Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ich warf noch einen Blick auf die Gruppe in der Kajüte des »Fram«, dann stürzte ich mit meinen Waffen auf Deck.
Der »Fram« lief westwärts mit dem Wind. Wir steuerten gerade nach dem Punkt, wo die Kluft in den Sandhügeln den Auslauf des Sees bezeichnete.
Es blies eine feine Brise und die Segel waren dicht vom Tau, sodaß der Kutter mit guter Schnelligkeit durchs Wasser glitt. Aber der erste Blick überzeugte mich, daß das Boot uns näher kam. Es schien eine lange, leichtgebaute Gig zu sein; wir konnten sechs Ruder auf jeder Seite unterscheiden. Monk saß im Steuerraum des »Fram«. Henriksen beschäftigte sich mit dem Topsegel auf dem Hüttendach. Ich griff mit zu und ein paar Minuten später war es gesetzt. Es war ein großes Segel, und mit dem Wind zog es ausgezeichnet.
Das wußte ich, murmelte Henriksen und rieb sich vergnügt die Hände. Nun entgehen wir ihnen! –
Das schien einstweilen auch der Fall zu sein; aber der Wind war nicht ganz stetig, und wenn er ein wenig abflaute, so gewann das Boot wieder Vorsprung.
So ging es eine halbe Stunde lang, und wenn man es genau berechnete, so war die Entfernung zwischen uns und der Schaluppe kleiner geworden, fast um die Hälfte.
Wir saßen alle drei achteraus und besprachen unsere Lage. Eine Gestalt erschien auf der Kajütentreppe. Es war Holt; er warf zuerst einen Blick ringsum auf die See, die Segel und unsere Verfolger; dann nickte er uns mit einem vergnügten Lächeln zu, obschon sein Gesicht im Mondlicht etwas bleich erschien.
Bravo, Holt! Aber meinst du nicht, daß es am besten wäre, wenn du drunten bliebest, – so übel, wie du dich befunden hast?
Befunden hast, ja; aber nun ist es vorüber. Ich bin nur ein wenig matt in den Knien und der linke Arm ist unbrauchbar. Aber man behilft sich mit dem rechten. Ich hörte, daß ihr von Verfolgung sprachet und da mußte ich herauf. Ich habe sie bewogen, sich auf das Sofa zu legen, sie ahnt keine Gefahr. –
Ein scharfer Knall ließ sich hören und gleich darauf vernahm man das Pfeifen einer Gewehrkugel. Sie schlug eine Strecke weiter zur Rechten vor dem Kutter ein. Dem Schuß folgte ein brüllender Anruf aus dem Boot hinter uns. Die Worte konnten nicht unterschieden werden, aber der Sinn war deutlich.
Gut, daß wir bald am Auslauf sind, bemerkte Monk, während wir uns alle unwillkürlich duckten. Nur Henriksen, der wieder das Ruder ergriffen hatte, mußte dann und wann aus der Steuerluke blicken, um den Kurs einzuhalten. Es kamen übrigens keine Kugeln mehr. Der Feind hatte sich wohl entschlossen, noch eine Weile mit dem Feuern zu warten. Holt reckte den Kopf in die Höhe und sah sich um.
So geht es nicht. Wir sind zwar nur einige Kabellängen vom Auslauf entfernt, aber in dem engen Sund zwischen den Sandbänken ist der Wind abgeflaut und binnen einer Viertelstunde würden sie uns eingeholt haben. Bleibt sitzen und haltet euch bereit, die Waffen zu gebrauchen, aber nicht früher als nötig. Wir wollen nur in der höchsten Not Blut vergießen. Und Holt kletterte hinab in den Steuerraum zu Henriksen.
Plötzlich wurde das Ruder des »Fram« hart niedergelegt. Der Kutter machte eine scharfe Wendung, lotrecht zu unserem bisherigen Kurs. Die Verfolger stellten das Rudern einen Augenblick ein; dann aber griffen sie wieder zu den Riemen und das Boot drehte in schräger Richtung auf, um uns den Rückzug abzuschneiden. Wir fuhren jetzt nicht ganz so schnell bei dem Wind wie wir es mit halbem Wind getan, und der Abstand verminderte sich zusehends. Da – wieder eine scharfe Wendung des »Fram« und unser Steven wies nun gerade nach dem Boot der Verfolger. Diese konnten nur zwei bis drei Kabellängen von uns entfernt sein, das heißt, etwa 500 Meter. Wir erkannten deutlich die Ruderer und sahen ein paar Mann im Boot; sie standen aufrecht.
Blickt nicht über die Reling! rief Holt; er und Henriksen bückten sich plötzlich.
