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Sechstes Kapitel.
Weshalb Karl Henriksen fortgefahren war.

Ich komme wieder zur Besinnung, spüre eine angenehme Wärme, äußerlich und innerlich, höre freundliche Stimmen um mich her.

Aha, er beginnt an der Kognakflasche zu lutschen, wie ein Kind an der Saugflasche – das ist ein gutes Zeichen! höre ich an meiner Seite; es ist Holts Stimme. Er steht mit einer Flasche und einem Glas in der Hand vor mir. Ich selbst liege in wollene Decken gehüllt auf dem Sofa in der Kajüte des »Fram«. Um den Kopf habe ich eine Binde.

Monk ist damit beschäftigt, meine Füße zu reiben, und von der Niedergangstreppe sehe ich das verwitterte Gesicht Henriksens neugierig herabblicken.

Was ist denn geschehen? frage ich und richte mich auf; aber ein unangenehmes Gefühl im Hinterkopf läßt mich gleich wieder auf das Kissen zurücksinken.

Oh, nichts weiter, als daß du Mühe gehabt zu haben scheinst, dich vom »Ozean« loszureißen, sagt Monk.

Wir sprangen ja in die See, murmle ich; aber nun erinnere ich mich, daß mein Fuß sich verwickelt hatte, oder nicht?

Ja, du warst mit dem Fuß in der großen Brasse hängen geblieben, die auf dem Deck lag und hin und her schlug, fuhr Monk fort, und als Holt und ich an Bord des »Fram« gekommen waren, sahen wir dich in der See liegen und den Kopf gegen die alten Planken des »Ozean« schmettern – wahrscheinlich, um zu sehen, wer es länger aushalten könnte.

Aber wie fischte man mich auf?

Ja, das werde ich dir sagen. – – – Monk stellte das Frottieren ein und zog ein paar hübsche, warme, wollene Strümpfe an meine Füße.

Still! wir wollen nicht weiter mit ihm sprechen; er bedarf jetzt des Schlafes, damit er nicht infolge der Gehirnerschütterung krank wird. Es war Holt, der sich ins Gespräch wischte, während er vorsichtig mein Gesicht gegen die Wand drehte und die Decke über mich zog.

Nun, es kann nichts schaden, wenn er dir erst die Hand drückt, Holt, fuhr Monk ernst fort. Tue es, Fredrik, denn wenn jemand sein Leben für einen andern gewagt hat, so hat es Holt für dich getan. Sobald er sah, wie es um dich stand, schwamm er wieder zurück und mühte sich sicher zehn Minuten ab, ehe er dich befreien konnte. Wie er es überhaupt fertig gebracht hat und warum ihr nicht zu Brei zerquetscht worden seid, kann ich noch jetzt nicht begreifen.

Ich zögerte nicht, meine Hand auszustrecken, aber Holt hatte sich schon aus der Kajüte entfernt.

So blieb mir nichts anderes übrig, als den Versuch zu machen einzuschlafen. Und es gelang auch, obschon ich das Gefühl hatte, als wäre mein ganzer Körper zerschmettert, und als läge ein Bleiklumpen in meinem Kopfe. Ich schlief so gründlich, daß schon die Helle des zweiten Tages in die Kajüte des »Fram« fiel, als ich erwachte.

Der kräftige Schlaf hatte mich wohl vor ernsteren Folgen dieses Abenteuers bewahrt; denn ich litt nur noch an einiger Mattigkeit und Empfindlichkeit in den Gliedern, aber der Kopf war klar und der Lebensmut gestiegen. Ein paar Tage später war auch die Mattigkeit verschwunden, und die Kopfwunden heilten rasch.

* * *

Monk, der als Arzt waltete, erteilte mir am dritten Tage Erlaubnis, die Koje zu verlassen, und ich zögerte nicht, auf Deck zu klettern. Meine Ankunft wurde mit lebhaften Glückwünschen aufgenommen, nicht am wenigsten von Henriksen.

