Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.
Das geheimnisvolle Schiff.

Wir hatten nicht viele Schläge zu rudern, bis wir unter dem Achterende des »Ozean« waren und die Leiter erreicht hatten. Wir nahmen die Fangleine mit uns, kletterten an Bord und hielten Umschau.

Das Halbdeck erstreckte sich teilweise bis vor den Besanmast; es war mit der gewöhnlichen Hütte versehen, die einem Mann ungefähr bis an den Leib reichte. – hinten befand sich der Niedergang zur Kajüte, der mit der Kapp bedeckt war. Das Achterdeck war aufgeräumt und sauber, alle Enden festgemacht, und nicht ein Laut unterbrach die Stille, außer dem Plätschern der See und einem leisen Knarren im Takelwerk, wenn das Fahrzeug den Bug senkte.

Wir gingen nach der Vorderkante der Hütte; sie war mit einem zierlichen Mahagonigeländer ausgestattet. Auf dem Deck vorn war nichts Ungewöhnliches zu bemerken; es hätte denn der Mangel an allem Lebenden sein müssen. Auf der großen Luke stand das Großboot.

Holt setzte den Fuß auf die oberste Treppenstufe, um hinab auf das Deck zu gehen – – – da unterbrach endlich ein Laut die Stille. Aber es war kein angenehmer – ein lauter, klagender Schrei in einem einzigen langen Ton. Woher er kam, war nicht zu unterscheidendes konnte ebenso gut von draußen wie aus dem Innern des Schiffes sein.

Wir lauschten gespannt, um zu hören, ob er sich wiederholen würde – – – ganz richtig! er kam nochmals – dann wieder – und noch mehrere Male, durchdringender und unheimlicher als das erstemal. Wir konnten uns nicht mehr irren; er kam aus der Kajüte zu unseren Füßen.

Monk war der erste, der sich faßte; er sprang zurück zum Niedergang hinten neben dem Rad.

Die Türen waren verschlossen, aber ein kräftiger Tritt sprengte sie auf. In der gleichen Sekunde war die Kapp beiseite geschoben, und er stand schon halb drunten, als er schnell umkehrte, den Revolver aus der Tasche zog und das Magazin mit Patronen füllte.

Er übergab uns die Schachtel, und wir verfuhren ebenso wie er, während ein neuer Schrei, noch lauter als früher, uns zusammenfahren ließ.

Monk hatte sich davon überzeugt, daß wir endlich alle bereit waren. Er stieg die Treppe hinab, während Holt und ich ihm auf den Fersen folgten, alle drei mit dem Revolver in der rechten Hand und dem Finger am Abzug.

Wir schritten durch einen kleinen Gang, wo Oeltuchjacken und Seemannskleider hingen. Monk legte die Hand, auf die Kajütentüre. Sie ging auf, während der Schrei zum drittenmal mit ohrzerreißender Deutlichkeit zu uns drang. –

Wir stürzten in den Raum hinein, der durch das Oberlicht vollständig erhellt war, blieben aber plötzlich stehen, während die Waffen sich senkten und etwas wie ein Lachen über Monks Lippen glitt.

Zum Henker! Weiter nichts! hörte ich Holt mit einer gewissen Erleichterung ausrufen – ich war der hinterste und konnte daher den Raum nicht übersehen, aber der nächste Augenblick brachte mir die Erklärung: mitten auf dem Tisch, unter dem Oberlicht mit der Lampe an den Bügeln, saß eine große, schwarze Katze. Sie erhob sich auf allen Vieren, während sie uns mit ihren gelben Augen freundlich anblinzelte; dann hüpfte sie vom Tisch herab und begann sich unter einem behaglichen Miauen an unsern Beinen zu reiben. Sie zeigte eine unverhohlene Freude bei unserem Anblick.

Ich streichelte sie, und sie begann langsam nach dem andern Ende der Kajüte zu gehen. Dort war eine Türe. Ich folgte nach und öffnete sie. Sie führte in den Speisesalon. Ein langer Tisch mit Wachstuch und feste Bänke mit Rückenlehnen bildeten die Möblierung. Auf dem Tisch standen die Reste einer Mahlzeit: Butter, Brot, eine geöffnete Büchse konservierter Sahne, eine Kaffeekanne nebst Tellern und Messern. Die Katze hüpfte auf den Tisch und begann von der Sahne zu naschen.

Wir gingen zurück nach der Kajüte. Sie war groß und geräumig und ganz nett ausgestattet. An der vordern Wand stand eine Chiffonniere festgeschraubt. Sie war offen. Die Schubladen waren geleert, im übrigen aber sah man wenige oder keine Zeichen von Unordnung, oder daß Menschen den Ort in Eile verlassen hatten.

An Steuerbord befanden sich zwei Türen und an Backbord drei. Wir begannen sie zu öffnen. Die hinterste an Steuerbord führte augenscheinlich in die Kapitänskajüte. Es war ein verhältnismäßig großer Raum mit einem breiten Bett an der Achterwand. An der Schiffsseite innenbords stand eine Kommode mit Schubladen, geleert gleich denjenigen der Chiffonniere.

Der zweite Raum an Steuerbord war ein Badezimmer; aber die Einrichtung schien seit Jahren nicht benutzt worden zu sein.

Die Türen zu den beiden hintersten Verschlügen auf der andern Seite waren offen. Sie schienen erst kürzlich im Gebrauch gewesen zu sein. Die Kojen waren in Ordnung, aber die Schubladen auch hier leer. In der hintersten Kajüte fanden wir ein paar alte Kleidungsstücke für eine Frau und in der anderen verschiedene Kinderwäsche. Auf einem kleinen Tisch in der Kajüte stand eine Nähmaschine, in der sich noch eine Näherei befand – ein Taschentuch, das gesäumt werden sollte.

