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§ 4.

Die Kunst muß sich in Künste teilen. Die inneren Gründe dieser Teilung führen zu einer Dreigliederung als der sachgemäßesten Anordnung:

1. Bildende Kunst. Material im Sinn körperlichen Stoffes. Raum. Gesichtssinn.

2. Musik. Von körperlichem Stoff ausgehender Ton. Zeit. Gehörsinn.

3. Dichtkunst. Die Sprache bloßes Vehikel, nicht mehr Material. Inneres Bild, also Gesamtheit der Sinne. Zeitform, doch in ihr räumliche innere Anschauung.

Die erste Gattung ist objektiv und beruht wesentlich auf der Phantasie als Anschauung; die zweite subjektiv, Kunst der fühlenden Phantasie; die dritte vereinigt objektiv und subjektiv, Kunst der Phantasie im engsten Sinne des Worts als vergeistigender Bildkraft.

Die bildende Kunst erweitert sich vermöge eines radikalen Unterschieds in den Auffassungsarten des Gesichtssinns zu einer Gruppe von drei Künsten: Baukunst, Skulptur, Malerei. Alle Künste sind aber nur formen einer Kunst, daher lebendiges Verhältnis derselben untereinander, daher Anlehnungen, gegenseitiges Leihen von Stoffen und organische Verbindungen.

 

Soll der Künstler sein inneres Bild in die Außenwelt versetzen, so braucht er ein bestimmtes Material. Dieses aber beschränkt ihn, und er kann damit nur eine Seite der Erscheinungswelt aufnehmen, die andere nicht. Diese notwendige Isolierung ist der nächste Grund der Teilung der Kunst in Künste. Jede Kunst hat ihren eigentümlichen Reichtum, aber eben darin liegt auch ihre eigentümliche Armut. Jede läßt uns etwas vermissen. Eine andere tritt an diese leere Stelle, ergänzt den Mangel durch ihr Vermögen; aber auch was wir durch sie gewinnen, ist erkauft mit einem Verlust an jener Schönheit, die hier durch die Isolierung auf diese Schönheit ausgeschlossen ist. So wird man weiter und weiter getrieben. So ergänzen sich die Künste gegenseitig.

Wollen Sie sich das Nähere vorstellen!

Wenn nur die Architektur wäre, diese großartige, herrliche Kunst, wie arm blieben doch ihre Räume! Sie wären nicht geschmückt mit Bildwerk, sie würden nicht von Farben strahlen, nicht von Melodien klingen.

Dann die Skulptur. Sie gibt die feste, greifliche Form der Körper, muß dagegen auf die Farbe verzichten. Zwar ihre älteren Werke sind großenteils polychrom; und es macht uns namentlich die unleugbare Thatsache zu schaffen, daß die Griechen ihre Statuen bemalt haben. Aber wenn sich das auch tausendmal erweisen läßt, so ist es doch nichts. Der Satz bleibt in Kraft: die Skulptur isoliert sich auf die Schönheit der Form und kann alles, was in der Form Schönes liegt, nur dadurch erschöpfen, daß sie der Farbe entsagt Vgl. oben S. 21, 202.. Sie will kein Werk schaffen, das uns wie eine Wachsfigur den Schein des Lebens vortäuscht Vgl. oben S. 249, 259.. Das geht nicht, ein für allemal nicht. Die Griechen – nun ja, die nahmen das anders, allein sie verfuhren dabei doch wohl recht behutsam und gaben dem Fleisch doch sicher nur einen Ton. Bemalen Sie dagegen eine Statue ganz und gar lebensgetreu, so sollen reflektierende Farbenlichter in die Schatten, verwischen die Feinheit der Formen und stören den vollen Eindruck. – Aber ich will jetzt nicht weiter hierauf eingehen.

Die Malerei greift zur Farbe und gibt uns mit ihr einen Schein auf der Fläche. Die volle, runde Form darzustellen, ist nicht ihre Sache. Ihr Zweck ist erreicht mit einem Opfer.

Jedoch beide miteinander, Skulptur und Malerei, obwohl Leben nachahmend, können keine Bewegung geben. Das heißt: beide geben zwar Gestalten, die bewegt erscheinen; wir sehen aber nur einen Moment ihre Bewegung. Dieser Moment ist im Bilde festgehalten, in einem Bilde, das an sich keinen Wandel hat. Das Ganze, der Fortgang der Bewegung bleibt ausgeschlossen, muß sich in der Vorstellung des Betrachters vollziehen.