Ein Knall – dann noch einer und ein pfeifendes Geräusch über unsern Köpfen, während ein schwacher Schlag wie von einem kleinen Hammer auf Holz verkündete, daß eine Kugel sich in den Bug des Kutters gebohrt hatte.
Willst du sie in den Grund rennen?
Nein, das würde zu gefährlich sein; wir fahren nicht so schnell, daß nicht die meisten von ihnen während des Zusammenstoßes an Bord klettern könnten, aber ich hoffe, ihnen einen andern Streich spielen zu können!
Es knallten keine weiteren Schüsse mehr. Die Verfolger begriffen wohl, daß der Bug des Kutters um vieles höher war, sodaß uns kein Schuß erreichen konnte. Wir waren jetzt nicht mehr als 2 bis 300 Meter von ihnen entfernt.
Seht da! rief Holt eifrig. Jetzt tun sie gerade, was ich erwartet habe!
Wir blickten auf: unsere Feinde, hatten ihr Boot mit dem Achterende gegen uns gewendet und ruderten ganz leicht in der gleichen Richtung, in der unser Kutter lief. Ihr Manöver war listig genug; denn dadurch wurden sie instandgesetzt, den Zusammenstoß nach Möglichkeit abzuschwächen oder ihn ganz zu vermeiden. Wie ich vorhin erwähnt habe, stand es in ihrer Macht, ihr Boot mit größerer Schnelligkeit vorwärts zu treiben, als unser Kutter segeln konnte.
Wir waren nur noch 50 Meter weit voneinander.
Laßt uns an Bord kommen, wenn euch euer Leben lieb ist! rief eine Stimme vom Achterende des Bootes, wo ein Mann hoch aufgerichtet stand.
Keine Antwort. Er ließ seine Ruderer noch einige Züge machen, um das Boot vorwärts zu treiben.
Die Entfernung zwischen uns betrug nur noch wenige Meter. Der Mann achteraus schien unsere Absicht zu ahnen. Holt hatte nämlich das Ruder zuerst ein wenig aufgelegt, sodaß die Segel des Kutters gut voll standen, dann legte er es plötzlich nieder und das Fahrzeug drehte mit gewaltiger Schnelligkeit und spielenden Segeln im Wind. Jener stieß nun plötzlich einen Befehl aus, worauf die Ruderer versuchten, die schweren Ruder einzuziehen, – – – aber es war schon zu spät: der Seite des Bootes entlang schoß der »Fram« wie ein Pfeil, Ruder um Ruder zerschmetternd, während die Rudermannschaft zwischen die Bänke taumelte und das kleine Fahrzeug überkrängte, sodaß das Wasser hineinflutete.
Einige der Männer feuerten ihre Schußwaffen ab; doch auf dem »Fram« war kein Kopf über der Reling zu sehen, und die Kugeln fuhren unschädlich durch die Segel oder bohrten sich in die guten Eichenplanken der Arche ein, wo sie noch zu sehen sind, denn der Eigentümer des Kutters will sie nicht entfernen. Zwei Bootshaken erreichten uns im Vorüberfahren, wurden aber den Leuten aus den. Händen gerissen und blieben in den Wanten des Kutters hängen. – Gegenwärtig zieren sie das Vorzimmer meines Hauses.
Lustige Krabbenfischerei »Eine Krabbenfischerei« sagen die Seeleute, wenn ein Ruderer sein Ruder verkehrt ins Wasser setzt und von der Ruderbank rücklings überfällt. dort an Bord! bemerkte Henriksen mit einem kichernden Lachen. Er kauerte neben Holt im Steuerraum, indes Monk und ich noch immer die gleiche Stellung in der Kockpit inne hatten; denn hie und da fuhr eine Kugel an uns vorüber, die in der Wut abgeschossen wurde; und die kraftvollsten Flüche und Verwünschungen folgten uns in reichem Maß.
Jetzt, wollen wir ihnen ein ordentliches Hurra zum Abschied bringen, sagte Holt. Wir waren schon eine gute Strecke von unsern Feinden entfernt und hörten nur undeutlich ihren Lärm, während sie ihr Boot vom Wasser entleerten und in Ordnung brachten. Und nun bekamen sie ein ordentliches Hurra zu hören.
Endlich ließen sie davon ab, uns zu verfolgen. Dies würde auch nichts genützt haben, da die Hälfte ihrer Ruder unbrauchbar war. Ueberdies frischte auch der Wind auf, und wenige Minuten später fuhr, der »Fram« vor allen Segeln und kräftig von der Strömung unterstützt, durch die Einfahrt hinaus.
In der Kajüte lag auf einem Sofa unser schöner Gast in so tiefem Schlaf, daß er, als der Tag kam, keine Ahnung von den letzten Begebenheiten der Nacht hatte.