Der erste Verschlag an Backbord war verschlossen und der Schlüssel entfernt. Vorläufig ließen wir ihn sein, wie er war, und gingen wieder in den Speisesalon. Dort befanden sich auf jeder Seite zwei Verschlüge. Der eine an Backbord war offenbar derjenige des Stewards, er war im gleichen Zustand wie diejenigen in der großen Kajüte. Der andere war der Anrichteraum: Tassen, Teller, Teebretter, alles befand sich auf den Regalen in bester Ordnung. Etwas Salzfleisch und Speck lag in einer Schüssel und in einer Ecke ein Kaffeekessel.

Die beiden Verschlüge an Steuerbord – wahrscheinlich diejenigen der Steuerleute – waren leer. Dort befand sich weder Bettwäsche noch etwas anderes.

Ein eigentümliches Gefühl ergriff mich und wohl auch meine Kameraden beim Anblick der leeren Räume. Keiner von uns hatte ein Wort gesprochen, während wir unsere Untersuchung vornahmen. Die Katze hatte sich gesättigt und folgte uns miauend, wohin wir gingen.

Was sagst du dazu? fragte ich Holt.

Das ist Monks Geschäft und nicht das meinige, war die Antwort; ich eigne mich nicht zum Rätsellösen.

Wir sahen Monk an.

Wenn wir das Schiff durchforscht haben, so erhalten wir wohl Aufklärung, antwortete dieser. Bisher sind wir nicht vor der Kajüte gewesen.

Aber kannst du denn keinen Schluß aus dem ziehen, was du gesehen hast?

Das werde ich dir sagen, wenn ich alles gesehen habe; wir wollen jetzt nach vorn gehen, lautete die Orakelantwort.

Aber wollen wir nicht zuerst den geschlossenen Verschlag in der Kajüte öffnen? – Ich näherte mich der Türe und versetzte ihr einen tüchtigen Tritt, doch sie hielt fest. Monk versuchte es mit Schlüsseln von den übrigen Türen, keiner paßte.

Es ist vermutlich ein Verschlag, der auf der ganzen Fahrt leer gestanden hat, und so ist der Schlüssel verloren gegangen, sagte Holt. Wir können sie übrigens nachher aufbrechen; jetzt wollen wir Monks Rat befolgen und nach vorn gehen.

Wir traten durch die Türe auf die Vorderkant der Hütte hinaus. Das Deck widerhallte von unseren Schritten. Das Schiff war wie gesagt ballastet – der Raum unter ihm also leer nach dem Vorder- und Hinterende. Der Ballast, der meist aus Sand oder Steinen besteht, liegt an einem Haufen mittschiffs unter der großen Luke; auf diese Weise kann sich das Schiff am bequemsten in der See bewegen.

Auf unserer Wanderung nach vorn trafen wir auf das große Boot. Holt ließ die Hand über die Zorringe gleiten, die es auf dem Deck festhielten: Es ist seit Monaten nicht gelöst worden, und – – – die andern Boote sind auch auf ihrem Platz.

Wir folgten der Richtung seines Blickes: hinten zwischen einem hölzernen Galgen und der Hütte lagen zwei kleinere Boote, eine Gig und eine Jolle, und droben auf dem Roofdach ein Prahm mit nach oben gekehrtem Boden.

Auf der Hinterseite des Roofs waren zwei Räume eingerichtet: ein großer Verschlag mit zwei Kojen – wohl diejenigen des Bootsmanns und des Zimmermanns – und die Küche. In einem kleinen Anbau auf der Hinterseite stand ein Dampfkessel, – ein sogenannter Donkeykessel. Solche werden auf großen Segelschiffen benützt, um die Winden beim Löschen und Laden, das Ankerspill, die Pumpen u. s. w. zu bewegen.

Bei den Doppelverschlägen erschien uns ein Umstand in hohem Grade auffallend: die Türe, in eine obere und eine untere geteilt, stand offen; aber auf der einen Seite hingen an großen, verkrümmten Nägeln mehrere Bretterstücke, als wenn die Türen durch darüber genagelte Bretter versperrt und dann von innen heraus gesprengt worden wären.

Monk begann die Bretter und Nägel zu untersuchen, während Holt und ich in den Verschlag traten.

Die Kojen waren mit Bettzeug versehen, sonst aber war der Verschlag ziemlich leer; nur ein paar alte Seestiefel, ein Südwester und einige andere abgenutzte Kleidungsstücke lagen auf Deck hingeworfen.

Im Donkey-Hause und der Küche war nichts Merkwürdiges zu sehen. Der Ofen war noch lau, während ein Sack mit geschälten Kartoffeln daneben stand, ebenso ein Zuber mit Salzfleisch in Wasser.

Wir gingen stumm wieder hinaus und nach vorn. Der Eingang zu dem Raum der Mannschaft im Roof war nämlich nach vorn gekehrt.

Dort haben wir noch einen Segler! Monk wies über die Reling hinaus.

Ja, es ist ein kleiner weißer Segler. Holt starrte dem neuentdeckten Schiffe nach, wie es schien mit steigendem Interesse. Der Ausdruck seines Gesichts wurde merkwürdig.

Wo ist der »Fram«? rief er plötzlich.

Aber unser Kutter war nirgends zu sehen. Wir kletterten auf das Roofdach und spähten ringsum den Horizont ab – doch ohne etwas anderes als das kleine Segel in der Ferne zu entdecken.

Es ist, wie ich vermutet habe! Es ist der »Fram«, der dort segelt, ein Paar Meilen weg! Was hat Henriksen – – –?

Monk sprang nach hinten und kam mit einem langen Fernrohr zurück, das wir an Bügeln unter der Kapp hängen gesehen hatten.

Es ging von Hand zu Hand.