Jetzt kommt die Musik. Diese gibt wirkliche Bewegung, denn sie arbeitet mit bewegten Tönen. Sie spricht damit zu unserem Gefühl. Aber sie kann keine Gegenstände darstellen, ein für allemal nicht. Wenn sie das doch thut, so kann sie es nur, indem sie sich mit der Schauspielkunst verbindet, also in der Oper. Die Musik kann nicht malen; und meint sie zu malen, so ist es nichts; sie malt nicht die Gegenstände, sondern bloß die Empfindungen, die man dabei haben kann. Da sagt z. B. einer: »ich stelle durch diese Komposition die Wüste dar,« aber, wenn wir es nicht wüßten, so würden wir nichts hören als Gruppen und Folgen von Tönen, die uns ungefähr den Eindruck des Oeden machen, und daß man sich dabei eine Wüste vorstellen müßte, ist unrichtig.

Unter Verzicht auf die anschauliche Welt hat also die Musik den bewegten Ton gewonnen. Und mit ihm den Ausdruck der inneren Gefühlsbewegungen. Diese sind hier aber gegenstandslos.

So einseitig, so sehr durch das Material bestimmt ist jede dieser Künste. Allein desto stärker wird der Mensch auch den Drang fühlen, sich vom Material zu befreien, die im Materiale liegende Beschränkung aufzuheben und eine Kunstform zu finden, die ein Material im strengen Sinn des Worts nicht hat, aber gerade dadurch fähig ist, alle Erscheinungsseiten der Welt mit ihrer Darstellung zu umfassen. Und dies führt zur Poesie.

Die Poesie gewinnt diese freie Allseitigkeit, weil sie nur an den inneren Sinn sich wendet. Damit ist freilich auch sofort wieder eingeräumt, daß sie diesen großen Vorteil mit einem großen Opfer erkauft, woraus die Lehre von dieser Kunst näher einzugehen hat.

Wie teilen wir die Künste ein? Das ist nun eine Frage, die ein höchst interessantes Verhältnis betrifft. Die Wissenschaft kann es nicht dulden, wenn man auf dem Standpunkt steht, wo man denkt: es gibt eben das und das und noch anderes mehr. Sie will ordnen und richtig ordnen. Die Dinge sollen in unserem Kopfe nicht kreuz und quer liegen, wie sie der Zufall und die Laune herumwirft. Die Wissenschaft ist nur dann pedantisch, wenn sie Zucht und Regel verlangt, wo es nicht hingehört, also in leichten Gesprächen. Mephistopheles sagt wohl:

»Dann lehret man euch manchen Tag,
Daß, was ihr sonst auf einen Schlag
Getrieben, wie Essen und Trinken frei,
Eins! Zwei! Drei! dazu nötig sei!«

Aber, wohl bemerkt, er, der Teufel sagt es, um dem Schüler die Wissenschaft zu entleiden.

Also Ordnung! Und nach welchem Prinzip? Als die natürlichste, die im Grund auch immer die leitende gewesen ist, bietet sich eine Zweiteilung der Künste in die Kategorien Raum und Zeit. Kant nennt sie die apriorischen Anschauungsformen.

An ihnen haben wir ja die ersten Grundlagen aller geistigen Ordnung. Um sich die Masse der sinnlichen Eindrücke als denkendes Wesen zurecht legen zu können, bringt jeder Mensch schon als Anlage mit sich zwei Rahmen, wo die Dinge hineinpassen. Der eine Rahmen ist der Raum, der andere die Zeit Von anderen Kategorien können wir hier absehen..

Im Raum, in ihrem räumlichen Verhältnis befinden sich die Dinge nebeneinander. Mehrere können nicht zugleich denselben Punkt einnehmen. Lessing (im Laokoon, wo er das ABC über den Grundunterschied der Künste lehrt) nennt dieses Verhältnis das koexistierende. Zeit ist das Verhältnis, wonach die Dinge sich folgen. Lessing nennt es das successive oder konsekutive Verhältnis.

In diese zwei Einteilungsfelder oder Fächer Sagen wir immerhin so! Es klingt trocken, aber solche Fachwerkeinteilung hat ihren Wert; daraus werden sich für die Kunst Gesetze ergeben, die von Tausenden vergessen und verletzt werden. Der Maler, der sie kennt, wird nicht Gegenstände malen, die nur der Poet darstellen kann. Und dieser wird nicht mit Worten geben wollen, was nur Sache des Malers ist. bringen Sie die Künste ganz leicht hinein. Also in das des Raums die bildenden Künste: Architektur, Skulptur und Malerei, weil ihre Werke da draußen stehen unter den Dingen, die es in der Welt gibt. In das der Zeit die Musik und die Poesie, weil sie successive verfahren, weil sie durch Folgen von Tönen und Worten Stimmungen und Vorstellungen erregen. Man sage dagegen nicht: eine Vielheit von Tönen kann sich gleichzeitig bewegen! Das Wesentliche ist hier dennoch die Fortbewegung, das konsekutive Verhältnis. Und wie die Musik, so bewegt sich die Sprache in der Zeitform. Der Dichter erzählt eine Handlung in einer Folge von Scenen, während der Bildhauer und der Maler bloß eine Handlung auf einem Bilde geben kann. Also kämen Musik und Poesie gemeinschaftlich in das eine Glied der Zweiteilung zu stehen.