Danke sehr, Henriksen! aber wenn du mir einen Dienst leisten willst, so erzähle uns vor allem, weshalb du uns verlassen hast, als wir an Bord des »Ozean« gekommen waren. – Wie ist es mit dem Schiff gegangen? Hat man noch etwas davon gesehen, nachdem wir es verlassen hatten?

Halt ein wenig! sagte Monk und erhob die Hand, – eins nach dem anderen. Was den »Ozean« betrifft, so lagen wir so lange back, bis wir ihn als Wrack auf den Klippen sahen, und ehe wir den Ort aus den Augen verloren, hatte die See das Schiff zu Splittern zerstoßen. Wenn er versichert war, so ist nun die Versicherungssumme zur Auszahlung verfallen – darauf können wir einen Eid ablegen. Was Henriksens Taten anbelangt, so haben wir noch keinen vollständigen Bericht von ihm erhalten, nur das Notwendigste in episodischen Schilderungen, wie man es nennt. Wir haben verabredet, daß er damit warten soll, bis du heraufkommst, damit er uns dann einen Generalbericht liefere. Nun kannst du beginnen, Henriksen!

Beginnen, ja, murmelte Henriksen unwillig; das ist leicht gesagt; aber meinen Sie, daß ich daran gewöhnt bin, zu predigen oder Vorlesungen zu halten? Und dann haben Sie und der Leutnant mich in den letzten zwei Tagen beständig ausgepumpt, sodaß ihr so nach und nach alles aus mir herausgequetscht habt – jedenfalls bin ich leer, das weiß ich.

Wohl möglich, meine lieber Henriksen; aber Viller hat noch nichts gehört und überdies – je öfter du erzählst, desto mehr Einzelheiten werden dir einfallen. Erzähle nur alles von Umfang an. Viller mag nicht länger warten. Wir beginnen also von jenem Augenblick an, als wir drei an Bord des »Ozean« fuhren und du allein auf dem »Fram« zurückbliebest. Also – nun heraus damit!

Na, ja, mir fiel nämlich ein, daß ich wohl noch einmal um das Schiff herumsegeln könnte, während Sie an Bord desselben waren. (Wenn Henriksen erst einmal aufgemuntert und im Zuge der Erzählung war, ging es von selbst.) Also steuerte ich um das Schiff herum. Dort stand der Name »Grimstad« hinten am Spiegel, aber ich möchte darauf schwören, daß es in Bergen gebaut war, – bei Dekke in Bergen; es ist ein Hartläufer gewesen in seiner Jugend, dachte ich; das war deutlich zu sehen.

Gerade als ich eine Kabellänge oder anderthalb vor ihm lag, kamen Leute auf die Back gesprungen und winkten mir, daß ich herankommen sollte. Gewiß sind Leute an Bord gewesen, dachte ich. Der Leutnant und die andern haben sie wohl getroffen und ersucht, mich heranzuwinken. So wandte ich den »Fram« und fuhr unter den Bug. Es war ruhiges Wasser, und das Fahrzeug lag ganz still. Sie warfen ein Tau heraus, und nun ließ sich ein Mann und dann noch einer an demselben herab. Ich fischte das Tauende mit dem Bootshaken auf und holte beide an Bord, denn ich dachte natürlich, daß es so sein müsse und daß der Leutnant ihnen Befehl erteilt habe, an Bord des »Fram« zu gehen. Mir kam es zwar seltsam vor, daß sie nicht warten konnten, bis ich weiter nach hinten gelangte; aber ehe ich Zeit hatte, mich zu bedenken, waren sie beide neben mir im Kutter.

Wieder schickte sich einer von denen droben an, herabzukommen, aber nun zeigte sich ein großer, bärtiger Kerl mit schwarzen Augen, die er nach allen Seiten rollen ließ. Er ergriff den Burschen, der sich gerade herunterlassen wollte, und warf ihn von der Back herab. Dann rief er den beiden, die schon drunten im Kutter waren, etwas zu, zeigte gegen Süden und focht mit den Armen, während sein Mundwerk wie eine Mühle lief. Ich verstand nicht, was er sagte, denn er sprach zu schnell, obschon ich sonst ein wenig Spanisch kann – ich fuhr einmal ein ganzes Jahr mit einem Klippfischboot an der spanischen Küste, sage ich Ihnen. –

Verstandest du nicht ein einziges Wort? unterbrach Monk seine Erzählung.

