt mehr in den festen Formen, wie sie an der menschlichen Gestalt vom Knochengerüste gegeben sind, die Anmut mehr in den unwillkürlichen Bewegungen, welche die willkürlichen begleiten. Willkürlich ist die Bewegung des Gehens, unwillkürlich die damit verbundene Grazie, jene gewisse Musik des Wandelns; willkürlich die Bewegung der Sprachwerkzeuge, wenn man spricht, unwillkürlich das begleitende Mienenspiel und der Klang der Stimme. Der eine wird schroff greifen, der andere in sanftem Bogen. Raphaels Frauen- und Engelsgestalten haben in ihren Bewegungen einen Reiz, der undefinierbar und unnachahmlich ist, der ihm allein gehört. Schiller sagt nun aber: das anmutige Spiel solcher Bewegungen muß der Ausdruck einer schönen Seele sein; und da nimmt er es etwas zu speziell moralisch. Er beschränkt die Anmut überhaupt zu sehr auf die menschliche Persönlichkeit. Es ist gewiß wahr: die Anmut von Bewegungen, worin sich eine edle, wohlwollend gestimmte Seele bekundet, ist die höchste, aber es gibt gewiß auch eine Anmut, die solche bestimmt moralische Eigenschaften nicht hat. Die Art, wie man geht und die Arme bewegt, wie man springt und tanzt, ist nicht notwendig bestimmt von der Gesinnung. Und es gibt auch außermenschliche Erscheinungen, denen wir mit Recht Anmut zuschreiben. Zum Beispiel ein plaudernder Bach, ein lachender Morgen, eine Gruppe spielender junger Tiere. Der Begriff muß also weiter gefaßt werden. Wir denken dabei an harmlose Dinge, an die relative Existenz einer Welt ohne Kampf, an das kontradiktorische Gegenteil des Erhabenen. Reine Schönheit und störungslose Anmut finden wir nur in der Heiterkeit idyllischen Daseins, wo uns die Wolken nicht sehr bange machen, im Idealgebiet der Venus, der Genien und Amoretten, und dieses ist natürlich das Beliebteste. Da haben wir ganz harmlose Grazie. Ein rechtes Beispiel der Anmut ist die mediceische Venus. Die Gestalt weiblicher Jugend mit ihren weicheren Formen bewirkt diesen Reiz ungleich mehr als die männliche. Ferner liegt er in so manchen italienischen Bildern und Erzählungen, im fröhlichen Scherzen einer Melodie, eines Lieds. Vorzüglich aber im Tanz; das sagt uns Goethe in seiner Ballade: der Gott und die Bajadere:

»Sie rührt sich, die Cymbeln zum Tanze zu schlagen.
Sie weiß sich so lieblich im Kreise zu tragen,
Sie neigt sich und biegt sich und reicht ihm den Strauß.«

Die anspruchslosen, harmlosen Erscheinungen haben von jeher in der Kunst reichlichsten Eingang gefunden. Unter ihnen wandelt Gretchen, wie sie ist, ehe sie in den Abgrund hinuntergerissen wird. – Und mit welcher Liebe haben italienische Meister die Kinder behandelt! Denken Sie nur an die zwei lieblichen Engelknaben, die unter der sixtinischen Madonna an der Brüstung sitzen! Denken Sie auch an die leichte Grazie antiker Bauten und Geräte, an den Tempel des Lysikrates, an pompejanische Lampen! Es ist vornehmlich dieses weite Gebiet des Heiter-Schönen, das Goethe im Auge hat, wenn er in »Wahrheit und Dichtung« die Poesie mit einem Luftballon vergleicht, der uns ohne den Ballast der Erdenmühen emporzieht. Da waltet die Anmut. Sie kann also auch erklärt werden als weiche, harmlose, von Störung freie Harmonie im Schönen, übergehend vom Gegenstand auf den Betrachter S. oben S. 192.. Wir schreiben sie allem Schönen zu, sofern es die Eigenschaft hat, als ziehe es uns schmeichelnd an.

