Carl Franz van der Velde
Das Liebhaber-Theater
Carl Franz van der Velde

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13.

Eine halbe Stunde früher, als er beschieden war, griff sich Wespe durch die dunkeln, 191 wohlbekannten Gänge nach Thaliens Tempel fort. Endlich war er auf die Bühne gelangt und lehnte sich harrend an eine Säule des Prosceniums. Der Mond warf sein melancholisches Licht durch die Logenfenster auf die Wald-Decoration. Wespe sah zu ihm hinauf und seufzte, denn in seiner Brust stritten die Gefühle feindlicher mit einander, als es morgen die französischen und hispanisirten Dragoner der löblichen Schwadron Graf Erbach unter seinem Commando thun sollten. Nicht der Schmerz über den Zorn der Geliebten, den er zu vernichten hoffte, wenn sie ihn nur anhörte, aber Aerger und Scham über die zum Theil nicht ganz löblichen Griffe und Kniffe, mit denen er nach dem Kranze am Ziele rang, fielen in der stillen Einsamkeit mit doppelter Wuth sein sonst so ehrliches und stolzes Herz an.

Was entschuldigt die Liebe nicht! tröstete er sich endlich selbst, aber gleich darauf fragte er: Spitzbüberei? Schwerlich! Ach, mir wird nichts weiter übrig bleiben, als mich nach dem 192 Bayard dem Amtsrath zu Füßen zu werfen, ihm alles zu gestehen, und es dann darauf ankommen zu lassen, ob er mich als Sohn an seine Brust nimmt, oder mir die Thür weis't. Amen, ja, das soll geschehen, damit ich nur wieder vor mir selbst die Augen aufschlagen kann!

Da knisterte ein Damenschuh. Aphanasia! hauchte er und schlich dem Geräusch entgegen. Aber in dem Augenblick erkannte er in dem Reflex des Mondlichtes den scharlachenen Atlaspelz der Frau von Horst und rettete sich, auf den Zehen hinter den Coulissen wegspringend, in die Höhle bei Longara.

Ungeduldig ging die Dame auf der Bühne auf und nieder und sah oft nach der Thür.

Wenn Aphanasia nur dießmal zögerte, seufzte der Troglodit, und leise, leise klirrte ein Paar Silberspornen heran.

Mir ist wieder, wie in den ersten Augenblicken unserer Freuden! rief Herr von Brauß, die Harrende an seine Brust reißend, mit Fernando's Worten. Ich habe Dich in meinen 193 Armen. Ich sauge die Gewißheit Deiner Liebe auf Deinen Lippen und taumle und frage mich staunend, ob ich wache oder träume?

Nun, Fernando, antwortete die neue Stella, ihn lächelnd küssend: wie ich spüre, gescheiter bist Du nicht geworden!

Das ist aber doch auch gar zu platt, murrte es in der Höhle bei Longara.

Gott! was war das? schrie Frau von Horst. – Wir sind nicht allein!

Der Wiederhall in dem leeren Saale täuscht, tröstete Brauß, und zog seine Dulcinea mit zärtlicher Gewalt nach der Rasenbank, auf der er als Bayard seinen letzten Seufzer ausgehaucht hatte.

Nein, ich bleibe nicht hier! jammerte sie, ernstlich widerstrebend. Die Angst würde mich tödten, wenn man uns überraschte! Gute Nacht, lieber Brauß!

Aber wann und wo das Wiedersehen? drängte Brauß. Bis morgen zum Stück ist noch eine ewige Zeit, und dann sehe ich Sie doch nur vor Zeugen.

194 Wie ungeduldig auf einmal wieder! lispelte die Dame. Mein Mann geht morgen früh auf die Jagd. Warten Sie um neun Uhr an der Gartenthür.

Sie flog davon. Brauß folgte ihr. Bedachtsam kroch Wespe aus seiner Höhle heraus.

Gott sey Dank! rief er. Nun ist mir ein Aetna von der Brust gewälzt. Es gibt noch einen weit ärgern Spitzbuben in der Welt als mich, und der ist gerade mein Nebenbuhler, und es ist sogar meine Pflicht, das arme, unschuldige Lamm diesem Wolfe aus dem Rachen zu reißen, selbst wenn ich die Hoffnung aufgeben müßte, es in meinen Pferch einzuführen! Schon die saubre Horst, als Freundin, auch des ungeliebten Gatten, wäre hinreichend, die eifersüchtige Aphanasia am Gallenfieber oder an der Abzehrung hinzuraffen. Nun, du practische Menschenkenntniß, die der dumme Haufe mit dem Namen List brandmarkt, du treue Bundgenossin, der ich schon thörigerweise absagen wollte, komme wieder herzu!

