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Zweites Kapitel.
San Roque.

Eines schönen Morgens, fünf Tage später, lichtete der »Fram« im Hafen von Gibraltar die Anker und steuerte quer über die Bucht nach der spanischen Küste. Eine nette leichte Brise blies von der Straße herein, füllte die Segel des Kutters und trieb ihn durch die ruhige See, sodaß das Wasser vor dem Bug schäumte.

Geradeaus vor dem Bug sah man die weißen Häuser von Algeciras in den Strahlen der Morgensonne; rückwärts erhob sich finster der Gibraltarfelsen, seinen Schatten auf die Stadt und die Landzunge werfend, die ihn mit dem Festlande verbindet.

Eine halbe Meile weiter nördlich von der Landzunge liegt, an den Felsen klebend, das alte spanische Städtchen San Roque. Es ist wohl früher eine starke Festung gewesen und bildet gegenwärtig noch gewissermaßen die Hauptstadt des Distrikts. Als solche hat sie ihren unvermeidlichen Kommandanten und ihre Garnison von kleinen, zwiebelessenden, schmutzigen Soldaten, unterscheidet sich aber sonst nicht von den andern heißen, staubigen und stinkenden spanischen Städtchen.

Ihr Name hat einen guten Klang in den Ohren der Franzosen; denn es knüpfen sich an diesen Ort Erinnerungen an einen ihrer wenigen kriegerischen Triumphe über die Engländer zur See. Hier errang 1801 der französische Admiral Linois einen schönen Sieg über ein englisches Geschwader unter Admiral Saumarez.

Diese spanische Stadt war heute unser Ziel, aber wir beeilten uns nicht, sie vor dem Abend zu erreichen, und da die See so unendlich frisch und angenehm war, steuerten wir in die Straße hinaus.

Wir kreuzten bis unter die marokkanische Küste und wendeten endlich, als die Sonne zu sinken begann, gegen die Bucht, die wir verlassen hatten.

Monk und Holt waren sehr nachdenklich. Endlich nahm der erstere die Zigarre aus dem Mund:

Habt ihr euch schön die Köpfe mit der Enträtselung des Papieres zerbrochen, das ich in jener Brieftasche gefunden habe? Es ist doch nicht abhanden gekommen? Ihr habt versprochen, es gut aufzubewahren.

Wir können es nicht enträtseln; hier ist es. Holt nahm das Papier aus seinem Taschenbuch und reichte es Monk.

Warte ein wenig, laß mich noch einmal sehen. Ich streckte die Hand aus und erhielt den Gegenstand unseres Kopfzerbrechens. Es war, wie ich schon früher gesagt habe, ein Stück Papier, oder eher Pergament, von zähem, gelblichem Stoff und ziemlich durchsichtig, 5–6 Zoll lang, 3–4 Zoll breit und mit mehreren Strichen, Zahlen und Figuren in dunkelroter Tinte versehen. Es liegt in diesem Augenblick auf dem Schreibtisch vor mir, und ich habe es für meine Leser kopiert.

.

Auf der Rückseite befanden sich nur folgende Buchstaben und Zahlen, mit Bleistift geschrieben:

S. R. 7/9.

Und war sonst nichts in der Brieftasche? fragte Holt.

Nein, erwiderte Monk, mit Ausnahme von fünf spanischen Geldnoten, jede zu 100 Pesetas. Da kannst du selber sehen.

Er reichte mir die Brieftasche. Sie bestand aus feinem Juchtenleder und hatte zwei Abteilungen. Die eine enthielt die Banknoten, die andere, in der das Pergament gelegen hatte, war leer. Ich nahm die Banknoten und untersuchte sie. Sie waren alt und abgenutzt, aber keine auffälligen Zeichen fanden sich auf denselben.

Wo hast du sie gefunden?

Im Verschlag des Bootsmanns an Bord des »Ozean«.

Und welche Schlüsse ziehst du daraus?

Nur die, daß unter den schiffbrüchigen Spaniern sich Männer aus höherer Gesellschaftsklasse befanden. Ein gewöhnlicher Seemann führt keine derartige Brieftasche bei sich; sie stammt anscheinend aus Paris.

