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Glücklicherweise brachte der nächste Tag bewölkten Himmel, sodaß die Hitze nicht allzu drückend wurde. Die Maultiere standen gesattelt vor dem Wirtshaus, und der Wirt erwartete uns mit dem Treiber, einem braunen Spanier mit gestreiftem Hemd, mit seidener Schärpe um den Leib, Kniehosen und gelben Ledergamaschen um die kräftigen Waden, in den Ohren große Silberringe, die unter einem Ueberfluß von schwarzen, fettigen Locken hervorglänzten, auf welchen ein ungeheurer Strohhut thronte.
Pedro Nolasco wurde uns als Eigentümer der Tiere vorgestellt, und dann machten wir uns auf den Weg zwischen den Felsen hinauf. Es wurde beschlossen, zuerst in nordwestlicher Richtung zu reiten, teils um bessere Pfade zu finden, teils um die schönsten Partien der Umgegend bewundern zu können. Wenn wir nach einstündigem Ritt am »Schloß« vorüber gekommen wären, sollte ein nordöstlicher Kurs nach San Roque eingeschlagen werden – so erklärte Don Pedro, während er zwischen uns hersprang und sich am Schweif bald des einen, bald des andern Tieres festhielt.
Ich will nicht versuchen, die Schönheiten unseres Weges zu beschreiben, dazu ist meine Feder nicht geschmeidig genug, obschon noch alles vor meinen Augen steht, als ob es gestern gewesen wäre: die dunklen Schatten der Eichenwälder, die Orangenbäume mit ihren goldigen Früchten, die klaren, rieselnden Bergbäche, die Fläche des blauen Meeres und die blauen Berge Afrikas.
Auf dem Grunde eines breiten, schönen Tales, durch das ein Fluß sich schlängelte, erblickten wir durch die Bäume die grauen Mauern eines riesigen Schlosses. Wir gelangten an den Park, wo ein mächtiger eiserner Zaun den Durchgang versperrte. Eine kleine Strecke hinter der rostigen Gitterpforte zeigte sich zwischen Schlingpflanzen und Unkraut, das den Bewohnern über den Kopf zu wachsen schien, eine kleine Pförtnerwohnung. Das Schloß selbst schien noch eine Meile entfernt zu sein.
Der Weg oder Pfad, dem wir folgten, führte am Zaun entlang, der zerstört und verfallen, sich bald nach der einen, bald nach der andern Seite neigte und auf weite Strecken hin den Boden mit seinen rostigen Stäben bedeckte.
Wem gehört das Schloß? – Der Besitzer ist wohl ein reicher und vornehmer Herr?
Graf Silva, antwortete Pedro. Seine Väter waren Generalkapitäne der Provinz. Lange Zeit ging diese Würde von dem Vater auf den Sohn über. Aber der jetzige Graf ist selten daheim: er ist arm, sagt man, und verkehrt im Ausland bei – – –
Unser Führer hielt plötzlich in seiner Rede inne; er schien dieselbe nicht fortsetzen zu wollen. Wir hatten einen Felsabsatz dem Schloß gegenüber und fast in gleicher Höhe mit demselben erreicht und blieben stehen, um nach dem ehrwürdigen Bauwerk zu schauen. Der Führer streckte seine Hand aus:
Der Graf ist daheim, sagte er; sehen Sie, auf dem östlichen Turm ist die Flagge gehißt!
Ganz richtig; von einem der Türme wehte eine Fahne; aber die Entfernung war zu groß, als daß wir die Farben und Embleme hätten unterscheiden können.
Monk, dem Pedros Worte übersetzt worden waren, ersuchte uns, ihn über den Grafen auszufragen. Aber unser Führer, der sonst so gesprächig war, zeigte sich nun schweigsam und zurückhaltend.
Fragt ihn, sagte Monk endlich, ob der Graf das Stiergefecht besuchen wird.
Gewiß, antwortete der Führer mit großem Ernst; ein guter Spanier fehlt bei keinem Stiergefecht. Das letztere mag auch der Grund sein, daß der Graf daheim ist.
Kannst du uns den Grafen zeigen, wenn wir nach San Roque kommen?