Mit dieser Einteilung deckt sich eine andere, die früher die gewöhnlichste war und einfach darin bestand, daß man plastische oder optische Künste, die uns Formen geben für das Auge, und tonische oder akustische, auf das Gehör bezogene Künste unterschied. Zu den tonischen rechnet man dabei wieder neben der Musik die Poesie, weil ihr Darstellungsmittel die Sprache ist. Einige Aesthetiker geben nun dazu noch ein drittes Feld, auf dem sich plastische und tonische, oder also räumliche und zeitliche Künste verbinden. Diesem sprechen sie die Tanzkunst zu und die Schauspielkunst.

Aber wir brauchen nicht mehr zu beweisen, daß diese Künste nicht mit den anderen koordiniert werden dürfen, nachdem von uns erkannt worden ist, daß die echte, eigentliche, selbständige Kunst nur in totem Material arbeitet.

Die Tanzkunst werden wir nicht unterschätzen; und es ist selbstverständlich, daß man bei Tanz in der Aesthetik nicht zu denken hat an unsere Gesellschaftstänze, wobei man Arm in Arm miteinander herumstiegt. Diese kommen hier gar nicht in Betracht, denn sie haben bloß den Wert eines Unterhaltungsspaßes, nicht einer Darstellung. Aber auch unser Ballett ist nur ein elend verkrüppelter Nachkömmling der alten Volkstänze. Die Griechen verstanden darunter nicht sowohl einen persönlichen Genuß als eine Darstellung für den Kreis der Betrachter. Allein so gewiß auch der Tanz einst etwas Schöneres war als er jetzt ist, so gewiß bleibt doch, daß er nicht auf gleicher Höhe steht mit den eigentlichen Künsten, deren Ueberlegenheit eben darin begründet ist, daß sie mit totem, und deshalb ganz parierendem, nicht wie der Tanz, mit lebendigem Material wirken. Und dasselbe gilt, wie gesagt, von der Schauspielkunst. Alle Ehre davor! Sie ist die bedeutendste unter den abhängigen Künsten, aber auch nur dies; sie erreicht nicht den Rang der selbständigen Vgl. oben S. 229..

Wir können also diese Dreiteilung nicht billigen. Dagegen gibt es eine andere Dreiteilung, die ihren triftigen Grund hat.

Sehen wir einmal jene ältere Disposition etwas näher an! Sie stellt Musik und Poesie als die tonischen, in der Zeitform operierenden Künste in ein Feld zusammen. Ist das wirklich gerechtfertigt? Auf den ersten Blick ist klar, daß in der Dichtkunst der Ton nicht die Bedeutung hat wie in der Musik. Sie schildert zwar mit Worten, und Worte folgen einander. Aber ihr innerer Schöpfer und Träger, der Geist, bewegt sich nicht im Raum wie die Tonwelle. Aber was leistet die Poesie in. dieser den Zeitgesetzen angehörigen Darstellungsweise? Sitzt ihre Schönheit nur in der Sprachform, wie sie beim Musiker in der Bewegung des Tones selbst liegt? Sie offenbart mit Hülfe des Wortes dem inneren Auge Bilder von Gegenständen der räumlichen Welt. Sie unterscheidet sich von der Musik wesentlich dadurch, daß sie im Hörer oder Leser Vorstellungen von Gestalten, Scenen, Landschaften weckt, und die schöne Form ihrer Sprache soll nur mitwirken im Dienste der hier herrschenden Schönheit. Diese aber sitzt hier in den geistigen Anschauungen der Phantasie. So ist dem inneren Leben die Raumwelt erschlossen mit der Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungen. Dies kann die Musik nicht. Deshalb tritt die Poesie aus ihrer Nachbarschaft heraus und bildet eine Gattung für sich.

Ich will Ihnen ein Beispiel geben aus der Lyrik, die in ihrem ganzen Wesen so musikverwandt und doch so tief schauend ist, ein durch und durch lyrisches Gedicht, Mörikes Lied: »Das verlassene Mägdlein.« Nehmen Sie nur den Anfang:

»Früh, wann die Hähne krähn,
Eh' die Sternlein verschwinden,
Muß ich am Herde stehn,
Muß Feuer zünden.«

Da haben Sie doch ein Bild. Sie sehen eine Küche, einen Herd, ein Mädchen dabei.