Und du kannst nichts herausbringen?

Nein, solange die Striche und Zeichen auf dem Pergament nicht erklärt werden können; – ich hatte gehofft, daß Holt dies würde zustande bringen.

Warum gerade ich? Es ist nicht meine starke Seite, Rätsel zu lösen, weder Bilderrätsel noch andere.

Weil ich vermutete, daß es eine Kartenskizze wäre, und daß du als Hydrograph sie würdest erklären können.

Holt ergriff, das Pergament wieder, betrachtete es lange und gab es dann Monk zurück: Das sind keine Zeichen, deren wir uns beim Kartenzeichnen bedienen. Die einzigen Figuren, die in dieser Hinsicht passen könnten, sind die kleinen Draggen, Eine Art Anker. die an zwei Stellen vorkommen. – Wir pflegen durch dieses Zeichen einen Ankerplatz für kleine Fahrzeuge zu markieren. Wir bedienen uns auch eines Pfeils, um Nord und Süd zu bezeichnen; weiter kann ich nichts finden, das nach meinem Beruf aussieht. Die Figur unten zur Linken scheint einem Auge zu gleichen.

Behalte das Papier, sagte Monk ernst, und nimm es dann und wann hervor, um zu sehen, ob du nicht eine Idee zu dessen Erklärung findest. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß derartige Ideen oft plötzlich kommen, wenn man es am wenigsten erwartet. Das Pergament ist nun die einzige Verbindung zwischen uns und den Menschen, auf die wir Jagd machen, – nachdem sich die Expedition des »Plover« als resultatlos erwiesen hat.

Ich sah Holt fragend an: Ihr habt also nichts – absolut keine Spur an der Küste gefunden?

Wie oft muß ich dir sagen, antwortete er mißmutig, daß das Unternehmen vollständig mißlungen ist. Wir besuchten die Häfen El Arisch, Sale, Rabat, Dar el Beida, Azamar, Mazighan, Safi, Mogador und Agadir. Andere Häfen gibt es nicht an der ganzen Westküste Marokkos südlich von Kap Spartel. Ich bin überzeugt, daß im Lauf des letzten Monats kein Boot oder kleineres Fahrzeug in einem dieser Häfen gelandet ist; und außerhalb derselben ist, wie ich schon früher erwähnte, die Küste so gut wie unzugänglich. Selbst wenn die Landung an einer andern Stelle als in diesen Häfen stattgefunden hätte, so müßte die Mannschaft doch die Städte aufgesucht haben. Aber ich weiß sicher, daß dies nicht geschehen ist. Die Ankunft so vieler Europäer in einem dieser Schmutzlöcher geht nicht unbemerkt vor sich.

Es bleibt also keine andere Annahme übrig, als daß unsere Freunde vom »Ozean« ihren Kurs nach Spanien eingeschlagen haben und dort gelandet sind.

Der englische Admiral hat der Reihe nach an alle englischen Konsuln in den Küstenstädten bis an die portugiesische Grenze telegraphiert. Alle melden zurück, daß nach ihren Erkundigungen kein Boot vom Meer herein gekommen ist, war die Antwort.

Dies hindert nicht, fiel Monk ein, daß sie doch im geheimen an der spanischen, Küste gelandet sein können. Wer weiß, ob sie nicht auch von einem vorbeifahrenden Schiff aufgenommen wurden. Wie das nun auch zusammenhängen mag, Tatsache ist, daß sie vorläufig für uns verloren sind. – Es gibt indessen noch einen andern Umstand, den wir noch sehr wenig beleuchtet haben, das ist Henriksens Abenteuer auf dem »Fram«. Er erzählte ja, daß er seine »Passagiere« an einer öden Küste ausgeschifft habe. Kann etwa ein Zweifel darüber herrschen, daß dies die afrikanische Küste war?

