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Es war heller Tag, als ich erwachte, indem Holt mich aufrüttelte: Still! mach keinen Lärm und geh nicht durch die Achterkajüte. Sie ist jetzt gerade eingeschlafen, und ich glaube, daß sie das Fieber los ist.
Sie, wer? Ich konnte die Lage nicht sogleich verstehen. Wie spät ist's? Soll ich auf Wache?
Sieben Uhr, antwortete Holt und lächelte ein wenig verlegen. Ich war nicht schläfrig und so ließ ich dich weiter schlafen. Aber komm nun auf Deck, wir müssen das Steuer in Ordnung zu bringen suchen.
Die Toilette war schnell beendigt.
Holt hatte in der Küche bereits Feuer gemacht, eine Tasse Kaffee, schwarz und dick wie Teer, nebst Biskuits und Butter bildeten unser Frühstück.
Es war ein schöner Tag. Der dunkelblaue Himmel des Südens wölbte sich wolkenlos über uns. Die Sonne schien warm, aber ein frischer Nordost wehte kühlend über unsere Wangen, und die Wellen tanzten munter an den Seiten des Schiffes dahin. Wir lagen noch immer back, hatten nur die untern Marssegel und den großen Besan gesetzt und trieben langsam in Lee hinab.
In der Ferne sah man die Bram- und Marssegel zweier Schiffe, aber sie steuerten nicht gegen uns und im Lauf des Tages tauchten sie wieder unter den Horizont. Auch den Rauch eines Dampfers sahen wir. Dieser fuhr aber so weit ab, daß wir nicht einmal seinen Rumpf unterscheiden konnten.
Holt erzählte, daß das junge Mädchen in der Nacht immer aufgeregter geworden sei. Erst gegen Morgen habe sie sich beruhigt, und nun schlafe sie wie ein Kind.
Sie nannte mich mehrmals Don Antonio, fügte er hinzu, und bat mich, sie zu beschützen. Im übrigen jedoch verstand ich wenig von dem, was sie sagte.
Du sprichst ja Spanisch wie ein Angeborener. Wo hast du es gelernt? fragte ich.
Als junger Offizier hatte ich das Mißgeschick, an Bord der »Norne« das Bein zu brechen. Wir befanden uns ungefähr auf dieser Höhe. Da der Bruch ziemlich schlimm und an Bord schwer zu heilen war, so liefen wir Cadiz an, wo ich ans Land gebracht wurde. Unser Konsul – ein spanischer Bankier – war so freundlich, mich in seinem Hause aufzunehmen, wo ich ein paar Monate lag. Seine Damen pflegten mich und lehrten mich schneller Spanisch sprechen, als es ein Schulmeister hätte tun können. Später habe ich meine Kenntnisse fortwährend aufgefrischt; es ist die schönste Sprache der Welt und leicht zu erlernen, wenn man Latein kennt. Wie du weißt, trieben wir ganz ordentlich Latein in Nissens Schule in der Rosenkranzstraße.
Monk ließ sich kaum Zeit, den Kaffee hinabzustürzen, worauf er im ganzen Schiff herumzustöbern; begann, als wenn es einen Raubmord oder Juwelendiebstahl aufzuklären gälte. Besonders die Verschlüge und der Roof bildeten Gegenstände seiner Untersuchung.
Holt und ich sahen einander an und lächelten.
Nun, Monk, hast du schon etwas entdeckt? Kannst du uns eine Erklärung dafür geben, weshalb wir hier an Bord sind?
Man könnte sich grün ärgern, war die Antwort. Ich kann beim Kuckuck nichts erklären!
Er zeigte eine so ärgerliche Miene, daß Holt und ich in ein Gelächter ausbrachen.
Ich kann jedenfalls nichts erklären, solange ich die Kajüten und Verschlüge nicht noch einmal untersucht habe. Aber Holt bewacht die Donna da drinnen wie ein Cerberus.
Geh hinein, wenn du Lust hast, war die schnelle Antwort, aber vorsichtig, wecke sie nicht. Ich habe sie nicht mehr zu hüten als du.
Monk öffnete vorsichtig die Türe zur Kajüte; wir folgten ihm auf den Zehen und mit ungehaltenem Atem.