Nein, nichts anderes, als daß er etwas von »Dampfer holen« und »Massigan« sprach; was das ist, weiß ich nicht; ich sah auch nirgendswo ein Dampfschiff. – Er ließ sich übrigens nicht lange Zeit, sondern winkte mit den Händen und sprang von der Back herab, und dann sah ich nichts mehr von ihm und den andern an Bord des »Ozean«, – denn unerwartet versetzte mir einer der Lumpen, die ich an Bord des »Fram« genommen hatte, einen Puff in die Magengrube, sodaß ich die Kajütentreppe hinabtaumelte und liegen blieb und ächzte wie ein Fisch auf trockenem Lande.

Als ich wieder hinauf kam, hatten sie den Kutter in Gang gebracht. Der eine stand am Steuer und der andere saß auf dem Hüttenrand und lachte über mich. Da begriff ich, daß ich unter Seeräuber geraten war und suchte nach einem Prügel, um sie damit Mores zu lehren; aber kaum hatten sie bemerkt, was ich beabsichtigte, als der eine einen Revolver zog und ihn auf mich richtete, während der auf dem Hüttendach ein langes Messer hervorholte und schwor, er werde mir damit den Bauch aufschlitzen, wenn ich mich nicht ruhig verhalte – das verstand ich, denn ich hatte oft genug ähnliche Drohungen von den spanischen Halunken in Santander und Cadix vernommen. Ich blickte zurück nach dem Schiff, aber es war nichts Lebendiges zu sehen, weder von Ihnen noch den schwarzäugigen Räubern.

Wie viele Mann sahst du an Bord des »Ozean«? unterbrach ihn Monk wieder.

Außer den beiden, die mich auf dem »Fram« besuchten, – Henriksen belohnte sich selbst für diesen Witz mit einem breiten Grinsen – waren gewiß sechs bis sieben Stück an Bord des »Ozean«. Ich hatte ja nichts anderes zu tun, als aufzupassen, weil die beiden Kerle bereit waren über mich herzufallen, als ich zu ihnen sagte: Nun gut, ihr verfluchten Piraten, die Zeit kommt wohl noch, wo ihr bezahlen müßt, was ihr schuldet. Der mit dem Messer verstand gewiß, was ich sagte, denn er nickte, wies auf sein unangenehmes Werkzeug und hielt mir die Spitze vor die Augen, damit ich sehen konnte, wie scharf sie war.

Wir segelten den ganzen Tag weiter. Ich mußte die besten Sachen auf dem »Fram« für sie hervorsuchen und schmoren und braten, als wenn wir den Prinzen von Wales zu Besuch erwarteten, ich mußte sechs bis acht Konservenbüchsen öffnen und Champagner für sie holen. Als ich mit dem Kochen fertig war, mußte ich für sie auf dem Hüttendach decken, und während sie speisten, stand ich am Ruder. Aber Messer und Revolver hatten sie die ganze Zeit neben sich. Nachher mußte ich ihnen die Karte geben; übrigens glaube ich nicht, daß sie viel vom Navigieren verstanden haben, wenn sie auch wenigstens einen Kurs anzugeben wußten – gerade so, wie ich es selber kann. Wir steuerten den gleichen Kurs, solange ich auf Deck war. – –

Welchen Kurs? fragte Holt und zog die Karte hervor.

Süd ¾ Ost nach dem Kompaß, – und sie hielten ihn die ganze Zeit, wenn der Wind anhielt.