Die Strahlen der aufgehenden Sonne fanden den »Fram« ein paar Viertelmeilen vom Lande unter vollen Segeln, nordwärts von der Küste ab steuernd.
* * *
Wir hatten einen neuen Verband um den verwundeten Arm Holts gelegt. Es zeigte sich, daß die Revolverkugel nur die Schultermuskeln durchbohrt hatte, ohne den Knochen zu verletzen. Holt versicherte, daß er nicht einmal sehr Schmerzen empfinde.
Wir saßen achteraus, während Henriksen nach vorn geeilt war, um sein Lieblingsgetränk, Kaffee, zu bereiten.
Ich hatte das Ruder ergriffen. Eben hatten wir die Begebenheiten der letzten Nacht besprochen und Holt hatte uns sein Abenteuer am Lande erzählt. Er warf dann und wann einen unruhigen Blick in die Luft empor – der Wind war nicht mehr stetig, und zeitweise klapperten die Segel, wenn der Kutter auf der langen Dünung rollte – und dann nach dem Lande hinüber, wo der Palmenwald und die Sandhügel sich ins Meer zu senken begannen.
Ich soll wohl nordöstlich steuern?
Ja, steure Nordost, das führt uns gut vom Lande ab, ohne daß wir uns doch zu sehr von der Küste entfernen.
Warum willst du nicht zu weit von der Küste ab?
Des Windes wegen. Die Landbrise weht nie weit vom Lande, besonders nicht zu dieser Jahreszeit; sie singt übrigens für heute den letzten Vers.
Das würde schlimm sein, fiel Monk ein, für den Fall, daß es ihnen einfallen sollte, uns mit der Dampfjacht zu verfolgen.
Darüber werden wir nicht lange im Ungewissen bleiben, erwiderte Holt und streckte seinen gesunden Arm nach der Küste aus. Ueber die Palmenwipfel erhob sich langsam ein dichter, schwarzer Rauch: er stieg senkrecht in die Luft empor, um sich dann über das Meer auszubreiten.
Ich wußte es, fuhr Holt fort. Wir kennen allzu viel von ihren Geheimnissen, als daß sie nicht alles aufbieten sollten, uns unschädlich zu machen.
Und sie können in ein paar Stunden unter Dampf sein, bemerkte ich ziemlich unruhig; um die Wahrheit zu gestehen, war ich ganz und gar nicht auf diesen Umstand vorbereitet.
Wie weit können wir um jene Zeit von dem Seeräubernest entfernt sein? fragte Monk.
O – nicht viel weiter als jetzt, denn in einer halben Stunde ist es windstill. Holt stand auf und starrte über das Meer hinaus.
Und das will wieder so viel heißen, daß sie in zwei bis drei Stunden neben uns sein können – angenehme Aussichten! Monk zündete sich zum Trost eine Zigarre an.
Ganz so schlimm ist es doch nicht, erwiderte Holt. Bis um zwölf Uhr ist nicht Wasser genug auf dem Riff für die Dampfjacht. Sie hat sicher ihre zehn Fuß Tiefgang.
Aber zu Mittag können wir jedenfalls auf ihre angenehme Gesellschaft zählen. Ich fühlte mich gar nicht freudig berührt durch diesen Gedanken, besonders da alles darauf hinzudeuten schien, daß er sich verwirklichen würde: der Wind hatte fast ganz abgeflaut, die Segel klapperten und der Kutter stampfte auf sehr unangenehme Weise.
Die Strömung hatte sich nicht verändert, sie setzte noch fortwährend südwärts, und der »Fram« begann nach der Stelle zurückzutreiben, von der wir gekommen waren. Das ging nicht an; wir steckten daher eine dünne Trosse an einen der Anker und ließen ihn auf den Grund. Er fand Boden auf 40 bis 50 Faden.
Das ist unangenehm, bemerkte ich, daß die Landbrise heute so früh abflauen mußte; hätte sie so lange angehalten wie gestern, so würden wir jetzt weit fort sein.
Ich bin nicht so fest davon überzeugt, daß dies unangenehm ist; ich mutmaße, daß Westwind im Anzug ist. Was meinst du, Henriksen? Holt sah den Gefragten, der gerade mit dem dampfenden Kaffeekessel in der Hand nach achtern kam, erwartungsvoll an. Henriksen stellte den Kessel bedächtig auf eine Taurolle, stieg dann auf die Hütte und untersuchte langsam und sorgfältig den Horizont. Wir kannten seine lange Erfahrung und erwarteten mit Spannung die Antwort. Endlich kam sie zur nicht geringen Befriedigung der Zuhörer:
In ein paar Stunden haben wir eine Brise von Westwind, so wahr mein Name Karl Henriksen ist!