Auf diese ganze Sphäre bezieht sich nun auch die Verästelung des Begriffes Anmut in die Begriffe des Hübschen, Eleganten, Zierlichen, Niedlichen. Hätten wir Zeit, sie zu verfolgen, so wäre es wohl der Mühe wert. Hier kann ich nur weniges darüber bemerken.

Niedlich nennen wir das Schöne, wenn sich seine Form auf ein sehr kleines Volumen beschränkt. Hübsch kommt von »höfisch« und bedeutet also ursprünglich ein höfisches Benehmen. Hübsch ist ein Gesicht, das in einem Salon gefallen würde, aber noch lange nicht einem Bildhauer. Auch das Elegante kann sehr in Widerspruch treten mit den Gesetzen des Schönen. Elegant nennt man z. B. einen vom Schuh zusammengepreßten Fuß, bei dem einem nichts aufgeht als die Idee vom Hühnerauge. Eine Venus würde auf unseren Bällen als Bäuerin angesehen werden. Unsere ganze jetzige Tracht geht auf das Zierliche, Elegante und nicht auf die Schönheit. Die Probe können Sie sogleich machen, wenn Sie einem rassemäßig schönen Kopf einen modernen Damenhut aufsetzen. Das ist nicht anzusehen. Das Schöne erscheint in solchem Aufputz grob und plump, oder das Elegante daneben als Plunder.

Nun aber fragt sich: verbinden sich diese drei Formenwelten: das Schöne oder Anmutige, das Erhabene und das Komische? Da wird nun die Sache verwickelt, aber erst recht interessant.

Genau genommen, werden Sie kaum eine Erscheinung finden, in der nicht wenigstens eine Möglichkeit liegt, zu Konflikten überzugehen. Dieses Kind, es wird erwachen und wird von Kämpfen des Lebens nicht verschont bleiben. Diese blühende Jungfrau wird dasselbe erfahren müssen. Dieser zarte, schlanke Baum wird einst von den Stürmen geschüttelt und verstümmelt werden. Verwirklicht sich aber diese im Schönen enthaltene Möglichkeit des Uebergangs zu Konflikten, so verfällt es dem Erhabenen oder dem Komischen oder beiden.

Es ist hier schon mehrmals betont worden: das Schöne soll nicht bloß »schön« sein und nicht umkehren vor den Abgründen des Lebens; es zeigt sich im Schmerze groß. Der Luftballon der Poesie kann doch mehr tragen, als die meisten glauben. Er hebt die Last der ganzen Welt als freien Schein empor.

Wie verbindet sich nun das lieblich Schöne mit dem Gewaltigen? Gibt es anmutige Großheit, erhabenes Schönes? Jawohl! Betrachten Sie die Venus von Melos! Da haben Sie Anmut, die sich zur Großheit erhebt. Das ist Aphrodite nicht als Göttin des spielenden Liebreizes, des Affektes der Liebe, sondern als Weltmacht, als die verbindende Kraft in der ganzen göttlichen Natur. Auch Iphigenie ist anmutig und zugleich hochedel in ihrem ganzen Wesen und Thun. – Eine Verbindung von Anmut und Würde stellten die Griechen besonders in der Here vor. Lesen Sie, was Schiller sagt von jener wundervollen Büste der Juno Ludovisi in seiner Schrift: »Aesthetische Erziehung des Menschengeschlechts!« Hier ist in weiblicher Anmut die höchste göttliche Würde enthalten. Im gereiften Weib überhaupt haben wir diese Verbindung, in dem Weib, das von der harmlosen Lieblichkeit der Jungfrau übergetreten ist in das Leben und sich dort zur vollen Blüte und Charaktergröße entwickelt hat, ohne den holden Reiz eingebüßt zu haben.