So etwas ist mir noch nicht vorgekommen, sagte endlich Holt und blickte von Monk auf mich und von mir auf Monk.

Kannst du Henriksen an Bord sehen? fragte Monk und reichte Holt wieder das Fernrohr.

Er benützte es lange und gründlich; endlich nahm er es vom Auge und sah uns mit so ratloser Miene an, daß ich mich des Lachens nicht enthalten konnte.

Ja, du magst wohl lachen, denn das ist die sonderbarste Geschichte, die ich je erlebt habe; aber, beim Teufel, keine angenehme. »Fram« hat das große Topsegel gesetzt und läuft so schnell er kann – und das will etwas sagen bei dieser steifen Brise und dem ruhigen Wasser.

Monk wiederholte seine Frage, ob er Henriksen sehen könne.

Nein, es ist nicht möglich, mehr als die Segel und einen Teil des Rumpfes zu entdecken; es ist übrigens genug. Die Sonne scheint auf die Dillen des Bootes, so daß ich die weiße Bemalung sehen kann, aber auch nicht mehr – es ist bald drei Meilen entfernt.

Henriksen muß es satt bekommen haben, back zu liegen, und macht eine kleine Segelfahrt; wir werden ihn wohl bald wenden sehen. Als wir in die Kajüte hinab gingen, sahen wir ihn die Fock vollholen und auf der Luvseite des Schiffes auflaufen. Ich glaubte, er wolle das Fahrzeug noch einmal umsegeln, während wir es untersuchten. – Diese Bemerkungen wurden von mir vorgebracht, schienen aber weder auf Holt noch Monk großen Eindruck zu machen.

Das würde Henriksen schlecht gleichen, sagte Holt mit Entschiedenheit. Der letzte Befehl, den er erhielt, lautete ja dahin, sich unter dem »Ozean« zu halten, bis wir wieder an Bord kämen oder andern Bescheid gäben. Schon jetzt ist er so weit, daß er mindestens eine Stunde brauchte, um wieder herauf zu kreuzen. – Was sagst du dazu, Monk?

Mir steht der Verstand still, war die Antwort. Zu Lande Detektiv zu sein, mag noch angehen; aber zur See – – – nein, das soll der Kuckuck holen. – Ich habe keine andere Erklärung, als daß Henriksen verrückt geworden ist – – – rein toll und verrückt!

Holt schüttelte den Kopf und setzte sich auf den Prahm, der mit nach oben gekehrtem Boden dalag.

Wir blieben gewiß eine halbe Stunde aus dem Roofdach und blickten dem »Fram« nach. Schließlich tauchte sein Rumpf unter den Horizont, ohne daß sein Kurs sich veränderte.

Holt schob das Fernrohr zusammen, und wir stiegen von unserem erhabenen Platz herab.

Mir kommt es beinahe vor, als wären wir selbst verrückt geworden! rief er und stampfte auf das Deck. Hier sitzen wir an Bord eines Fahrzeuges ohne Besatzung, aber in vollem Stand vom Flaggenknopf bis zum Kielschwein, mitten auf dem offenen Meer, und unterdessen segelt der Kutter von uns fort, als wenn der Böse hinter ihm her wäre – – – oder träumen wir vielleicht?

Alles auf der Welt findet seine Erklärung – Monk schritt wieder nach dem vorderen Deck, – und es gibt sich wohl am Ende, sagt der Seiler.

Unter der beruhigenden Wirkung dieses philosophischen Sprichwortes begannen wir unsere Untersuchungen wieder und begaben uns auf die Vorderseite des Roofs. Dieser war in zwei Räume geteilt mit zwei Eingangstüren von vorn. Der eine davon diente der Steuerbordwache, der andere der Backbordwache.

Derjenige der Backbordwache war leer, nichts mehr deutete auf eine Benützung dieses Schlafraums durch die Schiffsmannschaft hin, während sich im andern Kojentücher und Kisten vorfanden, doch enthielten die letzteren weiter nichts als einige alte Kleidungsstücke.

Neben der Türe zu dem Raum an Backbord fanden sich Bretterstücke und abgebrochene Nägel wie bei dem Verschlag auf der Hinterseite des Roofs.

Vorn beim Spill sahen wir eine kleine Luke; hier führte eine Treppe hinab nach dem Kabelgatt. Die Klappe war darüber gelegt, wir entfernten sie und stiegen hinab.

Altes und neues Tauwerk, Reserveblöcke, Flaschenzüge, Haken und dergl. füllten den Raum, sonst nichts. Der Raum wurde auf der hintern Seite durch ein hölzernes Schott vom Laderaum getrennt.

Wir stiegen wieder auf Deck. Die übrigen Luken waren zugeschalkt.

Könnten wir nicht dem »Fram« nachsegeln? fragte ich Holt.

Ja, das war auch mein erster Gedanke, antwortete er; aber ich erwartete jeden Augenblick den Kutter bei Wind drehen und wieder heraufkreuzen zu sehen, und überdies fand ich es am besten, daß wir das Schiff untersuchten, ehe wir etwas unternahmen. Nun ist es zu spät. Wir wollen die Pumpen messen und dann Kriegsrat halten.

Gesagt, getan. Im Verschlag des Zimmermanns fanden wir Peilstock und Kreide. Es waren nur wenige Zoll Wasser im Schiff, gerade so viel als die Pumpen nicht nehmen konnten. Es war also dicht.

Ehe wir vollbrassen und Kurs steuern, müssen wir nachsehen, ob das Steuer in Ordnung ist, sagte Holt. Es schien mir, als schlüge es verdächtig, als wir an Bord gingen; aber ich vergaß genauer nachzusehen, als wir das Katzengeschrei vernahmen.

Holt ging nach hinten, Monk aber begann aufs neue die Rooftüren und die geleerten Kisten und Kojen zu untersuchen. Ich stieg ein paar Webeleinen das Want hinaus, um nach dem »Fram« zu sehen, der gleich einem weißen Punkt am Horizont verschwand.