Oder denken Sie an »Schäfers Klagelied« von Goethe:

»Da droben auf jenem Berge,
Da steh' ich tausendmal,
An meinen Stabe gebogen,
Und schaue hinab in das Thal.«

Da steht vor Ihrem inneren Aug' ein melancholischer Hirte.

Wir haben ja gesehen: alle Sinnesverrichtungen kommen doppelt vor, einmal wirklich, wenn der Gegenstand zugegen ist, dann in der Phantasie als Erinnerungsbild. Aus irgend einem Anlaß taucht es plötzlich in uns auf, aber wir können es auch mit unserem Willen produzieren. Also es gibt ein Sehen, Tasten, Hören der ins Innere zurückgeschlagenen Sinne, und für diese innere camera obscura arbeitet die Poesie. Sie bringt Reihenfolgen von geistig angeschauten Bildern, die aus ganzen Gruppen von Gegenständen, Gebäuden, Menschen u. s. w. bestehen. Die Schauspielkunst stellt das für das äußere Auge und Ohr dar. Aber wenn wir ein Drama nur lesen, so müßten wir ganz stumpf sein, wenn die Handlung mit ihren Personen und Scenen nicht unserer Phantasie gegenwärtig würde. Dies macht nun einen so starken Unterschied von der Musik, daß wir die Poesie, von ihr getrennt, als eine Kunst für sich nehmen müssen. Und so bekommen wir eine Dreiteilung, die berechtigter ist und sich schöner aufbaut.

Auf der ersten Stufe haben wir also die bildenden Künste. Ihr Material ist greifbarer, körperlicher Stoff. Die Grundanschauung, innerhalb der sie darstellen, ist der Raum. Sie breiten vor uns aus die sichtbare, strahlende Welt. Ihr Licht ist natürliches Licht oder in das Bild hineingemalt. Die geistigen Kräfte, denen sie entspringen, sind auf scharfes Erfassen von Formen und Farben organisiert.

Die Kunst der zweiten Stufe, die Musik, resorbiert die ganze Welt der sichtbaren Gegenstände, zieht sie ins Innere der Seele zurück, saugt sie bis zu voller Lösung ein und ist bloß Stimmung. In ihr kehrt sich das Gemüt ganz ab von den zerstreuenden Eindrücken der Erscheinungen, um tief in sich zu gehen, dem eigenen Empfindungsleben zu lauschen und mit sich selber allein zu sein. Wer vorzüglich stimmungsvoll auffaßt, wird sich am liebsten ans Gehör wenden, denn dieses ist ja der eigentlichste Sinn der Intimität. Die Musik wird so das Echo der Welt in der menschlichen Seele.

Die Kunst der dritten Stufe, die höchste, geistigste, die Poesie eröffnet dem inneren Sinne wieder das ganze Reich der sichtbaren Erscheinungen Vgl. S. 23.. Diese leben nun im anderen Licht und Zusammenhang des Seelenlebens von neuem auf als geistig durcharbeitete und von Gedanken umwobene Gebilde. Sie stellt mit Worten dar, benutzt also kein Material mehr im eigentlichen Sinne. – Dies ist schon festgestellt und bedarf kaum einer näheren Begründung Vgl. S. 22, 225.. – Ihre Worte brauchen nicht physisch gehört zu werden, man kann sie auch nur lesen. Zwar muß ich auch beim Lesen noch den Klang der Sprache in mir hören, aber diese ist für den Dichter doch nicht das, was für den bildenden Künstler Stein, Erz, Farbe, und nicht das, was für den Musiker der Ton ist. Die Schönheit seines Werks liegt eben keineswegs bloß in der Sprache. Was er geben will, ist ein Bild für unser Inneres; er braucht dazu die Sprache nur als ein Fahrzeug, seine Vorstellung zu uns hinüberzubringen Daher kann sich die Poesie auch der Prosa bedienen. Dies ist ein feiner Punkt, der an seinem Ort recht ausführlich besprochen werden will..

Und welche Bedeutung hat in der Musik das Instrument? Es gilt nur, solange es zittert, und nur dieses Zittern wird verwendet. Hier also fängt das Material schon an zu verschwinden. Bei der Poesie ist es endlich ganz beseitigt, denn des Dichters Material ist die Phantasie der Zuhörer oder Leser.