Nein, kein Zweifel, antwortete Holt bestimmt. Ich, habe viel über diese Sache nachgedacht und bin immer mehr überzeugt, daß hier eine Teufelei dahinter steckt, die wir nicht kennen. Henriksen hat kein Besteck gemacht; aber nach dem Kurs und der Zeit zu urteilen, muß der »Fram« damals drunten bei Kap Mazighan oder etwas südlicher gewesen sein, und ferner berichtet er, daß seine »Passagiere«, wie du sie nennst, mit jemand am Lande Signale wechselten und daß ein großes Boot voller Leute zum Vorschein gekommen ist – das begreife ich nicht!

Ob nicht Henriksen selbst »voll« gewesen ist und die ganze Räubergeschichte nur geträumt hat? bemerkte ich.

In diesem Moment kam Henriksen nach achtern und fragte, ob er den Anker klar machen solle. Ich betrachtete den Gegenstand unseres fürchterlichen Mißtrauens, sein braunes, offenes Seemannsgesicht mit den ehrlichen Augen. Dies taten auch Monk und Holt, und dann lachten wir alle drei zur großen Verwunderung Henriksens.

Leihe mir doch das Telegramm, das wir vom Polizeimeister in Christiania erhalten haben, und auch dasjenige vom Konsul in Cadix.

Monk zog die Papiere aus seiner Tasche und reichte sie mir. Dasjenige aus Christiania lautete folgendermaßen:

»Mannschaft des »Ozean« gestern angekommen. Hält an ihrer Erklärung von Cadix fest; Fremde von sinkender Dampfjacht kamen an Bord, bemächtigten sich des Fahrzeugs. Sind laut Telegramm entlassen.«

Dasjenige aus Cadix lautete:

»Haben heute, wie gewünscht, das Boot untersucht, in dem die Mannschaft vom »Ozean« sich befand. Schönes Mahagoniboot. Sachkundige nehmen an, daß es Luftfahrzeug angehört; doch nicht bekannt, daß solches in letzter Zeit verunglückt.«

Ich las sie laut vor und meine beiden Kameraden hörten aufmerksam zu, trotzdem wir sie bereits mehrmals gelesen hatten.

Mir steht der Verstand still! Wir tappen im Nebel! Holt warf mißmutig den Zigarrenstummel ins Wasser und erhob sich, um Henriksen, die Segel mindern zu helfen; – wir näherten uns dem Hafen.

Im Gegenteil! rief ihm Monk nach; ich glaube jetzt, daß es zu tagen beginnt. Wenn es dir gelingt, das Pergament zu enträtseln, dann glaube ich dir versprechen zu können, daß du wieder etwas von jenen Personen zu sehen bekommen wirst, nach denen du dich so gewaltig sehnst!

Holt war schon mitten in seiner Arbeit und hatte keine Zeit zu antworten.

Nach der mißlungenen Expedition des »Plover« waren Holts und meine Hoffnungen gesunken, und wir hatten beide vorgeschlagen, Gibraltar zu verlassen und heimzureisen. Aber Monk hatte um ein paar Tage Aufschub gebeten, um einige spanische Ortschaften in der Nähe von Gibraltar zu besuchen, Dies war der Grund, daß wir an jenem Tag nach Algeciras fuhren.

Die Sonne senkte sich stark nach dem Lande im Nordwesten, als wir uns der kleinen Insel Verde islet näherten, wie sie auf englischen Karten heißt, und die den inneren Hafen von Algeciras deckt. Die See wurde immer dunkler, fast schwarz und mit Purpur in den Wellentälern vermischt. Der Wind flaute mehr und mehr ab und drang in unregelmäßigen Zügen vom Strande herüber. Er führte den würzigen Duft der Bäume und Blumen am Lande mit sich, jenen Duft, welchen der Seemann, der die Küsten der Südländer entlang fährt, so gut kennt.

Der »Fram« mußte ein paar Schläge kreuzen, um sein Ziel zu erreichen; aber noch ehe die Sonne hinter den Bergrücken verschwunden war, liefen wir an der kleinen Insel mit dem Leuchtturm und den alten Batterien vorüber und ankerten vor der Mündung des Flusses Miel, nur wenige hundert Meter von den kleinen weißen Steinquais von Algeciras entfernt.

