Carl Franz van der Velde
Das Liebhaber-Theater
Carl Franz van der Velde

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5.

Vor der entblätterten Buchenlaube am Ende des Schloßgartens stand, in seinen Kalmuck-Mantel gehüllt, im beschneiten Gange, der Referendar Wespe, las die drei Absagbriefe, die ihm die frierende Aphanasia darreichte, hinter einander durch, und schüttelte sehr bedenklich den Kopf dazu.

Und was nun weiter, junger Herr?! rief Aphanasia nach einer Weile ungeduldig. Denn mit dem Kopfschütteln ist es nicht gethan. Hier gilt es, andere Köpfe, die schütteln, zum Nicken zu bringen, und das hat bei ihren steifen Nacken seine besondern Schwierigkeiten.

85 Hat Aphanasia kein festeres Vertrauen zu der Allmacht ihrer Reize?! rief Wespe feurig. Was wären sie, wenn sie mich nicht einmal zu solch' einem leichten Siege begeistern könnten! Und siegen müssen wir! Wie? das weiß ich zwar selbst noch nicht recht, aber das wird sich finden.

Nicht so leicht als Sie denken, warf Aphanasia ein. Es gilt, vier ganz verschiedene Charaktere zu bearbeiten für einen Zweck, und das ist keine Kleinigkeit.

In den vier Vormündern kommt der Liebhaber ja auch am Ende damit zu Stande, erwiederte Wespe. Lassen Sie mich gewähren, und scizziren Sie mir in schnellster Kürze die vier Protestanten. Der Senior?

Sehr stolz, sehr eitel, referirte Aphanasia: läßt sich gern Hochwürden nennen. Dabei sehr furchtsam und, wenn man ihn erst zutraulich gemacht hat, sehr leichtgläubig. Vor zwanzig Jahren hat er anonym gegen die Schaubühne eine Brochüre geschrieben, die große Diana der Epheser, die er für vortrefflich hält.

86 Die müssen Sie mir schaffen! fiel Wespe hastig ein.

Ein Pracht-Exemplar modert in unserer Bibliothek, antwortete Aphanasia: und steht mit Vergnügen zu Dienst.

Es wird mir ein Paar saure Stunden kosten, seufzte Wespe: denn ein schlechtes Buch mit dem Bleistift in der Hand zu studiren, als wäre es ein gutes, das ist kein Spaß! Aber was thue ich nicht –

Für den eigenen Triumph! fiel Aphanasia schalkhaft ein. Das ist von der männlichen Eitelkeit zu erwarten!

Der Postmeister? fiel Wespe ein.

Sehr eitel, antwortete Aphanasia: aber nicht, wie der Senior, auf sein Wissen und seine Würde, sondern auf seinen theuern Leichnam, dessen guter Form und zierlicher Tragung er sich wohl bewußt ist. Er putzt sich gern. Könnten wir für den Paolo Manfrone irgend einen picanten Schmuck ersinnen, er wäre der Unsrige mit Leib und Seele.

So ist er es schon! rief Wespe lustig. Aber seine theure Hälfte?

87 Sie haben sie ja kennen gelernt, erwiederte Aphanasia achselzuckend. Ihr Charakter spricht sich gegen jeden gleich rein aus in seiner liebenswürdigen Wahrheit! Heftig, eigensinnig, gefallsüchtig, rachgierig, und leider klug und kräftig genug, um sich nichts weiß machen zu lassen. Seit unser Theater besteht, hat sie um eine Liebhaberin gebuhlt, zu der sie durchaus nicht taugt. Das ist das sechste Mal, daß sie eine Niete zog, und ich glaube nicht, daß sie das verzeihen kann.

Es fragte sich, sprach Wespe nachsinnend. Die Dame hat Natur in ihrem Spiel, und ist gerade weder alt noch häßlich.

Das ist eben unser Unglück, sagte Aphanasia. Dadurch hält sie sich eben zur Prima Donna geeignet, zu der ihr doch vor allen Dingen die Grazie und der Adel fehlt.

Sehr wahr, meinte Wespe lächelnd. Aber die Frau des Pächters Grauschimmel im Rehbock sollte sie, meine ich, gut machen!

Sind Sie von Sinnen? fragte Aphanasia ungeduldig. Wer redet denn vom Rehbock?

