Carl Franz van der Velde
Das Liebhaber-Theater
Carl Franz van der Velde

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11.

Der Tag der ersten Spielprobe war erschienen. Das zahlreiche Personal hatte sich auf der Bühne versammelt und wogte bunt durch einander. Das Orakel hatte Platz genommen auf dem unterirdischen Dreifuße, die Bedienten reichten Theepunsch und Glühwein. Der Amtsrath hatte so eben der Postmeisterin, wegen der Rolle der Pächterin Grauschimmel, mittelst Handschlages, Gewähr leisten müssen, und sah sich jetzt ungeduldig nach Aphanasia um, die allein noch fehlte.

Ich will es Aphanasia sagen, daß alles beisammen ist, sprach der allezeit höchst dienstbereitwillige Wespe zu ihm, und sprang fort, ohne die Genehmigung abzuwarten.

So? Ei? sagte der Amtsrath, ihm nachsehend. Fast kommt es mir vor, als wenn sich der Referendar dem Brauß in jeder Beziehung substituiren wollte! Da hat er denn freilich die Rechnung ohne den Wirth gemacht.

Während so über die schönste Hoffnung des 155 armen Wespe der Stab gebrochen wurde, hatte dieser schon die Wirklichkeit umarmt, und Aphanasien auf dem Wege zum Theater gefunden.

Noch ein Wort vor der Probe, Aphanasia, sprach er rasch und eifrig: um Ihnen einige, wie ich mir schmeichle, unangenehme Minuten zu ersparen. Ich habe Ihnen ehrlich gebeichtet, wodurch ich die Willig geworben.

Leider, erwiederte Aphanasia: und der Himmel weiß, ob Sie die Absolution verdienen, die meine gutmüthige Leichtgläubigkeit Ihnen ertheilt hat!

Aus diesem Verhältniß folgt aber, fuhr Wespe fort: daß Laura mich nicht nur bisweilen aufsuchen, sondern auch erwarten wird, von mir aufgesucht zu werden. Das mußte ich Ihnen vorher sagen, damit es Sie nicht frappirt. Zwar habe ich mir durch Uebernahme des Bayard ziemlich Ruhe geschafft, aber ganz werde ich mich der Zärtlichkeit doch nicht entschlagen können, und will deßhalb meine Rechtlichkeit und meinen Charakter gegen Sie in voraus verwahrt haben.

156 O Chamäleon! rief Aphanasia mit aufgehobenem Finger. Welches ist denn eigentlich Deine rechte Farbe?

Die Farbe treuer Liebe für meine Aphanasia! antwortete Wespe, das Mädchen sanft umschlingend und ihr mit einem Blicke voll Glut in's Auge sehend: und nimmer, nimmer wird diese Farbe erblassen!

Ach, Eduard! hauchte Aphanasia, und lehnte ihren schönen Kopf an seine Schulter, und so gingen sie mit einander nach dem Theater, an dessen Thür sie sich losließen und kalt und ehrbar hinter einander eintraten.

Die Probe begann. Die zu ihrer Pflicht zurückgeführten Insurgenten leisteten das Mögliche. Madam Horneck bewies durch ihr Spiel, daß sie zu den Duennen geboren sey; ihr Gatte, der sich den päpstlichen Spornorden schon provisorisch auf den Ueberrock geheftet hatte, machte Manfrone zu einem recht interessanten Teufel; Laura gab die schlecht bekämpfte Zärtlichkeit gegen den substituirten Bayard vortrefflich, gewann aber doch auch nebenbei die nöthige 157 Muße, auf das Officier-Corps, das durch Jugend und Wohlgestalt keine schlechte Eroberung war, einige Brandblicke abzuschießen, und so ging der erste Akt ohne ein besonderes Ereigniß vorüber.