Ich nahm nochmals das Fernrohr und blickte zurück nach dem »Ozean«. Dann lachten sie nur und ließen mich gewähren. Einmal glaubte ich drei Männer auf dem Hüttendach drüben an Bord stehen zu sehen, aber sonst bemerkte ich nichts Lebendiges und auch nicht, daß Segel und Brassen angerührt wurden. Ich befürchtete sehr, daß Sie dort erschlagen werden könnten – aber was konnte ich tun? Ich bat die beiden, mir um Gottes willen zu sagen, wie alles da drüben an Bord zusammenhing und was mit Ihnen geschehen würde; aber ob sie mich nun verstanden oder nicht, sie lachten nur und jagten mich nach vorn zur Küche.

Am Nachmittag waren wir so weit, daß ich noch die Bramsegel des »Ozean« sehen konnte, und nun dachte ich: du mußt bei Gott trachten, daß du mit den Kerlen ein Ende machst, ehe es zu spät ist und wir das Schiff aus den Augen verlieren. Ich paßte den Augenblick ab, als sie wieder die Köpfe über der Karte zusammensteckten und schlich mich hinter sie, mit einem der Ruder des kleinen Prahms in der Hand. Ich gab dem einen von ihnen einen tüchtigen Schlag auf den Schädel, sodaß er nach vorn auf das Gesicht fiel, und ehe der andere den Revolver gebrauchen konnte, lag ich auf ihm und schnürte ihm die Kehle zusammen. Ich drücke fest, und als er stiller und sein Gesicht blau wurde, schleppte ich ihn hinüber nach dem Geländer, um ihn in die See zu werfen. Aber da glitt ich mit dem einen Fuß aus und fiel hin, wobei der Kerl unter mich zu liegen kam, drüben zwischen der Steuerluke und dem Niedergang zur Kajüte. Er erhob sich nicht, und ich würde bald mit ihm fertig gewesen sein, aber unterdessen war der andere Kerl wieder auf die Beine gekommen. Ich hörte einen wüsten Fluch hinter mir, und ehe ich mich umwenden konnte, fuhr sein langes Messer durch meinen Arm und in die Deckplanken. Seht da! Hier ist das Zeichen davon. Wahrscheinlich wollte er mich damit in den Rücken stechen, da ich mich aber im gleichen Augenblick umdrehte, so fuhr es mir nur durch den Armmuskel – gerade unterhalb der Schulter.

Henriksen stülpte den Hemdärmel um, wickelte einen Verband ab, zeigte uns eine schwere Fleischwunde, die gerade zu vernarben begann, und fuhr dann unverdrossen fort: Glücklicherweise konnte er das Messer nicht aus den Planken ziehen, sonst würde es mit mir wohl aus gewesen sein; aber ehe ich mich erheben konnte, hatte er das Ruder ergriffen und mich damit auf den Kopf geschlagen – gerade so, wie ich es mit ihm gemacht hatte. Zuerst glaubte ich, daß ich ohnmächtig werden müßte, und dies würde wohl auch geschehen sein; aber da fuhr mir der Gedanke durch den Kopf: wirst du ohnmächtig, so wirft er dich in die See! Ich fuhr auf ihn los, ehe er zum zweiten Male schlagen konnte und brachte ihn unter mich; allein infolge des Blutverlustes aus meiner Armwunde wurde ich immer schwächer. Ich glaube, ich würde ihn doch überwältigt haben; aber jetzt erholte sich der erstere wieder und bald hatte ich ihn auf meinem Rücken.

Wie lange wir uns so auf dem Deck herumbalgten, weiß ich nicht, aber nach und nach verlor ich das Bewußtsein, da ich immer stärker blutete. Als ich mich wieder erholte, lag ich auf der Back, an Händen und Füßen gebunden, während die Spanier einen Eimer nach dem andern über mich ausgossen. Warum sie mich nicht töteten, weiß ich nicht.

O, das ist nicht schwer zu erklären, fiel Holt ein, sie verstanden es wohl nicht, solche Fahrzeuge wie den »Fram« zu regieren. Gewöhnliche Seeleute wissen selten mit kleinen Fahrzeugen umzugehen, die Schrägsegel haben, und die Südländer gebrauchen immer Raasegel, selbst auf ihren Jachten und Fischerbooten. – Sie fürchteten jedenfalls, mit dem »Fram« allein nicht zurecht kommen zu können.

