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Erster Teil.
Ueber die allgemeinen ästhetischen Begriffe.


§ 1.

Herkunft des Namens Aesthetik. Die Aesthetik ist die Wissenschaft des Schönen. Unter dem Begriff »schön« ist alles zu befassen, was die Aesthetik ihrer Aufgabe nach zu behandeln hat.

 

Der Name Aesthetik bezeichnet ursprünglich nicht, was er nach jetzigem Sprachgebrauch sagt. Das griechische Wort αἰσθάνεσθαι heißt eigentlich: sinnlich wahrnehmen und dabei empfinden, was sich von selbst mit dieser Wahrnehmung verbindet. Aesthetisch bedeutet also eigentlich das, was unsere sinnlichen Wahrnehmungen und Empfindungen betrifft. In höherem Gebiet hat das Wort zuerst Baumgarten gebraucht, ein Schüler des Philosophen Wolff. Er hat im Jahre 1750 ein Buch mit dem Titel Aesthetica geschrieben.

Dem guten Manne fehlte aber eine ganz wesentliche Bedingung, um das Schöne ganz zu erfassen. Den Namen Aesthetik haben wir wohl von ihm angenommen und lassen dahingestellt, ob er ganz passend ist, aber das, was er sich darunter dachte, ist beschränkt. Er hat in seiner Philosophie das Zeug nicht, um mit dem Begriff der sinnlichen Wahrnehmung etwas zu verbinden, ein Merkmal, ohne welches sie gar nicht in unser Gebiet gehört. In Kürze: Mit dem Schönen sind wir überall im Sinnlichen, aber nicht im gemeinen, sondern in einem Sinnlichen, in welches geheimnisvoll der höhere Lebensinhalt einströmt. Es handelt sich nur um seelenvolle Sinnlichkeit in der Aesthetik. Das Rätsel des Schönen besteht darin, daß es eine untrennbare Einheit von zwei Welten ist, vom Sinnenleben im vollsten Begriff des Worts und vom besten Inhalt des Geisteslebens.

Wir sagen: Aesthetik ist die Wissenschaft des Schönen. Was bedeutet nun aber eigentlich das Wort »schön«? Man hat es abgeleitet von Scheinen. Es wäre ganz nett, wenn diese Ableitung richtig wäre, denn wir sind mit dem Schönen ganz im Gebiete des Scheines. Schein ist dabei nicht im Gegensatz zu Wesen gedacht, sondern im großen, edlen Sinne.

Schön, mittelhochdeutsch schoene, althochdeutsch scôni ist Verbaladjektivum und kommt von der Wurzel skan, gotisch skavja althochdeutsch scouwôm, schauen, heißt also eigentlich schaubar, ersichlich, hell Wie das englische sheen., klar, glänzend. Namentlich bezeichnete man damit Reines, Sauberes Wie es heute noch bei den Holländern rein bedeutet., Unverletztes, dann auch Sehenswertes, Ansehnliches, endlich Wohlgefälliges, normale Gestalt, harmonische Erscheinung Nach Weigand ist für das Eigenschaftswort schön ein verlorenes althochdeutsches Zeitwort sckiunan, skionan = glänzen vorauszusetzen. Gotisch lautete es vermutlich skiuman; und man könnte sich daraus das Wort Schaum, als das sich oben aufsetzende Schimmernde erklären.. Bei schonem Tage heißt bei hellem Tage. Schon, nämlich bereits, bedeutet ursprünglich glattweg. In diesem Sinne sprach man auch von einer schönen Wunde. Den Wein »schönen«, das will sagen: den Wein klären. Vielleicht hängt auch das Verbum: schonen, bewahren, unversehrt halten, damit zusammen und das Substantivum Schonung, womit man eine zum Schutz vor Wild und Vieh eingefriedigte Waldfläche mit jungem Holz bezeichnet. Der Sinn, den wir dem Wort jetzt unterlegen, ist erst entstanden, nachdem man es auf das Schöne der Kunst angewendet hat. Die ursprüngliche Haupt-Bedeutung, rein, bezeichnet also nicht alle Züge der ästhetischen Form, aber einen doch sehr passend. Denn alles Schöne ist doch eben auch rein, und wenn es Schmutziges aufnehmen muß, so erscheint dieses doch nicht schmutzig.