Kehren wir nun das Verhältnis um! Stellen Sie sich Würde mit Anmut vor, Männlichkeit, die mit der Stärke die Weichheit der Sitte vereinigt, geschmeidigte, gesänftigte Härte des Charakters. Denken Sie an den Spruch: fortiter in re, suaviter in modo. So muß einst Perikles gewesen sein, von dem die Zeitgenossen vor allem die reinste Würde in der Erscheinung rühmen. Wer gesehen hätte, wie der den Mantel hielt auf der Rednerbühne, wie der sich bewegte und sprach, er hätte gewiß Würde mit Anmut gesehen. – Die Riesenstatue des Zeus in Olympia, wie hat sie Phidias behandelt? Das Haupt in gnädigem Nicken vorgeneigt. Es ist aber doch das Haupt des Welterschütterers. Wenn er die Augenbrauen erhebt, so donnern die Himmel.

Werfen wir noch einen Blick auf die Natur. Die Linde, ein starker, gewaltiger Baum, aber mit zartem, leicht spielendem Laubwerk. Hohes Gebirg mit weichen Linien; bei Palermo der Monte Pellegrino, der mit so wunderbar melodischem Linienschwung gegen das Meer abfällt. – Dann die Tierwelt! Das Roß. Sein ganzer Körper stark wie Stahl und doch in lauter wohlgefälligen Kurven verlaufend. Diese Eleganz bei allem Feuer der Bewegung! Es ist am Ende doch das schönste Tier.

Das Schöne mit seiner Anmut kann sich sogar dem Gräßlichen verbinden. Das gehört freilich zu den größten Leistungen der Kunst. Betrachten Sie das Medusenhaupt in der Münchner Glyptothek, das Maskenbild jenes dämonischen Weibes, dem Perseus den Kopf abgeschlagen. Ihre Züge sind grundböse. In den Backenknochen, die etwas über die Norm hinaus ins Katzenartige verstärkt sind, liegt teuflische Tücke, über den Augen etwas scharf Drohendes; und zugleich fliegen über dieses Gesicht die Schauer eines entsetzlichen Todes, die Nase spitzt sich hippokratisch zu; man glaubt das Röcheln zu hören. Aber man kann sich von diesem Anblick nicht trennen, soviel herrscht Anziehung in der Abstoßung. Schauer und Reiz verlieren sich ineinander. Denn dieses schreckliche Weib ist doch ungemein schön und hat das reinste griechische Profil, das Sie sehen können.

Nun das Komische. Es ist ein so eigener Kauz, daß es mit der Anmut Verbindungen nicht einzugehen scheint. Und dennoch geht es sie ein. Aber nur das Komische milderer Art.

So sind z. B. die Naivitäten eines guten Kindes gelind komisch. Naiv ist ein überraschendes Hervortreten der Wahrheit, der lieben Natur mitten in der Welt der Hüllen und Phrasen. Ein großer Teil unserer Umgangsformen ist ja ein Haufen Lügen, ein künstliches Vexiersystem, das gar nicht zu ergründen ist. Wenn nun da plötzlich die Aufrichtigkeit hereingreift, so lächeln wir, aber wir sind zugleich gerührt, weil es uns anwandelt wie Heimweh nach der Wahrheit.

Besonders anmutig wird die Naivität, die liebe, heilige Einfalt bei weiblichem Liebreiz. Dafür ist ein Hauptbeispiel Goethes Gretchen in ihrer ersten Phase. An ihr ist kein falsches Aederchen, sie ist durchaus ehrlich, und wir teilen die Rührung Fausts, da er ihre Hand küßt und sie sagt: »sie ist so rauh etc.« Anmutige Naivität, das ist das Unwiderstehlichste am Weib.

Ferner die komische Idylle. In ihren friedlichen Bezirken lächeln wir liebevoll über die guten, schlichten Menschen, die mit so wenigem zufrieden sind. So z. B. über Murillos Bettelknaben, die sich in eine Ecke zurückgezogen haben mit ihren Brocken und nun glücklich sind wie Könige. In dieser Stimmung betrachten wir ferner die gemütlichen Haus- und Wiesenbildchen von unserem Ludwig Richter. Wie wohl ist es uns bei seinen Philistern, Bäuerlein, Kindern und Haustieren. Denken Sie auch an Anakreons Lied von der Cykade, an das vergnügte Schulmeisterlein Wutz von Jean Paul.