Den zweiten begann Aphanasia-Blanca mit dem vollen Feuer unglücklicher Leidenschaft, und es stach wunderlich ab, als der listige Wespe seinen Bayard dagegen mit kalter Ruhe von der Rolle ablas. Triumphirend lächelte Laura, und Aphanasia wurde wieder darüber so ärgerlich, daß sie alles aufbot, diese wohlberechnete Kälte aufzuthauen. Fast wäre es ihr gelungen, und als Bayard sie am Schluß der Scene »nur einmal noch an sein verblutend Herz« rief, wäre das verblutende Herz beinahe mit ihm durchgegangen. Der Ton seiner Stimme wurde schmelzend, und es fehlte nicht viel, daß er sie wirklich in seine Umarmung riß. Aber Aphanasia entzog sich ihm vorgeschriebenermaßen, und er stürzte mit seinem Lebewohl gebührend ab.

Doch kein rechtes Feuer! raunte der 158 Amtsrath Tardieu-Walthern zu. Tausend! wie der Liebhaber abstach von der Geliebten! Ein recht braver Lückenbüßer kann der Wespe mit der Zeit werden, aber auf die Sonnenhöhe der wahren Kunst wird er sich nie emporschwingen!

Der rechte Schauspieler wird geboren, nicht gebildet! antwortete Walther mit einem verstohlenen Lächeln über die irrende Kritik.

Der zweite Akt neigte sich zum Ende. Wespe gab dem Amtsrath die Bayard-Rolle, und trat nun als Volteggio auf. Wohl erkennend, daß auch bei der Comödie in der Comödie, die hier gespielt wurde, das Zuviel und das Zuwenig nichts tauge, sprach er seine Rolle mit Anstand, Verstand und Feuer, gab aber, um es nicht gar zu gut zu machen, absichtlich einige Blößen, und machte auch ein Paar Rede-Fehler, um dem Amtsrath das Vergnügen der Zurechtweisung zu verschaffen, das sich dieser, trotz seines festen Entschlusses, nicht versagen konnte.

Für den Anfang des dritten Aktes hatte Wespe sich schon auf einen verliebten Sturm 159 Laura's gefaßt gemacht, weil Beide in den ersten Scenen nicht vorkommen, und, bänglich auf Blanca schauend, die sich schon draußen in der Dorfschenkstube vor seiner Erscheinung ängstete, stand er auf dem belobten Plätzchen zwischen der Thürwand und dem Waldhintergrunde. Aber nicht vergebens hatten Laura's Feuerblicke die jungen Kriegsmänner zum Kampfe aufgefordert. Diese umschwärmten sie jetzt, wie Hornissen einen Bienenkorb. Die Stürmer hielten ihre Hände fest, und versicherten sie auf Ehre, daß sie ein ganz süperbes Mädchen sey. Die Gemüthlichen und Belesenen würzten ihre höher stylisirten Schmeicheleien mit Sentenzen aus Deutschlands beßten Dichtern, und sie hatte vollauf zu thun, nach allen Seiten hin die erforderliche Schalkhaftigkeit, Empfindsamkeit und die passendsten Kraftsprüche zu vertheilen, und doch noch während dessen dem harrenden Wespe ihre Treue, bei so großer Versuchung, und ihre Sehnsucht nach ihm in der stummen, vielsagenden Augensprache zuzusichern. Endlich mochte ihr doch die Idee 160 klar werden: Ein bürgerlicher Assessor sey vielleicht kein so angenehmer Freier, aber auf jeden Fall ein gewisserer Nehmer, als ein adeliger Lieutenant. Sie machte sich daher von ihrer Umgebung los und schwebte durch die dunkelnden Coulissengänge auf das liebe, stille Waldplätzchen zu.

O weh! seufzte Wespe. Hier wird es ohne einige Umarmungen nicht abgehen, und wenn Aphanasia nur eine davon zu sehen bekommt, so ist es aus mit ihrer gelobten Toleranz, und ich brauche wenigstens ein Paar Tage, sie wieder zu versöhnen!

