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Viertes Kapitel.
Kapitän Santa Marina.

Wir saßen am nächsten Morgen beim Frühstück. Henriksen machte klar zum Lichten, als unser neuer Bekannter, Kapitän Santa Marina, mit seiner kleinen Jolle bei uns anlegte und uns um eine Unterredung ersuchte.

Er wurde in die Kajüte hinabgeführt und hatte nichts dagegen, auf unsere Einladung von dem Inhalt verschiedener hermetischer Dosen zu kosten, mit denen der »Fram« im Ueberfluß ausgerüstet war und die unsern Frühstückstisch zierten.

Ich komme, um Ihnen, meine Herren, einen Vorschlag zu machen, sagte der Kapitän nach beendigtem Frühstück und nachdem die Zigarren und Zigaretten angezündet waren.

Er sah Monk an und fuhr fort:

Ich glaube, wir jagen das gleiche Wild – wenn auch nicht in der gleichen Absicht.

Holt und ich betrachteten ihn verwundert; aber Monk antwortete ganz ruhig:

Ja, das ist auch mein Gedanke, und vielleicht könnten wir einander helfen.

Ganz meine Ansicht, – der Spanier sprach mit einer Lebhaftigkeit, die wir früher nicht an ihm bemerkt hatten, – und ich muß sehr bedauern, daß ich mich das erstemal so abweisend verhalten habe.

Nicht der Rede wert, fiel Monk ein; Sie nahmen vielleicht damals an, daß wir Carlisten wären und somit zu dem Wild gehörten, das Sie jagten?

Der Spanier schien verlegen zu sein: Ich muß gestehen – ja, ich habe keine Ursache, Ihnen etwas zu verhehlen. Der Grund, daß ich mit einem so großen Geschwader an der Küste stationiert bin, ist der, daß in der letzten Zeit hier von den Carlisten eine Menge Waffen und Munition eingeschmuggelt worden ist, sogar Feldgeschütze. Selbst jetzt noch, nachdem dies der Regierung zu Ohren kam und ich den Auftrag erhielt, diesem Treiben ein Ende zu machen, ist es den Kerlen gelungen, ihr Werk in ziemlich großem Maßstab fortzusetzen. –

Aber wie geht denn das zu, fragte ich, daß man darum weiß, und es doch nicht verhindern kann?

Der Spanier lächelte:

Es sind wunderliche Verhältnisse hier in Spanien, sehen Sie! Die Regierung hat viele Spione selbst unter den Carlisten, und wir erfahren es immer, sobald eine Einschmuggelung stattgefunden hat – ja, oft noch früher; aber die Kerle stellen die Sache so schlau an, daß es uns wenig hilft. Sie arbeiten in drei Abteilungen; die einen bringen die Gegenstände an die Küste, andere empfangen sie und wieder andere befördern sie ins Land hinein.

Diese Leute kennen einander nicht, sodaß es uns, selbst wenn Verräter unter ihnen sind, nie gelingt, den Faden bis ans Ende zu verfolgen. Dann und wann glückt es uns, einen kleinen Vorrat von Waffen zu erwischen, aber wir können niemals dahinterkommen, wer sie nach der Küste gebracht und wie man es angestellt hat, und auch nicht, wohin sie später gelangen sollten. Ich habe indessen in der letzten Zeit – – er hielt inne und schien zu zögern.

Reden Sie nur offen! sagte Monk; wir geben Ihnen unser Ehrenwort, daß wir Ihre Aussagen nicht benützen werden, um Ihren Plänen entgegenzuarbeiten.

Er sah Holt und mich fragend an; wir nickten.

Das genügt mir, fuhr der Kapitän fort. Was ich sagen wollte, war, daß die Regierung erfahren hat, die Waffen kämen aus Amerika; aber ich weiß, daß sie nicht in denselben Fahrzeugen nach unserer Küste gebracht werden, die sie aus Amerika holen. Aus verschiedenen Umständen glaube ich schließen zu können, daß sie von Dampfschiffen eingeschmuggelt werden, die sich als englische Lustjachten ausgeben; aber wo diese die Waffen an Bord nehmen, das ist uns ein Rätsel.

