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Fünftes Kapitel.
Zwischen Kap Blanco und Kap Cantin.

Vier Tage sind verstrichen und der »Fram« hat sich unverdrossen gegen Süden und Westen der afrikanischen Küste entlang gearbeitet. Zwei Tage lang kämpften wir mit Westwind; dann aber schlug der Wind gegen Norden um und die beiden letzten Tage lief der »Fram« mit der ganzen Segelmasse, die er tragen konnte.

Nordwärts und westwärts rollt das gewaltige Atlantische Meer seine ewigen Dünungen bis zum Rand des Horizonts; gegen Osten erstreckt sich ein rotbrauner Streifen Land – niedrige Ufer mit einem breiten, grauweißen Sandstreifen, unregelmäßigen Felsen und buschigen Hügeln, nur hie und da ist ein Palmenbaumgehölz oder ein einzelner Baum sichtbar. Hinter dem Gebüsch sieht man ferne, blaue Berge: das ist Afrika.

So dehnt sich die Küste Meile um Meile aus. Die Brandung donnert gegen das Ufer und verbrämt die Sandfläche mit einem weißen Saum, Tag um Tag und Jahr um Jahr.

Wir segeln nicht weiter vom Ufer, als daß der Lärm noch unser Ohr mit seiner traurigen, einförmigen Musik erfüllt. Der »Fram« aber legt Meile um Meile des einförmigen Ufers zurück. Endlich bemerkt man eine Veränderung: eine breite Flußmündung öffnet sich und eine Strecke weiter ragt ein Vorgebirge in das Meer hinaus. Am südlichen Flußufer liegt eine Gruppe Häuser, es ist die marokkanische Stadt Azamor; gerade unter dem Vorgebirge eine andere – Mazighan.

Wir passieren Kap Mazighan so weit ab, daß kein neugieriger Blick vom Lande aus uns belästigen kann; dann geht es wieder südwestwärts der öden Küste entlang, die jetzt mit dunklen, unheilverkündenden Schären und kleinen Felsen verbrämt ist, zwischen denen die Brandung, weiß vor Wut, kocht und brüllt.

Am Backbordbug taucht das helle Gebirge auf, welches Kap Blanco Nicht zu verwechseln mit dem bekannten Kap Blanco mehrere hundert Meilen weiter südlich. seinen Namen gibt Jetzt legt Holt das Ruder auf Steuerbord und der Kutter läuft unter Land.

Südlich von dem Vorgebirge zieht eine Bucht sich ins Land hinein. Es ist ein kümmerlicher Ankerplatz für größere Schiffe, die nicht weit hineingehen können; aber der »Fram« segelt kühn zwischen den kleinen, felsigen Holmen, während das Lot fleißig benutzt wird. Obschon es hier noch viele Faden tief ist, sehen wir doch deutlich den weißen Sandboden unter uns, mit großen Muscheln übersät, und da und dort einen Stein mit klafterlangen Seepflanzen. Fische in allen Farben des Regenbogens fahren zur Seite, als unser Anker fällt und seine Klaue in den feinen Teppich von Sand wühlt.

Die Sonne sinkt ins Meer.

Ein Glück, daß wir soweit gekommen sind, ehe es dunkel wurde, sagte Holt. Die Strömung zieht heftig südwärts und wir hätten zu gewärtigen, daß wir im Lauf der Nacht an unserem Bestimmungsort vorüberfahren.

Aber wir haben ja noch acht bis zehn Meilen zurückzulegen, bemerkte ich.

Ja, nach der Kartenskizze, und wenn unsere Deutung richtig ist; aber es ist ja nicht sicher, daß die Ortsbestimmung zuverlässig ist. Von nun an müssen wir jeden Zoll der Küste gegen Süden untersuchen, und das können wir nur bei Tag tun.

In jenen Breiten kommt die Dunkelheit gleichzeitig mit dem Verschwinden der Sonne am Horizont. Aber dieser Abend war schön. Warme Lüftchen strichen von dem sonndurchglühten Strand über uns hin und vermischten sich mit der Kühle des Abends. Im Licht der Sterne hob sich vom Meere deutlich der weiße Streifen Brandung ab, der gegen die schützenden Riffe schäumte. Es seufzte und brummte, während zuweilen das schwache Geheul eines Schakals, der am Strand nach Fischen suchte, zu uns herüberdrang. Langsam hob und senkte sich der Kutter auf den Wellen.

