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Die Fahrt durch den Biscayischen Meerbusen war nicht besonders angenehm. Wohl hatten wir schönes Sommerwetter und fast keinen Regen. Aber mit der Dünung des Atlantischen Meeres ist nicht zu spaßen, und sie rollte beständig, mochte es Reifen oder still sein. Selbst wenn die Plagen der Seekrankheit ein überwundener Standpunkt sind, so ist es doch nicht angenehm, sich beständig krampfhaft festklammern zu müssen. Auch ist es ein mäßiges Vergnügen, entweder das Verdeck oder den Klüverbaum gen Himmel ragen zu sehen, sodaß man sich hüten muß, nicht hinunter zu stürzen, oder vornüber zu taumeln, wenn das Boot einen 40 Fuß langen grünen Wasserhügel hinab Schlitten fährt.
Wir kamen in 24 Stunden durchschnittlich 80–90 Seemeilen vorwärts, – und eines schönen Tages war das Meer nicht mehr grau und grün, sondern dunkelblau und die Sonne wunderbar warm, trotz der frischen Brise. Wir waren auf der Höhe von Kap Finisterre, der nordwestlichen Ecke Spaniens. Gleich nachher hatten wir indessen Nebel und trübes Wetter, sodaß Holt keine Beobachtungen machen konnte.
Der Wind weht zwar von Nordwesten, aber diesmal werden wir Spanien nicht zu sehen bekommen, sagte Holt; unter diesen Umständen darf ich nicht an Land gehen. Wir müssen den Fram in offener See halten und lieber an der Küste von Portugal an Land gehen.
Aber als der Nordwest inne hielt, sprang der Wind gegen Südosten um. Zu unserem großen Aerger mußten wir uns daher auch die Freude versagen, längs der Küste mit dem portugiesischen Nordwind zu segeln.
Wir fuhren also zwei Tage südlich oder südwestlich und entfernten uns immer mehr vom Lande. Am dritten Tage drehte sich der Wind nach Süden und zur allgemeinen Freude wurde der »Fram« östlich nach Kap St. Vincent gewendet. Wir konnten wohl 150 Seemeilen westlich von diesem Vorgebirge sein.
Der Zustand an Bord war paradiesisch: die See ruhig, selbst wenn es ein wenig blies, und warm bei Tag und Nacht.
Am Morgen nahmen wir unser Bad auf der Back und am Abend unsere Zigarre und den Grog in Hemdärmeln, während das Meerleuchten um den Fram strahlte und Delphine in großen Scharen in dem leuchtenden Meerwasser tanzten.
Bei Tag war die See dunkel oder dunkelblau. Zuweilen kamen Züge von Fischen wie große Makrelen und folgten uns, und längs der See glitten »portugiesische Orlogsmänner« Große Delphine. mit den spielenden Blasen als Segel. Wenn die Sonne sie beschien, strahlten sie in allen Farben des Regenbogens.
* * *
Es war am Morgen des 20. August. Der Südwind hatte uns die ganze Nacht gegen Osten geführt, aber während der Tagwache nahm er ab und ging dann gegen Norden um.
Endlich haben wir doch den Portugiesen, rief Holt; aber wir werden ihn wohl nicht lange behalten; südlich von Kap Vincent pflegt er nicht zu stehen.
Ich wünschte, wir bekämen heute Land in Sicht, sagte ich und streckte mich mit der Pfeife im Mund behaglich aufs Deck. Aber ist es nicht merkwürdig, daß wir so wenige Schiffe treffen?
Das ist nicht so merkwürdig, war die Antwort. Die Dampfschiffe und Segler, die gegen Süden steuern, halten sich in dieser Jahreszeit näher unter Land, und diejenigen, die gegen Norden fahren, segeln erst weit westlich, ehe sie den Kurs nach dem Kanal nehmen. Hält der Wind an, so haben wir gegen Abend Land in Sicht, und morgen, denke ich, wirst du Segler, Dampfer und Fischerboote zu sehen bekommen – – – dort voraus haben wir übrigens einen Segler – es scheint ein großes Schiff zu sein, das westwärts steuert.