Es wäre gut, wenn du recht hättest.
Recht! ja, das habe ich, was den Westwind anbelangt. Habt ihr je solche dunstige Luft über dem Meer gesehen – und dazu mit dem Barometerfall – ohne Westwind? Und dann die Sonne, hat sie nicht einen Kranz, als wenn sie durch einen nassen Hemdkragen schiene?
Es ist richtig, das Barometer ist heute nacht bedeutend gefallen, und die Sonne ist nicht ganz klar – wenn nur der Wind bald kommt! Holt warf einen bezeichnenden Blick nach dem Lande hinüber, wo der Rauch noch immer in dichten Ballen über die Baumwipfel emporwallte.
Henriksen setzte ungestört seine Beschäftigung mit dem Tischdecken fort und warf nur einen flüchtigen Blick nach dem Rauch, dem Gegenstand unserer bekümmerten Blicke: Mögen sie nur heizen auf ihrer Räuberjacht! Sie kommen doch noch mehrere Stunden nicht über das Riff, und bis dahin ist der »Fram« weit fort.
Aber die Prophezeiung des alten Seemannes schien diesmal nicht so schnell in Erfüllung gehen zu sollen. Es wurde zehn Uhr, und noch immer lag der »Fram« vor Anker, rollend und stampfend, während die Segel klatschten, ohne einen Hauch von Wind. – Endlich begann ein dunkler Streifen von Westen her sich zu nähern, und der erste feuchte Hauch der Seebrise strich über das Wasser.
Dort sehe ich die Dampfjacht! rief Monk; er hatte fast die ganze Zeit mit dem Fernrohr vor dem Auge dagesessen. Gleich darauf konnten wir mit bloßem Auge die beiden Masten und den gelben Schornstein über den Sandhügeln erkennen.
Er geht in das äußere Bassin heraus, sagte Monk, um dort die Flut zu erwarten. Noch bleibt uns eine gute Stunde.
Der erste Windhauch war wieder erstorben; aber der dunkle Streifen näherte sich.
Ich bin ein großer Narr! rief Holt plötzlich und fuhr so schnell in die Höhe, daß der Schmerz in dem verwundeten Arm ihm eine fürchterliche Grimasse abnötigte. Wir haben ja noch die gleichen Segel untergeschlagen wie bei unserer Abreise von Norwegen. In der Segelkoje befindet sich ein Stellsegel, das noch ein halbesmal so groß ist. Wir müssen es anschlagen und das sogleich!
Aber bleibt jetzt Zeit, die Segel zu wechseln?
Holt nahm sich aber keine Zeit zu antworten; er brachte Henriksen auf Deck und wenige Worte genügten, um den alten Kutterfahrer mit der Lage vertraut zu machen. Ein paar Minuten später lagen die neuen prächtigen Segel auf Deck; sie waren vollständig bereit zum Anschlagen, die Bindsel und alles in Ordnung.
Glücklicherweise waren Monk und ich ziemlich geübt, sodaß wir tüchtig mithelfen konnten; Holts eine Hand arbeitete für zwei, und zwanzig Minuten nach Beginn der Arbeit waren die neuen Segel untergeschlagen. Der Wind hatte uns unterdessen im Ernst erreicht, und sein erster, frischer Hauch traf eine leuchtende Fläche des prächtigsten Segeltuches. Der Kutter lag noch vor Anker, aber er zerrte und riß wie ein Hund an seiner Koppel.
Holt sprang hinab in den Steuerraum und ergriff die Ruderpinne: Kapp das Ankertau, Henriksen, wir haben keine Zeit, den Anker an Bord zu nehmen!
Das scharfe Messer Henriksens fuhr über den gespannten Hanf. Ein leichter Knall ließ sich hören, und der »Fram« schoß mit einem Ruck über die Dünung vorwärts.
Henriksen wandte sich nach achtern, beschattete mit einer Hand die Augen, und mit der andern nach der Küste zeigend, bemerkte er: Dort geht das Räuberboot über die Bank.
Wir folgten der bezeichneten Richtung. Die Dampfjacht glitt langsam durch die Oeffnung zwischen den Brandungen hinaus, die ihren Rumpf vollständig verbargen. Wenige Sekunden später steuerte sie den gleichen Kurs wie der »Fram«, während eine schwache Rauchsäule verkündete, daß die Kessel so stark als nur möglich geheizt wurden.
Wie weit ist der Dampfer von uns? fragte ich Holt.
Zwischen zwei und drei Meilen, war die Antwort; und wenn der Wind nicht auffrischt, so ist er in einer Stunde neben uns.
Aber der Wind frischte auf, und nach Ablauf einer Stunde betrug die Entfernung noch ein bis zwei Meilen.