Das Licht der Lampe in der Kajüte fiel durch die offene Tür heraus auf unsere sonnverbrannten Gesichter, indes Henriksen voraus mit Kesseln und Pfannen rasselte und dann und wann den Kopf aus der Kappe streckte, um den Schweiß von der Stirne zu trocknen und sein glühendes Angesicht zu kühlen.

Wir hatten lange stumm gesessen, als ich endlich für gut fand, die Stille zu unterbrechen.

Sag mir, Holt, wie ging es eigentlich zu, daß der Geist so plötzlich über dich kam? Ich meine in Algeciras, als dir die Idee mit dem Pergament einfiel?

Es geschah, als der Spanier die Palmen erwähnte; da wurde es mir klar, daß die sonderbaren Figuren auf dem Pergamentstreifen keine Dragger-Anker, sondern Bäume sein könnten. Ich ging sogleich mit dem Streifen auf Deck, um ihn ungestört zu betrachten. Als ich die Treppe hinaufstieg, hielt ich das Papier so hoch, daß die Sonne durch dasselbe leuchtete und ich die Striche auf der Rückseite sah. Da begriff ich im Augenblick, daß die Zeichnung, wenn man sie von jener Seite betrachtete, ganz gut die Skizze einer Einfahrt an der marokkanischen Küste vorstellen konnte.

Aber ist denn das nicht auch der Fall, wenn man jene Seite der Skizze ansieht, auf der die Striche gezeichnet sind?

Nein, komm her, dann werde ich es dir zeigen.

Wir stiegen in die Kajüte hinab, Monk folgte. Wohl hatten wir diese Frage schon wiederholt besprochen; aber ich hatte mich früher nicht sehr bemüht, der Erklärung Holts zu folgen.

Dieser entfaltete jetzt das Stück Pergament auf dem Tisch vor uns. Mit einer Nadel hatte er auf der Vorderseite den Strichen entlang Löcher gestochen, dann auf der Rückseite die Löcher durch Linien verbunden, sodaß nun folgende Zeichnung zum Vorschein kam:

Skizze

Du siehst, sagte er, wenn die Zeichnung eine hydrographische Skizze vorstellen sollte, wie Monk annahm, – und er hatte natürlich recht – so müßte die dicke, schräge Linie die Küstenlinie bezeichnen und die Wellenlinie eine Reihe von Schären oder Sandbänken. Aber in diesem Fall zöge sich die Küstenlinie von Nordwesten nach Südosten und das Land läge westlich vom Meer, mit anderen Worten, es müßte ein Teil von der Ostküste Afrikas sein. Ueberdies kämen die Figuren, die ich absolut als Dragger angesehen wissen wollte, auf das Land zu liegen, was keinen Sinn hätte.

Du hast recht; jetzt aber, wenn du es von der Rückseite betrachtest, ist dann alles in Ordnung?

Ja, dann stimmt alles. Die Küstenlinie zieht sich von Nordosten gegen Südwesten, wie es an Ort und Stelle wirklich der Fall ist. Wenn die Wellenlinie eine Reihe von Sandbänken oder Klippen vor einer Flußmündung bedeutet, so bezeichnet die punktierte Linie die Peilungen der Einfahrt, wie man es nennt, das heißt, daß man der Linie folgen muß, die von der Palme und der zweiten Figur – wahrscheinlich einem alten Turm – gebildet wird, um mitten in der Einfahrt zu segeln. Die zweite punktierte Linie zeigt, wo man steuern soll, wenn die Bänke passiert sind. Du siehst, sie ist zwischen einem zweiten Palmbaum und einer Figur gezogen, die vermutlich einen Hügel oder Höhenzug bedeutet.

Und dies würde genügen, um das Fahrzeug sicher zwischen Brandungen und Bänken hindurchzuleiten?

Ja, wenn meine Annahmen richtig sind, dann genügt dies.

Es ist kein Zweifel, daß wir auf der rechten Spur sind, bemerkte Monk, besonders nach dem, was Holt uns in dem englischen Buch über die afrikanische Küste gezeigt hat. Daß wir den Schlüssel zur Auffindung des carlistischen Nestes in Händen haben, davon bin ich überzeugt; aber was wir dort ausrichten können, ist eine andere Frage.

Zeig mir das Buch noch einmal.

Holt legte das vorhin erwähnte dicke Buch vor mich hin: Schlag Seite 57 auf, die von der Küste zwischen Kap Blanco und Kap Cantin handelt.

Ich nahm das Buch; es war eine ältere Ausgabe des » Afrika Pilot, I«, eines jener Bücher, welche die englische Admiralität zur Orientierung der Seeleute in der ganzen Welt herausgibt.