Das junge Mädchen lag auf dem Sofa mitten in der Kajüte in tiefem Schlaf. Holt hatte mehrere Lagen von einem großen Moskitonetz über sie geworfen, das wir in einem der Verschlüge gefunden hatten. Es hüllte sie vom Hals bis zu den Zehen in seine weichen Falten ein, verbarg aber keineswegs die herrlichen Formen. Das Gesicht hatte jene durchsichtige blasse Hautfarbe, die man so oft bei Südländern findet, die aber nichts Krankhaftes an sich hat. Die Züge waren von regelmäßiger Schönheit und glichen denjenigen eines Kindes, das sich eben erst zur Jungfrau entwickelt hat. Den einen Arm hatte sie unter den Kopf gelegt, wo er von den schwarzen Locken halb verborgen wurde, welche in reichster Fülle über den weißen Stoff fluteten, der sie umhüllte. Der andere lag mit ausgespreizten Fingern auf der Brust, die sich unter den regelmäßigen Atemzügen langsam hob und senkte.
Holt zog die Gardine vor das Oberlicht, als die Strahlen der Sonne hereindrangen und legte das Netz besser um ihren Hals, während Monk wieder eine gründliche Untersuchung des Raumes und der anstoßenden Verschläge vornahm. Dann verließen wir die Kajüte ebenso leise wieder, wie wir kommen waren.
Holt stieg schweigend auf die Hütte und richtete seinen Blick forschend auf den Horizont.
Ist Aussicht vorhanden, daß irgend ein Schiff in unsere Nähe kommt? fragte Monk.
Nein, vorläufig nicht. Die Segler, welche in Sicht sind, halten sich zu weit von uns entfernt, als daß ein Signal von uns sie erreichen könnte, und ihr Kurs wird sie auch nicht näher bringen.
Aber was sollen wir tun? Unsere Lage erscheint mir ziemlich lächerlich.
Wir wollen versuchen, das Steuer auszubessern und den Kurs nach der Küste zu nehmen.
Glaubst du, daß wir das Steuer brauchbar machen können? fragte ich.
Das wird in ein paar Stunden getan sein, sodaß wir es bei gutem Wetter werden brauchen können, war Holts Antwort.
Weißt du, wo wir sind? fragte Monk.
Hier an Bord habe ich keine Beobachtungen gemacht; aber als wir gestern herkamen, waren wir etwa 90 Meilen westlich von Kap St. Vincent. Seitdem sind wir vor Wind stetig südwestwärts getrieben. Und da die Strömung hier in östlicher Richtung geht, so nehme ich an, daß wir bald mitten in dem Trichter sind, der von den Küsten Afrikas und Spaniens gebildet wird und sich gegen die Straße von Gibraltar hin verengt. Haben wir nur erst das Steuer in Ordnung und Segel gesetzt, dann werden wir wohl eine Küste und Ankerstelle finden. Ich habe den wahrscheinlichen Platz auf der Karte bezeichnet, die dort liegt.
Ich will euch sagen, wie wir die Marssegel hissen können! rief ich. Während ihr das Steuer ausbessert, werde ich den Donkey-Kessel heizen; ich denke, daß die Dampfwinde die Segel für uns hissen wird.
Ausgezeichnet! daran hatte ich nicht gedacht. Holt war so erfreut, daß er meine Hand zu schütteln begann. Aber weißt du sicher, daß du das Anfeuern und alles andere besorgen kannst?
Ja, sei nur ruhig; ich bin ja Mechaniker von Fach und einmal habe ich mich sogar als Heizer heuern lassen, um von Valparaiso nach Montevideo zu kommen. Damals gefiel mir das nicht; aber nun hat es den Anschein, als ob es doch zu etwas gut gewesen wäre!
Wir gingen munter an die Arbeit. Zu meiner Ueberraschung entdeckte ich bald, daß kürzlich unter dem Kessel gefeuert worden, daß er mit Wasser gefüllt und die Winde neben der großen Luke geschmiert war und sich in Ordnung befand.
Das Anfeuern ging daher schnell. Als der Manometer nach ein paar Stunden einen Druck von 60 Pfund zeigte, ließ ich die Feuertür offen stehen und eilte nach hinten, um dort bei der Arbeit zuzusehen.
Monk und Holt hatten den Kopf des Steuerruders auf beiden Seiten flach geschnitten. Auf die ebenen Flächen wurden zwei schwere Holzspaken mit Tauen gebunden, und diese wieder durch Querstücke verbunden. Es war eine recht langwierige Arbeit.