Ich glaube nicht, daß seit Beginn der Jagd einer von uns ein Wort gesprochen hatte; dazu waren wir allzusehr beschäftigt, teils um nach dem Verfolger, teils um über das Meer zu spähen, ob der Wind nicht auffrischen wolle. Er blies jetzt mit einer frischen Brise aus Nordwesten, aber die See war noch ziemlich ruhig. Wir steuerten Nordost, also ein wenig von der Küste ab und mit allen Segeln. Der »Fram« krängte nicht wenig über, mit einem Schwall von weißem Schaum. Dann und wann spritzte dieser herauf und sprühte gleich schweren Schneeflocken über das Deck, im Sonnenschein leuchtend.
Das war eine lustige Fahrt, doch zweifelte keiner daran, daß der Dampfer uns einholen würde; er war schon so nahe, daß wir den Schaum vor dem Bug sehen konnten, wenn dieser in die See tauchte, und die Personen auf der Kommandobrücke vor dem Schornstein.
Ist hier kein Hafen, in den wir einlaufen könnten? fragte Monk.
Nein! In ein paar Stunden sind wir quer vor Mazighan, aber dort ist nur eine offene Reede, wohin uns die Dampfjacht folgen und nach Belieben überfallen kann. Holt bog sich unter dem Großsegel nieder und zeigte auf einige helle Felsen, welche sich an der Küstenlinie erhoben.
Wie lange wird es dauern, bis die Jacht neben uns ist?
Ich nehme an, wir machen jetzt neun Knoten, während sie zehn macht; es kann also höchstens ein paar Stunden dauern, bis sie hart auf uns ist, wenn alles geht, wie es den Anschein hat.
Können wir dem »Fram« keine größere Schnelligkeit geben?
Nicht viel mehr; frischt der Wind auf, so sind wir genötigt, die Segel zu mindern. Ueberdies wächst die See, und lange können wir den schweren Klüver nicht führen. Ich fürchte, daß wir ihn bald bergen müssen; bricht der Klüverbaum, dann ist es vorbei mit uns.
Es ging, wie Holt vorausgesehen hatte: der Wind frischte zu einer kleinen Kühlte auf, und die See wuchs. Wir mußten das Außenklüver bergen und den Sturmklüver setzen. Auch das Topsegel mußte herab.
Es war eine stürmische Fahrt: der Himmel hatte sich mit Wolken überzogen, und der Wind pfiff im Takelwerk. Die Dampfjacht stampfte ziemlich heftig, folgte aber ihrem Kurs in unserem Kielwasser und holte uns mehr und mehr ein.
Der Nachmittag war schon vorgerückt, und die Sonne begann die Wolken im Westen rot zu färben.
Unsere Lage war nicht angenehm. Ob es uns etwas geholfen haben würde, wenn der Wind noch mehr aufgefrischt hätte, weiß ich nicht; jedenfalls tat er es nicht. Er schien im Gegenteil ein wenig abzuflauen, und die See wurde sichtlich ruhiger, als die Strömung um Kap Mazighan zurückgelegt war.
Noch eine Stunde verstrich, und die Schatten der Nacht begannen schon, sich auf uns herabzusenken. Der »Fram« fuhr durch die Seen. Henriksen stand hinten im Steuerraum; er war der einzige, dessen Blick nach vorn schweifte. Wir andern verwandten kaum die Augen von dem Dampfer hinter uns; er war jetzt nur noch eine halbe Meile von uns, und die Entfernung nahm langsam aber sicher ab. Der Wind hielt sich stetig frisch, aber auch nicht mehr.
Unser Gespräch kehrte immer wieder zu dem gleichen Gegenstand zurück: Was werden die Herren tun, wenn sie uns erreicht haben?
Sie werden sich wohl kaum die Mühe nehmen, uns aufzufischen, bemerkte Monk. Er bückte sich und zündete eine frische Zigarre an.
Nein, antwortete Holt – er und ich stärkten uns gerade mit einem Zwieback und einem Glas Wein, – es ist höchst wahrscheinlich, daß sie uns in den Grund rennen und ihren Kurs fortsetzen, dann wissen sie sicher, daß wir nicht schwatzen können.
Es wurde mir in diesem Augenblick etwas schwer, den Zwieback hinunterzuwürgen. Aber gibt es denn keinen Ausweg?
In einer halben Stunde ist es dunkel, sehr dunkel, denn der Mond geht erst gegen Morgen auf, und außerdem ist es bewölkt. Vielleicht, daß dann etwas getan werden könnte – – –
Buenas dias, Sennores – – – ich verstehe nicht, was Sie sagen, aber ich ahne, um was es sich handelt. – – –
Verwundert wandten wir uns alle um; in der offenen Kajütentüre stand die schöne Gestalt der jungen Spanierin.
