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Es war am Morgen des 25. Juli an der norwegischen Küste zwischen Arendal und Christiansund.
Ein paar Seemeilen Nautische Ausdrücke s. Verzeichnis am Schluß des Buches. [Dieses Verzeichnis existiert nicht. Re. für Gutenberg.]vor den äußeren Schären lag ein großer weißbemalter Kutter und stampfte schwach in der langen flachen Dünung. Die ersten Strahlen der Sonne spielten auf dem vergoldeten Flaggenknopf und zogen sich dann weiter über die schimmernden Segel hinab. Man hätte dieses Boot mit seinem weißen Anstrich und dem spitzen Heck trotz seiner Größe und feinen Linien leicht für ein Lotsenboot halten können.
Die Segel, neu und weiß wie Schnee, glichen nach Schnitt und Größe vollständig denjenigen eines Lotsenbootes. Aber der rote Streifen fehlte, und man hatte nur die Wahl zwischen Frachtboot und Lustjacht. Bei näherer Betrachtung schwand indessen jeder Zweifel in dieser Hinsicht; die Mahagonikajüte, die sich bis zum Mast erstreckte, mit den beiden zierlichen Oberlichtern, das Tauwerk von feinstem, weichem und ungeteertem Hanf, das glänzende kleine Nachthaus von Messing, das hübsch ausgeschnittene Hennegat – all das verriet den Lustsegler. Doch deutete die massive Ausstattung darauf hin, daß das Boot, wenn notwendig, auch einen Kampf mit den Elementen aufnehmen konnte. Es war ein Werk des berühmten Baumeisters des Polarschiffes »Fram«, und in Wirklichkeit trug das Boot auch den gleichen Namen. In kleinen vergoldeten Buchstaben las man auf dem Schnabel des Fahrzeuges denselben Namen, der sich später wie Feuer in dürrem Gras durch die Welt verbreiten sollte.
Der »Fram« war größer als ein gewöhnliches Lotsenboot, ungefähr wie ein größeres Rettungsboot, aber von leichter zierlicher Bauart. Wie er dort hoch auf dem Wasser im strahlenden Sonnenlicht lag, mit den vollen und doch so scharfen Linien, dem dicken, kurztopigen Mast aus fehlerfreiem Tannenholz und den neuen Segeln von schwererem Tuch, als diejenigen eines Lustseglers zu sein pflegen, würde kein Seemann daran gezweifelt haben, daß er ein Fahrzeug vor sich hatte, welches sicher alle Meere befahren konnte, und das doch mit etwas größeren Segeln und leichterem Takelwerk, bei einem Wettfahren auch den feinsten Typen gegenüber Aussicht auf Erfolg gehabt haben würde.
Nur eine lebende Seele war an Bord zu entdecken, ein Mann, der hinten im Steuerraum saß. Er warf einen unzufriedenen Blick nach dem Großen Segel hinauf, wenn es heftig schlug, holte die Schoot mehr an und belegte sie an Bord. Dann richtete er sich empor und starrte nach dem Lande hinüber. Sein Gesicht hellte sich auf, als er drüben unter der Küste Segel in Bewegung sah. Sie hatten also Landbrise bekommen. Bald traf auch der erste Luftzug das Boot und füllte seine Segel. Der Mann im Steuerraum holte das Ruder auf und blickte nach der Küstenlinie und dem Kompaß. Als er den gewünschten Kurs erlangt hatte, legte er das Ruder wieder mittschiffs; dann wandte er sich nach hinten gegen die steigende Sonne. Sie warf ihre horizontalen Strahlen mitten in sein Gesicht, sodaß er die Augen mit der Hand beschatten mußte.
Gut Wetter, murmelte er zufrieden und blickte dann wieder nach vorn.