Ganz richtig, das Steuer ist nicht in Ordnung. Holt kam wieder nach vorn. Das eiserne Joch auf dem Ruderpfosten ist abgenommen und nicht zu finden; das Schiff kann so nicht gesteuert werden, wie es jetzt ist.

Da haben wir also die Erklärung dafür, daß die Leute das Schiff verlassen haben!

Holt schüttelte den Kopf. »Nein, dieser Schaden ist nicht schwer auszubessern; im Donkey-Haus ist ja eine Schmiede und allerhand Werkzeug. Ein Schiff wird von seiner Mannschaft nicht wegen einer solchen Kleinigkeit verlassen – in solchem Fahrwasser und bei solchem Wetter, wenn das Schiff sonst in Ordnung ist. Ueberdies scheint das eiserne Joch mit Absicht entfernt worden zu sein; es ist aber weder in der Schmiede noch auf Deck zu finden.

Ich sah Monks Gesicht an, während er aufmerksam die Worte Holts anhörte.

Es ist wohl an dir, die Lösung dieses Rätsels zu finden, rief ich aus; denn wenn du so aussiehst, so weiß ich, daß du dir schon eine Meinung gebildet hast.

Ich bin nicht Seemann genug, um Klarheit in diese Sache zu bringen, versetzte Monk, und sich an Holt wendend: Glaubst du, daß das Schiff noch mehr Boote gehabt hat, als diejenigen, die wir hier sehen?

Nein! dessen bin ich sicher. Drei Boote und ein Prahm sind mehr als genug für ein Fahrzeug wie dieses; und hätte es mehr solcher besessen, so würden wir ihre Lagerungsstelle, Zorringe und derartiges sehen können.

Die Mannschaft hat das Schiff heute morgen verlassen, viele Umstände deuten darauf hin, fuhr Monk fort. Ein anderes Schiff muß sie mit seinem eigenen Boot aufgenommen haben, nicht wahr?

Ja, das ist die einzige Erklärung, aber warum – warum verlassen sie das Schiff, und weshalb versuchte nicht das andere Fahrzeug dieses Schiff zu bergen – es ist doch seine 50–60 000 Kronen wert?

Holts Blick schweifte von Monk zu mir, als wenn er Antwort auf seine Frage erwartete; aber niemand von uns hatte etwas zu erwidern.

Monk starrte ins Leere und murmelte: Etwas hat die Mannschaft vom Schiff verscheucht, ebenso Henriksen mit dem »Fram« – – – aber was?

Ich blieb stumm und Holt ebenfalls.

Holt sah auf seine Uhr und dann nach dem Horizont ringsum und dem Himmel. Es war etwas über sechs Uhr und die Sonne näherte sich dem westlichen Rand des Meeres. Der Wind hatte fast ganz nachgelassen, und im Norden türmten sich Wolken auf.

Holt stieg hinauf in das Takelwerk, mit dem Fernrohr an einer Schnur über der Schulter. Er blieb fünf Minuten droben, dann kam er herab.

Der »Fram« ist fort, sagte er, und ich sehe kein Segel am ganzen Horizont. Dagegen bemerke ich etwas Blaues im Osten – es sind wohl die Berge Spaniens. Wir sind nicht mehr als 70–80 Meilen vom Lande entfernt. An zwei Stellen sehe ich Rauch in jener Richtung. Er rührt von Dampfschiffen her; aber sie sind außerhalb unseres Gesichtskreises. Wir befinden uns fern von allen Routen.

Was sollen wir tun? fragte Monk. Du magst das Kommando übernehmen, Holt!

Ja, etwas muß getan werden. Morgen wollen wir das Steuer in Ordnung zu bringen suchen. Heute abend können wir nichts weiter vornehmen, als die Bramsegel bergen und sie back liegen lassen, wie sie liegen. Ich glaube, daß wir ein Gewitter bekommen werden und vielleicht auch Wind in dieser Nacht; wenn aber die Bramsegel geborgen sind, so haben wir nichts zu fürchten. Kommt eine Bö, so können wir die Marssegel laufen lassen; übrigens dauert eine Kühlte zu dieser Jahreszeit und in diesem Fahrwasser nicht lange.

Weder Monk noch ich waren droben auf den Raaen eines größeren Schiffes gewesen, seit wir als Knaben die Schiffe im Hafen besucht hatten; aber wir folgten doch Holt in die Höhe und halfen ihm, so gut wir konnten, beim Beschlagen der Bramsegel.

Wir waren beide geübte Turner und kräftig, sodaß wir, wie ich glaube, unsere Sache ganz gut machten – wenigstens behauptete es Holt.

Sicher ist es, daß wir guten Willen zeigten, und nachdem wir erst auf dem einen und dann auf dem andern Top gewesen waren, warfen wir uns aufs Deck hin und schnauften wie Wale.

Ich hätte nicht geglaubt, daß ich im Alter von 38 Jahren als Schiffsjunge beginnen oder vielleicht enden sollte, – stöhnte Monk, als er wieder zu Atem kam.

Gott sei Dank, antwortete ich, daß Holt sich des Küchenwesens annimmt. – – –

Während Monk und ich ausruhten, hatte Holt in der Küche Feuer angemacht, Kartoffeln und Kaffee, Brot und Butter in der Vorratskajüte hervorgesucht.

Das Dunkel war schon eingetreten, – es kommt und geht schnell in den tieferen Breiten. Es war ein gemütlicher Anblick, wie sich der würdige Seeoffizier in der Küche umtat, Kohlen und Wasser hineintrug – alles mit unerschütterlichem Ernst und großer Behendigkeit, als wenn er nie die glänzenden Epauletten getragen, sondern sein Leben lang als Koch gearbeitet hätte. Als er mit geübter Hand den schweren Topf mit den Kartoffeln über das Feuer geschwungen hatte, pustete er mächtig und eilte hinaus auf Deck, um seinen langen Körper zu strecken und den Schweiß von der Stirne zu trocknen.

