Carl Franz van der Velde
Das Liebhaber-Theater
Carl Franz van der Velde

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3.

Mit einem grimmigen Gesichte saß am andern Morgen der Amtsrath am Kaffeetische, studirte die Deduction des Nachtwächter-Assistenten noch einmal durch, und zündete sich dabei die lange Gipspfeife, die im Laufe der unangenehmen Beschäftigung unaufhörlich ausging, 65 unaufhörlich wieder an, sich und seinen Zorn in dicke Dampfwolken hüllend.

Da trat seine schöne Tochter herein, herrlich blühend in rosiger Frische und so heiter, als hätte sie einen sehr süßen Morgentraum gehabt, oder gar schon etwas recht Willkommenes gesehen.

Guten Morgen, Väterchen, sprach sie mit holder Freundlichkeit, den Alten küssend, und übergab ihm einen zierlich beschriebenen Bogen. Referendar Wespe läßt sich empfehlen und schickt den verheißenen Prolog. Die gute Seele hat den Rest der Nacht daran gewendet, um sich Dir gefällig zu beweisen.

Couvertire den Wisch! schrie der Amtsrath, den Prolog zornig zurückschleudernd: schicke ihn dem Herrn Urian zurück, und lasse ihm dabei sagen: Er würde es wohl natürlich finden, daß der hochmüthige Nair nichts zu schaffen haben wolle mit dem edeln Vertheidiger der Menschenrechte der Paria's.

Ich verstehe Dich nicht, sprach Aphanasia tödtlich erschrocken. Nur so viel nehme ich 66 wahr, daß Du auf Herrn Wespe sehr aufgebracht bist, aber ich begreife nicht –

Lies! rief der Amtsrath, ihr die Deduction hinreichend: so ersparst Du mir den Tort, meine eigne Schmach zu verkündigen.

Aphanasia nahm und las; nach einer Weile sah sie schnell nach der Unterschrift am Schlusse, las dann vorn weiter, und ihr Gesicht wurde immer ängstlicher und bleicher, und ihre schönen Augen flogen bisweilen forschend nach dem Vater hin, der in stiller Wuth mit seiner dampfenden Pfeife im Zimmer auf und ab rannte.

Ungezogen! rief sie, als sie das Lesen beendigt. Aber weißt Du denn schon gewiß, daß dieser Wespe und der unsrige eine Person sind? Es können ja wohl mehrere so heißen.

O gewiß, gewiß! tobte der Amtsrath. Die spitzigen, maliciösen Redensarten sehen dem jungen, naseweisen Burschen ganz ähnlich!

Naseweis?! rief Aphanasia empfindlich. Gestern Abend schienest Du doch anderer Meinung zu seyn.

Gestern Abend war ich ein – fuhr der 67 Amtsrath heraus. Aber komme ich mit dieser stechenden Wespe noch einmal zusammen in diesem Leben, so will ich das nachholen, was ich gestern versäumt habe!

Deine Ehre ist auch die meinige, rief Aphanasia mit falschem Pathos: und wenn das giftige Machwerk von ihm ist, so soll er mir schon dafür büßen! Aber vor allen Dingen müssen wir doch erst darüber Gewißheit haben: ob es von ihm ist?

Ich habe nicht Lust, mich noch mehr zu compromittiren, murrte der Amtsrath.

Ich will den Assessor beschicken, schlug Aphanasia vor: und in meinem Namen auf den Strauch schlagen. Deiner soll dabei gar nicht gedacht werden.

Mache was Du willst! sprach der Amtsrath verdrießlich.

Zeit gewonnen, viel gewonnen! flisterte Aphanasia mit einem feinen Lächeln vor sich hin, und hüpfte zur Thür hinaus.

Eine volle Viertelstunde rannte der Amtsrath im Zimmer auf und nieder. Endlich 68 wurde er müde auf der schlechten Promenade und setzte sich wieder zum Tische, auf dem der verschmähte Prolog lag. Er sah ihn eine lange, lange Weile an, kämpfend zwischen Groll und Neugier. Endlich siegte die letztere. – Hain mit einem Tempel, brummte er lesend. Gute Decoration. – Fama? Das wäre Aphanasia. Dabei könnte ein brillantes Costüm angebracht werden, aber Gott soll mich, wenn ich – Er versank über dieser Betheurung völlig in das Lesen. Gut – recht gut – Auf Ehre sehr gut. – Herrliche Bilder! rief er von Zeit zu Zeit – feine Verbindlichkeiten, nicht solche grobe Schmeicheleien, die dem Helden das Lob gleichsam in's Gesicht gießen – Und Jamben macht der schlechte Mensch, als ob er bei Schillern in die Lehre gegangen wäre! Auch mit den achtzeiligen Stanzen weiß er umzuspringen. Es ist Jammerschade! Wie würde das Mädchen die Verse sprechen! Der General würde große Freude haben; aber – nein – nun und nimmermehr!

Er war zum Schluß gekommen. Auch 69 sogar sentimental kann der Satan seyn, wenn er will, sagte er, sich die Augen wischend: und just die rechte Sentimentalität, piano, ausgespart, nicht in einem fort losgedroschen auf die Thränendrüsen. Das gerade macht Effect. Ja, könnte ich den Prolog behalten und den Referendar zur Treppe hinunterwerfen, oder stünde zu erweisen, daß mich eine andere Wespe gestochen hat, ich wollte mit Freuden so viel Ducaten darum geben, als mich der Nachtwächter kostet!

Er stieg wieder im Zimmer auf und ab, bis endlich Aphanasia mit einem traurigen Gesichte eintrat.