Der Mann schien etwa fünfzig Jahre alt zu sein. Aber ich kann gleich beifügen, daß Karl Henriksen schon die sechzig überschritten hatte. Das Haar war dicht und dunkel, ohne jeden grauen Schimmer, wenn auch die lederne Mütze und der Südwester dasselbe auf dem Scheitel gelichtet hatten. Seine Tracht war einfach und bequem: ein Paar alte dunkelblaue Tuchhosen mit einem Hosenträger, Weste und gestreiftes Flanellhemd, das am Hals von einer roten wollenen Litze zusammengehalten wurde. Seine Füße steckten in einem Paar gestickter Morgenschuhe, deren bunte Farbe längst verblichen war. Die Hemdärmel waren zurückgeschlagen und zeigten ein paar behaarte Arme, die knorrigen Eichenästen glichen. Das Gesicht war von Sonne und Wetter gebräunt, die Nase lang und fleischig; aber man irrte sich wohl kaum, wenn man annahm, daß der Alte in seiner Jugend ein so schöner Mann gewesen war, wie nur irgend einer. Bärtig konnte er gerade nicht genannt werden, denn er trug nur unter dem Kinn einen dichten krausen Bartstreifen, der von einem Ohr zum andern reichte; sonst waren nicht nur Wangen und Lippen glatt rasiert, sondern auch der Nacken ein paar Zoll über dem Hemdkragen – eine Sitte, wie man sie noch bei alten Matrosen antrifft.
Karl Henriksen war der gesuchteste Kuttermann im ganzen Christianiafjord. Doch hatte nicht jedermann Erfolg, der ihn zu heuern versuchte. Er wollte nicht an Bord eines mittelmäßigen Kutters stehen oder mit »Lumpereien« zu tun haben. Wer ihn zu einer Wettsegelfahrt gewinnen konnte, der pries sich glücklich, mußte er auch noch so viel dafür bezahlen. Fest verheuerte er sich bei niemand, sondern pflegte jeden Sommer oder auch noch häufiger zu wechseln. –
* * *
Unser Mann am Steuer schien sich nach einer Veränderung des Programms zu sehnen; denn er bückte sich häufig, um nach der runden Schiffsuhr in der Kajüte zu schielen. Als die Zeiger genau auf fünf standen, trat er rasch aus dem Steuerraum und schritt die Kajütentreppe hinab. Um nicht Unbeteiligte zu stören, rief er vorsichtig durch die offene Türe;
Ingenieur! Ingenieur! Es sind zwei Glas Tagwache!
Die Person, die so an ihre Pflicht gemahnt wurde, war niemand anders als der Verfasser dieser wahren Geschichte.
Ein schöner Anblick erquickte mein Auge und Herz, als ich mir den Schlaf aus den Augen gerieben hatte.
Eine herrliche Sonne strahlte über dem Horizont im Osten an einem wolkenlosen Himmel; die glitzernde Fläche des Meeres im Süden und Westen war in leichter Bewegung unter langen Dünungen und gekräuselt von dem frischen Landwind. Von Nordwesten nach Nordosten erstreckte sich das Land, die Hellen Holme und Schären von der Morgensonne vergoldet, dahinter die lichten Gehölze und weit drinnen im Lande die dunklen, waldbewachsenen Bergrücken.
Wir mochten wohl etwa sechs Seemeilen vor der äußersten Schäre sein, und das Fahrzeug lief dem Land entlang gegen Westen.
Karl Henriksen – oder bloß Henriksen, wie er sich selber zu nennen liebte – unterbrach mich in meinen Betrachtungen:
Mir kommt es vor, als hätten Sie, Herr Ingenieur, Lust nach einer Tasse Kaffee; wenn Sie vielleicht das Steuer übernehmen wollen, werde ich den Kessel aufs Feuer setzen.
Jawohl, Henriksen, das werde ich. Was steuern wir? – Südwest – gut, nun, machen Sie rasch Kaffee, dann purren wir Monk und den Leutnant heraus.
Henriksen eilte schnell nach vorn, und schon ein paar Minuten später stieg der blaue Rauch in die Höhe und wallte unter dem Segel in Lee hinab.
Der Wind war eben frisch genug, um die Segel zu füllen und den Kutter auf der Dünung am Rollen zu verhindern. Die Segel waren neu und dicht, und das Wasser so ruhig, daß der Kutter seine drei bis vier Knoten machte.