Nachdem auf diese Weise eine Ruderpinne hergestellt worden war, wurde an dieselbe eine Kette als Steuerleine befestigt, diese dann um die Ruderwelle gelegt und der Steuerapparat war in Ordnung.
Bekommen wir nicht Wind und See, sagte Holt, so wird es wohl so lange halten, als nötig ist.
Die Sonne hatte unterdessen den Meridian überschritten und warf ihre glühenden Strahlen auf uns, die wir im Schweiß unseres Angesichts arbeiteten.
Der Arbeiter ist seines Lohnes wert, fuhr Holt fort, ehe wir weiter gehen, müssen wir zu Mittag essen.
Das Ragout – ein anderes Gericht fand sich nicht auf unserer Speisekarte – schmeckte vortrefflich und wurde wieder mit Genever und Wasser hinabgespült, während wir überlegten, was weiter zu tun sei.
Ist der Donkey-Kessel unter Dampf und die Winde klar zum Gebrauch?
Ja, alles ist in Ordnung, antwortete ich.
Dann habe ich einen Vorschlag zu machen, sagte Holt, indem er sich mit der Pfeife im Mund auf das Hüttendach unter ein Bootssegel streckte.
Welchen Vorschlag?
Daß wir die Barkasse aussetzen – das große Boot. Da wir die Dampfwinde haben, ist es eine leichte Sache.
Was! willst du, daß wir das Schiff verlassen?
Nein, fürs erste nicht; aber wenn wir einem andern Fahrzeug begegnen sollten, dann ist es gut, ein Boot auf dem Wasser zu haben. Ueberdies, wenn der Ostwind beständig bleiben sollte, können wir drei Mann nicht allein mit einem so großen Boot kreuzen. Dann tun wir besser, wenn wir das Schiff an der afrikanischen Küste vor Anker legen und es verlassen.
Aber ist es denn nicht leichter, eines der kleineren Boote auszusetzen? Es liegen ja zwei davon auf dem Galgen. Das große Boot wird schwer zu regieren sein.
Wir sind ja nicht allein, äußerte Holt, da ist auch das junge Mädchen – sie ist überdies krank; wir müssen ein größeres Boot haben, wenn es sich um Damen handelt.
So wurde denn beschlossen, die Barkasse auszusetzen. Als die Pfeifen ausgeraucht waren, machten wir uns an die Arbeit. Unterdessen ging Holt hinab in die Kajüte und kam mit dem Bescheid zurück, daß die Kranke noch immer fest schlafe.
War die Arbeit schon am Vormittag hart gewesen, so wurde sie am Nachmittag nicht leichter. Endlich aber war alles klar und, indem wir abwechselnd die Läufer um die Dampfwinde legten, hoben wir das Boot nach und nach von den Klampen und schwangen es über die Reling hinaus. Es wurden Segel, Ruder, Proviant und zwei Wasserfässer in dasselbe gebracht, ebenso Kompaß und eine Karte. Glücklicherweise war die See ganz ruhig, und vor Abend lag die Barkasse hinten an einem soliden Schlepper.
Als das Dunkel kam, lief der »Ozean« ein paar Striche in die Segel mit einer Schnelligkeit von vier bis fünf Knoten.
Das Steuer wirkte ausgezeichnet. Die Laternen wurden angezündet, die Pumpen gepeilt, das Schiff dicht befunden und die südländische Nacht senkte sich auf drei müde Männer, die an diesem Tag mit ihren Händen mehr gearbeitet hatten als sonst in einem ganzen Jahr.
Von nun an mußte einer von uns fortwährend am Steuer stehen, und es wurde bestimmt, daß ich zuerst diesen Dienst zu versehen hätte.
Etwa eine Stunde nach Anbruch des Dunkels entdeckte ich die Laternen eines Dampfers. Er steuerte so, daß er dicht an uns vorüber kommen mußte. Ich rief die anderen herauf, und bald standen Monk und Holt an meiner Seite.
Der kann uns nicht entgehen, sagte ich; er kommt so nahe vorüber, daß wir ihn werden anrufen können, besonders wenn wir ein wenig näher steuern.
Das glaube ich auch, bemerkte Holt langsam. Aber bedürfen wir jetzt der Hilfe? Sollten wir drei nicht den »Ozean« in den Hafen fahren können?