Wenn ich ihn treffe, ja. Vor zehn Jahren traf ich ihn oft; später habe ich ihn – dann und wann – auch gesehen.
Auf welchem Wege reist er vom Schlosse nach San Roque – wohl auf demjenigen, dem wir jetzt folgen?
Nein, auf diesem Weg kann nicht gefahren werden. Es führt ein anderer Weg – die Hauptstraße zwischen Cadix und San Roque – an der Nordseite des Schlosses vorüber.
* * *
Eines der Maultiere hatte das Mißgeschick, sich einen spitzen Stein in den Huf zu treten, sodaß der Reiter absteigen mußte. Wir beschlossen zu rasten und zu sehen, ob die Lahmheit nicht verschwinden würde. Unter einer riesigen Korkeiche streckten wir uns ins Gras, und Flaschenkober und Proviantsack wurden aus den geräumigen Satteltaschen genommen.
Ich möchte dich noch etwas fragen, sagte Holt – er reichte seine Flasche, nachdem er daraus getrunken, unserem Führer hin, der nichts dagegen hatte, von dem Aqua ardiente der »Inglese« zu kosten – und wandte sich an Monk. Wie willst du es anstellen, um unsere Freunde vom »Ozean« wieder zu erkennen – wenn zufällig einer von ihnen heute nach San Roque kommen sollte?
Ehe ich dir antworte, will ich selber eine Frage an dich richten: Was für eine Art Menschen glaubst du wohl in ihnen zu finden?
Ich habe viel darüber nachgedacht. Wenn ich mich recht erinnere, so waren wir einmal einig darin, daß es Verbrecher sein müßten, die sich der Lustjacht bemächtigt hatten und die aus diesem Grunde dem »Ozean« nicht in den Hafen folgen durften, sondern an einer andern sichern Küste landen wollten.
Ja, das ist richtig. Aber nun glaube ich, oder besser gesagt, ich bin überzeugt, daß sie nicht gerade zu der Verbrecherklasse gezählt zu werden brauchen, sondern daß sie sich auf andere Weise mit der Obrigkeit überworfen haben. – Ich glaube, es sind – Carlisten.
Bei diesen Worten Monks sprangen ich und Holt auf. Pedro aber spitzte die Ohren und warf uns mißtrauische Blicke zu.
Ich war sogleich überzeugt, daß Monks Detektivnase das Richtige gewittert hatte.
Nicht wahr, fuhr er fort, das erklärt vieles oder vielleicht alles? Wie ihr aus der Erklärung des Schiffers in der Cadixer Zeitung wißt, so begingen die Geächteten – wir können sie ja wohl so nennen – keine größeren Gewalttaten, und die Besatzung des Schiffes wurde nicht beraubt. Man bekommt nur den Eindruck, daß sie das Schiff dorthin zu manövrieren wünschten, wohin sie es haben wollten. – Der Grund, weshalb sie sich verbargen, als wir an Bord kamen, kann kein anderer gewesen sein, als der, uns ohne Blutvergießen übermannen zu können. Der Augenblick für ihren Angriff auf uns wurde auch so gelegen gewählt als möglich und in der gleichen Absicht. Selbst diejenigen, die an Bord des »Fram« gelangten, verschonten Henriksens Leben, trotzdem er zu gewaltsamen Mitteln griff, um sie los zu werden. Alles deutet darauf hin, daß es zwar Menschen sind, die mit der Regierung im Widerspruch stehen, aber keine Verbrecher. Ich las neulich in einer englischen Zeitung, daß auch in den südlichen Provinzen Spaniens carlistische Propaganda getrieben wird, – früher war dies nur in den nördlichen der Fall – und unserem Freund Capitano Santa Marina sah ich es deutlich an, daß der Zweck der Stationierung der Kanonenboote darin besteht, die Waffeneinfuhr von seiten der Carlisten zu verhindern, nicht wahr?