In dem seichten Hafen, in den große Schiffe nicht einlaufen können, lagen nur einige kleine Küstenfahrer und ein kleines spanisches Kanonenboot.

Wir warfen Anker in Steinwurfweite von demselben. Das Kanonenboot war wie gesagt klein und von vorn bis hinten mit Sonnensegeln gedeckt. Der schwarzbemalte eiserne Rumpf glich demjenigen eines gewöhnlichen Passagierbootes; aber die Orlogsflagge, das Kommandozeichen auf dem Top und eine Kanone auf drehbarer Lafette voraus verriet die kriegerische Natur desselben. Es waren wenige Leute an Bord zu sehen: eine Schildwache auf der schmalen Kommandobrücke und ein paar Mann unter dem Sonnensegel voraus.

Wir überließen den Kutter Henriksens Obhut und ruderten ans Land.

Die Stadt war nicht groß, aber doch immerhin groß genug, um eine erkleckliche Anzahl von Tagedieben und Bettlern aufzubringen. Indem wir uns einen Weg zwischen ihnen hindurch bahnten, hörten wir um uns her die Worte: Noruego, – si, si Noruego! während ein paar unternehmende Jünglinge uns ihre Dienste als Führer anboten. Es gelang indessen, sie uns vom Leib zu halten – glücklicherweise ist die Zahl der Touristen hier nicht groß, – sodaß wir einigermaßen in Ruhe durch die Stadt spazieren konnten.

Die Sehenswürdigkeiten derselben waren jedoch bald erschöpft, und als es zu dunkeln begann, waren wir wieder drunten am Hafen.

Eine Weinhandlung in einem Garten öffnete uns ihre gastfreie Türe, und bald saßen wir behaglich auf einer kleinen Steinbalustrade, mit der schönen Meeresbucht vor unsern Blicken und einer großen Flasche spanischen Weines vor uns auf dem Tisch.

Der Wirt stand neben uns, knixend und plaudernd, aber mit der Würde des Spaniers und den herablassenden Gebärden, die in so großem Gegensatz zu der kriecherischen Freundlichkeit des Italieners gegen fremde »Exzellenzas« stehen.

Auf dem Deck des gerade vor uns liegenden Kanonenbootes zeigten sich zwei Männer, ein jüngerer in der Uniform eines Leutnants, wahrscheinlich der Chef des Fahrzeugs, und ein älterer Offizier mit den Abzeichen eines Stabsoffiziers.

Der Wirt bemerkte die Richtung unserer Blicke.

Signor de Santa Marina, capitano de navio Linienschiffskapitän. – ein großer Herr, flüsterte er mit dem Ausdruck der Hochachtung.

Das ist kein großes Schiff für einen Capitano, bemerkte ich.

Er kommandiert alle Kanonenboote von hier bis zur portugiesischen Grenze; und gegenwärtig halten sich viele derselben in dieser Gegend auf.

Sind mehr hier stationiert als gewöhnlich?

Ja, zur Zeit liegt eines in jeder Bucht, gerade als wäre man mitten im Krieg. Aber wir kennen den Zweck wohl; es geschieht, um die armen Schmuggler ins Verderben zu bringen – als ob es an den Zollbehörden nicht genug wäre! Wovon sollen die armen Spanier leben, wenn sie nicht ein wenig schmuggeln können – wovon die Steuern bezahlen? Einige sagen, es geschehe der Carlisten wegen, aber ich weiß es besser!

Der brave Wirt zuckte bekümmert die Schultern und wandte sich ab, um ein paar andere Gäste zu bedienen.

Der ältere Seeoffizier wurde vom Kanonenboot an Land gesetzt, stieg die steinernen Stufen des Quais herauf und begann, seine Zigarette rauchend, unter der kleinen Baumpflanzung auf und ab zu wandeln. Wir bemerkten, daß er dann und wann nach dem »Fram« schielte. Die Müßiggänger gingen ihm stumm aus dem Wege.

Glaubst du, daß du den Herrn zu einer Unterredung mit uns bewegen könntest? Monk legte die Hand auf Holts Arm – ich hatte ihm die Worte des Wirts übersetzt.