Die Sache steht schlimmer und besser als wir glaubten, referirte sie. Wespe ist allerdings der Verfasser der bösen Schrift, aber es läßt sich doch sehr viel zu seiner Entschuldigung sagen.

Was?! schrie der Amtsrath, und schmetterte mit gewaltigem Wurfe die unglückliche Gipspfeife auf die Diele nieder: Entschuldigung?

70 Sieh' das Datum nach, bat Aphanasia. Die Schrift ist schon ein Jahr alt, die Akten haben nur so lange zum Spruch vorgelegen.

Das ist wahr, erwiederte der Amtsrath, nachdem er sich davon überzeugt hatte. Aber was wird dadurch bewiesen?

Bewiesen wohl nichts, meinte Aphanasia: aber doch die Keckheit einigermaßen entschuldigt, mit der der junge Mensch bei Dir Zutritt suchte. Es war ihm in der langen Zeit ganz entfallen, daß er einst gegen einen Mann Deines Namens geschrieben, den er damals nur aus den Akten kannte.

Woher weißt Du denn das alles auf einmal so genau, mein Töchterchen? fragte plötzlich der Amtsrath befremdet.

Von dem Assessor, antwortete Aphanasia gleichmüthig: gegen den Wespe schon heute früh über den unglücklichen Vorfall mit vieler Reue und großer Achtung gegen Deine Person gesprochen hat. Von ihm habe ich auch erfahren, daß Wespe den Nachtwächter nicht freiwillig zum Clienten angenommen hat. Der 71 Befehl des Präsidenten, dem er nicht ausweichen konnte, hat ihn dazu gezwungen.

Nichts, nichts! rief der Amtsrath: hilft alles nichts! Der Präsident hat ihm nicht befohlen, giftig zu seyn ohne Noth, und in einer Deduction unziemlicher Weise von Nairen und Paria's zu witzeln. Der Frevel ist und bleibt unverzeihlich. Schicke ihm den Prolog zurück!

Wenn er schlecht ist, meinte Aphanasia unbefangen: recht gern. Hast Du ihn gelesen?

Hm – nein – ja – brummte der Amtsrath beschämt. Er ist – allerdings nicht ganz übel, und ich wollte, daß ihn ein anderes Subject gedichtet hätte. Aber schicke ihn nur zurück, und lasse es dem – stachligen Insecte zugleich durch den Assessor mit guter Manier beibringen, daß es für dießmal mit dem Volteggio nichts wäre.

Dein Wille ist mein Gesetz, guter Vater, sprach Aphanasia ernstlich. Aber meine Liebe für Dich, meine Sorge für Deine Ehre, gibt mir zu der Frage Muth: Thust Du auch klug, wenn Du Dich auf diese Weise rächest?

72 Rächest?! fragte der Amtsrath ärgerlich. Wer denkt an Rache? Aber daß ich mit einem Menschen, der mich geistiger Weise mit Füßen getreten hat, nicht Comödie spielen mag, das ist doch ganz natürlich!

Aber, fuhr Aphanasia fort: wenn er Dich nun fragt, warum Du ihm die Rolle wieder nimmst, die Du ihm schon förmlich zugesagt hast? Sicher bist Du zu stolz, ihm die Wahrheit zu verläugnen, und sie gestehen, gestehen – daß Du ihn ausschließest, weil er vor einem Jahre, ehe er Dich kannte, Dir durch Erfüllung seiner Dienstpflicht lästig geworden – möchtest Du das wohl?

Du hast Recht, Mädchen! rief der Amtsrath nach kurzem Besinnen. Aus dem Gesichtpunkte habe ich es noch nicht angesehen. Ueberdieß ist die ganze Geschichte nicht einmal recht vortheilhaft für mich. So mag er denn in des Teufels Namen den Volteggio behalten! Aber er soll seiner nicht froh werden! Ich bin Director, er ist noch ganz roh. Ich will ihn dressiren in den Proben, daß er vor Angst an 73 den Coulissen in die Höhe laufen soll! – Doch nein – nein! Auch dazu ist er mir zu schlecht. Ich will ihn keines Wortes würdigen, ich will ihn nicht einmal ansehen. Mag er spielen, wie er will, je schlechter, desto besser. Er soll sich blamiren! Tüchtig soll er sich blamiren vor unserm ausgesuchten Publicum. Hat er mich doch auch blamirt vor der hohen Landesbehörde!

Es ist übrigens Schade um den Menschen, warf Aphanasia gleichgiltig hin: daß er von diesem unglücklichen Hange zur Satyre heimgesucht wird. – Seine unerschöpfliche Gefälligkeit scheint ein gutes Herz zu verrathen, und der Assessor kann seine Kenntnisse und seine strenge Rechtschaffenheit nicht genug loben.

Und Prologe schreibt er, wie ein Engel – fiel der Amtsrath zornig ein. – Lies das Ding. Wir wollen es geben, es ist vortrefflich. Aber das ist ja eben das Himmelschreiende, daß ein Mensch, der solche Jamben hingießt, auch solche Schmähschriften schmieden kann. Da heißt es recht: Wo der liebe Gott eine Kirche hat, baut der Teufel eine Kapelle 74 daneben! Nein, und wenn ich noch hundert Mal in Schillers Freudenlied singe: daß das Schuldbuch vernichtet und dem Todfeind verziehen seyn soll, so werde ich doch jedesmal in mente hinzusetzen: Nur nicht diesem Wespe seine Deduction!

Er rannte hinaus. Ich danke euch, holde Musen! sprach Aphanasia. Was die ernste Themis böse gemacht hat, das sucht ihr freundlich gut zu machen. Seyd meiner stillen Liebe ferner günstig!

 


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