Ja, wenn du es so darstellst, so glaube ich auch, daß alles klar ist. Aber ich kann nur nicht begreifen, wie du alle Kleinigkeiten miteinander in Zusammenhang zu bringen verstehst. –
Holt sah Monk mit so unverhohlener Bewunderung an, daß ich lachen mußte: Du kennst Monk noch nicht, ich habe dir das schon früher gesagt! Sei überzeugt, daß er dir deine »Donna« wieder verschafft!
Diese Bemerkung machte Holt für geraume Weile verstummen.
Ich glaube, du hast recht, Monk, fuhr ich fort; so ein Anlaß, wie ein Stiergefecht, muß sich prächtig zu revolutionären Zusammenkünften eignen, erinnere dich an die Buchstaben und Zahlen auf dem Pergament. Aber ich muß Holts Frage wieder aufnehmen –: was denkst du, wie sollen wir die Leute wiedererkennen, die wir suchen, selbst wenn die ganze Bande vom »Ozean« heute in San Roque zusammentreffen sollte? – –
Ich muß gestehen, daß meine Pläne in dieser Hinsicht etwas unbestimmt sind, antwortete Monk.
Aber du hast doch einem bestimmten Plan zu folgen gedacht?
Mein vorläufiger Plan ist einfach genug: wir gelten als Engländer. Ihr wißt, daß man in England carlistische Sympathien nährt, daß viele Engländer freiwillig in den Reihen des Prätendenten gekämpft haben bei seinen früheren Versuchen.
Den Spaniern fällt es also nicht besonders auf, daß Engländer Leute von carlistischer Gesinnung suchen. Ich will, daß wir in San Roque schlecht verhehlte Versuche machen, mit Carlisten in Verbindung zu kommen. Es müßte sonderbar zugehen, wenn sie dies nicht bemerken und uns selber aufsuchen sollten. Wir wollen mit unserem braven Pedro hier beginnen und fragen, ob er uns nicht mit einem Carlisten bekannt machen kann. Entweder ist er selbst einer und kann uns zu Diensten stehen, oder er ist es nicht, dann wird er aus der Schule schwatzen und ausplaudern, wen wir suchen.
Aber das könnte ein gefährlicher Spaß werden!
Im schlimmsten Fall riskieren wir, daß die spanischen Behörden uns in aller Freundschaft an Bord unseres Kutters geleiten und höflich ersuchen, Spanien für immer den Rücken zu kehren.
So wurde denn beschlossen, die Reise nach San Roque fortzusetzen und dem Abenteuer seinen Lauf zu lassen.
Als wir wieder aufbrechen wollten, zeigte es sich, daß das Tier mit dem verletzten Huf zu weiterem Dienst unbrauchbar war. Es mußte also wenigstens einer von uns die Reise zu Fuß fortsetzen, und schließlich zogen wir vor, es alle drei so zu machen.
Im ersten Hause, das wir trafen, wurden die Maultiere unter Dach geführt. Der Führer nahm unser kleines Gepäck auf den Rücken. Pedro Nolasco war dabei noch froh, denn er zweifelte stark daran, daß überhaupt in San Roque ein Obdach für die Tiere zu finden wäre, und es drohte Regen.
Was uns betrifft, so hatten wir nichts gegen die Fußreise einzuwenden; aber die Verzögerung hatte doch zur Folge, daß der Tag sich seinem Ende zuneigte, ehe wir die Tore von San Roque erreichten.
Von allen Seiten strömten die Menschen vor den verfallenen Mauern der alten Felsenstadt zusammen. Unter dem Tore, wo sich eine Wachtstube befand und einige träge, schmutzige Soldaten mit Zigaretten im Munde auf den Steinbänken lungerten, war das Gedränge so groß, daß Fußgänger, Reiter und Wagen stecken blieben. Vor uns her rollte eine große alte Karosse von roter Farbe und mit Vergoldungen, auf riesigen Federn und von vier Maultieren gezogen. Auf dem Bock saß ein Diener in Jägerlivree. Als wir die Karosse einholten, bemerkten wir in derselben einen Herrn und eine Dame, beide in Schwarz gekleidet, wie es die Spanier lieben.
Der Herr war ein schöner Mann in mittlerem Alter mit blauen Augen und rötlichem Haar, was in Spanien nicht so ungewöhnlich ist, wie man meist glaubt. Die Dame hielt einen großen Fächer vor das Gesicht.