Und jetzt können wir auch die Begriffe objektiv und subjektiv anwenden; jetzt erklärt sich ganz leicht und einfach diese Terminologie, die wir in keiner Wissenschaft entbehren können. Sie erkennen sofort: die bildenden Künste sind sich gleich darin, daß sie Gegenstände mit körperlichem Material für das Auge darstellen, so daß ihre Werke draußen im Raume stehen. Sie kommen zu einem Palast, der Ihnen die Pracht seiner Fassade entgegenhält; Sie treten in einen Saal, da steht eine Statue vor Ihnen, da fesselt Ihren Blick ein Gemälde an der Wand. Dies nennt man doch im nächsten Sinne objektiv. Ein Objekt ist eben, was ich außer mir finde, ein äußerer Gegenstand. Und so versteht sich das Wesen und Schaffen des Architekten, Malers, Bildhauers als ein objektives.

Die Musik dagegen ist durch und durch subjektiv. Auch wer nicht viel sich den Kopf zerbrochen hat über dieses Wort, kann den Grund leicht einsehen. Subjektiv ist doch, was so recht meinem Inneren angehört, also das Gegenteil von allem dem, was äußerer Eindruck ist, ein Gemütszustand, wobei ich intim in mir selber bin. So verhalte ich mich im Gefühlsleben. Und so in der Musik, die ja mit ihren Tönen nur Gefühle, nur Stimmungen ausdrückt und keine Objekte, kein Bild geben kann, wenn sie sich nicht mit der Poesie verbindet.

Wenn es nun wahr ist von der Poesie, daß sie die sichtbare Welt mit ihren Objekten unserem inneren Auge wieder aufstrahlen läßt und zugleich diese Objekte mit dem inneren Geistesleben tiefer zusammenbringt, so ist es leicht zu verstehen, wenn ich sage, daß die Poesie, wie sie Zeitfolge und Raumfolge eint, so auch subjektiv und objektiv zugleich ist, subjektiv, weil sie aus der Tiefe des Geistes kommt, und objektiv, weil sie dem inneren Auge Gegenstände malt.

Es ist nun selbstverständlich, daß wir mit dieser Dreigliederung nur ein logisches Verhältnis, nicht den geschichtlichen Gang geben. Wir bringen darin zuletzt, was in der Geschichte doch sogleich hervortritt. Die Poesie, als die relativ müheloseste, ist wohl neben der Baukunst, als der am frühesten notwendigen, die älteste Kunst. Die Sprache liegt ja dem Menschen jeden Augenblick zunächst, gehorcht ihm am ersten, um Gefühle auszudrücken, und verbindet sich so leicht mit der Musik, die wohl ebenso alt ist, so daß dann beide das begründen, was wir naive Kunst nannten, Kunst vor der Kunst. Unsere Einteilung und der Gang der Entwickelung stimmen also nicht überein. Das thut aber nichts; es kann wohl kommen, daß wir logisch als das letzte setzen müssen, was historisch das erste ist. Die wahre, volle, vertiefte Poesie ist dann übrigens später als alle anderen Künste entstanden, das künstlerisch durchgearbeitete Drama erst, nachdem Architektur, Plastik, Malerei und Musik Blütestände erreicht hatten. So ist die Umkehrung noch mehr begründet, so erscheint unser Stufenbau doch auch wieder historisch gerechtfertigt.

Wir haben darin bisher bloß drei Gattungen unterschieden: bildende Kunst, Musik, Poesie, als ob Architektur, Plastik, Malerei bloß Zweige am Baum des ersten Gebiets, bloß Arten der Gattung wären, die wir bildende Künste nennen. In Wahrheit sind sie selbständige Gattungen. Allein sie haben eben das Gemeinsame, daß sie mit körperlichem Stoffe Sichtbares im Raum darstellen. So erscheint die Fünfzahl doch wieder im Grunde dreiteilig, wie die menschliche Hand.

Wir wollen uns nun aber die innere Ursache klar machen, woraus die Verschiedenheit der drei Künste des ersten Gebietes zu erklären ist. Sie liegt im Wesen der Anschauung. Es gibt verschiedene Arten zu sehen. Das Auge des geborenen Architekten achtet vor allem auf die Verhältnisse; er hat den messenden Blick. Und wer so angelegt ist, daß er vorzüglich die organische Form als solche erfaßt, dem wird an einer Gestalt irgend ein Mangel des Wuchses, irgend eine verkümmerte, verzogene Bildung, zu langer oder zu kurzer Rumpf, schiefer Mund u. dergl. so genieren, daß keine noch so blühende Farbe, kein noch so reizendes Mienenspiel ihm das verdecken und annehmbar machen kann; er sieht sogleich darauf. Die Form als Form bleibt sein Augenmerk. Das ist der geborene Bildhauer. Andere dagegen sehen malerisch und werden geneigt sein, sich mit einem Mangel in der Gestalt zu versöhnen, wenn nur die Farbe und der Ausdruck schön ist.