Was sitzt ihr müßig da, ihr Faulpelze, während ich im Schweiße meines Angesichts arbeite! Flink, holt die Stagsegel nieder, in einer Stunde haben wir das schönste Gewitter. – Wir taten, wie er befohlen. Alle Stagsegel wurden geborgen, mit Ausnahme des vordersten.

Endlich hißten wir zwei Laternen, eine vorn und eine hinten, um nicht übersegelt zu werden, und nun waren die Vorbereitungen für die Nacht getroffen.

Die Wolken im Norden türmten sich immer höher auf, während Blitze sie kreuz und quer furchten. Doch war das Gewitter noch so weit entfernt, daß man den Donner nicht hörte. Das Meer lag da wie eine schwarze ölige Masse, in welcher da und dort ein Fisch einen Hellen Streifen Meerleuchten zog. Die Dünung war auch sehr schwach, sodaß das Schiff sich kaum bewegte.

Wir gingen alle in die Kajüte, um zu speisen. Holt hatte ein wackeres Ragout bereitet, das wir mit großen Schlücken Genever und Wasser hinabspülten. Eine Flasche Genever hatten wir nämlich tief auf dem Boden eines Schrankes gefunden. Sonst aber konnten wir keine andern Getränke an Bord entdecken als Wasser, und dies war just nicht von der besten Beschaffenheit.

Es ist merkwürdig, sagte Holt nachdenklich. Dies ist überhaupt ein wunderbares Schiff, aber daß sich an Bord keine Flasche Wein, Bier oder Branntwein außer dieser einen findet – das ist doch seltsam; sonst herrscht hier Ueberfluß an Lebensmitteln. Was sagst du zu dieser Sachlage?

Monk, dem diese Frage galt, hatte das Ragout in sich hineingelöffelt, ohne ein Wort zu sprechen.

Ich kann bloß sagen, daß die Lage sehr flau ist. Die Leute werden uns auslachen, wenn wir wieder heimkommen, antwortete er.

Aber wann kommen wir heim? fragte ich.

Das kann ich nicht sagen, antwortete Holt, aber es müßte mit teuflischen Zünften zugehen, wenn wir lange an Bord blieben. Morgen müssen wir das Steuer ausbessern, sodaß wir den Kurs fortzusetzen imstande sind. Und in den nächsten Tagen muß wohl hier ein Schiff vorüber kommen. Wenn wir auch nicht gerade auf einer der großen Routen sind, so befinden wir uns doch in einem befahrenen Strich der See. – – – – Ein gewaltiges Donnerkrachen erschütterte das Schiff und der Blitz füllte trotz der Lampen die Kajüte mit Licht.

Hallo! Da haben wir die Bö. Wir müssen auf Deck und klar sein, um die Marssegel laufen zu lassen!

Wir waren schon an der Türe, die zur Deckstreppe führte.

Halt! rief ich. Da ist jemand im Verschlag an Backbord!

Ein leiser klagender Laut drang aus dem Raume. Wie schon erwähnt, war die Tür verschlossen, und wir hatten nachher nicht mehr an eine Untersuchung derselben gedacht.

Sind noch mehr Katzen an Bord? –

Ich muß gestehen, daß ich bei diesen Worten Holts eine gewisse Erleichterung fühlte, und wenn ich nicht irre, so war mein Kamerad ebenfalls befriedigt, sich den Laut wenigstens einstweilen auf diese Weise erklären zu können. Wir hatten an diesem Tag so vieles erlebt, daß unsere Nerven, selbst diejenigen Holts, die, wie ich glaubte, aus dem besten Hanf bestanden, ein wenig aufgeregt waren.

Ich springe auf Deck, fuhr Holt schnell fort, um zu sehen, ob dort etwas getan werden muß. Sprengt unterdessen die Türe und treibt das Untier hinaus.

Er stürzte nach dem Deck, während Monk und ich uns ziemlich langsam dem Verschlag näherten.

Hörst du was drinnen? – ich hatte das Ohr an die Türe gelegt.

Mir scheint, als höre ich jemand keuchen; aber zum Henker, das ist kein Tier.

Monk stemmte die Schulter gegen die Türe und drückte. Doch sie leistete unsern vereinigten Anstrengungen Widerstand.

Indessen erschien Holt wieder in der Kajüte: Noch ist es still, sagte er. Wir werden es wohl hören, wenn der Wind kommt. Könnt ihr die Türe nicht öffnen? Wartet ein wenig! Aus dem Weg da!

Er lehnte seinen breiten Rücken an die Türe, stemmte die langen Beine gegen den Tisch, der auf dem Kajütenboden festgeschraubt stand, und krachend stürzte die Türe mit ihm in den Verschlag hinein. Er kroch aus dem dunklen Raum und rieb seine geschundenen Glieder. Plötzlich drang aus dem Verschlag der schwache Schrei einer jammernden und bittenden Stimme – einer menschlichen Stimme.

Ich nahm eine Lampe und hielt sie in den Raum hinein, während Monk die zerbrochene Türe herauszog.

Den Anblick, der sich uns jetzt bot, hatten wir am wenigsten erwartet: Drinnen sah man eine große Standkoje an der Schiffswand. Die Gardine war beiseite geschoben. Mitten in der Koje saß – ein junges, schönes Mädchen. Das weiße Linnen war am Hals offen, ihr schwarzes Haar fiel in großen Massen über die Brust herab und verbarg teilweise das Gesicht. Sie stützte sich mit der einen Hand, um aufrecht sitzen zu können, mit der andern beschattete sie die Augen, als der Lichtschein der Lampe zu ihr drang. Sie starrte uns erschrocken an, während die Lippen unverständliche, klagende Worte murmelten.