Dieses Gefährt muß noch aus der Zeit des seligen Don Quixote stammen, bemerkte Holt.
Graf Silva, flüsterte uns Pedro zu und zog seinen Hut mit allen Zeichen der größten Ehrerbietung.
Man hätte glauben können, daß die Dame Holts Bemerkung gehört habe, denn sie ließ den Fächer fallen und sah uns überrascht an. Im gleichen Augenblick stieß sie einen Ruf der Verwunderung aus und eine starke Röte überzog das schöne Gesicht.
Sie ist es – das spanische Mädchen vom »Ozean«! rief Holt und bahnte sich einen Weg durch die Menschen, die den Wagen umgaben. Wir folgten ihm, so gut wir konnten.
Nun erblickte uns der Graf. Er wechselte die Farbe und sah einen Augenblick ratlos aus; dann erhob er sich und rief: Fahr zu, fahr zu! Macht Platz dort! Ihr wißt, wer ich bin; ich muß vorwärts!
Es gelang dem Kutscher, die Tiere in Trab zu bringen, als der Wagen gerade das enge Tor passiert hatte. Aber Holt sprang auf den Wagentritt, hielt sich mit der einen Hand fest und rief: Ich will mit der Dame sprechen! Lassen Sie Ihren Wagen halten, wenn Sie einen Skandal vermeiden wollen!
Bleich vor Wut sprang der Graf auf und erhob einen schweren Stock mit silbernem Knopf.
Aber Holt fing seinen Arm mit der Hand auf, die er frei hatte, und hielt ihn wie in einem Schraubstock fest:
Die Dame hat sich schon früher unter meinen Schutz gestellt und ich verlasse sie nicht. Holt drückte den Grafen auf den Sitz nieder, ließ aber seinen Arm nicht los.
Schutz! Meine Tochter unter Ihrem Schutz! Wer sind Sie? Wache, hierher! Arretiert diesen Räuber!
Während dieser Szene hatte die Menge sich so dicht um den Wagen geschart, daß der Kutscher die Pferde anhalten mußte, und wir – Monk und ich – den Schauplatz erreichten. Ein Mann hatte sich neben Holt auf den Wagentritt gedrängt; ich sah, daß seine Hand das Heft eines langen Messers umklammerte. Er beugte sich zu dem Grafen nieder. Soll ich zustoßen? Aber der Graf winkte abwehrend mit der Hand.
Nein, holt die Wache! Laßt die Soldaten kommen – schnell!
Ich ergriff den Mann von hinten und schleuderte ihn auf das Steinpflaster nieder; denn er bedachte sich augenscheinlich, ob er dem Grafen gehorchen sollte. Es war unser Führer Pedro Nolasco; er verschwand unter der Menge.
Monk und ich suchten vergebens Frieden zu stiften, denn Holt war ganz außer sich:
Wenn Sie ihr Vater sind, dann haben wir eine alte Rechnung zu begleichen. Sie spielen also den Seeräuber, Sie – – –
Der Graf suchte sich vergebens loszureißen; aber Holt drückte ihn auf die Polster des Wagens nieder. Der Jäger und der Kutscher kletterten bereits vom Bock herab, um ihrem Herrn zu helfen. Der Jäger legte die Hand auf seinen Hirschfänger; zum Glück bemerkten Monk und ich es rechtzeitig. Es blieb uns nichts übrig, als uns auf ihn zu werfen, wenn wir das Leben unseres Kameraden retten wollten. Aber es war ein großer, starker Bursche, und wir hatten beide genug zu tun, ihn zu überwältigen.
Plötzlich ließ Holt das Handgelenk des Grafen los, schlang den Arm um den Leib des jungen Mädchens, hob sie aus dem Wagen und sprang mit ihr auf das Pflaster nieder.
Der Graf erhob sich, totenblaß vor Wut.
Seid Ihr Spanier und seht zu, wie ein spanischer Edelmann auf solche Weise von einem fremden Banditen verhöhnt wird?
Das war mehr als genug; Dutzende von Messern fuchtelten in der Luft, und es erhob sich ein wüstes Gebrüll.
