Carl Franz van der Velde
Das Liebhaber-Theater
Carl Franz van der Velde

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21.

Unterdeß lag eben auf der Bühne die schöne lebendige Leiche auf ihrem Ruhebette, des Anfanges harrend. Daneben stand der wartende Basco. Der Amtsrath sah unten in der Garderobe unverwandt und ängstlich nach der Thür, durch welche die Viere verschwunden waren. 250 Die Franzosen und Welschen waren, rechts und links hinter den Coulissen, mit ihren Fahnen und Führern vollständig gerüstet aufmarschirt, und das Orchester trompetete und paukte das Furioso so furieux, daß das Publicum Ohrenzwank davon bekam.

Jetzt kam auf einmal Walthers Schreiber, der Manfrone's Stallmeister gemacht, mit blutiger Nase herbeigerannt. Eilen Sie, sprach er ängstlich zum Amtsrath: wenn Sie ein Unglück verhüten wollen. Es gibt ein Duell in Ihrem Schlosse. Als ich mit den Dragonern anlangte, die ich herzugeholt hatte zur Bataille, da hörte ich Degengeklirr im Hofe. Ich sah durch das Saalfenster, und da standen der Herr Wespe und Herr Lieutenant von Falkenberg und hieben mit den Degen auf einander los, daß die Funken davon stoben. Ich rannte, wie unsinnig, hierher, um es zu melden, trat mir dabei auf die Feldbinde, fiel, im eigentlichen Sinne, die Treppe hinauf, schlug mir Maul und Nase auf, und über dem Blutstillen ist so viel Zeit 251 vergangen, daß sie sich unterdeß zehn Mal massacrirt haben können.

Um Gottes willen, Vater, ist es wahr?! rief Aphanasia schluchzend herbeifliegend: Wespe schlägt sich?!

Ja wohl, und ganz eigentlich um meinetwillen! antwortete der Amtsrath. Er setzt sein Leben, oder doch seine gesunden Glieder an mein Vergnügen, der brave Junge! Ich muß nur zu wehren und zu retten suchen, wenn noch etwas zu wehren und zu retten ist.

Er eilte zur Thür. Da begegneten ihm schon die Viere, Falkenberg mit verbundenem Arm, Wespe ein schmales, schwarzes Pflaster auf der Wange, was ihm zu dem Schnurrbarte recht gut ließ.

Ei, ei, meine Herren! rief der Amtsrath. Haben Sie sich die Blessuren blos der Theaterschlacht zu Ehren zugelegt, als Requisite, oder –

Ernst, alter Herr, ernstlicher Ernst! rief Seethal, dem Amtsrath auf die Schulter klopfend. Es ging scharf her. Die Beiden haben 252 gestanden, wie Mauern. Dafür ist auch Alles jetzt in Ordnung.

Wir sind Freunde, sprach Falkenberg, an Wespe's Hand vortretend: und der Prinz von Bourbon enrollirt sich auf's Neue unter Ihre Fahnen.

Te deum laudamus! rief der Amtsrath, Beide umarmend. Nun legt aber auch bald los. Jetzt ist wohl keine Störung mehr zu befürchten. Ich werde daher meinen Ueberrock anziehen und mir den fünften Akt im Parterre mit Muße betrachten, damit ich doch für alles das unendliche Drangsal eine kleine Ergötzlichkeit habe. Macht Eure Sachen gut!

Er ging und nahm incognito im Parterre Platz. Die Klingel ertönte, der Vorhang flog in die Höhe, der Amtsrath bewunderte die unschuldvolle, edle Miene, mit der die verewigte Miranda auf ihrem Castrum doloris lag, und belächelte die Stärke und Innigkeit des Gefühles, mit welcher Bayard in seiner Leichenrede ihre Tugenden pries. Jetzt wurde sie abgetragen, der Amtsrath machte ein Kreuz hinter ihr her, und Blanca's verzweifelndes 253 Geschrei ertönte. Sie stürzte auf die Bühne. Da sie noch bewegt war von der Angst um den Geliebten, so gesellte sich zu der Kunst die Wahrheit der Empfindung. Bayard gab ihr nicht nach. Manfrone füllte durch weise Mäßigung das Kleeblatt auf eine recht würdige Weise, und die Scene wurde zum Meisterstück, so daß der Amtsrath, seine Verhältnisse als Vater und Theater-Director vergessend, recht aus Herzensgrunde in das allgemeine Klatschen und Bravorufen einstimmte.