Auch für den Laien kann es ungemein bedeutend werden, daß er sich davon Rechenschaft gibt. Nordländer, Deutsche, die nach Italien kommen, hört man viel klagen, daß sie die gerühmte Schönheit der italienischen Frauen nicht finden können. Es sind Leute, die malerisch sehen. Wer aber darauf achtet, wie z. B. ein Nacken aufgesetzt ist, der wird sich dort nicht beschweren über Mangel an Schönheit; er sieht eben plastisch. Wir müssen für die südländische Natur erst plastisch fühlen lernen. Nur wer das nicht gelernt hat, wird auf den Bergen Griechenlands und Italiens unser saftiges Grün suchen und enttäuscht sein, weil er es nicht findet.

Die Unterschiede der Auffassung wären ferner in den übrigen Künsten zu verfolgen, namentlich in der Poesie. Diese Kunst zerlegt sich entschiedener und begreiflicher als jede andere in drei Zweige: in Epik, Lyrik, Dramatik. Wir werden erkennen, wie sich darin die übrigen Künste gewissermaßen wiederholen.

Es gibt also sieben Künste, wenn Sie wollen, doch im Grunde reduzieren sie sich auf drei. So unterscheiden wir sieben Farben der prismatischen Strahlenbrechung des Lichts und drei Kardinalfarben. In allem, was ist, teilt sich der Kreis einer Einheit in Radien. Das nächste Beispiel haben wir an der Differenz unserer leiblichen Organe. Denken Sie ferner an die Temperamente, womit die Menschen in ihrer Grundstimmung voneinander abweichen! Nicht anders verhält es sich mit den Auffassungsarten der Phantasie, und darin ist ja die Teilung der Künste begründet. Aber durch alle Glieder fließt dasselbe Blut. Und wie in jedem der verschiedenen Temperamente, so wirkt in jeder der besonderen Gaben, die den verschiedenen Künsten zu Grunde liegen, doch immer die eine, unverkürzte Menschenseele – nur in verschiedener Weise. Wie in allen Farben das eine Licht waltet, so verkörpert sich in allen Künsten doch bloß die eine Kunst; obwohl ihr Unterschied fix besteht, sind sie miteinander doch ein Organismus und von demselben Lebensstrom durchdrungen.

Nehmen Sie das einmal etwas näher! Sehen Sie hinein in das innere Verhältnis der aufgeführten Künste, so betrifft Sie eine merkwürdig tiefe Verwandtschaft von Architektur und Musik. Wer ein monumentales Gebäude formsinnig anschaut, der hat ein Gefühl, als fange es an zu klingen. Bekannt ist die Sage der alten Griechen, die Steine der Mauern von Theben haben sich von selbst zusammengefügt, angelockt vom Lyraspiel Amphions. Es ist etwas keck, aber wahr, wenn Wilhelm Schlegel die Baukunst eine gefrorene Musik nennt. Man könnte vielleicht auch sagen, die Musik sei eine aufgetaute Baukunst; aber das wäre zu spielend. Der Gegensatz dieser Künste ist doch so groß. Die eine steht starr im Raum, die andere schwebt unendlich wechselreich in der Luft. Und trotzdem sind sie eigentümlich verwandt.

Sodann bedenken Sie: von der Architektur werden Bilder herübergenommen in alle Künste. Wir brauchen gern den Ausdruck Bau, wir sagen: der Körper dieses Menschen ist schön gebaut, diese Landschaft, diese Gruppe baut sich harmonisch auf. Bau nennen wir nicht nur die Form und innere Ordnung eines Musikwerks, auch der Dichter »baut« seine Verse und Strophen, seine Komposition, seine Akte.

Etwas der Musik Verwandtes ist ferner nicht nur in der Architektur, sondern auch in den übrigen Künsten. Man sagt oft von einer Landschaft, sie sei musikalisch, von schön geformten Bergen, sie bewegen sich musikalisch, rhythmisch. Die griechischen Bildhauer nannten die Proportion der menschlichen Gestalt Rhythmos. Und in der Malerei, wie gern und mit wieviel Grund sprechen wir da von Konsonanz und Dissonanz der Farben, die so sehr an Klänge erinnern! Wir gebrauchen den Ausdruck: Farbentöne, Farbenaccorde, wie wir andererseits in der Musik von Klangfarben reden. Es tragen sich die Begriffe von einer Kunst immer wiederum auf die andere über, und dieser Wechselbezug, dieser tiefe Zusammenhang beruht auf der Wahlverwandtschaft unserer Sinne. Wenden Sie die Musik auf die Poesie an, so erscheint nicht bloß die Lyrik mit ihr verwandt und einladend, von ihr begleitet zu werden. Auch mit dem Epos und Drama kann sie sich verbinden, und auf alle Poesie wird man gern musikalische Begriffe anwenden. So pflegt man eine sanfte Stelle in einem Gedichte oder Schauspiel ein Adagio zu nennen.