Monk und ich sprangen auf, jeder griff nach seinem Fernrohr; wir waren neugierig wie alle Landratten, und seit wir England verließen, hatten wir kaum ein Dutzend Fahrzeuge gesehen.
Es war übrigens noch wenig von dem Fremden zu sehen, nur die Mastspitzen und die obersten Segel.
Wenn ihr Lust habt, sagte Holt, so können wir ein paar Striche höher steuern, dann kreuzen wir seinen Kurs und kommen hart an ihm vorüber.
Gesagt, getan; aber wir kamen nur langsam näher. Der Wind war nicht mehr frisch, er blies in unregelmäßigen Stößen, und der Fremde schien ein träger Segler zu sein, der fast nicht vom Fleck kam.
Dieses Fahrzeug muß wie ein Heusack treiben, bemerkte Henriksen. Wenn vielleicht der Ingenieur das Steuer übernehmen wollte, dann könnte ich hinauf gehen und sehen, ob vom Mast nicht etwas mehr zu entdecken ist.
Henriksen war sonst nicht gerade derjenige, der sich unnötig anzustrengen liebte; aber sein Seemannsinstinkt sagte ihm, daß hier etwas Ungewöhnliches vorlag, und mit auffallender Lebhaftigkeit kletterte er nach der Spitze unseres stattlichen Mastes.
Der Teufel hol's, liegt der nicht beim Winde! Der Kerl läßt sich Zeit mit dem Weiterfahren! rief er hinab zu uns.
Wir fielen wieder ein paar Striche ab, um schneller unter den Fremden zu kommen, während allerhand Vermutungen über die Untätigkeit desselben angestellt wurden.
Vielleicht liegt er dort und fischt, wie wir es in der Nordsee taten, meinte Monk.
Er läßt das Fischen bei 1000 Faden Wasser bleiben; – Holt nahm wieder das Fernrohr und stieg auf das Hüttendach:
Zum Henker, was hängt denn dort an der Fock und der großen Raa? Betreiben sie drüben das Hängen von Menschen? – Nein, jetzt ist es fort! – aber ich weiß ganz sicher, daß ich dort etwas an der großen Raa habe baumeln sehen.
Noch war nicht der ganze Rumpf am Horizont sichtbar, und erst eine gute Zeit nach Mittag durften wir erwarten, so nahe zu kommen, um Menschen an Bord sehen zu können.
Das Mittagessen war schnell beendigt worden. Henriksen hatte sich mit dem Aufwaschen beeilt, um ungestört den merkwürdigen Segler betrachten zu können.
Je näher wir kamen, desto größer schien er zu werden, der große, dunkle Rumpf, der auf der schwachen Dünung langsam auf- und niederschaukelte. Es war eine Barke von 800 bis 1000 Tonnen, die Bemalung abgerieben, das Eisenwerk rot von Rost und die Seiten grau von Salz bis an die Reling.
Alle Segel waren gesetzt, mit Ausnahme des Oberbramsegels, des Jagers, einiger Stagsegel und der Untersegel. Das Takelwerk war grau und abgenutzt, aber die Segel schienen gut zu sein, und nicht ein Tau fehlte. Das Fahrzeug bewegte sich kaum vorwärts. Es blies eine angenehme leichte Brise, aber die See war ruhig und die Dünung schwach.
Es stehen Leute vorn auf der Back, rief Henriksen eifrig. Bisher hatten wir nichts Lebendiges entdecken können.
Wo? Ich sehe niemanden.
Nein, jetzt sehe ich auch niemanden; aber ich möchte darauf schwören, daß zwei Mann durch die Schlagluke mittschiffs nach uns glotzten.
Du siehst Gespenster, sagte Holt, es ist keine Menschenseele an Bord.
Henriksen schüttelte nur den Kopf, schwieg aber still, als wir die Langseite des Schiffes passierten und Holt an Bord anrief, ohne jedoch Antwort zu erhalten.
Wir hatten unsere Flagge gehißt, als wir um das Achterende des Schiffes liefen. Neugierig standen wir alle vier auf der Back, als das Heck des Fremden uns sichtbar wurde.