Aber auch mit dem Furchtbaren, Schauerlichen kann sich das Komische vereinen. Stoffe solcher Art liebt hauptsächlich der tiefere Humor; und schon bei den Alten sind sie da. Ein Beispiel findet sich bei Homer. Odysseus ist zurückgekommen. Athene verwandelt ihn in einen lumpigen Bettler. Sein Weib widersteht den Freiern. Diese prassen in seinem Hause und verhöhnen ihn. Ktesippos schleudert einen Kuhfuß nach ihm. Odysseus weicht aus und birgt mit schrecklichem Lächeln den Zorn. Sein Sohn Telemach, der ihn erkennt, antwortet mit trotzigen Reden und widersteht mannhaft. Ein Gemisch von Jubel und Schauer liegt in den Versen:

»Und schon lachten sie alle, verzerrt ihr grinsendes Antlitz.
Blutbesudeltes Fleisch nun aßen sie; aber die Augen
Waren mit Thränen erfüllt, und das Herz umschwebete Jammer.« (20, 345.)

Wie in unserer Welt die Gegensätze des Furchtbaren und des Komischen zusammenschießen können, das habe ich einst in Zürich erlebt, als während eines Maskenfestes eine Feuersbrunst ausbrach. Da waren Faschingsnarrheit und Tod aneinandergerückt. Als Hauptbeispiele dieser Gattung nenne auch ich die Kirchhofsscene im Hamlet, ein Meisterstück höchster Poesie, unendlich stimmungsvoll, und die Scene, wie der wahnsinnige Lear mit dem Narren in der Sturmnacht umherirrt. Dann diese Verbindung in einer Person! Richard III., ein Wüterich ohnegleichen und daneben ein Spaßmacher, ein Hanswurst der Hölle. So Mephistopheles: der Teufel – und der Teufel komisch.

Aber es ist nicht bloß Verbindung, die Gegensätze fließen ineinander über. Der zarte Baum wird zum starken, das anmutige Tier zum furchtbaren.

Sehen Sie nun, was alles eine große Tragödie von solchen Grundformen ästhetischer Wirkung vereinigt, welche Fülle! Gretchen ist zuerst reine Anmut in jenem anspruchslosen Sinn, rührend in ihrer Naivität. Wo sie neben Frau Martha erscheint, schimmert ihre reine Gestalt auf der Folie des Komischen. Aber durch ihre furchtbaren Leiden und Seelenkämpfe steigt sie dann ins Erhabene. Denken Sie an ihren erschütternden Ruf: »Heinrich, mir graut vor Dir!« Faust von Anfang an zerrissen von starken Konflikten, an einem Meer von unbefriedigten Geisteszwecken irrend. Neben ihm das Bild Wagners, eine Art von komischem Idyll. Die Schauer des Dämonischen in Mephisto.

Ebenso die Schattierung in der Tragödie Hamlet. Dieser für sich allein schon voller Gegensätze, die wirr ineinander überspringen, zerrissen und zerklüftet, eine tief tragisch-komische Natur. Der mörderische König, in dessen Gewissenqualen wir hineinsehen, von Hamlet ironisiert und mystifiziert. Im Hintergrunde aufragend der Geist. Dabei die anmutige Ophelia, die lieblich träumende, endlich wahnsinnige. So laufen ineinander die Fäden des Anmutig-Weichen, Komischen, Furchtbaren und Schaurigen. Eine solche Welt von Gegensätzen zu schildern, ist ein Meisterwerk.

Bis jetzt haben wir die allgemeinen Grundbegriffe und Grundformen des Schönen betrachtet, und nun wollen wir die subjektive Kraft betrachten, die seine Voraussetzung ist. Es ist ja kein Objekt, sondern ein Akt der Phantasie. Indem wir uns zu ihr wenden, kommen wir an den Punkt, wo der Uebergang zur Kunst zu nehmen ist.


 << zurück weiter >>