Aber der Schutzgeist seiner Treue wachte. In dem Augenblicke, als Laura seine Hand ergriff, eilte Blanca mit ihrer Duenna und dem Stichwort: »Fort!« nach der Thür. Wespe mußte hinaus, und von der bald darauf fortstürzenden Blanca verjagt, floh Laura aus ihrem Versteck gerade in die Arme des Lieutenants von Falkenberg, der, gutes Glück suchend, unter den leinenen Wänden, Gerüsten und Stricken herumstolperte. Es gelang dem 161 wohlgeübten Courmacher schnell, sie über den kleinen Schreck zu beruhigen, und als Basco Miranden sein: »Junker nur herein!« zurief, da mußte sie sich schon aus einer zärtlichen Gruppirung mit dem jungen Helden reißen, um dem unwillkommenen Rufe zu folgen.

Die Scene war zu Ende. Miranda hatte, sehr im Widerspruche mit ihren Wünschen, am Schluß, der Liebe, dem Glück und dem Ruhme entsagt, und ein klösterliches Heiligthum gewählt, und die französische Armee trat nunmehr unter die Waffen.

Aber sowohl Franz der Erste, als »die wackern Männer, die seine Lilien mit ihren Lorbeern schmückten,« hatten gelernt, daß es zum Erbarmen war, und Amtsrath Ligny im Stillen verzweifelte. Als endlich Bayard in die Versammlung trat, hatte er, da im Könige auch der letzte Gedächtnißfunke erloschen war, eigentlich nur einen Dialog mit dem Souffleur. Auf die Frage: »Herr König, ist das Euer ernster Wille?« antwortete der knieende Fürst, vergebens vom Souffleur beschworen, 162 lachend: »Auf Ehre, das weiß ich nicht!« Lachend gab ihm Bayard den Ritterschlag, lachend umarmten sich der schlagende und der geschlagene Ritter, und in den Tusch von Trompeten und Pauken, der aus der Garderobe losbrach, fiel chorartig das Gelächter des ganzen Personals ein.

Die Schwermuth des Amtsrathes über das schlechte Gedächtniß Seiner allerchristlichsten Majestät und ihrer Generalität und über das allgemeine, tolle, unbezwingliche Gelächter am Schlusse einer so ernsten Feierlichkeit wich nicht eher als bis zu seiner Scene im vierten Akte, die er exemplarisch gut gelernt hatte und sehr gut sprach. Bayards und seiner Kriegskameraden Bravo und Geklatsch empfing ihn beim Abgange. Die anderen Schauspieler stimmten ein. Im Freudenrausche über diese ehrlich verdiente Auszeichnung ergriff er zärtlich Wespe's Hand. Sie sind zu gütig, mein liebster Freund! sprach er, den alten Groll über dem neuen Entzücken vergessend. In dem Augenblick darauf aber fiel ihm wieder alles ein. 163 Im Grimm, daß er seine Zärtlichkeit abermals unrichtig addressirt, schleuderte er die ergriffene Hand von sich, murmelte etwas von Nairen und Paria's und polterte die Treppe zur Garderobe hinab, um sich für die verschiedenen Gemüthbewegungen, die ihn kurz nach einander ergriffen, durch ein Glas warmen Punsch zu stärken.

Das war ein großes Glück für den edeln Bayard, der jetzt seine Blanca aus der Höhle rettete, in der Freude darüber in seine Rolle zu sehen vergaß, die affectvolle Scene so geläufig, als habe er sie wirklich memorirt, und mit einem Feuer spielte, an dem der Amtsrath als Kritiker nichts, vielleicht aber destomehr der Vater der Geretteten auszusetzen gehabt haben würde. Laura-Miranda war zu sehr mit ihrer Rolle beschäftigt, in der sie sich gerade auch besonders zu zeigen hatte, die unbeschäftigten Augenblicke füllten die Zuflisterungen Falkenbergs, der sich hinter die Coulisse in ihre Nähe geschlichen hatte, und so entging der arme Wespe diesen scharfen Augen, und der Akt endete ohne Unfälle.

Eben begann sich im letzten der treue Waffenträger Basco über die grauliche Einsamkeit des Rattennestes Santa Croce zu beklagen, als sich ein großes Getümmel in der Garderobe erhob, und bald darauf der Herr von Brauß sehr finster auf das Theater gelärmt kam.