Auf der genannten Seite las ich: »Hier – zwischen Kap Blanco und Kap Cantin – soll dem Verlauten nach ein großer Binnensee liegen, der mit dem Meer in Verbindung steht; aber die Boote von Ihrer Majestät Schiff »Raven« konnten auf ihren Vermessungsexpeditionen im Jahre 1835 den Einlauf nicht finden. Er wird wahrscheinlich durch die gewaltige Brandung verdeckt, die sich an dieser unwirtlichen Küste bricht.« – –

Ich gab das Buch zurück: Das ist merkwürdig; aber auf der Karte findet sich keine Andeutung.

Nein, keine; dies rührt wohl daher, weil das Vermessungsfahrzeug nichts entdecken konnte.

Und die römischen Zahlen auf der Kartenskizze sollen die Breitenparallelen bedeuten?

Ja; wenn man die Zeichnung von der Rückseite betrachtet, dann steht über dem Strich 32 und unter dem Strich 50. Es muß also 32° und 50' nördlicher Breite sein. – Sieh da auf der Karte! Diese Breitenparallele verläuft gerade 25 Meilen südlich von der Stelle, wo wir jetzt vor Anker liegen.

Mehr ließ sich vorderhand über diese Sache nicht sagen.

Sobald der Tag graute, setzten wir Segel und holten unsern Anker ein. Es blies eine frische Brise vom Land her, und der »Fram« glitt zwischen den Schären hinaus, um wieder auf der mächtigen Dünung zu rollen. Je weiter wir uns von der Bucht entfernten, desto mehr gewann die Strömung die Oberhand über das Fahrzeug. Wir liefen rasch südwärts, indem wir Meile um Meile an der einförmigen Küste zurücklegten.

Endlich begann das Land sich ein wenig zu verändern. Die Küste wurde flacher und über dem Backbordbug tauchten Palmen aus der See auf.

Es wurde zwölf Uhr. Holt nahm seinen Sextanten zur Hand und maß die Höhe der Sonne. Die Berechnung war schnell ausgeführt.

52 Grade und 48 Minuten, sagte er; wir müssen also schon zwei Meilen südlich vom Ort sein und ihn bereits passiert haben!

Kannst du das so genau sagen?

Möglich, daß ich mich um ein oder zwei Minuten irre, aber mehr nicht; das ist doch sonderbar – hier ist keine Spur von einem Eingang zu sehen, auch kein Wald oder einzelne Palmen – außer weit drinnen im Lande.

Wir steuerten nun so nahe unter Land, als wir es nur irgendwie rätlich fanden; aber die Brandung tobte gegen die feste Strandlinie von feinem Sand, und hinter dem Sand erhob sich ein Wall von rötlichen Felsen.

Es bleibt uns nichts anderes übrig, als weiterzufahren, sagte Monk. Derjenige, der die Karte gezeichnet hat, kann ebensogut einen Irrtum begangen haben wie du.

Wir müssen mehr vom Land abhalten! rief Henriksen; er stand voraus und hielt sich an dem Fockstag.

Das mußten wir auch; denn die Grenze der Brandung zog sich etwas weiter in die See heraus.

Holt erkletterte den Mast.

Hurra! rief er; hier kommt eine Bank oder ein Riff! Ich sehe ruhiges Wasser dahinter!

Er ließ sich wieder auf Deck herabgleiten: Jetzt sieht die Sache versprechender aus! Zwischen der Brandung und der Küste ist schon ein breiter Streifen von ruhigem Wasser – und seht dort, ist das nicht ein alter Turm?

Ja, es sind die Ruinen eines Turmes, der sich von dem dunklen Hintergrund abhebt. – Monk blickte durch das Fernrohr.

Keiner sprach ein Wort; es herrschte eine atemlose Spannung. Ueber dem Backbordbug ragten die grauen Mauern eines halb verfallenen Turmes am Horizont empor, während der Palmenwald sich immer weiter zurückzuziehen schien. Es war klar, daß sich zwischen demselben und der Küste ein breiter Gürtel von niedrigem, sandigem Land ohne Bäume befand.

Das ist doch ein merkwürdig großer Baum, bemerkte Henriksen.

Welcher Baum?

Dort droben auf dem Sandhügel, meine ich.

In der Tat, es war eine riesige Palme, die einsam auf einem kleinen Hügel stand. Ihre Krone erhob sich immer höher über den ferneren Wald, je mehr wir uns näherten; zuerst hatte sie sich nicht vom Hintergrund abgehoben.