Und so hegten Sie neulich den Verdacht, daß wir mit zum Komplott gehörten?

Der Kapitän errötete verlegen.

Ja, ich will nicht leugnen, daß mir so etwas durch den Kopf gefahren ist. Sie stellten damals so sonderbare Fragen. – – –

Wir mußten alle lachen.

Ich muß Ihren Scharfsinn bewundern, sagte Monk. Aber wie erfuhren Sie denn nachher, daß wir das nämliche Wild jagten – wie Sie sich ausdrücken?

Dies habe ich nicht meinem Scharfsinn zu verdanken, sondern dem Umstand, daß ich gut unterrichtet bin. Ich machte einen Ausflug nach Gibraltar, wo ich Nachforschungen über Sie und Ihren Kutter anstellte. Es lag mir daran, festzustellen, ob Sie Engländer oder Norweger wären. Die Engländer zeigen eine merkwürdige Sympathie für Don Carlos – –

Sie dürfen ja nicht glauben, daß uns Ihr Verdacht beleidigt, fiel Monk ein. Ich bitte Sie, frei zu sprechen!

Nun gut, wir haben unsere Agenten in Gibraltar sowohl aus dem einen als dem andern Grunde, besonders aber des Zollwesens halber, und ich darf wohl sagen, daß gegenwärtig wenig Aussicht ist für die armen Schmuggler, die Freihandelsstadt verlassen zu können. Ich bediene mich natürlich auch der Agenten der spanischen Zollbehörde und vernahm, daß der norwegische Kutter draußen auf dem Atlantischen Ozean zwischen Afrika und Spanien ein merkwürdiges Abenteuer erlebt, ja, daß sogar der englische Admiral ein Kanonenboot zu Ihrer Verfügung gestellt hatte, um zur See nach spanischen Räubern zu fahnden. Aber wo das Kanonenboot gewesen ist, konnte ich nicht erfahren.

Das ist merkwürdig! sagte ich. Wir haben gegen niemand ein Wort davon geäußert, außer dem englischen Admiral, und er versprach, reinen Mund zu halten.

Man konnte doch nicht erwarten, daß die Expedition des Kanonenbootes Geheimnis bleiben würde? bemerkte Monk.

Aber kennen Sie auch unsere Abenteuer, besonders das mit dem »Fram«?

Ich darf wohl sagen, daß ich es kenne. Ein eigentümliches Lächeln zeigte sich auf dem Gesicht des Spaniers. In Gibraltar gibt es manches gemütliche Seemannswirtshaus und bei einem guten Glas »spinnt der Matrose gern ein Ende«, wie man zu sagen pflegt. Sie haben ja auch einen Matrosen an Bord, wenn auch nur einen Mann – soviel ich weiß?

Da war also die Erklärung! Karl Henriksen hatte aus der Schule geschwatzt, obschon ihm aufs strengste Stillschweigen anbefohlen war.

Ich hoffe, daß ich nicht schuld daran bin, wenn Ihr Matrose in Ungnade fällt, fuhr der Kapitän fort. Man hat mir gesagt, daß es vieler Gläser bedürfe, um ihn aus dem Geleise zu bringen.

Nein, seien Sie ganz ruhig, ergriff Holt das Wort. Was uns widerfahren ist, brauchen wir nicht geheim zu halten, und ich würde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie uns mitteilen wollten, auf welche Weise wir die Personen erreichen können, nach denen wir suchen.

Ich hatte gehofft, daß Sie mir einen Wink geben könnten, antwortete der Kapitän; denn soviel ich kombinieren kann, gehören die Leute, die Sie an Bord des verlassenen Schiffes trafen, und die sich Ihres Kutters bemächtigten, zu derselben Bande, die für Don Carlos Waffen eingeschmuggelt haben. Ich kenne auch den Bericht der Mannschaft, die das Schiff verlassen mußte und in Cadix ans Land kam. Ich begriff sogleich, daß sie die Wahrheit redete.

Sie sind wirklich gut unterrichtet, Herr Kapitän! Man könnte beinahe glauben, Sie hätten Ihre Erziehung bei der Polizei erhalten, bemerkte Monk lächelnd. Aber woher wissen Sie, daß die Carlisten mit Lustjachten unter englischer Flagge fahren?