Ja, das mag wohl sein, fuhr Henriksen fort, denn sobald es nur ein wenig zu blasen begann, übertrugen sie mir das Kommando, und ich mußte ihnen zeigen, was getan werden sollte. Als ich wieder zum vollen Bewußtsein kam, sprachen sie lebhaft auf mich ein und zeigten auf den Revolver und das Messer. Ich verstand nur soviel, daß ich mich nicht mehr mucksen dürfe, wenn ich am Leben bleiben wollte. Ich nickte wiederholt mit dem Kopf und endlich lösten sie mir die Stricke, sodaß ich meinen Arm verbinden konnte, der verteufelt schmerzte. Von da an wandten sie mir keinen Augenblick mehr den Rücken zu. Während der Nacht standen sie abwechselnd Wache, und wenn der eine von ihnen schlief, so wurde ich voraus eingesperrt und sowohl die Kajüte als das Deck wurden abgeschlossen.

Den ganzen Tag mußte ich kochen und sie bedienen, oft auch während der Nacht, und Wein tranken sie wie die Schwämme, aber nie so, daß sie betrunken wurden. Ich versuchte ihnen Kognak und Whisky vorzusetzen, um sie betrunken zu machen; aber sie warfen die Flaschen über Bord und riefen nach Champagner. Das waren die unverschämtesten Kerle, die ich jemals gesehen habe.

Am Abend des dritten Tages sahen wir Land voraus, große blauende Berge tief drinnen im Lande. Es wurde dunkel, ehe wir so nahe kamen, daß wir das Ufer gewahren konnten; aber wir mochten wohl, drei bis vier Meilen davon entfernt sein, als sie begannen Feuerzeichen zu geben und Raketen steigen zu lassen, bis am Lande ein großes Feuer angezündet wurde.

Wir blieben die ganze Nacht back liegen. Ihrem Gespräch konnte ich nur so viel entnehmen, daß sie jemanden erwarteten, der sie bei Tagesanbruch hinein lotsen sollte.

Am Morgen ließen sie mich auf Deck, denn es begann zu wehen und wir mußten Reffe einstecken.

Es lag ein dichter Dunst auf der Küste, sodaß ich über das Land nicht ins klare kommen konnte – ich sah nur die großen Berge weit im Innern des Landes. Bald kam von der Küste her ein großes, einmastiges Boot mit dreieckigen Raasegeln auf den »Fram« zu gekreuzt, vorn und hinten hoch mit vorwärts geneigtem Mast, wie es in Südspanien üblich ist. Das Boot war voller Leute, und als sie so nahe kamen, daß sie die beiden Lumpen an Bord des »Fram« erkennen konnten, begannen sie zu johlen und zu schreien; ich hörte, daß sie Guten Tag und Willkommen wünschten.

Nun hielten wir das Ruder auf und begannen direkt nach dem Lande zu steuern, die Feluke voraus. Die beiden an Bord bei mir mochten wohl die Einfahrt nicht kennen, denn sie hatten große Eile unter die Feluke zu kommen. Sie überließen mir das Steuer und winkten mir, wie ich steuern sollte.

Ich begriff übrigens nicht, wohin sie wollten, denn man konnte voraus nur weiße Brandung sehen, soweit das Land im Süden und Norden reichte. Die See ging nicht übermäßig hoch, aber doch so, um selbst die größte Fregatte in Gefahr zu bringen, und ich konnte keine Einfahrt entdecken. Ich war höllisch zornig, denn ich sah, daß jetzt die Fahrt ein Ende hatte und weder für mich noch den »Fram« Aussicht war, dem Räuberpack zu entgehen.