Wir müssen nun aber auch danach fragen, womit es in fremden Sprachen bezeichnet wird. Das griechische καλός stammt wahrscheinlich von dem Sanskritworte kal-ja-s = gesund, angenehm, und gewann offenbar schon früh die Bedeutung, die wir heute mit »schön« verbinden. So bei Plato. Er sagt unterscheidend: die Seelen schauen die Urbilder des Wahren, des Guten, des Schönen. Heute aber bedeutet καλός ein Mittelding zwischen schön und gut, nämlich: recht, in dem Sinne: mach das recht. Für schön in unserem Sinne brauchen die Neugriechen das Wort εὔμορφος: wohlgestaltet, reif, harmonisch ausgewachsen.

Das lateinische pulcher stammt wahrscheinlich von derselben Wurzel wie fulgere und bedeutet etwas Glänzendes.

Bellus ist vermutlich aus benulus, dieses aus benus (= bonus) entstanden, und bezeichnet etwas, das so recht nett, ordentlich, hübsch ist. Daher beau und zum Teil das englische beautiful.

Das englische fair kommt von dem angelsächsischen faeger (ahd. fagar), was so viel wie: klar, fleckenlos, weiß, heiter, schimmernd heißt.

Also schön hat erst nach und nach die Bedeutung gewonnen, die wir jetzt damit verbinden, nämlich: in die Sinne leuchtend, aber mit dem Ausdruck des Ideals, des Tieferen.

Wir brauchen für unser wissenschaftliches Gebiet ein Wort, das alles umfaßt. So braucht die Moral das Wort gut. Und so gilt für alles, was die Aesthetik behandelt, das Wort schön. Dabei sind auch die scheinbaren Gegensätze des Schönen eingeschlossen, wobei ästhetische Lust durch vorübergehende Unlust erkauft wird.

Sie wissen, man hört oft in Galerien sagen: »nicht eben schön, aber charakteristisch ausdruckvoll«, und zwar urteilen wir so über Kunstwerke, die wir wirklich als solche ansehen. Es gibt eben im Schönen verschiedene Wendungen. Schön nennen wir daher auch, was mehr charakteristisch ist als »schön«. Derartiges ist, sozusagen, auf einem Umweg schön. Die Schönheit muß da in anderen Dingen, in anderen Teilen der Erscheinung liegen, als wo man sie sucht, wenn man nur auf Vollkommenheit der Gestalt ausgeht und nur »schöne« Menschen, Tiere, Bäume, Erdformen etc. sehen will. Wir unterscheiden direkte Idealisierung und indirekte Idealisierung. So z. B. beseligen uns Landschaften von Claude Lorrain mit hoher Anmut der Boden- und Wolkenlagerung, reinen Wasserspiegeln und höchst glücklich entwickelter Vegetation. Sie kennen den wunderbar silbernen Ton, womit er die Luft zu malen pflegt. Hingegen finden wir in Jakob Ruisdaels Gemälden fast immer eine düstere, ärmlich rauhe Natur. Da könnte man sagen: das ist nicht »schön«, aber stimmungsvoll, denn es sind erhabene Accorde darüber hingezogen. In das Gebiet des Schönen müssen wir jedoch einen Ruisdael, einen Dürer, Rubens, Rembrandt, Shakespeare ebenso unbedingt aufnehmen wie einen Claude Lorrain, einen Raphael, Sophokles. Auch das Furchtbare, Wilde, ungeschlacht Große, Schreckliche, Schauderhafte gehört ihm an, z. B. das Medusenhaupt und Shakespeares Richard III. Die Kunst bringt eine Welt von entsetzlichen Leiden des Körpers und der Seele; und sie ergreift uns damit ästhetisch. Das Schöne erzeugt aus sich selbst gegensätzliche Formen, die durch starke Kontraste wirken. So erzeugt es auch das Komische mit seinen Verkehrtheiten und Derbheiten. Wir bekommen im Komischen immer zuerst einen Schlag, doch dann die Lust. Man denke nur an Shakespeares Falstaff.

Wenn also »schön« im gewöhnlichen Leben nicht diese Bedeutung hat, so müssen wir eben seinen Begriff erweitern.


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