Während der Kaffee kochte, zog Henriksen seine Schuhe und Strümpfe aus, ergriff Schrubber und Eimer und begann des Deck zu spülen. Das war eine Morgenarbeit, die er nie unterließ, selbst wenn der Kutter voller Damen und Landratten war, die sich über das »scheußliche Wasser auf Deck« beklagten.
Und sobald diese Arbeit vollendet und der Kaffee gekocht war, wurden Monk und der Leutnant herausgepurrt.
* * *
Es ist nunmehr an der Zeit, zu erklären, wie es zuging, daß wir vier an Bord des »Fram« waren; denn der Leser wird bald sehen, daß wir uns nicht auf einer gewöhnlichen Fahrt längs der Küste befanden.
Anläßlich einiger Grubenunternehmungen in Nordland hatte ich mehrere Jahre in Geschäftsverbindung mit einem reichen Pariser Bankier gestanden, einem Baron de Francheville, der mich auch nach Abschluß unserer Geschäfte jährlich einmal besuchte; jeden Sommer kam er mit seiner prächtigen Dampfjacht nach Norwegen hinauf. Er stand erst in den Vierzigern, hatte jedoch nach Art der Franzosen die Absicht, sich von den Geschäften zurückzuziehen, sobald es ihm sein Vermögen gestatten würde. Und dies konnte bei meinem französischen Freunde wohl nicht mehr allzulange dauern, da er von seinem Vater ein blühendes Bankgeschäft geerbt hatte.
Im letzten Sommer hatte er mir anvertraut, daß er sich in einem Jahr von der Bank zurückziehen und den Rest seines Lebens ausschließlich seiner schönen Frau, seinen Kindern und – dem Segelsport widmen wolle. Francheville war nämlich eifriger Sportsmann, besonders Segler, wenn auch die knappe Zeit, die ihm« die Geschäfte übrig ließen, ihn bisher gezwungen hatte, seine Zuflucht zum Dampf zu nehmen.
Vor einem Jahr hatten wir einem stürmischen Wettfahren bei Jomfruland beigewohnt, und Francheville betrachtete mit Verwunderung die archenförmigen Kutter, wo die Leute auf Deck trockenen Fußes gingen, während die anderen Fahrzeuge mehr unter als über Wasser waren.
Einen solchen Kutter müssen Sie mir kaufen, rief er, das ist etwas für das Mittelmeer. Dort drunten kennen wir Ihre Schären nicht, hinter denen man, so oft man es nur wünscht, wie in einem Rinnstein segeln kann; dort drunten haben wir immer See, wenn es auch nur ganz sachte bläst.
Mit Vergnügen übernahm ich den Auftrag, ihm einen guten Kutter zu verschaffen; dieser sollte bis zum nächsten Sommer fertig sein, und ich versprach zuverlässige Leute zu heuern, um ihn bis zum 1. September nach Gibraltar zu führen. Dort sollte der Baron den Kutter selbst übernehmen, denn vor dem Sommer wurde er nicht frei.
Bezüglich der Kosten hatte ich vollkommene Freiheit; man wird also begreifen, daß ich alles an Bord von erster Güte herstellen ließ.
»Fram« war wohl der größte Lustsegler von diesem Typus, der bis dahin gebaut worden; er war an der Wasserlinie 45 Fuß lang und 14 Fuß breit und konnte wohl 30 Tonnen messen. Er erhielt Bleiballast und Kupferhaut und hatte zwei prächtige Kajüten mit Schlafplätzen für sechs Personen, außer dem Vorderraum mit der Küche und den Kojen für drei Mann.
Alles ging gut. Im Sommer war der »Fram« zur Abfahrt bereit. Aber schwieriger hielt es, einen zuverlässigen Mann zu erhalten, um das Fahrzeug nach Gibraltar zu führen. Zwar gab es genug Leute, die mit einem solchen Schiff umzugehen wußten, aber sie besaßen keine seemännischen Kenntnisse. Und diejenigen, die sie besaßen, waren bloß mit Raaseglern gefahren und wollten sich nicht gerne auf dieses Geschäft einlassen. Schon begann ich zu fürchten, daß Francheville seinen Kutter nicht zur festgesetzten Zeit erhalten würde, als ich eines Tages plötzlich auf der Straße meinem Freunde, dem Marineleutnant Holt, begegnete.