Ich, ich! rief Wespe, lustig in die Höhe 88 springend: ich, der sich Ihrem erzürnten Vater aufdringende treue Gehilfe, sein Fac totum, sein Kleinod, das er nicht für das Gold beider Indien hingeben wird, wenn er nur erst seinen ganzen Werth kennt. Nennen Sie mir nur hurtig eine Dame in der Nähe, gegen die Dame Horneck eine große oder kleine Antipathie hat.

Gegen die geschiedene Postmeisterin Spörner, antwortete Aphanasia: hat sie Antipathie von jeder beliebigen Sorte. Aber was bezwecken Sie damit? Doch nicht eine Vertretung? die Idee geben Sie auf. Die Spörner würde den Vorschlag freilich mit beiden Händen ergreifen, aber ehe mein Vater sie unsere Bühne betreten ließe, würde er die Duenna lieber selber machen. Er kann sie durchaus nicht leiden.

Zu einer Vogelscheuche ist der erste beßte Lappen gut genug! rief Wespe. Nun bleibt uns nur noch Mamsell Willig übrig, die wir willig machen sollen, ihre Tugend und ihren Ruf in Miranda's Beinkleidern auf das Spiel zu setzen.

89 Ist es jetzt Zeit zu faden Wortspielen?! rief Aphanasia ärgerlich. Sie wissen, was auf dem Spiele steht, und können über die Klippe, an der vielleicht unser ganzer Plan scheitern wird, noch schlechten Witz machen? Ein Beweis, wie wenig Ihnen dieser Plan am Herzen liegt!

Sie glauben das selbst nicht, was Sie jetzt sagen, sprach Wespe, zärtlich des Mädchens Hand an seine Lippen ziehend. Auch sehe ich nicht ein, weßhalb ich die lustige Posse so entsetzlich schwer nehmen sollte. Zum Verzweifeln ist es immer noch Zeit, wenn mich Ihr Vater von der großen Freitreppe seines Schlosses herunter geworfen hat. Bis dahin wolle mir der Himmel meinen leichten, fröhlichen Sinn erhalten! Um aber wieder zu der unwilligen, mißwilligen, böswilligen Mamsell Willig zu kommen, so weiß ich nur einen einzigen Weg, zu ihrem keuschen Herzen zu gelangen, nämlich: ich muß ihr die Cour machen.

Und diesen Weg haben Sie sich durch eine ganz unnöthige Witzelei verschlossen, schalt Aphanasia. Mein Vater hat mir alles erzählt. 90 Dazu haben Neid und Eifersucht Laura's Augen geschärft. Sie hat einen Blick in unser Verhältniß gethan. Boshaft ist sie in hohem Grade. Sie braucht nur überzeugt zu seyn, daß uns mit dem Bayard ein Gefallen geschieht, das ist hinreichend für sie, die Miranda um keinen Preis zu spielen, so sehr sie sich heimlich nach ihr sehnen mag.

Und keine Andere wäre hier zu erreichen, wenigstens vorzuspiegeln?! fragte Wespe betrübt.

Keine! versicherte Aphanasia. Das weiß die theure Laura auch recht gut, und darauf eben trotzt sie.

Wie wäre es, schlug Wespe vor: wenn ich eine wirkliche Schauspielerin aus der Residenz zu dieser Rolle herbeischaffte? Ich habe intime Bekanntschaften auf dem dortigen Theater.

Diese Neuigkeit freut mich eben nicht besonders, antwortete Aphanasia mit niedergeschlagenen Augen erröthend: zumal sie uns nichts hilft. Mein Vater würde das nie genehmigen.

91 Wir führen sie unter falschem Namen auf, sagte Wespe: als meine Nichte etwa –

Die Idee hat Sie mächtig ergriffen, spöttelte Aphanasia: aber ich muß sie entschieden zurückweisen. Wie leicht könnte der Betrug entdeckt werden, und dann bliebe mein Vater unversöhnlich. Darauf kenne ich ihn.

Also Laura, oder keine! rief in lustiger Verzweiflung Wespe. Nun wohlan: Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo! Zu deutsch: Jedes Mittel, auch das ärgste, ist erlaubt, wenn es nur zum Ziele führt. Die »ungestüme Presserin, die Noth« fordert ein schweres Opfer von mir, aber es sey ihr gebracht, und bald, bald soll Aphanasia von mir hören!

Behende drückte er auf Aphanasia's kalte Lippen einen heißen Kuß, schlug mit der kühnen Wildheit des Banditen Abällino seinen Mantel um sich und war verschwunden. 92

 


 << zurück weiter >>