Sie geben sich ein rasendes Dementi! flisterte es grimmig neben ihm. Er sah sich um und erblickte den Herrn von Brauß, der, endlich aus seinem Weinschlafe erwacht, sich vom Sopha erhoben und mit einem gar nüchternen und blassen Angesicht neben ihm Platz genommen hatte.

Wer sich heute das größte Dementi gegeben hat, weiß meine Tischgesellschaft am beßten, antwortete abwehrend der Amtsrath. Sitzen Sie jetzt nur hübsch stille und stören Sie mich nicht.

254 Indem klingelte der Souffleur zur Verwandlung. Der Thürhintergrund flog rasch in zwei Hälften aus einander. Und hinter der linken Hälfte standen Blanca und Bayard, die sich wahrscheinlich vor ihrem Abgange in das Kloster und in die Schlacht noch einmal mit einander hatten letzen wollen, in schweigender Umarmung, ohne es zu bemerken, daß ihre Gruppe dem ganzen Publicum zum ergötzlichen Schauspiel gereichte.

Sehn Sie, sehn Sie! zischte Brauß, giftig den Amtsrath stoßend. Ein leises Gelächter säuselte über die Versammlung.

Wespe, Wespe! Sieh' Dich doch um! rief Walther hinter der Scene. Das Pärchen fuhr erschrocken aus einander und verschwand.

Ei, ei! Es ist doch die Möglichkeit! sprach, nach einer Pause des Erstaunens, der Amtsrath. Das ist mir doch gar nicht lieb!

Gar nicht lieb? knirschte Brauß. Und das ist alles, was Sie darüber zu sagen haben? Ich werde mich gegen Herrn Wespe nicht so glimpflich aussprechen!

255 Nehmen Sie sich in Acht, warnte der Amtsrath. Er ist gleich bei der Hand mit der Klinge und ficht wie ein Satan. Folgen Sie lieber meinem Beispiel. Ich werde alles gütlich abzumachen suchen. Freilich war es nicht meine Absicht, das so zeitig zu thun, aber wer kann helfen!

Ich sehe auf einmal ganz deutlich, daß ich hier überflüssig bin, sagte Brauß, aufstehend: und empfehle mich Ihnen für immer.

Gleichfalls, gleichfalls, Herr von Brauß! erwiederte der Amtsrath, sitzenbleibend. Der lächerliche Hohlkopf entläßt Sie von seinem schlechten Theater, und der alte Rotürier will Sie zu keinem Mißbündniß verführen, zumal er jetzt weiß, wie Sie inwendig über Ihr von denken. Er behält sein Geld und sein Näschen, und überläßt Sie gern und willig der Frau von Horst und andern Damen von Stande, die ihre Gartenthüren für Sie offen lassen wollen.

Da erkannte Brauß, daß er ganz erkannt sey, und schlich schweigend davon.

256 Unterdeß hatte ein fern beginnender, sich immer mehr nähernder kriegerischer Marsch die Schlacht vorbereitet. Trommeln und Trompeten lärmten jetzt zum Angriff, und das Gefecht zog sich mit so vieler Präcision und Lebendigkeit über die Bühne, daß die sämmtlichen Militairs unter den Zuschauern sich nicht enthalten konnten, den Combattanten ein Bravo nachzurufen.

Auch das danke ich ihm! sprach der Amtsrath zu sich. Und bei dem Einüben bekam er die erste Blessur! Und wie herzensgut bewies er sich nicht gegen den Tölpel von Dragoner? Ja wahrlich, er ist gut und so gescheit, daß er noch zehn Köpfe mit seinem Fonds betheilen könnte! Courage hat er, einen Posten gleichermaßen. Was will ich mehr? Und wie würde ich den Schwiegersohn bei meinem Theater brauchen können! Ja, es wird sich wohl nicht anders thun lassen! – Dadurch wird auch zugleich die seltsame, herkulanische Gruppe ausgeglichen, über die sich sonst noch viele Mündchen und Mäuler zerreißen würden! 257

 


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