Nun, wo kommen Sie denn jetzt auf einmal her post festum? fragte ihn verdrießlich der nachkommende Amtsrath. Da Sie die tolle Reise nach der Residenz einmal aufgegeben, so hätten Sie sich auch früher von Braußendorf aufmachen können. Wir sind schon im fünften Akte. Aber es ist bei Ihnen kein Trieb, keine Lust und Liebe für die Sache.

Meine Reise aufgegeben?! fragte Brauß auffahrend. Ich komme eben aus der Residenz, in die man mich dießmal in den April geschickt hatte. Ich habe es nicht ergründen können, welcher Narr es meinem dortigen Commissionair weiß gemacht hatte, daß die natürliche Tochter gegeben werde. Der war einfältig genug gewesen, es mir zu melden, ohne sich näher zu erkundigen, und als ich Nachfrage hielt, 165 mußte ich mich noch obendrein auslachen lassen, weil die natürliche Tochter, als unvollendet, noch nirgend gegeben wurde. Im Theater war Bayard, und da ich dem unglücklichen Stücke auf keine Weise entgehen konnte, so beschloß ich, mich ihm doch lieber hier in ausgesuchter Gesellschaft zu exponiren.

Stille, stille! rief der Amtsrath: Sie sprechen viel, aber nicht gut. Basco hat eben seinen Monolog absolvirt. Jetzt kommen Sie mit Ihrer Soldatesca heraus. Machen Sie, daß Sie fortkommen!

Wenn es denn nicht anders seyn kann, seufzte Brauß. Er sah sich um und rief: Herr Referendar, ich bitte um meine Rolle und danke für bisherige Vertretung!

Ihre Rolle? fragte der Amtsrath erschrocken, während Brauß das dicke Heft von Wespen empfing. Was wollen Sie mit Ihrer Rolle sagen? Ich will doch nicht hoffen, daß Sie in der Spielprobe die Rolle brauchen werden?!

Allerdings, mein alter Freund! erwiederte Brauß ruhig, den fünften Akt suchend: und 166 aus dem sehr erheblichen Grunde, weil ich noch kein Wort gelernt habe.

Na, da haben wir's! rief der Amtsrath, die Hände über dem Kopf zusammenschlagend. Noch kein Wort gelernt von der unermeßlichen Rolle. Die heutige Probe so gut als umsonst. Wie soll das werden über acht Tage. Gott, wie soll das werden!

Während der Amtsrath so jammerte, stand Brauß schon auf der Bühne und las seinen Part mit adeligem Anstande und vielem Feuer, nur mit allzu großer Selbstgefälligkeit. Wespe stand unterdeß wieder im Walddunkel. Miranda's Leichnam wurde zu ihm heraus getragen. Dieser bekam, sobald der Thürvorhang hinter ihm zugefallen war, neues Leben, sprang vom Ruhebette und fiel, ohne sich vor den reisigen Leichenträgern zu geniren, dem einmal als Liebhaber angeworbenen Referendar zärtlich um den Hals.

Jetzt sind wir Beide todt für die heutige Bühnenexistenz, sprach sie zu ihm: und können ausschließlich für uns leben und für unsere Liebe!

167 Wespe wollte eben auf diese Artigkeit in wohlgesetzten Ausdrücken eine erwiedern, aber das Wort erstarb ihm auf der gelenken Zunge. Denn eben kreischte Blanca hinter ihm den Namen Bayard. Da zuckte in dem guten Wespe die Angst, sich aus Laura's umrankenden Armen loszuwinden, aber diese hielten fest, und in dem Augenblick rauschte Blanca vorüber, mit einer Heftigkeit, die nicht allein der Rettung ihres nichtswürdigen Gemahls zu gelten schien.

Sie hat mich gesehen! Das wird gut gehen, dachte Wespe und nahm zugleich wahr, daß Laura, der sein Zucken bei Blanca's Ruf nicht entgangen war, ihn forschend anblickte.