Eine Weile standen wir wie versteinert; dann aber zogen wir uns langsam in die Kajüte zurück, während einer den andern ansah.

Virgen santissima! – – misericordia – –

Sie spricht spanisch! riefen Holt und ich zugleich aus.

Wenn ihr versteht, was sie sagt, so redet sie an. Monk war der erste, der sich faßte.

Ich suchte nach einigen spanischen Worten; aber zu meiner Verwunderung trat Holt schnell in die Tür und versicherte ihr im fließendsten Spanisch, daß sie nichts zu fürchten habe. Seine Stimme war so weich wie diejenige einer Mutter, die zu ihrem Kinde spricht. Dann zündete er eine kleine Lampe mit mattem Glas an der einen Wand des Verschlages an, während er seine beruhigenden Worte fortsetzte. Endlich schien das Mädchen ruhiger zu werden.

Wo bin ich? murmelte sie.

Sie sind auf dem Schiff »Ozean« – und unter Freunden, war Holts Antwort. Sie haben nichts zu fürchten.

Aber Sie sind nicht der Kapitän? Wo ist der freundliche Don Antonio und Donna Severina? – – sie waren so gut gegen mich und pflegten mich, als ich krank war – –

Ich weiß nicht, von wem Sie sprechen, Fräulein; wir sind heute an Bord dieses verlassenen Schiffes gekommen und –

Sie schien nicht zu hören, was Holt sagte.

Ist mein Vater mit den andern Männern noch hier an Bord? fragte sie.

Nein, außer uns ist niemand hier.

Sie seufzte, aber es war wie ein Seufzer der Erleichterung, dann sank sie mit der Hand vor den Augen auf das Kissen zurück. Aber bald erhob sie sich wieder, sah Holt mit einem Blick an, der bis ins Innerste seiner Seele dringen zu wollen schien, und fragte mit schwacher Stimme:

Sie wollen freundlich gegen mich sein, sagten Sie – und Sie sehen gut aus – wollen Sie mich ans Land bringen zu meinen Freunden in – – –. Dann aber schien sie sich wieder zu bedenken: Wo ist Don Antonio und Donna Severina? – Und ist es wahr, wie Sie sagen, daß mein Vater und seine Männer nicht mehr an Bord sind?

Außer uns dreien ist niemand an Bord, wiederholte er. Aber Sie können ruhig sein, wir werden Sie beschützen und Sie in wenigen Tagen der Obhut Ihrer Freunde übergeben.

Aber ich verstehe nicht – –. Das junge Mädchen legte sich auf das Kissen zurück und schien über etwas nachzudenken.

Sind Sie krank gewesen, Fräulein?

Ja, ja, sehr krank, schon seit wir hier an Bord gekommen sind; aber ich begreife nicht, wo sie geblieben – –.

Droben vom Deck herab drang plötzlich ein seufzendes, pfeifendes Geräusch zu uns und das Klappern von Tauen und Segeln, während das Schiff auf Backbord überzuhängen begann.

Es hat keine Gefahr, Fräulein, wir werden im Augenblick wieder bei Ihnen sein. Holt schloß vorsichtig die Türe des Verschlages, und wir stürzten alle drei auf Deck.

Eine Gewitterbö ging über uns, Blitz folgte auf Blitz, und Knall auf Knall, als wenn alle Feldbatterien Napoleons über unsern Köpfen abgefeuert würden, während der Wind durch das Takelwerk Pfiff und das Schiff hart nach Lee hinüber warf.

Wir lösten die beiden Marsfälle und holten die Gordingen vor, so gut wir es verstanden. Aber es war schwierig, die Raaen herabzubringen, der Wind in den Segeln hielt sie fest. Endlich ließ die Bö ein wenig nach, das Fahrzeug richtete sich auf, und wir ließen die Raaen herab. Der Wind war so plötzlich gekommen, daß die See nicht Zeit hatte »zu wachsen« – wie der Seemann sagt, und das Schiff lag ruhig wie eine Kirche. Es war übrigens nur eine Sommerbö, und als der Regen zu fallen begann, schwieg der Wind, und das Gewitter setzte seinen Weg gegen Süden und Osten fort.

Wir wollen uns nicht unnütz durchnässen lassen, sagte Holt. Gehen wir lieber hinab, um nach unserer neuen Reisegesellschaft zu sehen; sie fürchtet sich vielleicht, allein zu sein in diesem höllischen Donnerlärm.

Ja, antwortete Monk, als wir uns nach hinten tasteten, über Lukenrahmen und Taurollen strauchelnd; denn es war dunkel wie in einem Sack, und der Regen strömte in heftigen, senkrechten Strahlen herab, etwas Besses können wir nicht tun, die junge Dame muß uns das Geheimnis erklären können, das dieses Schiff umgibt. Was sagte sie doch?

Holt wiederholte Wort für Wort, was das junge Mädchen gesagt hatte. Ist's nicht so, Frederik, oder hat sie noch mehr erzählt?

Nein, nichts weiter; mir schien, als murmle sie bloß etwas von ihrem Vater, Donna Severina und Don Antonio, oder wie sie heißen mögen.

Ich kann leider nicht Spanisch, bemerkte Monk; aber ich hoffe, daß du, da du dieser Sprache kundig bist, bald aus der jungen Dame herausbringst, was sie hier an Bord zu tun hat und weshalb sonst niemand von der Schiffsbesatzung anwesend ist.

Unsere Reisegefährtin starrte uns mit aufgerissenen Augen an, als wir uns dem Verschlag wieder näherten; sie sprach schnell und abgebrochen. Ihre Wangen waren gerötet wie im Fieber und die Sätze ohne Zusammenhang.