Zum Henker, was machst du hier auf dem festen Lande? fragte ich. Bist du desertiert oder verabschiedet?
Ja, du magst wohl so fragen, antwortete Holt melancholisch und zog seine große Hand langsam aus der Rocktasche, um die meinige zu schütteln. Der Kuckuck hol's! man hat augenblicklich beim Marineamt für mich keine Verwendung, und ich langweile mich zu Tode.
Aber kannst du denn nicht einen Ausflug ins Land hinauf machen? Du hast ja weder Frau noch unversorgte Kinder zu schleppen.
Nein, gottlob, das habe ich nicht; aber mir gefällt nun einmal die See am besten und ich will mich nur an diese halten. Ja, wenn man so reich wäre, daß man sich einen Kutter halten könnte, und wäre es selbst nur ein schäbiges Deckboot!
Kutter! rief ich. Nun, du sollst auf einem Kutter segeln – bis nach Spanien, wenn du willst!
Rede keinen Unsinn und halte mich nicht unnötig auf. Ich muß zur Kommandantur, ehe die Offiziere zu Tisch gehen.
Ich will mich nicht länger bei den weiteren Verhandlungen mit Holt aufhalten; genug, er übernahm es, den »Fram« nach Gibraltar zu führen, unter der Bedingung, daß mein Freund Monk und ich mitgingen, und daß Karl Henriksen geneigt war, sich als »Mann« heuern zu lassen.
Mehr Leute nehmen wir nicht mit, sagte er. Du und Monk, ihr seid wenigstens halb befahren, das weiß ich von unseren kleinen Fahrten mit deinem Kutter, und das übrige werden Henriksen und ich wohl besorgen. Zwei Mann zu jeder Wache sind mehr als genug.
Damit war die Sache zwischen uns abgemacht, und als Monk sich bereit erklärt und auch Henriksen als »Mann« angemustert hatte, war die Expedition gesichert.
* * *
Kein anderer Reisebegleiter konnte mir so lieb sein als Monk. Nicht allein, daß uns selbst und unsere Frauen Bande der innigsten Freundschaft, verknüpften, war Monk einer der interessantesten und merkwürdigsten Männer unseres Vaterlandes.
Ursprünglich Jurist, hatte er alsbald seinen eigentlichen Beruf erkannt, war zur Polizei übergegangen und hatte sich schließlich als Privat-Detektiv einen berühmten Namen gemacht. Ganz Norwegen sprach von seinem Scharfsinn, seiner Kühnheit und seinen Erfolgen in den verzweifeltsten Fällen.
Dabei entsprach sein Aeußeres durchaus nicht den landläufigen Vorstellungen von einem Diener der heiligen Hermandad. Aus einem schönen, offenen Gesicht blickten kluge, graue Augen, der Spiegel einer harmonischen Seele. Ein Meister in allen körperlichen Uebungen, besaß er trotz seiner Schlankheit eine ungewöhnliche Stärke, der er einen großen Teil seiner Erfolge verdankte.
Eine Reise mit Monk mußte unter allen Umständen interessant werden, weil sein rastloser und spekulativer Geist auch dem Unbedeutenden und Alltäglichen ansprechende Seiten abzugewinnen verstand.
* * *
In kurzer Zeit hatten wir die Nordsee hinter uns. Nach einer recht stürmischen Fahrt durch den Kanal, während welcher Monk und ich als Neulinge auf hoher See von Holt Navigationsunterricht erhielten und zeitweise dem Neptun reichliche Opfer zollten, begann jener Teil der Reise, der uns Überraschungen bringen sollte, die sich keiner von uns hatte träumen lassen. Am allerwenigsten mag wohl Monk vermutet haben, daß die Vergnügungsreise zur See ihm Gelegenheit bieten würde, seine Fähigkeiten als Detektiv zu zeigen.