Und dort haben wir den anderen Baum, etwas weiter gegen Süden!

Ja, die Bäume waren deutlich genug. Aber die Brandung, die ein paar hundert Faden vor uns tobte, zeigte keine Unterbrechung, sie lag wie ein Drache vor dem verheißenen Einlauf, – wenn ein solcher vorhanden war!

Stetig lief der Kutter südwärts, doch zeigte sich keine Unterbrechung der Einförmigkeit!

Es hilft nichts, Bäume und wieder Bäume zu sehen, wenn hier keine Oeffnung ist, bemerkte ich enttäuscht.

Warte nur! Holt hatte sich voraus neben Henriksen gestellt. Wir haben noch eine halbe Meile vor uns, bis die Seezeichen da sind. – – – So, nun haben wir sie gleich! Er sprang achteraus und nahm die Ruderpinne aus meiner Hand.

Der Wind, eine frische Brise, blies gerade dem Strand entgegen und wir liefen längs desselben.

Noch keine Oeffnung! – – – doch, dort scheint die Brandung sich zu öffnen!

Nun sind wir am Ziel! Holt holte das Ruder auf. Es wurde immer deutlicher, daß hier eine Oeffnung war, wenn auch eine enge. Uebrigens war es kein Wunder, daß wir sie nicht eher gesehen hatten, denn die Reihe Bänke oder Riffe von Norden her lag wenig weiter vom Strande, als diejenige von Süden her, sodaß die Oeffnung südwärts gerichtet war und von den äußeren Sturzseen verborgen wurde, wie auf der Kartenskizze angedeutet war.

Die Ruine und die Bäume hoben sich deutlich vom Himmel ab, und der »Fram« lief wie ein Rennpferd in gerader Linie, während Holts starke Hand die Ruderpinne umschloß.

Ich sage, es war eine Oeffnung in der Mauer, welche die Brandung bildete; aber selbst mitten in dieser Oeffnung brodelte und schäumte das Wasser wie in einem überkochenden Topf. Der Lärm war so stark, daß ich Holt in die Ohren schreien mußte, um mich verständlich zu machen.

Weißt du sicher, daß es hier tief genug ist? Bedenke, daß der »Fram« acht Fuß Tiefgang hat. Mir scheint, die Brandungen von beiden Seiten gehen ineinander über!

Ja, aber hier ist eine Oeffnung, das ist klar, und dort, wo der Seegang nicht so heftig ist, behält der »Fram« noch Wasser unter dem Kiel. Ersuche Henriksen das Lot zu werfen, wenn wir mitten im Lauf sind.

Monk sprach nicht ein Wort. Aber ich glaube doch, daß er – und ich wohl auch – etwas bleicher war, als gewöhnlich.

Endlich schoß der »Fram« zwischen die Sturzseen auf beiden Seiten, den weißen Schaum mit seinem scharfen Bug spaltend. Ein donnernder Lärm füllte unsere Ohren, während ein feiner Sprühregen von salzigen Tropfen durch die Luft fuhr, aber noch ehe wir uns recht besinnen konnten, glitt der Kutter in ruhigeres Wasser hinüber, während die Oeffnung hinter uns sich zu schließen schien.

Vierzehn Fuß Wasser auf dem Riff, sang Henriksen aus, während er die Leine mit dem Lot einholte.

Es ist gut, rief Holt; nun sind wir bald an dem andern Eingang – der Baum mit dem Sandhügel drüben am Lande – – Seht dort! Er zeigte über die Reling hinaus. Einige Fuß unter der Oberfläche des Wassers starrte eine Reihe unheimlich spitzer Korallenriffe – scharf wie der Rand einer Austernschale.

Jetzt versteht ihr den Wert dieser Kartenskizze. Sie dient nicht allein dazu, um den Eingang zu zeigen, sondern auch um den Kurs für die erste Strecke innerhalb anzugeben. Aber nun Achtung!

Holt holte das Ruder auf, und der »Fram« drehte sich wieder wie ein Kreisel, als ob er einen Anlauf in der andern Richtung nehmen wollte. Der neue Kurs war ungefähr lotrecht zum frühern und zeigte nach einer Senkung in den Sandbänken voraus.

In Wirklichkeit befanden wir uns in einem Bassin zwischen dem Strand und dem Riff draußen. Es konnte wohl eine Meile oder zwei breit sein und zog sich südwärts in der Richtung der Küste, soweit wir sehen konnten. Die See war hier ruhig wie in einem Teich und wurde nur von der frischen Brise gekräuselt.