Der Graf schien sich indessen zu besinnen. Rührt sie nicht an! rief er. Dort sind die Soldaten! Mag die Wache sie ergreifen. Er sprang aus dem Wagen und stellte sich vor uns auf.
Indes, ein Volkshaufe ist nicht so leicht zu beruhigen als aufzuhetzen. Im nächsten Augenblick glaubte ich, daß es mit uns aus wäre. Glücklicherweise hatten wir uns im Eichenwalde tüchtige Knotenstöcke geschnitten, die wir sehr nachdrücklich gebrauchten. Manches Messer fiel klirrend auf die Pflastersteine nieder, während der Arm, der es geführt hatte, gelähmt herabsank. Ich muß zugeben, daß der Graf uns nach Möglichkeit zu schützen suchte. Endlich kamen die Soldaten zur Stelle, zerstreuten den Schwarm und führten uns mit sich nach der Wachtstube. Holt verteidigte sich so rasend, als man ihn von dem jungen Mädchen fortführen wollte, daß Monk und ich hinzutreten mußten, ihn zu beschwichtigen.
Ich will mich nicht länger dabei aufhalten, wie wir diesen Abend verbrachten. Zerrissen, blutend und beschmutzt streckten wir unsere schmerzenden Glieder auf die abgenutzten Steinbänke. Das heißt, Monk und ich; denn Holt ging die ganze Zeit hin und her. Wenn er etwas sagte, so war es nur, um sich selber – und nicht in den schonendsten Ausdrücken – wegen seiner Unbesonnenheit zu verwünschen.
Endlich nahte der Morgen und mit ihm das Tageslicht.
Nun erschien ein Offizier mit gebräuntem Gesicht, der uns fragte, ob wir etwas zu essen kaufen wollten; in diesem Fall würde es einer seiner Soldaten für uns im nächsten Wirtshause holen; ebenso sorgte er auch dafür, daß wir Wasser, Seife nebst andern nötigen Dingen und unser kleines Gepäck erhielten.
Geld besaßen wir hinreichend. Nachdem wir uns gewaschen und zurechtgestutzt hatten, so gut wir konnten – der Soldat machte uns sogar das Anerbieten die schlimmsten Risse in unseren Kleidern durch seine Frau zusammennähen zu lassen – und eine leidlich gute Mahlzeit mit drei großen Flaschen Wein vor uns stand, stellte sich der Humor wieder ein. Der bärtige Alferez Leutnant. hatte nichts dagegen, an der Mahlzeit teilzunehmen, und noch vor Beendigung derselben waren wir die besten Freunde. Der Kommandant wolle uns bald besuchen, sagte er; er selbst wußte nicht, was mit uns geschehen würde.
Zur Mittagszeit zeigte sich auch der Kommandant – ein kleiner, dürrer Herr mit grauem Schnurrbart, in einer abgetragenen Majorsuniform und mit der Zigarette zwischen den Lippen.
Graf Silva sei edelmütig genug gewesen, erklärte er, die Anklage gegen uns fallen zu lassen und zu gestatten, daß wir 24 Stunden nach unserer Verhaftung in Freiheit gesetzt würden. Sodann ließ der Major einen feinen Wink fallen, daß die Soldaten gewiß auf ein kleines Schmerzensgeld rechnen dürften für die blauen Augen, die Holt ihnen verschafft hatte.
Eine Handvoll funkelnder englischer Goldfüchse machten ihn äußerst liebenswürdig, ja, er drückte sogar den Wunsch aus, »die Herren in seiner geringen Wohnung zu sehen«, bevor sie abreisten. Darauf konnten wir jedoch nicht eingehen.
Dagegen baten wir, den Alcalden Bürgermeister. sprechen zu dürfen. Dieser Biedermann war sehr angenehm überrascht, als wir ihm 500 Pesetas für die Armen der Stadt schenkten. Der brave Leutnant erhielt alle Zigaretten, die wir bei uns trugen und versprach, uns in Gibraltar besuchen zu wollen.
Draußen vor unserem Gefängnis stand Pedro Nolasco mit den Maultieren und grüßte, als ob gar nichts vorgefallen wäre.