Und Laura merkt Unrath, dachte er weiter. Da könnte der letzte Betrug ärger werden als der erste, wenn sie jetzt noch abspränge. Hier muß man vorbauen!

Und noch einmal zuckte er, sich von ihr loszuwinden, sah sie dazu mit einem Blicke tiefer Kränkung und scharfen Vorwurfs an, und flisterte: Treulose!

168 Jetzt glaubte die gute Laura über sein Zucken im Klaren zu seyn, und an die Vorwürfe eifersüchtiger Liebhaber gewöhnt, und wohl dressirt, sie zu bekämpfen, lispelte sie, sich an ihn schmiegend: Du thust mir sehr Unrecht, Eduard! Bei unserer Liebe, ich bin unschuldig!

Unschuldig?! knirschte Wespe mit falschem Grimme. Sah ich nicht den langen, glühenden Armkuß des Grafen Erbach, sah ich es nicht, wie Dich Falkenberg in seine Arme riß?!

Er wird es nicht wieder wagen! rief Laura, den Kopf triumphirend zurückwerfend. Ich habe ihn belehrt, wie man sich gegen unbescholtene Jungfrauen zu benehmen hat.

Stille dahinten! rief der Amtsrath den Streitenden zu, die im Feuer des Coulissenspiels zu laut geworden waren. Stille! sonst kann man nicht einmal von der interessanten Vorlesung des Herrn von Brauß etwas profitiren!

Jetzt wendete sich das halbe Personal neugierig von beiden Seiten hinter die Thürwand, 169 um zu sehen, wem denn eigentlich das Verbot des Amtsrathes gegolten. Da riß sich Laura schnell von Wespen los, und wie zwei Marder vom Taubenschlage, schlichen sie in entgegengesetzten Richtungen fort.

Verwandlung! rief klingelnd der Souffleur, und Falkenberg trat als Prinz von Bourbon auf, sich auf sein Heldenschwert stützend, und nach der Garderobe blickend, in der sich jetzt ein Höllenspectakel von Trommeln und Trompeten und vom Gebrüll der Statisten erhob, und wo die Jäger des Amtsrathes und des Grafen Erbach hinter einander ein Dutzend vorräthig geladene Büchsen losschossen. Ai! kreischten die Damen insgesammt, vom Knall zerdrückt, klirrten die Scheiben der Garderobefenster in Scherben hinunter in den Hof, und der Amtsrath sprang gleichsam mit beiden Beinen in den Gräuel der Verwüstung.

Und Du willst ein Theatermeister seyn?! rief er in der Garderobe, in der einen Hand das Buch, in der andern das Ohr seines Jägers haltend. Dazu hat Dich Gott in seinem 170 Zorn erschaffen! Schreibt hier nicht der Dichter ausdrücklich mit deutlichen Worten vor:

»Alles das muß dem Ohr des Zuschauers nur eben hörbar seyn, und auf keine Weise die Handlung auf der Bühne stören.«

Und Du machst hier einen Lärm, daß wir oben denken, der jüngste Tag bricht an. Hast Du diese Vorschrift nicht gelesen?

Halten zu Gnaden, Herr Amtsrath, antwortete der noch in der Pein höfliche Jäger, nach seinem gepreßten Ohre herumschielend: ich kann nicht lesen.

Das sind die Folgen der schlechten Verfassung der Dorfschulen! schalt der Amtsrath, und herzu sprang sein getreuer Achates, Wespe.

Vom Ende des Schloßhofes her, schlug er vor: müßte sich das Kriegsgetümmel am beßten ausnehmen. Die Entfernung ist gerade nicht zu weit und nicht zu nahe. Wenn der Herr Amtsrath erlauben, will ich die Trompeter, Tambours, Schützen und Schreier dahin führen und den Spectakel dirigiren.

Thun Sie das, mein – rief der 171 Amtsrath freundlich. Der »liebste Freund«, der schon wieder auf dem Wege war, wurde, da sich der Amtsrath dießmal noch zur rechten Zeit besann, zu einem Herrn Referendar, und der Chorag ging mit seinen Lärmmachern davon.