Endlich die Poesie selbst als Wertbegriff der übrigen Künste. In allen kann man für etwas Wohlgefälliges, unmittelbar Bewegendes das Prädikat poetisch brauchen. Doch man darf das nur behutsam thun. Man sagt: diese Landschaft, diese Gruppe, dieses Gebäude ist voller Poesie. –

So spielen Rapporte zwischen allen Künsten hinüber und herüber und zeigen, daß in ihnen eine Seele waltet. Man kann sie daher auch anders einteilen als ich. Bloß mit der Zweiteilung ist es ein für allemal nichts.

Hegel In seiner zu wenig mehr gelesenen Aesthetik. Darin ist zwar vieles ein überwundener Standpunkt, aber auch so manche von einer wahren Pracht künstlerischer Anschauung erfüllte Partie, die Sie bei diesem angeblich so trockenen Philosophen sehr überraschen wird. ordnet so:

  1. Die Architektur, die er – vielleicht nicht ganz glücklich – symbolisch nennt, weil sie im Grunde sinnbildlich wirke.
  2. Die Skulptur. Sie ist ihm die satteste aller Künste, die wahrhaft klassische, weil hier Ausdruck und Form das reinste Gleichgewicht haben. Und dies ist wahr, denn in einem echten Bildwerk erscheint die leibliche und die seelische Existenz als ein Wesen, das wie ein unteilbarer Guß durch und durch in sich verbunden und geschlossen ist. Wer meint, er dürfe vor einer Statue nur auf das Gesicht sehen, versteht die Plastik nicht. Die ganze Gestalt muß man betrachten; ihr Ausdruck liegt nicht bloß im Gesicht, sondern in allen Teilen. Es ist ein bis zum Rande volles Gefäß, nicht unter-, noch überfüllt und nicht schwankend.
  3. Malerei, Musik und Poesie. Diese Künste, welche hier miteinander ein einziges Fach bilden, nennt er die romantischen, weil in ihnen der geistige Ausdruck die körperliche Form überwiege. – Romantisch nennen wir das Phantasieleben des Mittelalters, denn es neigt zu Formen, die uns den Eindruck machen, als wiesen sie auf einen unendlichen Hintergrund. Hegel bringt nun diesen historischen Terminus in eine einfach logische Disposition von Grundbegriffen. Aber da gehört er nicht hinein.

Christ. Hermann Weiße gliedert so: 1. Die Musik, die Kunst der bloßen Empfindung, die körperlose Seele aller Kunst. 2. Sie gewinnt Körper in den bildenden Künsten. 3. Sie nimmt die ganze sichtbare Welt wieder zurück in sich, um sie geistig ganz zu durchdringen in der Poesie. Diese Anordnung ist fein, würde sich aber doch nicht empfehlen Siehe oben S. 81..

Eine andere wäre wieder zweigliederig: 1. Architektur und Musik. Beide abstrakt, abgezogen von der Welt der Gegenstände; beide ohne eigentliches Vorbild in der Natur, also nicht nachahmende Künste. 2. Skulptur, Malerei und Poesie, die realen Künste. Da bekommt man nun wieder interessante Parallelen, denn die Architektur im ersten Glied ist verwandt mit der Skulptur im zweiten und die Musik mit der Malerei.

Das Angeführte reicht hin, um zu zeigen, daß die Künste im Grunde bloß eine Kunst sind.

Diese ihre lebendige Einheit bewirkt nun, daß sie sich aneinander anlehnen. Die Architektur gibt ja die Stätte her für alle übrigen Künste und erweist sich auch deshalb als die Fundamentalkunst. Denken Sie nur an den Skulpturschmuck des Parthenon! Da sehen wir die ganze Bevölkerung Athens in feierlichem Zuge vorüberziehen, ihrer Göttin die Festgeschenke zu überbringen. Denken Sie ferner an die Fresken der sixtinischen Kapelle! Dieses Verhältnis der Skulptur und Malerei zur Baukunst ist sehr wichtig; daraus erwachsen große Ideenreihen.

Die Malerei lehnt sich an die Poesie. In der Illustration von Büchern hat ja die deutsche Malerei des 16. Jahrhunderts fast mehr von ihrem Geiste entwickelt als in selbständigen Werken.