Arm in Arm mit dir,
So fordr' ich mein Jahrhundert in die Schranken!

195 Abermals knisterte ein Damenschuh. Dießmal war es Aphanasia. In voller Liebeglut stürzte ihr Wespe entgegen, aber sie wies ihn ernsthaft zurück, setzte sich auf die vorerwähnte Rasenbank, die jetzt ganz hell vom Monde beschienen wurde, und winkte ihm, gegenüber auf einem grau bemoos'ten hölzernen Steine Platz zu nehmen, wozu er doch keine Lust hatte, weil er wußte, wie schlecht sich eine unbildlich sitzende Gestalt bei zierlichen, feurigen Reden ausnimmt.

Hätte ich das, sprach Aphanasia mit erkünstelter Ruhe: was ich jetzt weiß, schon gewußt, als ich Ihnen diese Zusammenkunft versprach, ich würde sie Ihnen versagt haben, selbst auf die Gefahr, daß Sie Ihre Drohung wahrgemacht hätten. Aber ich habe einmal mein Wort gegeben, das muß ich halten; es sey mir zugleich eine Strafe dafür, daß ich Ihnen vertraute, daß ich wegen Ihnen meinen guten Vater täuschte. Was können Sie mir noch zu sagen haben?

Nichts, Aphanasia, antwortete Wespe, 196 bestürzt über die schnöde Anrede: nichts als eine Frage nach der Quelle Ihres Zornes, um mich dann rechtfertigen zu können. Denn bis jetzt weiß ich von nichts, und ich fürchte doch nicht, daß Sie es wie die heilige Inquisition machen werden, die, ohne dem armen Ketzer sein Verbrechen zu nennen, frisch darauf los foltert, bis es ihm selbst einfällt. Was habe ich gesündigt?

Wahrscheinlich, sprach bitterlächelnd Aphanasia: haben Sie es im Rausche Ihres Minneglückes gar nicht bemerkt, als ich in der Spielprobe im fünften Akte bei Ihnen vorbeiging.

Dachte ich es doch! rief Wespe, mit dem Fuße stampfend. Das Bischen Umarmung! Tant de bruit pour une omelette! Hatten wir uns nicht längst gegen einander ausgesprochen? Haben Sie ganz vergessen, daß, wenn Sie eine Miranda auf der Bühne haben wollten, ich mit ihr den Liebhaber hinter den Coulissen spielen mußte?

Das Bischen Umarmung! rief Aphanasia, 197 weinend vor Zorn und Eifersucht. So umarmt kein Mädchen einen Mann, der ihr nicht Alles war und Alles werden soll. Und nur die Verworfenste ihres Geschlechts kann einen Mann auffordern, der Liebe zu leben, wenn sie seiner Liebe nicht schon gewiß ist.

Aber, lieber Engel, fragte Wespe kläglich: wie komme ich dazu, für die Uebertreibung zu büßen, die sich diese vielliebende und vielbeliebte Laura im erotischen Rollenfache zu Schulden kommen läßt?

Es ist grausam und unedel zugleich, seine erklärte Braut zu verhöhnen! rief Aphanasia aufspringend.

Meine Braut?! Laura meine Braut?! schrie Wespe. Nun, so soll doch Feuer und Schwefel, Pest und Wolkenbruch –

Ersparen Sie sich den Unsinn, sprach Aphanasia bitterböse. Sie hat sich selbst als Ihre Braut bekannt an mehreren Orten in der Stadt. Frau von Horst und die Horneck sind meine Zeugen.

Bekannt?! schrie Wespe: bekannt?! Nun 198 gut, ich will auf der Stelle zu der entsetzlichen Weibsperson hinrennen und ihr ein Bekenntniß ablegen, daß ihr die Haare zu Berge stehen sollen!