Sie hielt sich während des Schlingerns mit der einen Hand fest, mit der andern suchte sie vergebens ihre Mantille zusammenzuraffen, an welcher der Wind riß und zerrte, sowie an den schwarzen Locken, die sich ebenfalls frei zu machen suchten.
Ihr Blick ruhte übrigens in diesem Moment auf keinem von uns, sondern war nach der Dampfjacht gerichtet, die gerade ihren Bug auf einer mächtigen Welle erhob, sodaß die rote Bodenbemalung im letzten Abendlicht sichtbar wurde.
Monk faßte sich zuerst; er sprang hinzu und half der jungen Dame die wenigen Treppenstufen von der Kajüte herauf, um sie in eine Ecke zu führen, wo der Wind nicht so stark fühlbar war. Sie dankte und gönnte ihm ein freundliches Lächeln; aber gleich darauf richtete sie ihr Auge auf Holt, der sie mit unverhohlener Bewunderung anstarrte. Eine Röte flog über ihr schönes Gesicht: Darf ich hoffen, mein Herr, daß Ihr Arm nicht gefährlich verletzt ist? – – –
Mein Arm wird bald geheilt sein; nur darf ich ihn eine Zeitlang nicht gebrauchen, – aber ich fürchte, daß wir Sie vernachlässigt haben. – – – Ich habe ein paarmal einen Blick in die Kajüte getan, ob es kam mir vor, als ob Sie schliefen; aber vielleicht war es nicht so. – – Dürfen wir Ihnen etwas zu essen anbieten?
Gewiß schlief ich lange, bin aber doch nun ein paar Stunden wach gewesen. Ich wollte nicht auf Deck kommen, aus Furcht zu stören, aber zuletzt konnte ich es doch nicht länger aushalten. – Glauben Sie, daß er uns einholen wird? Sie zeigte nach dem Dampfer.
Es ist noch nicht möglich, dies zu sagen – – – es wird bald dunkel sein, und da können wir ihn vielleicht auf die eine oder andere Weise überlisten.
Nein, Sie dürfen mich nicht täuschen! Ich lese es auf Ihrem Gesicht – – – und demjenigen der andern Herren, daß das Dampfschiff dort uns bald in seiner Gewalt haben wird. – Wie konnte ich doch so leichtsinnig sein und andere Menschen in Gefahr stürzen!
Sie haben sich uns anvertraut, Fräulein, antwortete ich, und Ihr Vertrauen soll nicht getäuscht werden. – Wenn wir in eine schwierige Lage gekommen sind, so sind wir allein daran schuld und sonst niemand; es war ja unser guter Freund Holt, der in seinem und unserem Namen Ihnen den Vorschlag machte, an Bord des »Fram« zu kommen, weil wir begriffen, daß Sie nicht aus freiem Willen bei den Menschen da drüben verweilten. Sie dürfen sich wegen uns keine Vorwürfe machen.
Aber wenn uns das Schiff dort einholt! – – – Sie kennen nun das Geheimnis des Hafens an der afrikanischen Küste, und die Leute da drüben nehmen keine Rücksicht. Selbst Menschenleben haben wenig Bedeutung für sie, wenn es ein Geheimnis zu bewahren gilt. – –
Ich kann nur wiederholen, daß wir die Gefährlichkeit unseres Unternehmens vollkommen einsehen; nun mag es gehen, wie es will. – – –
Nein, – – – ich glaube, daß ich Sie noch retten kann. Nehmen Sie die Segel herab und leisten Sie keinen Widerstand gegen die Mannschaft der Jacht; ich glaube erwirken zu können, daß man Sie ruhig gehen läßt.
Aber Sie, was wird mit Ihnen geschehen?
Mir – – – ich werde mich dem Willen meines Stiefvaters, des Grafen Silva, zu fügen haben, nichts anderes. Sie warf einen Blick auf Holt und senkte dann die Augen, wobei eine tiefe Blässe ihr Gesicht bedeckte.
Graf Silva ist also nicht Ihr Vater? fiel Monk ein. Verstehe ich Sie recht, so wünscht er Sie zu etwas zu zwingen, – – wahrscheinlich zu einer Heirat. –
Die junge Dame schwieg eine Weile, dann schlug sie die Augen auf und sah uns ins Gesicht.
Ich darf Männern nichts verhehlen, die mich so edelmütig unter ihren Schutz genommen haben. – Mein Stiefvater, Graf Silva, ist in diesem Augenblick von dem Anführer der Schmuggler, Don Velasco, abhängig, er ist jetzt an Bord der Jacht, ich ahne es; – es kommt auf diesen Mann an, ob die Carlisten ihre Pläne ausführen können oder nicht. Aber dieser Mann hat die Bedingung gestellt, daß – – daß – – ich ihn eheliche.