Es gibt aber auch Entlehnungen von Stoffen. Das hat zweierlei Bedeutung. Es geschieht entweder zum Zweck des Nachbildens oder des Umbildens.

Eine Kunst kann das Werk einer anderen nachzuahmen suchen. So kann der Maler mit seinen anderen Mitteln und zu seinem anderen Zweck das Aeußere und Innere von Gebäuden wiedergeben. – Auch Statuen werden zuweilen in Gemälden abgebildet. Doch das hat nur geringen, nebensächlichen Wert. – Der Dichter kann Paläste, Hütten, Kirchen, Bilder zu schildern suchen, aber es wird sehr schwach ausfallen, und wenn er gar Musik beschreibt, noch schwächer.

Aber auch zu voller Verarbeitung leihen die Künste einander Stoff, der schon von ihnen geformt ist. Wie sehr dient Malern und Bildhauern die Poesie zur Fundgrube! Was haben sie nicht alles aus der Ilias und Odyssee geschöpft. In der Lesche der Knidier zu Ephesos war von Polygnot die Eroberung Trojas und Odysseus im Hades dargestellt. Die Laokoongruppe ist frei nach Schilderungen von Sophokles, Virgil u. a. gebildet. Mit Dichterscenen ausgemalt sind die Residenzen in München, Weimar, Stuttgart und das Schloß Hohenschwangau.

Andererseits erhält die Poesie dann wieder Motive von der Malerei und Plastik. Und innerhalb ihrer selbst, unter ihren Arten findet ein reger Austausch statt. Wie viel verdankt z. B. das Drama dem Epos! So wird hinüber und herüber gereicht auf jede mögliche Weise.

Endlich die Verbindungen, die wir von den Anlehnungen wohl unterscheiden müssen. Da gilt nun der Satz: Nie können sich zwei Künste so vereinigen, daß jede von beiden ihr ganzes Wesen selbständig zeigt, sondern eine von beiden muß untergeordnet sein, oder nur Motive darbieten.

Malerei und Skulptur verbinden sich, aber nicht gleichwertig. Wir haben uns schon gesagt: Die Malerei darf dabei nicht mit vollem Kolorit, sondern nur sehr unselbständig auftreten Vgl. oben S. 202, 249, 259, 287.. Eine Statue verträgt nur einen Anflug von Kolorit; sowie Sie mehr geben wollen, entsteht etwas wie eine Wachsfigur.

Poesie und bildende Kunst können wohl zusammentreten, aber das Wort führt schneller voran als die äußere Erscheinung.

Unmöglich ist es, Musik und Malerei zu vereinen; sie wollen verschiedene Zeiten und Momente der Wirkung. Aus der bekannten Raffinerie unserer Zeit hat man es zwar versucht, also zu Gemälden Tonstücke gespielt. Aber das taugt nichts. Auge und Ohr sind zwei ganz verschiedene Sinne; was dem einen recht kommt, das stört den anderen. Wenn ich Musik höre, so muß meine ganze Seele hierfür gesammelt sein, und was dabei zu sehen ist, zerstreut nur. Die Musik wirft mich in mich zurück, in einen Stimmungszustand, und dieser ist nicht vereinbar mit objektiver Anschauung. Es geht nicht zusammen.

Dagegen hören wir gerne Musik im Anblick rhythmisch bewegter Gestalten; sie paßt zum Tanz Vgl. S. 291..

Eine schöne Vollverbindung von Künsten haben Sie im Theater. Da stellt der Architekt den Raum, der Maler die Dekoration. Der Dichter verfaßt den Text des Dramas. Die Schauspieler bringen die von ihm erfundenen Charaktere und Scenen leibhaft vor Augen. Und das Orchester gibt stimmungsvolle Musik dazu. Aber an der Spitze dieses Bundes muß der Dichter stehen; seine Kunst muß vorwalten.

In der Oper jedoch, da tritt er zurück. Ein Operntext soll nicht einmal besonders poetisch sein, denn hier ist die Musik die Hauptsache.

Es gibt überhaupt keine Verbindung von Künsten, worin nicht eine von ihnen herrscht. Richard Wagners Kunstwerk der Zukunft, d. h. eine Oper, worin sämtliche Künste gleichwertig vorkommen sollen, ist ein Phantom, ein Ungeheuer, eine Strapaze, seine Theorie der theatralischen Allkunst, worin die einzelnen Künste aufgehen sollen, ein utopischer Wahn. Einer der Künste gebührt stets der Vortritt, die führende Gewalt; die übrigen mögen folgen und dienen, soweit es ihnen zukommt.


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