Ja, ich bin wirklich genötigt gewesen, mich als Detektiv auszubilden, wenigstens in der letzten Zeit, antwortete der Seeoffizier halb ernst, halb scherzend. Dennoch nützt es nichts. Die Regierung beginnt ungeduldig zu werden, weil ich dem Unwesen noch nicht habe steuern können. Was meinen Verdacht hinsichtlich der Verwendung von Lustjachten unter englischer Flagge anbetrifft, so stützt sich derselbe auf die Wahrnehmung, daß sich schon zweimal solche Fahrzeuge gerade dort gezeigt haben, wo, wie wir nachher erfuhren, Waffen ans Land gebracht wurden. Andere Fahrzeuge sind nicht gesehen worden.

Und ist es Ihnen nicht gelungen, eines dieser Fahrzeuge zu überraschen?

Nein, bis jetzt nicht! Es ist noch dazu eine gefährliche Sache, besonders weil sie unter englischer Flagge fahren. Begeht man einen Irrtum, dann ist der Teufel los! Uebrigens verfolgte einmal eines meiner Kanonenboote ein solches Fahrzeug bis an die afrikanische Küste hinunter; dort aber verschwand es spurlos.

Verschwand, sagen Sie? Holt bog sich eifrig vorwärts.

Ja, der Chef des Kanonenbootes erzählt, daß das verdächtige Fahrzeug gerade unter Land gesteuert und verschwunden sei. Es war in der Dämmerung, sodaß ich annehme, es ist einfach der Küste entlang abgeschwenkt und auf diese Weise entschlüpft.

Wo war das? Holt heftete seinen Blick gespannt auf das Gesicht des Fremden.

Zwischen Kap Mazighan und Fedaflah – so glaubt er wenigstens; aber er weiß es doch nicht ganz sicher, denn er kam bei bedecktem Wetter unter Land und mußte sogleich wieder in offene See, als ein Sturm losbrach.

Aber hatte er denn keine Kenntnis der Landmarken? fragte Holt weiter.

Nein, man kann ja Hunderte von Meilen an dieser Küste segeln, ohne daß das Land sich verändert; und er konnte kein anderes Zeichen angeben als zwei riesige Palmen.

Palmen?

Ja, Palmen! bemerkte der Seeoffizier mit einem kurzen Lachen. Ein schönes Seezeichen das, wo sich Hunderte und Tausende davon finden! Es war übrigens ein ganz junger, unerfahrener Offizier, und ich hatte wenig Vertrauen zu seinem Bericht. Später habe ich die Küste dort mehrmals befahren, aber keine andern Häfen finden können, als die bekannten marokkanischen Städte, etwa fünf oder sechs, wie Sie wissen.

Das ist eine sonderbare Geschichte! sagte Holt nachdenklich. Gleich darauf verschwand er aus der Kajüte; wir hörten ihn auf Deck auf und nieder wandern.

Es wurde Ihrem Kameraden hier unten wohl zu warm? bemerkte der Spanier. Ich fürchte, daß ich die Herren mit meiner Geschichte langweile.

Nein, gar nicht, erwiderte Monk. Aber wenn ich Sie recht verstanden habe, so hatten Sie noch einen weiteren Grund, den Lustjachten zu mißtrauen?

Ja, – – – ich brauche es nicht zu verhehlen: die Agenten der Regierung haben ermittelt, daß die Carlisten vor ein paar Jahren zwei ältere Dampfjachten in England gekauft haben. Andererseits wissen wir auch, daß die Waffenvorräte in Amerika auf Segelschiffe verladen worden sind; sie müssen also irgendwo umgeladen werden – aber wo?

Es kann also nicht an der marokkanischen Küste sein?

Nein, dort halten unsere Konsuln und Agenten in den Häfen Wache; spanische Kriegsschiffe haben seit langer Zeit auch die Kanarischen und Capverdischen Inseln und Madeira abgesucht. – Weiter von der spanischen Küste kann es auch nicht sein; denn die Jachten eignen sich nicht für die hohe See – – – nein, es ist ein Rätsel!