Meinetwegen, antwortete ich etwas überrascht. Wer gestern abend warst du ganz versessen darauf, einen Dampfer anzurufen!
Ja, aber jetzt haben wir den Steuerapparat glücklich ausgebessert und – – – – im übrigen glaube ich, daß es mit dem jungen Mädchen in der Kajüte keine Gefahr mehr hat; sie ist erwacht und scheint kein Fieber mehr zu haben.
Ich bin mit allem einverstanden, sagte Monk, und hätte wohl die meiste Lust, hier an Bord zu bleiben, bis wir Licht in diese Geschichte gebracht haben. Wenn Holt es sagt, so glaube ich nicht, daß wir etwas riskieren, falls wir dableiben.
So wurde beschlossen, den Dampfer ohne Signalisierung vorüberfahren zu lassen. Er kam näher und näher mit seinen Feueraugen – dem roten und dem grünen auf den Seiten und dem blanken mitten an der Stirne. Je mehr sich der mächtige, dunkle Rumpf gleichsam aus dem Meer erhob, desto deutlicher hörte man das Rauschen des Bugwassers und die Stempelschläge der Maschine. Es hatte einige Zeit den Anschein, als ob er uns übersegeln wollte; aber da erlosch das rote Auge, und nur das grüne leuchtete, während der Rumpf sich in die Länge streckte mit einer doppelten Reihe leuchtender Oeffnungen auf der Seite. Auch das grüne Auge erlosch, dann erloschen die andern Lichter und einige Minuten später vernahm man nur das schwache Geräusch des Wassers, das unter dem Achterende vom Propeller in die Höhe geschleudert wurde, während der Rumpf als eine schwarze unförmliche Masse in die Nacht hinausglitt ,… Noch einige Minuten leuchtete die Hecklaterne gleich einem Stern am Horizont – dann verschwand auch sie ,…
Holt war fort. Monk stand noch an meiner Seite. Wir hatten den Dampfer beobachtet, solange wir etwas von ihm sehen konnten. Es ist eine eigenartige Erscheinung, solch ein losgerissenes Stück Welt mit seinen Hunderten von Bewohnern auf dem unendlichen Meere vorüberfahren zu sehen.
Merkwürdig, mit welcher Eile Holt wieder in die Kajüte hinab ist!
Monk lächelte sarkastisch. Weißt du, was er vornimmt? Er hat im Schweiß seines Angesichts Sagobrei gekocht und ist nun beschäftigt, seine Patientin damit zu letzen. Du hättest ihn nur aus der Küche treten sehen sollen, reingewaschen, in einem neuen Hemd, das er im Steuermannsverschlag gefunden hat, und mit einem großen Teller voll Sagosuppe in der Hand. Das junge Mädchen war erwacht und sah ziemlich vernünftig aus; aber ich konnte ja nicht Spanisch mit ihr sprechen, und Französisch scheint sie nicht zu verstehen – sie wandte das Gesicht ab, wenn ich versuchte, mich verständlich zu machen. Aber da kam Holt in seiner neuen, verbesserten Ausgabe und nun gab es lauter Lächeln und freundliche Blicke. Sie versuchte sogar, etwas von der Suppe zu genießen; aber es wurde nicht viel daraus. Ich glaube, sie hat eine schwere Krankheit durchgemacht.
Ist Holt noch bei ihr? fragte ich. Monks Erzählung hatte mich sehr ergötzt.
Ja, er hat eine Flasche in der Speisekajüte gefunden mit einem Inhalt, den er Lime-juice nennt, und woraus er ein Getränk bereitet, das sie mit Begierde trinkt.
Sobald sie bei vollem Bewußtsein ist, muß sie eine Erklärung über das Geheimnis dieses Schiffes abgeben.
Ja, ich bat Holt, sie sobald als möglich auszufragen; aber er versicherte, daß sie zu schwach sei, um etwas erzählen zu können, und dies ist gewiß auch der Fall; vor morgen werden wir also kaum etwas erfahren.
Gleich darauf trat Holt durch die Achterkapp heraus; er ging auf den Zehen und schwenkte die Arme wie ein tanzender Bär.
Still! flüsterte er. Sie schläft jetzt, sie hat noch eine Tasse getrunken.
Monk und ich blieben ernst und fragten, ob er etwas von den andern Leuten vernommen habe, die sich früher auf dem Schiff aufgehalten hätten.