Und Graf Silva?
Er liebt die Sache Don Carlos' über alles. – Nehmen Sie die Segel nieder und ergeben Sie sich. Ich will Don Velasco sagen, daß ich auf sein Verlangen eingehe, wenn er Sie in Frieden läßt.
Holt drängte sich vorwärts, er wollte etwas sagen, aber Monk schob ihn zur Seite.
Aber wenn Don Velasco Sie und uns in seiner Gewalt behält?
Er weiß, daß ich mich eher töten als ihn gegen meinen Willen heiraten würde.
Monk wandte sich zu Holt: Sprich du, auch für uns. Ich weiß, was du sagen willst; aber es ist am besten, wenn du es selber sagst. Wir sind einig.
Holt legte den kurzen Zwischenraum zurück, der ihn von dem jungen Mädchen trennte. Er, der sonst so linkisch und verlegen war, ergriff nun die Hand der Sennorita und führte sie an seine Lippen mit den Worten:
Von nun an ist Ihr Schicksal mit dem unsrigen verknüpft. Solange noch Leben in uns ist, wird keiner von den Menschen an Bord dort drüben Hand an Sie zu legen wagen. Ich biete Ihnen meine Hand, nicht bloß zur Verteidigung für heute, sondern fürs ganze Leben. Sie können mir sogleich antworten, wenn Sie wollen, oder damit warten, bis Sie uns nach unserem lieben Norwegen zurück begleitet haben; ich fühle, daß wir dieses Ziel erreichen werden.
Sie erwiderte nichts, sondern legte auch ihre andere Hand in seine große Pranke; er bog sich nieder und küßte sie beide.
All dies erscheint wunderlich, wenn ich jetzt daran denke und davon erzähle; aber merkwürdig genug, damals sah keiner von uns etwas Besonderes in jenem Vorgang. Auf dem gewaltigen Schauplatz des Meeres fühlen die Menschen sich zu klein, um Komödie zu spielen, und Holts »Werbung auf offener Bühne« dünkte uns die natürlichste Sache von der Welt. Wenn die nächste Sekunde über Tod und Leben entscheiden kann, wirft man alle jene Redensarten und Formalitäten von sich, mit denen wir, den Forderungen der Konvention gemäß, unsere Gefühle sonst zu verhüllen Pflegen.
Recht so, Leutnant! hörte ich Henriksen drüben an der Steuerluke murmeln. So muß man die Weiber nehmen. Es war zu dunkel, um den Ausdruck seines Gesichtes unterscheiden zu können; aber ich zweifle nicht daran, daß der Rest seiner Rede, der vom Wind entführt wurde, ein salbungsvoller Segen zu dem Bunde war. – – –
Der Wind drehte sich etwas nördlicher; aber da er gleichzeitig ein wenig auffrischte, so beeinflußte dies die Schnelligkeit des Kutters nicht. Es hatte sogar einen Augenblick den Anschein, als ob der Feind die Verfolgung aufgeben wollte; denn trotz des Dunkels konnten wir wahrnehmen, daß die Jacht ein wenig abfiel. Wer dies geschah wohl nur, weil man die Feuer anschürte; denn gleich darauf sahen wir die rote Lohe aus dem Schornstein des Dampfers schlagen unter der gewaltigen Feuerung, und von nun an schien auch der Abstand zwischen uns immer kleiner zu werden.
Das letzte Tageslicht war verschwunden, und die Nacht herrschte. An Bord des »Fram« war die Lage unverändert. Henriksen stand noch immer am Ruder und versah schweigend seinen Dienst. Wir andern saßen in der Kockpit, die Spanierin in die große Seemannsjacke Holts gehüllt.
Es war eine schöne Nacht; das Meerleuchten brodelte wie geschmolzenes Metall längs der Leeseite und dann und wann fielen leuchtende Tropfen wie Feuerregen auf das Deck nieder.
Nun muß bald etwas getan werden, murmelte Holt. Daß wir ihm nicht entgehen können, ist sicher!
Meinst du, daß die dort uns sehen? fragte Monk.
Ja, davon bin ich überzeugt, lautete die Antwort. Um dies zu erfahren, habe ich Henriksen ein paarmal ein wenig den Kurs ändern lassen; aber der Dampfer bemerkt es immer und kommt nach; es sind unsere großen, weißen Segel, welche bewirken, daß er uns in Sicht behält.
Aber mir scheint es, als ob er uns eigentlich schon erreicht haben müßte. Ich glaube nicht, daß er sich uns in der letzten halben Stunde viel genähert hat.