Wir können Ihnen leider keinen Aufschluß geben, antwortete Monk, obschon auch wir Grund hätten, zu glauben, daß die Kerle an der marokkanischen Küste gelandet sind, als sie uns verließen. Dorthin ging auch das englische Kanonenboot; aber seine Nachforschungen führten zu keinem Ziel. Wir haben leider von jenen Menschen auch keinen gesehen und können somit kein Signalement geben.

Ich weiß, die Nordländer sind zähe, sagte der Kapitän, indem er uns forschend anblickte. Ich glaube daß Sie nicht ruhen werden, bis Sie den Spitzbuben gebührenden Dank abgestattet haben.

Sie glauben uns nicht recht, Herr Kapitän! erwiderte Monk. Sie hegen den Verdacht, daß wir mehr wissen, als wir sagen wollen.

Ich weiß nicht, was ich glauben soll! versetzte der Spanier, indem er errötete und zur Seite sah.

Ich fühlte Monks warnenden Blick auf mir ruhen und verstand seinen Wunsch, unserer Begegnung mit Graf Silva nicht zu erwähnen.

Ich muß sehr um Entschuldigung bitten wegen meiner Zudringlichkeit, sagte der Kapitän, sich erhebend, um die Kajüte zu verlassen. Kann ich Ihnen, meine Herren, irgendwie zu Diensten sein, so stehe ich zur Verfügung.

Sie sind ein allzu kluger und scharfsinniger Mann, mein Herr, – Monk erhob sich ebenfalls – als daß wir nicht offen zu Ihnen sprechen sollten. Es ist weder meine, noch – soviel ich sehen kann, – die Absicht meiner Kameraden, diese Angelegenheit aufzugeben, bis wir volle Klarheit erlangt haben. Daß wir bereits einen Faden gefunden haben, der vielleicht weiter führen kann, das wollen wir Ihnen nicht verhehlen. Aber Sie müssen entschuldigen, wenn wir uns zur Zeit nicht näher darüber auslassen; wir haben dafür unsere Gründe. Ich will Ihnen nur das eine versprechen, daß, wenn wir etwas entdecken, was Ihnen dienlich sein könnte, die revolutionären Versuche der Carlisten zu unterdrücken, Sie davon Mitteilung erhalten sollen.

Auf Deck stieß Holt zu uns; er befand sich plötzlich in der vergnügtesten Laune, und so trennten wir uns von dem spanischen Offizier in bester beiderseitiger Stimmung.

Kaum hatte uns sein Boot verlassen, als uns Holt in die Kajüte hinabzog und vor uns eine große Seekarte auf dem Tisch entfaltete.

Du hast also die Bedeutung der Figuren auf dem Pergament enträtselt? fragte Monk.

Zum Henker, wie kannst du das wissen? Es ist kein Vergnügen, dir Neuigkeiten zu überbringen, du kennst sie immer im voraus! Wenn es darauf ankommt, so weißt du am Ende schon selbst, wie das Pergament gedeutet werden kann?

Nein, ich habe es dir schon gesagt, daß ich kein Seedetektiv bin; ich konnte nichts weiter tun, als dir sagen, daß es eine Kartenskizze ist. Ich wußte wohl, daß du schließlich darüber ins klare kommen würdest. Weißt du, wenn ein Mann – – hm – – sich für eine Dame interessiert, – ein schöner Ausdruck, nicht wahr? – dann schärft sich seine Erfindungsgabe in unglaublichem Grade, sobald es sich um Mittel handelt, in ihre Nähe zu kommen. Graf Silva und Fräulein Silva sind wohl gegenwärtig in Marokko, und du willst uns zeigen, wo wir sie treffen können – nicht wahr?

Holt warf böse Blicke nach Monk, schwieg aber klüglich und setzte seine Vorbereitungen fort, indem er ein großes, stark gebrauchtes Buch hervorzog und auf den Tisch warf. – Was dann vor sich ging, wird das Folgende zeigen.

Am gleichen Abend ging der »Fram« unter Segel und steuerte westlich durch die Straße und hinaus in den Atlantischen Ozean.


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