Wir warfen wieder das Lot; es zeigte noch immer drei Faden; aber dann und wann tauchten drohende Korallenspitzen auf beiden Seiten des Fahrzeugs auf.

Holt verwandte keinen Blick von den Zeichen voraus; die Rinne, in der wir segelten, wurde immer breiter, bis auch die Sandhügel voraus sich öffneten und einen Durchgang erkennen ließen – mehrere hundert Meter breit. Jenseits desselben dehnte sich ein neuer Wasserspiegel aus, er wurde in der Ferne vom Wald begrenzt, der aus dem Wasser aufzusteigen schien.

Weiter reicht die Kartenskizze nicht, sagte Holt mit einem vergnügten Lächeln, und dies bedeutet wohl, daß wir uns nun mitten im Fahrwasser zu halten haben.

Die Korallenspitzen verschwanden; unter uns erblickten wir nur den feinen, weißen Sandgrund. Die Strömung war uns günstig. Wenige Minuten nachher lagen auch die Sandhügel hinter uns, und das schönste Bild trat vor unsere Augen: ein breiter See erstreckte sich gegen Süden und Osten, soweit der Blick reichte. Die einzige Verbindung desselben mit dem Meer schien die schmale Rinne zu sein, durch die wir gekommen waren. Wälder mit riesigen Bäumen bekränzten seine Ufer und schienen mit den Wurzeln im See zu stehen; Weidengebüsch bedeckte rechts und links die nächsten Ufer. Zahlreiche Inseln mit der üppigsten Vegetation schienen auf der Oberfläche des Sees zu schwimmen. Fern draußen in der nordöstlichen Ecke stieg das Ufer terrassenähnlich in die Höhe und verlor sich in blauenden Bergen. Große Scharen von prachtvollen Vögeln aus dem Entengeschlecht belebten die Oberfläche des Wassers und stiegen bei unserer Ankunft kreischend und lärmend auf, während Schnepfen und Wasserhühner längs dem schilfbekränzten Ufer in ihrem Mittagsschlummer gestört wurden und in das allgemeine Konzert einstimmten.

Lange Zeit saßen wir stumm und ergriffen von dem wunderbaren Uebergang aus der Einsamkeit des Meeres und dem unheimlichen Brausen zu dem lächelnden Leben und der lauten Lebendigkeit auf dem herrlichen Binnensee.

Hier sieht es nicht aus wie in einem Seeräubernest, bemerkte ich. Möglicherweise haben wir eine große geographische Entdeckung gemacht, was wir aber wirklich nicht erwartet hatten!

Holt hatte das Fernrohr ergriffen und ging voraus auf die Back, wo Henriksen stand und nachdenklich den Fischen zusah, die vor dem Bug auseinanderstoben. Wenn man nur eine gute Angel hätte, murmelte er, dann ließe sich wohl einer von diesen Kerlen heraufholen!

Wir glitten sanft über die Seefläche hinein. Die Seebrise begleitete uns noch immer, wenn sie auch bei weitem nicht mehr so frisch war, wie draußen.

Dem Steuerbordbug voraus lagen zwei Inseln, eine größere und eine kleinere; gegen diese hatte Holt sein Fernrohr gerichtet.

Wir überließen Henriksen das Ruder und schlossen uns Holt an.

Dort liegen Fahrzeuge, so wahr ich Holt heiße! Seht dort! hinter der kleineren Insel!

Ich nahm das Fernrohr. Ganz richtig: über die Baumwipfel erhoben sich die schlanken Stengen und Bramraaen eines Raaseglers, während ein wenig mehr rechts die vergoldeten Knöpfe von zwei niedrigen Masten sichtbar wurden.

Was sollen wir tun? Umkehren? Monk sah Holt fragend an.

Vor zwölf Stunden kommen wir nicht heraus, war die trockene Antwort. Die Flut nimmt schon ab und bald wird das Riff fast trocken liegen und die Oeffnung für alles gesperrt sein, was nicht fliegen kann. Ich schlage also vor, daß wir weiter segeln, aber so, daß wir stets die Insel zwischen uns und den Schiffen haben und unsern Beschluß fassen, wenn wir näher unter sie kommen.

Wir bedachten uns nicht lange, in diese Mausefalle zu segeln! rief ich, und nun beraten wir schon, wie wir wieder hinauskommen sollen!