Er ging rasch fort. Ja so! sprach er, umkehrend. Wenn ich ihr das schon heute Abend bekenne, was ich auf meinem Herzen habe, so bekennt sie Ihnen morgen, daß unser Bayard in die Brüche fällt; und daß dieser morgen gegeben und brillant gegeben wird, darauf habe ich einmal meinen Kopf gesetzt. Drum muß ich mich Ihnen vor der Hand auf Discretion ergeben. Können Sie es bis morgen Abend ohne weitern Beweis glauben, daß ich nur ein Schelm für Sie, nie gegen Sie bin, so ist es gut und herrlich. Können Sie das nicht, können Sie es wirklich über Ihr weiches Herz bringen, so lange ohne erheblichen Grund auf den armen Eduard zu zürnen, so thun Sie es. Ich habe schon genug gelitten um Ihretwillen. Ich werde auch das noch überstehen, und desto süßer wird es seyn, wenn Sie mir morgen Abend die Kränkung abbitten und 199 ich den Versöhnungkuß auf Ihre Rosenlippen drücke.

Wie er so ehrlich thun kann, sprach Aphanasia unter Thränen lächelnd. Ach, mein Vater hat wohl Recht damit, was er erst diesen Abend von Ihnen sagte!

Nun? und was sagte er denn? fragte Wespe lustig. Etwas Rühmliches wird es wohl auf keinen Fall gewesen seyn.

Wenn der Jude zum Schwur kommt und Wespe zum Reden, antwortete wider Willen lachend Aphanasia: so ist Beiden geholfen.

Das wäre schmeichelhaft, wenn es wahr wäre, sagte Wespe: und wäre ich französischer Advocat, lucrativ obendrein. Uebrigens haben Sie jetzt eben gelacht, Aphanasia, also können Sie nicht mehr böse seyn, also haben Sie Ihr Unrecht schon heute eingesehen, also sind Sie mir wieder gut, und also – liebst Du mich wieder? Nicht wahr, holdes Mädchen?

Er hatte sie bei diesen Worten umschlungen und sah ihr wieder so treu in die Augen, daß sie ihr Ja in dem Kusse aussprach, mit dem sie ihre Lippen den seinen vermählte.

200 Victoria! rief Wespe. Nun ist Alles in Ordnung, nun werden wir wenigstens die Nacht so ruhig verschlafen, als es verliebte Leute im Stande sind. Und das ist höchst ersprießlich, denn wir brauchen doppelte Munterkeit für die morgende Haupt- und Staats-Action.

Zur guten Nacht noch eine Bitte, Eduard, sprach Aphanasia. Keine neue Schelmerei! Was bisher geschehen mußte, that mir schon so weh. Laß jetzt alles seinen natürlichen Gang gehen. Du bist schon auf dem Wege zu meines Vaters Herzen. Mache keinen falschen Sprung mehr, das Ziel früher zu erreichen.

Nur noch einen einzigen, liebe Aphanasia! rief Wespe: aber einen wahren Salto mortale! Der ist unerläßlich und schon Alles dazu vorbereitet. Hindere mich nicht dabei. Glaube mir, das ist das Beßte, was ich thun kann. Ich habe mir Alles reiflich überlegt. Ich könnte mir zwar noch anders helfen, ich dürfte nur jemandem Nachricht geben von 201 Wilddieberei in seinem gehegten Reviere, während er auf der Jagd ist, aber die Aushilfe wäre boshaft und könnte tragisch enden. Die Posse hat lustig begonnen, und lachend wollen wir bei dem Sinken der Gardine das Dank-Compliment an das verehrungwürdige Publicum machen.

Sage mir aber, was Du eigentlich brütest? fragte Aphanasia, mit ihrer weißen Hand sein Kinn fassend, und ihn forschend ansehend.

Ich sage nichts! rief Wespe mit einem großen Aufwande von Declamation: ich sage wenig, sage nur so viel:

Es ist entschieden, nun ist's gut – und schnell
bin ich geheilt von allen Zweifelsqualen.
Die Brust ist wieder frei, der Geist ist hell.
Nacht deckt den Brauß, wo Wespe's Sterne strahlen!
Mit zögerndem Entschluß, mit wankendem Gemüth
wurd' ich ein Schelm, ich ward's mit Widerstreben,
da es in meine Wahl noch war gegeben.
Nichtsnuztzigkeit ist da, der Zweifel flieht,
jetzt fecht' ich für Dein Glück und für mein Leben!

Sprach's, küßte rasch Aphanasia's Lippen noch einmal und war verschwunden.

202 Ach, Liebe, Qual und Lust! seufzte Aphanasia, und folgte ihm langsam nach.

 


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