Einer der Spanier kam nach hinten; er wollte jedenfalls hinab in die Kajüte, um die Karte zu holen; er balancierte am Rand der Hütte entlang zwischen ihr und dem Reck. Da kam mir blitzschnell der Gedanke: Wenn du dem Kerl über Bord helfen könntest! – Sogleich legte ich das Ruder hart Steuerbord über, und als er auf die Mitte der Hütte gekommen war, schlugen Segel und Baum über; er wurde unter die Schulter getroffen und fiel über Bord wie ein Handschuh. »Mann über Bord!« schrie ich, wandte dann und hielt auf den Kerl zu, der im Wasser plätscherte; er verstand wohl wenig vom Schwimmen. Sein Kamerad glaubte ganz sicher, daß er von selbst über Bord gefallen wäre und daß ich manövrierte, um ihn zu retten. Aber ich richtete es so ein, daß wir ihn das erstemal nicht erreichten. Die See war ziemlich bewegt, sodaß es nicht auffiel. »Das nächstemal!« rief ich und zeigte auf den großen Bootshaken, der am Reck festgebunden war. Der zurückgebliebene Spanier verstand, was ich meinte und warf ihn los. Er hockte auf der Back, hielt den Bootshaken über das Wasser hinaus und wartete darauf, daß wir nahe genug kommen würden, um den andern aufzufischen.

Der »Fram« trieb vorwärts; aber ich sorgte dafür, daß wir wenigstens ein paar Faden von dem in die See Gefallenen entfernt blieben und so der Spanier mit dem Bootshaken sich tüchtig über die Reling strecken mußte, wenn er seinen Gefährten erreichen wollte.

Gerade als er sich vorstreckte, um ihn zu fassen, löste ich die Fockschoot an Backbord, sodaß das Segel hinüber fuhr. Es blies frisch, und der Kerl erhielt einen Stoß, sodaß er samt dem Bootshaken kopfüber in die See stürzte. Dort lagen nun beide – und fluchten, schrien, baten und drohten.

Die Feluke hatte gesehen, daß etwas vorgefallen war. Sie drehte bei Wind und begann gegen uns heranzukreuzen. Zuerst dachte ich daran, mich schleunigst zu entfernen, dann aber tat es mir doch leid, daß die beiden Menschen, so große Lumpen sie auch waren, ertrinken sollten. Ich steuerte in der Richtung, wo sie lagen, und warf ihnen die beiden Rettungsbojen zu. Als ich dies getan hatte und beide an ihrer Boje ziemlich sicher nach der Feluke hinüber treiben sah, kreuzte ich gegen den Wind und von der Küste ab. Das Wasser war warm, sehen Sie, und den Spaniern schadete es gewiß nicht, wenn sie eine halbe Stunde da draußen liegen blieben und plätscherten.

Es entstand ein großer Spektakel an Bord des großen Bootes, als sie die Kameraden aufgefischt hatten; sie schrien und riefen nach mir und schossen mit Gewehren – aber ich merkte von den Kugeln nichts.

Aber versuchten sie denn nicht, sich des »Fram« zu bemächtigen?

Gewiß versuchten sie das. Aber in einer halben Stunde hatte sich der »Fram« wenigstens eine Meile weit gerade dem Wind entgegen gearbeitet; da holten sie das Ruder auf und steuerten nach dem Lande.

Zuerst hatte ich die Absicht, ihnen zu folgen und zu sehen, wo sie einlaufen würden; aber dann bedachte ich mich, denn es hätte Stille eintreten können, sehen Sie, und dann würden die Räuber zu den Rudern gegriffen haben und herangerudert sein. Ich segelte nun gegen Norden dem Land entlang; denn ich erkannte, daß dieses Land die Küste Afrikas war, und daß ich derselben folgen müßte, um Gibraltar zu erreichen. Zeitweise hatte ich Gutwetter und zeitweise Kühlte; aber ich gebrauchte wenig Segel, – was man immer tun soll, wenn man allein im Boot ist – sodaß die Reise ganz nett von statten ging, bis ich auf den »Ozean« traf – es ist ein böser Legerwall, auf den Sie gekommen sind!