Ein Norweger!
In ehemals vergoldeten, aber jetzt halb verwischten Buchstaben lasen wir auf dem Spiegel: »Ozean von Grünstadt«.
Holt rief: Ozean ahoi!
Die Worte widerhallten in der Gilling des Schiffes – wir glitten auf wenige Faden Entfernung vorüber – aber – keine Antwort!
Wir fuhren um das Heck herum und steuerten nach der Luvseite, aber nichts Lebendiges war zu sehen und kein anderes Geräusch hörbar, als das Plätschern der Wellen, die an der Schiffsseite und in den breiten Nuten leckten, und ein leichtes Knarren der Blöcke und Raaen, wenn das Fahrzeug in den Wind luvte.
Noch einmal segelten wir um das Schiff. An der Fallreepspforte in Lee hing eine Strickleiter mit eisernen Stufen; sonst war nirgendwo etwas Ungewöhnliches zu entdecken.
Die Stille an Bord war unheimlich.
An Bord müssen alle Mann zur Koje gegangen sein, um zu schlafen, sagte ich; ich wußte, daß meine Bemerkung albern war, und die andern mochten nicht einmal darauf antworten.
Was denkst du davon, Henriksen? fragte endlich Holt; wir hatten den »Fram« einige hundert Meter hinter dem Schiff back gelegt und konnten unsere Augen nicht von demselben abwenden.
Es muß eine Krankheit an Bord herrschen, die Leute sind entweder tot oder können nicht aus den Kojen, antwortete Henriksen.
Daß nicht jemand wenigstens auf Deck kriechen könnte, – das wäre doch sonderbar.
Wir segelten noch einmal um das Schiff. Monk gab zwei blinde Schüsse mit dem Gewehr über die Reling ab, und Holt warf ein schweres Stück Holz an Bord, sodaß wir es auf der großen Luke niederfallen hörten; aber – – – kein Laut antwortete uns.
Es ist wohl so, wie ich sage, die Leute dort an Bord müssen tot in den Kojen liegen, denn die Boote sind auf ihrem Platz, sodaß sie das Schiff nicht verlassen haben können, und überdies, wie sollten sie ein so gutes Fahrzeug wie dieses da verlassen?
Ein unbehaglicher Schauder durchrieselte mich bei diesen Worten.
Mag es nun sein, wie es will, antwortete endlich Holt. Wir können nicht weiter segeln, ohne die Sache untersucht zu haben. Wir wollen die Jolle heraufholen und an Bord gehen!
Monk und ich waren sogleich bereit; aber Henriksen schüttelte den Kopf: Es kommt nichts Gutes dabei heraus. Wir können das Schiff nicht in einen Hafen bringen, zudem könnte leicht das gelbe Fieber oder eine andere Krankheit an Bord herrschen. Wir wollen lieber nach dem nächsten Hafen segeln und Meldung machen.
Der Vorschlag war nicht so übel. Gut, wie das Wetter war, würde es nicht schwer sein, das Fahrzeug in ein paar Tagen wieder zu finden, und bis dahin gelang es uns wohl, ein Dampfboot unter der Küste zu erreichen.
Aber das war nicht nach unserem Geschmack; besonders Monks Detektivnase sehr begierig danach, an Bord zu kommen.
So wurde die Jolle ausgeholt, die Schlepper losgeworfen und die Ruder hinabgelangt. Monk sprang in die Kajüte hinunter und kam mit unseren Revolvern und einer Schachtel Patronen in den Händen herauf.
Ich stutzte ein wenig, als er mir den meinigen reichte, nahm ihn aber doch. Er reichte auch Holt einen Revolver.
Ich kann ihn ja mitnehmen, sagte Holt lächelnd; aber es gibt noch etwas Notwendigeres. Geh hinab in die Kajüte, Henriksen, und bring den Medizinkasten herauf!
Gleich nachher ruderten wir drei nach dem seltsamen Schiff. Ich warf einen Blick zurück auf den »Fram«. Henriksen hatte die Ruderpinne festgesetzt; er stand neben dem Mast und starrte uns nach.