Ich werde mich in's Parterre setzen, sprach jetzt, vom Proscenium in das Orchester hinabkletternd, der Amtsrath: um zu hören, wie sich die Geschichte dort ausnimmt. Als er Platz genommen, ging unten im Hofe das Schießen u. s. w. von neuem los, und oben sprach Falkenberg seinen Monolog dem Souffleur Wort für Wort nach.

Herrlich, köstlich, delicat! rief, zwischen Freude und Schmerz, der Amtsrath. Man hört in dem Chaos des Bataillelärms doch jedes Element, woraus er besteht, und das alles geht so doux, daß man dabei recht deutlich vernehmen kann, wie Seine Königliche Hoheit auch gar nichts gelernt haben. Es muß den französischen Prinzen im Geblüte stecken.

Da kam Rochefort-Seethal herangekeucht, 172 der auch nichts wußte, der dabei eilig und schlachtwild seyn sollte, und, um doch den erforderlichen Affect kund zu thun, seine Rolle mit einem Geschrei nachschleppte und dabei so langsam schrie, daß es schauderhaft anzuhören war. So stockten und meckerten die beiden Helden in waffenbrüderlicher Eintracht mit einander, und der Souffleur war in ihrem Bunde nicht sowohl der Dritte, als der Erste.

Jetzt kam, auf Tardieu und Basco gestützt, in seiner Rolle lesend, der sterbende Bayard herein, legte sich lesend zum seligen Abscheiden nieder, vernahm Bourbons letztes Stammeln und starb, den Blick auf die Rolle geheftet, mit vieler Würde.

Nein, das ist nicht zum Aushalten! schrie der Amtsrath und rannte durch die Parterre-Thür nach dem Theater. Ihm begegnete Wespe mit seinen Lärmmachern. Wespe, Referendar, Freund, Fac totum! schrie er ihn an, mit beiden Händen seinen Kragen fassend. Jetzt helfen Sie, jetzt zeigen Sie Ihre Tournure im Arrangiren. Sämmtliche Officiere 173 haben nicht ein Wort gelernt, Brauß desselben gleichen. Aendert sich das nicht, so fallen wir durch, und ich thue mir irgend ein Leid an!

Ich will es mir überlegen, erwiederte Wespe lächelnd. Sollte ich etwas ersonnen haben, so haben Sie nur die Güte mir beizustimmen, wenn es auch eine kleine Nothlüge seyn sollte.

Eine kleine Nothlüge? rief der Amtsrath freudig: und wenn es auch eine große, wenn es ihrer tausend wären! Noth bricht Eisen, warum nicht auch die Wahrheit. Sinnen Sie etwas aus. Ich will unterdeß versuchen, was ich mit sanften Ermahnungen ausrichten kann. Helfen die nicht, so kommen Sie mir zum Succurs, mein lieber, lieber Bundgenosse!

Er rannte fort auf die Breter, wo sich das ganze Personal durch einander trieb, und die Officiere sich gegenseitig betheuerten, daß das Stück sehr gut gehen würde.

Die heutige Probe gibt mir dazu schlechte Hoffnung, meine verehrten Herren, sprach der Amtsrath, mit rührender Feierlichkeit in ihre 174 Mitte tretend. Das rechte Fundament einer guten Darstellung, ja, so zu sagen, der granitne Grundstein derselben ist das Auswendigwissen der Rollen. Wie will man gut sprechen, wenn man nicht weiß, was man sprechen soll?! Nun werden sich, nicht zu gedenken Bayards, den ich heute nicht den Ritter ohne Tadel nennen kann, der König, die Prinzen Talmond und Bourbon, die Hauptleute Tremouille und Rochefort, wohl ohne weiteres überzeugt haben, wie schlecht, ja wie wahrhaft gräulich es mit ihrem Memoriren beschaffen war.

Auf Ehre! rief Graf Erbach lachend. Ich habe meine Rolle seit der Leseprobe nicht angesehen.