Du hast dich als tapferer und braver Mann benommen, Henriksen! sagte Holt; und – – –

Nein, nein, ich habe die Sache gewiß nicht besser gemacht, als irgend ein anderer hätte tun können, fiel Henriksen eifrig ein. Den »Fram« wohlbehalten nach Gibraltar zu bringen, das war meine verfluchte Schuldigkeit, ebenso die Räuber los zu werden, nachdem ich so dumm gewesen war, sie an Bord zu nehmen. Aber für diese Dummheit habe ich auch meine Strafe bekommen. – Gott sei Dank, daß es nicht schlimmer gegangen ist. Ich bin in meinem Leben nie so froh gewesen, wie damals, als ich Sie alle drei lebendig auf der Barke stehen und mir zuwinken sah.

Ich wiederhole, antwortete Holt ernst, daß du dich als mutiger, braver Mann benommen hast und wir dir alle unser Leben verdanken. Wenn es dir gelungen ist, die Spanier zu beseitigen und uns zu Hilfe zu kommen, als wir uns rettungslos verloren glaubten, so ist dies einzig und allein deinem unerschrockenen Mute zu verdanken, und weil du ein echter Seemann bist. Was den Umstand anbetrifft, daß du die Fremden an Bord des »Fram« hast kommen lassen, so bist du zu entschuldigen, weil an deiner Stelle jeder andere auch hätte annehmen müssen, daß sie mit uns Abrede getroffen hätten; oder seid ihr andern mit mir nicht einig darin?

Es ist unnötig beizufügen, daß wir die Rede Holts mit Beifall begrüßten.

Doch höre nun, mein lieber Henriksen, bemerkte Monk. Haben die Spanier den ganzen Champagnervorrat getrunken, oder hast du selbst den Rest beseitigt, als du die Lustfahrt an der Küste Afrikas fortsetztest? Ich untersuchte heute den »Weinkeller« und konnte nicht eine einzige Flasche mit vergoldetem Hals entdecken!

Ein launiges Lächeln glitt über Henriksens Gesicht: Ja, auch darum habe ich sie betrogen. Als ich sah, wie versessen die Kerle auf den Champagnerwein waren, da versteckte ich mehr als die Hälfte der Flaschen vor ihnen; zwölf Stück davon liegen unter dem hintersten Bodenbrett längs des Kielschweins so weit zurück, als ich mit dem Arm reichen konnte, – es ist der kühlste Ort an Bord, sodaß es am besten ist, wenn sie auch den übrigen Teil der Reise dort liegen bleiben.

Hurra, Henriksen! raus mit ein paar Flaschen, altes Flußpferd! Wenn wir uns jetzt nicht ein Glas gönnen, dann wüßte ich nicht, wann dies der Fall sein sollte!

Der Wein kam und er schmeckte wie Nektar. An jenem Abend gingen wir spät zur Koje, – und sie erschien mir als der Gipfelpunkt eines ruhigen Genusses.

Ich brauche kaum zu erzählen, um was das Gespräch in dieser Nacht sich drehte: die letzte Woche war zu reich an Begebenheiten gewesen, als daß von etwas anderem hätte die Rede sein können. Aber – merkwürdig genug – nur die äußeren Begebenheiten und unsere unfreiwillige Teilnahme an denselben wurden erörtert. Keiner von uns stellte Vermutungen darüber an, was sich auf der Barke »Ozean« zugetragen haben mochte, ehe wir an Bord derselben kamen, oder welche Bewandtnis es mit den Menschen hatte, mit denen wir auf so wenig angenehme Weise in Berührung gekommen waren.

Daß wir alle für diese Seite unserer Erlebnisse im Grunde ein ebenso großes Interesse empfanden, wird niemand bezweifeln. Aber es ging, wie es so oft geht: man redet am wenigsten von dem, was die Gedanken am meisten beschäftigt. – – –

Inzwischen lief der »Fram« unaufhaltsam durch das Wasser, sich auf der Dünung hebend und senkend, während das Meerleuchten ein mächtiges, goldiges Kabeltau in unser Kielwasser flocht; es streckte sich immer länger und länger, Stunde um Stunde, bis die Strahlen der aufgehenden Sonne den Zauber verschwinden machten.


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