Das ist nicht schwierig! Es besteht in der ganzen Welt eine Art Kollegialität zwischen uns Seeoffizieren, und er müßte schon ein Ochse von einem Kerl sein, wenn er mich nicht höflich empfinge, sobald ich mich ihm vorstelle.

Holt stieg die kleine steinerne Treppe hinab und ging durch den Garten hinaus auf die »Alameda«. Wir sahen, wie er den Spanier grüßte und anredete, und wie dieser höflich seine Zigarette aus dem Mund nahm und den Gruß erwiderte. Gleich darauf schüttelten sie sich die Hände und näherten sich dem Platz, wo wir saßen.

Die notwendige Vorstellung fand statt und der Spanier nahm unsere Einladung, eine Flasche Wein mit uns zu leeren, an. Monks wegen wurde die Unterhaltung auf Französisch geführt, welche Sprache von fast allen spanischen Seeoffizieren gesprochen wird.

Der Fremde war ein Mann von nicht mehr als vierzig Jahren und sehr gewinnendem Aeußern, mit kohlschwarzem Haar und spitz zugestutztem Bart von etwas hellerer Farbe. Das Gesicht war regelmäßig und die Augen dunkelblau.

Er interessierte sich außerordentlich für unsere lange Fahrt mit dem »Fram« und versprach, uns am nächsten Tag an Bord besuchen zu wollen. Wir mußten ihm einen genauen Bericht über unsere Fahrt abstatten, aber einige, norwegische Worte von seiten Monks veranlaßten mich und Holt, das Abenteuer mit dem »Ozean« zu verschweigen.

Dann kam seine eigene Anwesenheit in dieser Gegend zur Sprache, indem er sein Bedauern darüber ausdrückte, daß das große Kanonenboot, auf dem sein Kommandozeichen gehißt war, zur Zeit in Cadix lag, sodaß er also auf das Vergnügen verzichten mußte, uns an Bord seines eigenen Schiffes gastfreundlich zu empfangen.

Gegenwärtig habe ich mich an Bord des kleinen Kastens dort einquartieren müssen, um die notwendigen Inspektionsreisen zu machen, fuhr er fort.

Es muß ein anstrengender Dienst sein für die Kanonenboote.

Es war Monk, der so fragte. Der Seeoffizier sah ihn etwas überrascht an: Als Küstenwache meinen Sie? Ja, er ist nicht ganz leicht.

Ich meine, daß es schwierig sein muß, bei einer so nahen Freihandelsstadt wie Gibraltar den Schmuggel zu verhindern.

Schmuggel? Der Kapitän blickte Monk scharf an; aber der letztere schien in die Betrachtung der Bucht vertieft zu sein, wo das Mondlicht zu spielen begann. Wir sind nicht eigentliche Zollkreuzer.

Ich bitte um Entschuldigung; aber der Wirt hier erwähnte etwas davon, daß das Kanonenboot Schmuggler jage.

So, das hat er erzählt? antwortete der Seemann lächelnd, aber mit etwas ärgerlichem Gesichtsausdruck. Ja, die Wahrheit zu sagen, ist dies auch der Hauptzweck der Stationierung so vieler Fahrzeuge an dieser Küste. Der Schmuggel hat in den letzten Jahren immer mehr überhand genommen, denn die Zollbeamten mit ihren alten Kuttern konnten der Aufsicht nicht mehr genügen.

Woher kommen die Waren, die eingeschmuggelt werden?

Wahrscheinlich von Gibraltar. Der spanische Offizier schien dieses Thema satt bekommen zu haben, Monk aber verfolgte es mit einer Hartnäckigkeit, die eher alles andere als höflich war.

Ich glaubte, daß auch von der afrikanischen Küste herüber geschmuggelt würde – von Marokko.

Von Marokko? Nein, dieses Land erzeugt wenig, das des Schmuggels wert wäre.

Nein, seine Waffenfabrikation steht nicht hoch, das ist wahr.