Das Spielen ist amüsant genug, fiel Falkenberg ein: aber das langweilige Auswendiglernen wäre doch ein zu theuerer Preis. Dafür hat man ja den Souffleur.

Ja wohl! mischte sich Brauß in das Gespräch. Es ist hart genug, in einem schlechten Stück eine lange Rolle spielen zu müssen; 175 aber sie vollständig zu memoriren, das könnte einen neuen Foltergrad abgeben. Wenn die Schauspieler immer memoriren sollten, sie wären schon längst alle wahnsinnig geworden!

Wehmüthig hatte bisher der Amtsrath jeden der Sprechenden betrachtet. Entsetzt über den dreifachen Frevel, daß sein künftiger Schwiegersohn den Nichtlernern das Beispiel gegeben, daß er die Ungebühr noch vertheidigte und den Bayard, den Liebling des Schwiegervaters, so öffentlich heruntermachte, wurde er auch jetzt der Rede nicht mächtig, sondern begnügte sich, den Rebellen mit großen Zornblicken anzustarren.

Aber, meine beßten Herren, begann er nach einer langen Pause mit einer Sanftmuth, die das Resultat gänzlicher Zermalmung war: so geht es doch, beim Himmel! nicht. Wir bestehen ja mit Schimpf und Schanden, und ich ärgere mir irgend eine tödtliche Krankheit an den Hals. Thun Sie mir altem Manne doch nur die einzige Liebe und lernen Sie Ihre Rollen und Röllchen firm, damit wir 176 den Tag vor der Aufführung noch eine ordentliche General-Probe halten können. Es wird dieß wohl ohnedem das letzte Stück seyn, in dem ich auftrete.

Laut lachte Brauß über des Amtsrathes Rührversuch, der bei den Officieren eben so wenig anschlagen wollte.

General-Probe? fragte Lieutenant Falkenberg. Die haben wir ja, dächte ich, heute gehalten mit allen Chicanen. Leseprobe haben wir auch gehabt, und damit ist es auf Ehre übrig genug!

Ich würde auch schwerlich Zeit haben, bemerkte Graf Erbach. Ich muß in Remonte-Geschäften der Schwadron nach der Grenze.

Die ganze Geschichte ist ja überhaupt nur ein Spaß, sprach Lieutenant Seethal. Wir wollen den alten Herrn General recht gern amüsiren, aber er ist ja nicht mehr im Dienst, und da haben wir doch auch gerade nicht nöthig, so stramm vor ihm zu stehen, wie auf der Parade.

Eine Probe möchten wir freilich noch 177 halten, bemerkte jetzt doch Brauß: denn die heutige ist in der That für nichts zu rechnen.

Für Sie wohl, Theurer, weil Sie sie geschwänzt haben, fuhr Graf Erbach heraus, der den Herrn von Brauß nicht sonderlich liebte.

Also, weil es Ihnen beliebt hat, rief der trotzige Falkenberg: unnöthiger Weise nach der Residenz zu kutschiren, deßhalb sollen diese Officiere ihre vier Meilen von ihrer Garnison her und zurück noch einmal reiten. Auf Ehre, das würde ich meinen Kameraden sehr verdenken!

Händel haben gerade noch gefehlt, seufzte der Amtsrath. – Wespe! O Du mein Wespe, wo steckst Du?!

Aha! rief in diesem Augenblicke der citirte spiritus familiaris von der Rangloge herunter. Hier steht schon der rothe Sammetsessel für den Herrn General. Aber der Herr Amtsrath möchten doch noch einen heraufbringen lassen, wenn etwa doch noch der Herr Feldmarschall käme!

Wie?! Was?! schrieen die Officiere bestürzt 178 unter einander, und dann zu Wespen hinauf: Der Feldmarschall! Welcher Feldmarschall?!

Fürst Hohenburg, antwortete Wespe. Wie es heißt, reiset er gerade am Spieltage hier in der Nähe vorbei. Er ist ein alter Freund des Generals, und da ist es leicht möglich, daß er einen Abstecher macht, um ihm zum Geburttage zu gratuliren.