Es ist möglich, daß sie mit diesem Abstand fahren wollen, bis der Tag anbricht oder der Mond aufgeht – wenn sie uns in den Grund rennen oder borden wollen. Bei dieser Finsternis läßt sich das nicht so leicht tun.
Können wir ihn sonst auf keine Weise überlisten? fragte ich.
Ich habe einen Plan, sagte Holt; aber er ist gefährlich, denn wenn er mißlingt, so sind wir sogleich in seiner Gewalt. Doch müssen wir es versuchen; so geht es nicht länger. – – Zünde die Lampe im Nachthause an!
Ja, aber das Nachthaus ist ja nach achtern gekehrt – auf dem Dampfer können sie das Licht sehen.
Das will ich gerade.
Hast du Coopers Seeschäumer gelesen? fiel Monk ein. Dann wirst du auch begreifen, was Holt bezweckt.
Holt lachte: So, du hast mich also schon durchschaut – du hast recht! Ich will versuchen, die Dampfjacht auf gleiche Weise zu überlisten, wie der Seeschäumer das Kriegsschiff.
Wie denn?
Das wirst du gleich sehen.
Das Licht im Nachthause wurde angezündet und Henriksen, der am Ruder stand, erhielt Befehl, sich ein wenig seitwärts zu halten, damit es auf der Jacht immer gesehen werden konnte.
Ich habe bereits früher erwähnt, daß der »Fram« zwei Boote besaß: die Jolle, die wir bei Beginn der Verfolgung losgekappt hatten, und dann einen kleinen »Trog«, der quer über der Back lag. Diesen legten wir zurecht, um ihn ins Wasser zu lassen. Mitten in dem Fahrzeug befestigten wir an die Ruderbank einen Besenstiel aufrecht gleich einem kleinen Mast. An die Spitze des Mastes hingen wir eine kleine Laterne, die angezündet, aber vorläufig noch mit einem Stück Segeltuch bedeckt wurde.
Wir wollen noch eine Weile warten, sagte Holt; je länger sie nach dem Licht hier an Bord starren, desto mehr werden sie sich gewöhnen, nach nichts anderem zu sehen.
Wir ließen eine halbe Stunde verstreichen. Dann wurde der Klüver geborgen und alles klar gemacht, um Großsegel und Fock so schnell als möglich niederzuholen.
Das Licht im Nachthause wurde gelöscht und das Segeltuch von der Laterne im Boot entfernt. Monk und ich griffen zu und schoben es vorsichtig über die Reling hinaus. Es fiel augenblicklich nach hinten ab und tanzte im Kielwasser auf und nieder.4
Nun auf mit dem Ruder, Henriksen!
Wir sprangen alle drei auf Deck und ließen die Segel auf Deck niederfallen. Wenige Sekunden nachher schlingerte der »Fram« zwischen den Seen, mit kahlem Mast und ohne die geringste Spur von Segeln. Doch war der Wind noch ziemlich frisch, sodaß der Kutter die Steuerschnelligkeit beibehielt.
Das Licht in dem kleinen »Trog« tanzte munter auf und ab – wir waren schon weit von ihm entfernt. Aber keiner von uns achtete mehr darauf, unsere Augen richteten sich nur nach den Lichtern an Bord der Jacht. Ob man dort wohl den Kniff entdeckt hatte? – – Nein, noch nicht!
Wir wollen die Fock aufhissen, rief Holt, dieses Segel sieht man nicht weit, überdies hält niemand drüben an Bord Auslug in dieser Richtung; sie starren nur nach der Laterne im »Trog«.
Die Fock wurde gehißt und der »Fram« segelte in einer dem Kurs der Jacht fast entgegengesetzten Richtung. Auch die Lichter ihrer Seitenventile verschwanden; nur das Feuer aus dem Schornstein verriet uns dann und wann, wo die Jacht war. Jetzt näherte sie sich der Laterne im »Trog« – – plötzlich verschwand das Licht – sie hatte das Fahrzeug in den Grund gebohrt! Das war also das Schicksal, welches man dem »Fram« zugedacht hatte!
Die Jacht mußte ihren Irrtum entdeckt und gestoppt haben; denn wir hörten das Brausen von Dampf, der unter heftigem Druck entweicht. Aber bald erstarb auch dieses Geräusch – vom Feind war nichts mehr zu sehen oder zu hören.
Wir setzten Segel, denn die Brise frischte zur Kühlte auf. Dann kreuzten wir die ganze Nacht gerade dem Wind entgegen. Als der Morgen anbrach, war die Küste verschwunden und am ganzen Horizont ringsum nichts zu sehen als schaumbedeckte Wellenkämme.
Nun wurde der Kurs auf Gibraltar gesetzt.