Als Holt vor die Koje trat, ergriff sie seine Hand, legte sie an ihre Wange und bat ihn, sie zu beschützen – – gegen wen oder vor was, konnten wir nicht verstehen. Sie schien mich und Monk nicht zu bemerken.

Sie hat Fieber und spricht irre; was können wir für sie tun?

Wohl verstehe ich nicht Spanisch, sagte Monk mit einem launigen Lächeln, aber so viel weiß ich doch, daß »Agua« Wasser bedeutet; das hat sie nun schon mehrmals gemurmelt, ohne daß Ritter Holt deshalb einen Finger gerührt hätte. Er hielt ein Glas Wasser an die Lippen der Kranken und sie trank mit Begierde.

Ich meine, sagte Holt, wir müssen sie aus diesem dunstigen Verschlag so schnell als möglich herausbringen, hier ist es ja so heiß wie in einem Backofen. Wir legen sie in die Kajüte, dort ist es besser.

Er zog die Kojegardinen ganz zur Seite, wickelte die Decke um die junge Gestalt und nahm sie wie eine große Puppe auf seine langen, sehnigen Arme. Die Kranke leistete keinen Widerstand, sondern sah ihn vertrauensvoll an. Vorsichtig wurde sie auf das große Sofa neben dem Tisch mitten in der Kajüte gelegt, das Oberlicht und die Ventile wurden geöffnet, sodaß die Nachtluft mit erfrischender Kühle hereindrang. Die Kranke atmete mit augenscheinlicher Erleichterung.

Aus dem Verschlag des Schiffes holte ich eine kleine Kiste, die wir bei unserer ersten Untersuchung der Kajüten und Verschlüge geöffnet hatten. Es war die Medizinkiste des Schiffes, doch, was ich suchte, war nicht zu finden, die Chininschachtel war leer.

Was suchst du? rief Holt, Chinin? Das haben wir selbst. Ich nahm ja die Apotheke des »Fram« mit.

Er eilte auf Deck; gleich kam er mit dem kleinen Kasten zurück.

Die Kranke warf sich unter Phantasien auf dem Sofa hin und her. Das Fieber schien zu wachsen, und dann und wann mußten wir sie mit Gewalt auf dem Lager festhalten. Wir gaben ihr eine tüchtige Dosis Chinin und legten ihr ein in Wasser getauchtes Handtuch auf die Stirne, dennoch dauerte es lange, bis sie ruhiger wurde.

Wir müssen die Wache ausstellen, sagte ich endlich. Der Tag war reich an Begebenheiten, und ich fühlte mich ziemlich müde und schläfrig. Zwei von uns sollen draußen in der vordern Kajüte schlafen und der Dritte bei der Kranken Wache halten.

Ich gehe auf Deck, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist, antwortete Holt; wenn ich zurückkomme, werde ich die erste Wache übernehmen, dann könnt ihr schlafen. Ich bin noch nicht schläfrig.

Monk blieb in der Kajüte; aber Holt und ich begaben uns auf Deck.

Es war eine wunderbar schöne Nacht – ziemlich dunkel, aber Millionen von Sternen funkelten und verbreiteten hinreichend Licht, sodaß man die nackten Masten und Raaen des Schiffes unterscheiden konnte.

Das Gewitter hatte sich inzwischen nach dem östlichen Horizont hinab verzogen, und ein frischer kühler Wind blies andauernd aus Nordosten. Die See war ruhig. Nur die schwache Dünung versetzte das Schiff in leichte Bewegung, sodaß die Mastspitzen kleine Bogen zwischen den Sternen beschrieben.

Das Schiff trieb nicht nach vorwärts, sondern langsam nach Lee hinab – also südlich.

Wir holten den Besan aus, um besser bei Wind zu liegen, und sahen nach, daß alle Taue befestigt waren, denn Holt duldete selbst unter so ungewöhnlichen Verhältnissen keine Unordnung an Bord. Die Laterne, die wir unter das Fockstag geholt hatten, brannte klar und warf einen flackernden Schein auf das Vorderdeck.

Als wir längs der Leeseite der Reling nach vorn gingen, um einige Tauenden aus der Nagelbank festzumachen, fiel mein Blick auf die kleine Luke neben dem Ankerspill, die hinab zur Taukammer führte. Mir kam es vor, als stünde sie halb offen.

Es ist am besten, wenn wir sie schließen, dachte ich, damit im Dunkel niemand hinab fällt. Ich machte mich daran, ein dünnes Tau zu befestigen, um es über die Nägel zu hängen.

Ich vollendete meine Arbeit und ging nach vorn, um die Klappe aus die Luke zu legen, aber – – sie war geschlossen!

Die Laterne über meinem Kopfe schwankte hin und her, und warf bald Licht, bald Schatten auf die Stelle.

Das Licht hat mich getäuscht, dachte ich, und doch ich hätte einen Eid schwören können, daß die Luke vor einer halben Minute noch offen gewesen war.

Holt kam jetzt zum Vorschein; er hatte auf seiner Seite die Tauenden aufgeschossen.

Kannst du dich erinnern, ob wir diese Luke geschlossen haben, fragte ich flüsternd, als wir drunten in der Taukammer gewesen waren, um sie zu untersuchen?

Nein, so viel ich weiß, haben wir sie nicht geschlossen. Es war so warm da unten, daß ich sie offen stehen ließ.

Aber jetzt ist sie geschlossen.

Dann haben wir es vielleicht doch getan, ich weiß es nicht mehr so genau.

Aber wenn ich nun die Luke vor ein paar Minuten offen gesehen und sie seither nicht geschlossen habe?