Teufel, der Feldmarschall! riefen die Officiere. Auf Ehre, das ist eine verfluchte Geschichte!

Jacob! eiferte, in Wespe's Plan eingehend, der Amtsrath. Jacob, den andern rothen Sammetsessel aus meinem Schlafkabinet sogleich hinauf in die Loge, daß ich es nicht am Ende vergesse in dem Wirrwarr! Sie haben ganz Recht, Herr Wespe, und ich danke Ihnen herzlich für diese Erinnerung.

Habe ich doch von der Reise des Feldmarschalles kein Wort gehört, sagte zweifelnd Graf Erbach.

Ich auch nicht, fiel der Amtsrath ein: auch ist mir der hohe Besuch noch 179 keinesweges gewiß, aber man thut doch wohl, sich in Zeiten vorzusehen, damit man nicht nachher auf eine unangenehme Weise überrascht wird. Drum thun Sie mir nur die Liebe, beßter Herr Graf, und schaffen Sie mir von Ihrem alten Herrn Onkel für Geld und gute Worte ein Paar Fläschchen Tokayer. Ihr Herr Onkel ist der Einzige in der Gegend, der ihn echt hat, und mir läßt er keinen ab, und wenn ich ihn mit Gold aufwiegen wollte. Der Feldmarschall trinkt ihn gern, und ich spränge vor Freuden aus der Haut, wenn ich in meinem Hause doch etwas hätte, was dem Herrn schmeckte.

Aber mein Onkel ist zähe, bemerkte der Graf. Er hält seinen Tokayer hoch, und wird mir nichts dabei schenken. Wenn nun der Feldmarschall nachher gar nicht kommt –

So stechen wir die Flaschen mit einander auf seine Gesundheit aus! rief lustig der Amtsrath. Immer besser, als wenn sie uns fehlen in der Zeit der Noth. Besser verwahrt als beklagt!

180 Ja wohl, ja wohl! murmelten die glücklich getäuschten Officiere, und Lieutenant Falkenberg erkundigte sich sehr bescheiden bei dem Amtsrath nach der Stunde der General-Probe.

Heute setzest Du Dich vor mein Bett, sprach Lieutenant Seethal zu seinem Burschen, der ihm den Mantel gebracht hatte: und soufflirst mir die ganze Nacht in einem fort meine Rolle, und, Kerl, wenn mir morgen früh eine Sylbe fehlt, auf Ehre! so bekommst Du von meinen Händen fünf und zwanzig aus dem ff.

Sehr wohl, mein Herr Lieutenant, antwortete der gepreßte Souffleur, ohne eine Miene zu verziehen, und hielt seinem Herrn den Mantel, zum Hineinfahren ausgebreitet, mit steifen Armen hin.

Also Sonnabend Nachmittag zwei Uhr ist General-Probe, meine Herren! schrie Graf Erbach mit donnernder Commandostimme: und ein Hundsfott, der ausbleibt!

Und ein Hundsfott, der seine Rolle nicht kann! schrie Falkenberg, den Herrn von Brauß lachend auf die Schulter schlagend.

181 Ein Hundsfott, va! riefen lachend die übrigen Officiere und toseten klirrend davon.

Wespe! Du bist ein Gott! rief der Amtsrath, den Referendar unter heißen Dank- und Freudeküssen umarmend, prallte dann zurück, stöhnte ein langes, klägliches Oh! über die abermalige unverzeihliche Vergessenheit, und wünschte dem Herrn Referendar, mit einem steifen Bücklinge, wohl zu schlafen.

Kann ich Sie heute noch auf einen Augenblick sprechen? fragte Wespe leise Aphanasien unter dem Abschiedhandkusse.

Mamsell Willig wartet Ihrer schon, antwortete das Mädchen mit feindlicher Kälte. Gute Nacht!

Rasch entzog sie ihm das Händchen und eilte dem Vater nach, und wie gelähmt schlich der arme Mensch fort, der harrenden Laura das schuldige Anerbieten des Nachhauseführens zu erweisen. 182

 


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