Nein, ich durfte sie nicht ausfragen; sie ist noch zu matt, das Fieber hat nachgelassen und sie muß schlafen, wenn sie nicht einen Rückfall bekommen soll.
Aber ich hörte hier durch das offene Oberlicht, wie sie mit dir gesprochen hat.
Sie erkannte mich wieder, antwortete Holt fröhlich.
Dich wieder? Hast du sie denn schon früher gesehen?
Nein, aber sie erkannte mich wieder von gestern abend. Sie wußte, daß ich bei ihr gewacht hatte; sie sei bisweilen bei Bewußtsein gewesen, und da habe sie mich fortwährend neben ihr sitzen und die kühlenden Umschläge auf ihrer Stirne erneuern sehen, sagte sie. Sie fürchtet sehr, daß wir sie verlassen könnten, und ich mußte ihr versprechen, daß ich sie mitnehmen wolle, wenn wir das Schiff verließen.
Und du hast es versprochen?
Ja, natürlich! Nur soviel erzählte sie, daß sie mit ihrem Vater an Bord gekommen sei und nicht wisse, wie oder wann alle andern das Schiff verlassen hätten. Sie muß zu jener Zeit bewußtlos und im Fieber gelegen haben. Sie erwachte gestern abend, als das Gewitter begann. Sie scheint sich übrigens nicht viel um ihren Vater zu bekümmern, sondern bloß um Don Antonio und Donna Severina. Ob nicht damit der Kapitän dieses Schiffes und seine Frau gemeint sein mögen?
Das stimmt, bemerkte Monk; er war mit tiefem Interesse der Erklärung gefolgt. Ich habe ein Stück von einem Brief in einem der Verschlüge gefunden, aus dem hervorgeht, daß der Schiffer hier an Bord Anton Antonisen und seine Frau Severina hieß; etwas anderes bringe ich übrigens nicht heraus – mit der Ausnahme, daß das Schiff wohl aus Südamerika kam und auf dem Weg nach Norwegen war. Wer hast du sonst nichts vernommen?
Nein, als wir einige Sätze gewechselt hatten, begannen ihre Augen so eigentümlich irre zu blicken, daß ich ihr eine neue Dosis Chinin reichte und sie zum Schlafen bewog. Es gelang. Nun schläft sie wieder ruhig.
Wir stellten eine angezündete Laterne auf das Hüttendach und brachten das Abendessen dort hinauf. Monks Untersuchungen hatten ein paar Büchsen mit Konserven ans Licht befördert, sodaß die Mahlzeit diesmal so reichlich ausfiel, wie lange nicht mehr. Es war auf Deck viel angenehmer als in der schwülen Kajüte, und überdies mußte jetzt einer von uns fortwährend auf das Steuer achten, sodaß wir auch aus diesem Grunde vorzogen, in freier Luft zu bleiben.
Nach beendeter Mahlzeit zündeten wir unsere Pfeifen an und ergingen uns wieder in endlosen Vermutungen über die wunderlichen Dinge, welche uns begegnet waren. Ich brauche kaum zu erzählen, daß das plötzliche Verschwinden des »Fram« immer wieder besprochen wurde, ohne daß einer von uns eine wahrscheinliche Lösung finden konnte.
* * *
Während der Nacht fiel starker Tau. Die zwei von uns, welche Freiwache hatten, krochen hinunter, um zu schlafen, nämlich Holt und ich.
Um ein Uhr stand Monk vor meiner Koje und purrte mich heraus. Es ist fast ganz still, sagte er, sodaß ich nicht, wie verabredet, auf Deck zu stampfen brauchte, um dich heraus zu purren. Es steuert sich einige Minuten selber. Dann ging er wieder auf Deck.
Ich kleidete mich an, wenn das Hineinschlüpfen in die Schuhe so genannt werden kann, und ging hinauf.
Die Situation hatte sich seit dem Abend nicht verändert; nur hatte der Wind fast ganz nachgelassen. Die Luft war mild, der Himmel klar und sternenbesäet und das Meerleuchten funkelte längs den Seiten, während das Fahrzeug durch das Wasser glitt.
Wir steuern Südost, sagte Monk, als ich ihn am Rad ablöste. Holt soll um fünf Uhr herausgepurrt werden. Denke dir, er hat bis vor kurzem bei der Kranken gesessen, trotzdem sie schläft.