In der berechtigten Annahme, unsere Geschenke könnten die gemeinen Soldaten oder die Armen der Stadt stark vermindert erreichen, ließen wir verschiedene Münzsorten direkt in die schmutzigen Hände gleiten, so oft sie sich nach uns ausstreckten. So verließen wir die Stadt im besten Einvernehmen mit dem bürgerlichen und militärischen Teil der Bevölkerung.
Pedro Nolasco sprach nicht so viel wie am vorhergehenden Tage, sondern führte uns schweigend unsern Weg. Er verzog auch nicht eine Miene, als wir vom Weg abschwenkten und nach dem Schloß des Grafen Silva ritten – die paar hundert Schritte bis zur Pförtnerwohnung. Monk zog an dem rostigen Handgriff des Glockenstranges und der Klang einer Glocke antwortete.
Ein alter Mann mit silbergrauem Haar humpelte aus der Türe und herab an die schwere Gitterpforte. In der Hand hielt er einen Brief, den er zwischen den Eisenstäben herausstreckte, ohne die Pforte zu öffnen.
Wie können Sie wissen, daß er für uns ist? fragte Holt.
Der Graf sagte, daß drei fremde Herren – Inglesi – heute abend hierher kommen würden und befahl mir, diesen Brief abzuliefern. Er grüßte und ging, ohne sich umzusehen.
Er ist seit 50 Jahren Pförtner bei den Silvas, sagte Pedro.
Ich öffnete den Brief und las – er war ohne Adresse und Unterschrift und in französischer Sprache geschrieben:
»Wenn Sie diesen Brief empfangen, bin ich mit meiner Tochter an Bord unserer Jacht und fern von Spanien. – Suchen Sie nicht nach uns, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!«
Der Graf reiste gestern abend nach Cadix, bemerkte Pedro, aufmerksam unsere Gesichter betrachtend, während wir den Brief lasen.
Wenn wir später mit unserem Führer über den Weg und andere gleichgültige Dinge sprachen, so antwortete er höflich und ohne Widerwillen, aber jedem Versuch, von dem Grafen, von Carlisten oder Aehnlichem zu sprechen, begegnete er mit Schweigen.
Einmal sagte ich plötzlich zu ihm: Du würdest gestern den Herrn dort – ich wies auf Holt – niedergestochen haben, wenn der Graf seine Zustimmung gegeben hätte?
Der Mann zuckte die Schultern. Ihr Freund war der Angreifer, er mag sich glücklich schätzen, daß er dabei so gut weggekommen ist.
Du stehst also in Verbindung mit dem Grafen? – Keine Antwort. – Aber wer bürgt uns dafür, daß du uns nicht in einen Hinterhalt lockst, um Rache für unser gestriges Verfahren zu nehmen, das freilich, wie wir zugeben wollen, unpassend war?
Ich habe dem Grafen versprochen, Sie wohlbehalten nach Algeciras zu bringen.
Mehr wollte er nicht sagen. –
Später, als wir uns wieder daheim befanden und Monk und ich von den eben erzählten Begebenheiten sprachen, äußerte ich meine Verwunderung über Holts Benehmen bei jener Gelegenheit, da er doch sonst stets so ruhig war und für einen ausgemachten Phlegmatiker galt.
Gerade die besonnenen und ruhigen Menschen sind unberechenbar, meinte Monk. Wir andern gewöhnlichen Sterblichen können heftig, aufgeregt und zornig werden; aber wenn solche Naturen wie Holt hitzig werden, dann ist es, als wenn man einen Teich auslaufen ließe; er hält nicht eher inne, als bis er ausgeflossen ist. Uebrigens ist es ja die alte Geschichte: wenn ein Mann erst einmal verliebt ist, dann ist für ihn kein Abgrund zu tief und keine Turmspitze zu hoch.
Als der Abend kam, lagen Algeciras und die Meeresbucht zu unseren Füßen, und wenige Minuten später standen wir auf dem Deck des »Fram«, während sich Henriksen eifrig erkundigte, wie es uns auf dieser Reise ergangen war.