Ist es denn ungewöhnlich, daß Menschen so handeln? antwortete Monk philosophisch. Das tun Millionen Menschen auf der Welt jeden Tag – im großen wie im kleinen. Warum sollten wir eine Ausnahme machen?

Deine tiefsinnigen Bemerkungen sind übel angebracht. Du solltest doch bedenken, daß wenn uns die Leute an Bord der Schiffe dort bemerken – mögen sie nun Carlisten oder Seeräuber sein – ihr ganzes Trachten in der nächsten Zeit dahingehen wird, uns so schnell als möglich in die andere Welt zu senden.

Das wird aber jedenfalls nicht so leicht gehen. – Holt schob das Fernrohr zusammen und gab Henriksen am Ruder einen Befehl. Der »Fram« veränderte den Kurs und steuerte schräg quer über den See nach dem nördlichen Lande.

Als wir unter die kleine Insel kamen, hatte der Wind fast nachgelassen; wir mußten die Ruder auslegen, um den Kutter ganz unter den Strand zu bringen. Dort bargen wir die Segel, setzten eine Trosse ans Land und holten das Fahrzeug zwischen die Aeste der Bäume hinein, welche über den See hinausragten. Wir wählten eine Stelle, wo zwei große Weidenbäume weit überhingen, mit fast horizontal liegenden Stämmen. Zwischen denselben wurde der »Fram« vertäut. Der Stamm des einen Baumes diente als Landungssteg.

Wir steckten unsere Revolver zu uns und überließen den »Fram« der Obhut Henriksens. Er hatte die Angelschnur hervorgeholt und versprach uns zum Abendessen frische Fische – sofern die Fische hier nicht schlauer wären als anderswo.

Daß wir uns in der Nähe eines Feindes befanden, schien nicht den geringsten Eindruck auf Karl Henriksen zu machen. Der Leutnant und seine übrigen Vorgesetzten würden wohl mit den Brassen fertig – das kümmerte ihn nichts.

Wir kletterten auf dem Weidenstamm ans Land und bahnten uns mit großer Anstrengung einen Weg durch das Gebüsch, welches den Raum zwischen den Uferbäumen ausfüllte. Er war zwar nicht mehr als einen Kilometer breit, aber wir brauchten doch eine gute Stunde, ehe wir das andere Ufer erreichten und zwischen den Weidenbäumen auf das Wasser hinausspähen konnten. Nur ein schmaler Sund trennte uns von der großen Insel. Auch diese war mit Wald bedeckt, aber der letztere war in der Nähe des Ufers gefällt worden und eine plumpe Brücke aus unbehauenen Baumstämmen sprang ins Wasser vor.

An diesem improvisierten Quai lagen zwei Schiffe vertäut; eine mittelgroße Barke von altmodischem plumpem Bau und ein kleines Dampfschiff mit zwei Masten ohne Raaen und mit gelbem Schornstein. Der Rumpf des Dampfers war schwarz bemalt, mit einer vergoldeten Leiste geziert, und schien zu jener Dutzendware englischer Lustjachten mittlerer Größe zu gehören, wie sie zu Hunderten im Mittelmeer und den norwegischen Fjorden zu sehen sind.

Am Ufer waren zwei oder drei lange Schuppen aus dünnen Baumstämmen und Segeltuch aufgeführt, während weiter drüben am Waldrand ein paar Hütten von ähnlichem, leichtem Material standen. Etwas abseits erhob sich ein schönes, rot und weiß gestreiftes Zelt. Eine Anzahl Männer war damit beschäftigt, Kisten und Kasten von der Barke auf die Dampfjacht umzuladen.

Der Abend rückte heran, und die Sonne stand tief am Horizont. Die Schatten der Bäume auf unserer Insel reichten fast ganz über den Sund, während die Sonnenstrahlen auf der Szene gegenüber spielten.

Das Geräusch von Stimmen drang zu uns herüber. Die Leute, welche löschten, plauderten nach Art der Südländer während der Arbeit. Ihre Schärpen und farbigen Hemden leuchteten im Sonnenschein.

Holt erfaßte mich kräftig am Arm: Siehst du, dort drüben, vor dem Zelt?

Ich nahm ihm das Fernrohr aus der Hand – aus dem Zelt trat eine weibliche Gestalt in heller Kleidung. Durch das Fernrohr konnte ich sehen, wie sie mit der Hand die Augen beschattete und nach dem Meer hinaus zu starren schien.

Kennst du sie?

Ja, ich erkenne sie wieder! Es ist das junge Mädchen vom »Ozean« und von – San Roque.


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