Das ist vielversprechend, antwortete ich; er ist schlank und glatt in die Falle gegangen. Ist sonst nichts zu bemerken?
Es ist wohl am besten, wenn ich es dir gleich sage, – Monks Stimme klang etwas seltsam – aber – – – es ist hier an Bord nicht alles, wie es sein soll – – –
Nein, das weiß ich wohl; aber hast du etwas Neues entdeckt?
Höre – vor kurzer Zeit ging ich nach vorn, um nach den Seitenlaternen zu sehen, und da hätte ich darauf schwören mögen, daß ich eine Gestalt längs der Roofwand in die Luke zur Taukammer hinabschleichen sah. Aber es kann auch eine Sinnestäuschung gewesen sein – ich bin so schläfrig, daß ich kaum mit den Augen sehen kann.
Nichts weiter?
Doch, mir schien, als hörte ich zweimal ein Geräusch im Raum unter Deck zwischen der Achterluke und der großen Luke.
Das ist ein verdammtes Schiff, rief ich mit Ueberzeugung aus, und dann erzählte ich, was ich und Holt in der vorhergehenden Nacht wahrgenommen hatten.
Es ist ärgerlich, daß wir den Raum heute nicht gehörig untersucht haben, bemerkte Monk. Ich dachte die ganze Zeit daran, aber wir hatten so viel zu tun, daß es unmöglich war, bevor es dunkel wurde.
Wir können nicht beide das Steuer verlassen und Holt purren; das täte ich ungern; er hat gestern die ganze Nacht nicht geschlafen.
Nein, das geht nicht an; zudem nützt es nichts, mit Laternen da unten herumzurumoren. Sind Leute an Bord, so haben sie nichts Gutes im Sinn und wir könnten leicht in einen Hinterhalt geraten.
Du hast recht; übrigens ist es fast undenkbar, daß sich Menschen hier verborgen halten sollten. Der Lärm, den wir im Raum gehört haben, muß von losen Steinen im Ballast oder von der Katze herrühren, die Ratten jagt. Ich habe das Tier den ganzen Tag nicht gesehen.
Doch, ich habe es heute abend gesehen, es fraß von der Sagosuppe, die Holt für seine Patientin bereitet hatte.
Zuerst versuchte Monk, sich auf Deck niederzulegen, um in meiner Nähe zu bleiben; aber der Tau fiel so stark, daß das Wasser vom Hüttendach herabrieselte, und so gab er es auf. Da fiel uns ein, daß der Verschlag des Kapitäns dicht am Achterende der Kajüte lag und daß von dort ein Fenster nach dem Deck führte.
Ich lege mich in diesen Verschlag, sagte Monk. Sollte etwas geschehen, so schlage nur die Scheibe ein, dann werde ich sofort auf Deck sein. Hast du deinen Revolver bei dir – nicht? Geh hinab und hole ihn, sieh nach, ob alle Läufe geladen sind.
Ich tat es und eine Viertelstunde später vernahm ich das regelmäßige Schnarchen Monks aus dem Verschlag. Der Wind wehte nur schwach, und es rasselte und knackte in Raaen und Blöcken, so oft das Fahrzeug sich langsam von Steuerbord nach Backbord und wieder zurückneigte.
Der Wind erstarb ganz; die Segel schlugen und klatschten gegen die Stangen, wenn das Schiff mit dem Bug abfiel und sich auf der Dünung quer warf. Mit Ausnahme dieser Geräusche war an Bord alles so still wie in einem Grabe.
Ich legte das Steuer ganz nieder, band das Rad mit einem Stück Leine fest und begann auf dem Halbdeck hin und her zu schlendern. Wer ich war müde nach der ungewohnten Arbeit des Tages, und der kurze Schlaf war nicht genügend gewesen. Meine Glieder waren wie gerädert und schmerzten. Da suchte ich ein Stück Segeltuch hervor, breitete es neben dem Rad aus und setzte mich darauf. Um mich wach zu halten, zündete ich meine Pfeife an und knöpfte die Jacke zu, weil es gegen Morgen etwas kühler zu werden begann. Mit der rechten Hand fühlte ich nach, ob der Revolver in der äußeren Tasche bereit lag.
Nun lehnte ich mich zurück, betrachtete die Mastspitzen, die zwischen den Sternen Bogen beschrieben und – schlief ein!