Bei dieser Bemerkung richtete der fremde Offizier sich halb auf und sah Monk mit einem eigentümlichen Blick an; da aber derselbe seine Augen schon wieder nach der mondbeschienenen Fläche der Bucht gewendet hatte und sich behaglich auf seinem Stuhl streckte, so schien der Spanier seinen Entschluß zu ändern; er setzte sich wieder und rief lebhafter aus:

Aber, meine Herren, wollen wir nicht lieber von etwas Angenehmerem sprechen, als von Schmugglern und Spitzbuben? – Ich nehme an, daß Sie morgen den Stierkampf besuchen werden.

Stierkampf – wo?

In San Roque; Sie wissen doch, wo San Roque liegt? – Die ganze Provinz spricht von nichts anderem als von dem Stiergefecht, das morgen dort stattfinden soll.

Es ist mir, als hätte ich etwas davon in einer Zeitung gelesen; morgen ist ja wohl der siebente September? bemerkte Holt. Uebrigens gehört es nicht zu meinen Lieblingsvergnügungen.

Die Wahrheit zu sagen, geht es mir auch so. Aber meine Landsleute, wissen Sie, würden lieber ein Jahr ihres Lebens als ein solches Vergnügen verloren geben. Morgen werden 20–30 Tausend Menschen in San Roque versammelt sein; für gewöhnlich sind es sechstausend. Der Seeoffizier sprach ruhig und bedächtig; aber ich bemerkte doch eine gewisse Unruhe in seinem Wesen und er warf dann und wann einen schnellen Blick auf Monk.

Ich wurde selber nicht recht klug aus Monk; denn ebenso gleichgültig, wie er sich früher im Gespräch gezeigt hatte, ebenso interessiert zeigte er sich jetzt bei diesem Punkt.

San Roque, den 7. September, wiederholte er, dort ist ein Stierkampf, sagen Sie, dem alle Spanier, die es möglich machen können, beiwohnen?

Gewiß, antwortete der Fremde, der von dem eigentümlichen Benehmen Monks unangenehm berührt zu sein schien. Sie kennen doch die Vorliebe meiner Landsleute für derartige Belustigungen?

Gewiß, Herr Kapitän! entschuldigen Sie meine Neugierde; aber ich wurde sehr angenehm überrascht, da ich seit langem einer solchen Vorstellung beizuwohnen wünsche und bisher keine Gelegenheit dazu habe finden können.

Von hier bis San Roque sind nur zehn englische Meilen, und es ist nicht unmöglich, daß Sie für Geld und gute Worte hier in der Stadt Mietpferde erhalten. Der Kapitän erhob sich, nachdem er noch versprochen hatte, am nächsten Morgen den »Fram« besuchen zu wollen.

Sobald seine Schritte auf dem Steinpflaster verhallt waren, fuhr Monk vom Stuhl auf und rief nach dem Wirt.

Bittet ihn, eine Lampe oder Laterne herzubringen; es ist hier so finster, wie in einem Sack! Und – dann gebt mir das Pergament!

Eine flackernde Oellampe wurde auf den steinernen Tisch zwischen uns gesetzt und Monk entfaltete das Pergament.

Ganz richtig: S. R. 7/9. Das ist deutlich genug!

Was ist deutlich genug?

Die Buchstaben! Das Datum!

Das Datum?

Kannst du denn nicht lesen? S. R.: San Roque. 7/9: der siebente September – das ist morgen, da soll der Stierkampf stattfinden.

Endlich ging mir ein Licht auf: Du glaubst, daß wir morgen in San Roque die Person treffen würden, der die Brieftasche gehört?

Ich bin überzeugt, daß sie dort sein wird.

Aber wir kennen sie nicht und haben sie nie gesehen!

Kommt Zeit, kommt Rat; wir, haben jetzt den Faden in der Hand wir müssen ihn durch das Labyrinth verfolgen.

Holt hörte uns zu, ganz bleich vor Gemütsbewegung, ohne ein Wort zu sprechen.

Wieder mußte der Wirt zur Stelle; aber es kostete uns eine ansehnliche Summe Geldes, um drei Maultiere und einen Führer für den nächsten Tag zu dingen.


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