Du willst mir damit doch nicht sagen wollen, daß es noch mehr Geheimnisse auf diesem Schiff gibt? Mir scheint, als hätten wir bisher schon genug davon erlebt. Er hob vorsichtig den Lukendeckel ab, und wir starrten beide in das dunkle Loch hinunter.

Sieh! sieh dort! siehst du den Lichtschein auf der Taurolle – und höre! Wirklich ließ sich ein schwaches, scharrendes Geräusch vernehmen; dann aber wurde es still.

Ja, ich glaube ebenfalls einen schwachen Lichtschein bemerkt zu haben; aber er muß von der Laterne über uns kommen.

Aber das Geräusch?

Es sind wohl Ratten oder die Katze.

Wir starrten in das Dunkel hinab und lauschten noch eine Weile, ohne uns zu rühren, aber ohne Erfolg.

Mir gefällt es nicht hier an Bord, sagte ich, das ist ein verwünschtes Schiff.

Ich bin auch nicht gerne hier, antwortete Holt nachdenklich; aber am merkwürdigsten ist das Verschwinden des »Fram«. Wie mag das zusammenhängen?

Ich weiß nicht; mir schwindelt, wenn ich nur daran denke.

Wir holten die Laterne von der Stag herunter, befestigten sie an einer Leine und ließen sie durch die Luke hinab.

Das Licht fiel auf Taurollen, Haufen von altem Segeltuch und all die hundert Dinge in einer Taukammer; aber etwas Neues war nicht zu sehen oder zu hören. Endlich stiegen wir in den Raum hinab und untersuchten ihn, jedoch mit dem gleichen Resultat.

Erzähle Monk heute nacht nichts davon, sagte ich; wenn du es tust, so gibt er nicht nach, bis er sogleich das ganze Schiff Zoll für Zoll untersucht hat. Ich kenne ihn. Trotzdem er alles ganz ruhig zu nehmen scheint, arbeitet doch sein Gehirn unaufhörlich an der Lösung dieses Geheimnisses. Diesmal haben mir wohl meine Nerven einen Streich gespielt.

Wir befestigten die Laterne wieder unter dem Stag und gingen nach hinten.

Dort haben wir ein Dampfboot! rief Holt plötzlich und zeigte in die Nacht hinaus.

Richtig; wir sahen die rote Laterne an der Signalstange eines Dampfers, der aus dem Dunkel auftauchte und an uns vorüberfuhr.

Eiligst machten wir eine Art Fackel aus einem mit Paraffin getränkten Taufaserbündel, zündeten sie an und schwangen sie an einem Kettenhaken, aber der Dampfer, der etwa eine Meile von uns entfernt war, schien nichts zu bemerken.

Es liegen einige Raketen und Feuerwerkskörper im Verschlag des Kapitäns; spring hinab und hol sie herauf, während ich mit dem Blaufeuer Zeichen gebe. Holt schwang die Fackel mit erneutem Eifer, während ich die Sachen holte.

Endlich gelang es uns, eine bengalische Flamme zu entzünden. Ihr gespensterhafter Schein erhellte das Schiff und den umliegenden Teil der See; doch das Dampfschiff wich nicht um einen Strich von seinem Kurs ab.

Wir zündeten alles an, was sich von den alten Feuerwerkskörpern anzünden ließ, aber die rote Laterne verschwand, dann die blanke Toplaterne, die Hinterlaterne und endlich die Lichter in der Kajüte des Dampfers. Er schenkte uns keine Beachtung. Zu allem Unglück entbehrten die Raketen des Schweifes, sodaß wir sie nicht schnell steigen lassen konnten.

Ist es nicht merkwürdig, daß ein Dampfer bei solchen Signalen nicht anhält? Das Abbrennen einer bengalischen Flamme bedeutet doch eine Bitte um Hilfe, oder lautet es nicht so in der Signalsprache? fragte ich.

Gewiß ist es so, antwortete Holt, aber er glaubt nicht, daß wir hier im besten Fahrwasser und beim schönsten Wetter in Gefahr sein könnten. Er denkt wahrscheinlich, daß wir uns nur ein wenig mit Feuerwerkskunststücken unterhalten. Schiffe führen immer Feuerwerkskörper mit sich, und wenn sie an Bord zu alt werden, so verbrennt man sie bei passender Gelegenheit.

Aber er hätte doch an uns heranfahren und fragen können!

Du kennst die Gebräuche der Dampfer nicht. Die größte Sünde, die ein Dampfschiffsführer begehen kann, ist, wenn er sich unnötig aufhält oder aus seinem Kurs steuert und sich dadurch verspätet, – selbst wenn es nur eine halbe Stunde wäre. Man hat sogar Beispiele, daß Dampfboote, besonders englische, hart an Menschen in Todesnot vorübergefahren sind, ohne zu halten – bloß um keine Zeit zu verlieren – somit ist es kein Wunder, wenn der dort auch nicht hielt.

Wir können ja auch nicht gerade behaupten, daß wir in Gefahr wären, bemerkte ich.

Nein, das ist sicher, lachte Holt, und es müßte wunderlich sein, wenn nicht drei erwachsene Männer den »Ozean« im einen oder andern Hafen vor Anker legen könnten. Außerdem können wir morgen eines der Boote aussetzen und das Schiff verlassen, wenn wir es wünschen. – – Ich befürchte nur, daß wir das junge Mädchen nicht gut genug pflegen können, und darum möchte ich lieber, daß uns ein Dampfer aufnähme.

Als wir in die Kajüte hinab kamen, saß Monk in Gedanken vertieft, während unsere Patientin sich noch immer mit weit geöffneten Augen und in Fieberphantasien auf dem Lager hin und her wälzte.

Holt behauptete, nicht schläfrig zu sein; er nahm deshalb die erste Wache, während Monk und ich in die Steuermannsverschläge der Vorderkajüte eilten.


 << zurück weiter >>