Carl Franz van der Velde
Das Liebhaber-Theater
Carl Franz van der Velde

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7.

Der Senior stand vor dem Spiegel seiner Studirstube, sein theures Bild mit der gutmemorirten Traurede wohlgefällig anpredigend. Eben erscholl sein Amen, als, nach dreimaligem bescheidenen Klopfen, auf sein Herein, der Referendar Wespe, schwarz gekleidet, mit 106 einem gekrümmten Candidatenrücken in das Zimmer trat.

Ein literarisches Bedürfniß führt mich zu Ewr. Hochwürden, sprach er mit einem tiefen, ehrfurchtvollen Bücklinge. Ich habe von dem Umfange und seltenen Gehalte Ihrer Bibliothek gehört und bin überzeugt, daß ich hier oder nirgend Hilfe für mein Bedürfniß finde.

Meine Büchersammlung ist ziemlich bedeutend, erwiederte der Senior mit beifälligem Lächeln: und ich wünsche herzlich, Sie zu befriedigen, lieber, junger Mann. Was steht Ihnen denn eigentlich zu Dienste?

Einige Notizen über die französischen Kleidertrachten aus dem Anfange des sechszehnten Jahrhunderts, erwiederte Wespe: und über die Decoration des päpstlichen Ordens vom goldenen Sporn.

Ei, ei, wozu brauchen Sie denn die? fragte neugierig der Senior.

Für das Costüm in dem Trauerspiel Bayard, das in vierzehn Tagen gegeben werden soll, antwortete Wespe mit kläglichem Tone und trauriger Gebehrde.

107 Also doch noch! rief der Senior verdrießlich. – Wie kommen Sie aber dazu, Domine, sich in dieser Angelegenheit gerade an mich zu wenden? Ich glaube doch nicht in dem Rufe zu stehen, daß ich dergleichen Ergötzlichkeiten billige, geschweige denn zu deren Ausführung hilfreiche Hand leiste.

Die Noth entschuldigt viel, Hochwürden! erwiederte Wespe achselzuckend: der Herr Amtsrath betet nun einmal die theatralische Muse an, wenigstens eben so brünstig, als die Epheser ihre große Diana. Ich habe dringende Veranlassung, ihn mir zum Freunde zu machen, und muß daher sein Steckenpferd cajoliren, wie es nur gehen will. Nun kann mir aber niemand über das objectum quaestionis so gründliche Auskunft ertheilen, als Ew. Hochwürden. Es wird mir freilich schwer, diesem Baal nachzuhinken.

Soll man Ihnen das wirklich auf Ihr ehrliches Gesicht hin glauben? fragte der Senior mißtrauisch, der schon vorhin bei der großen Diana, in der er eine alte Bekannte fand, gestutzt hatte.

108 Hätte ich auch nicht gelesen, eiferte Wespe: was Cyprianus, Minutius Felix und Lactantius über die Schaubühne geschrieben, so würde Julianus Apostata meine Ideen über diesen Punkt berichtigt haben. So ruchlos dieser Heiden-Kaiser gegen das Christenthum gewüthet hat, so wenig kann man ihm Weltklugheit und Energie absprechen. Und wenn nun dieser in seiner Epistola ad Arsacium es für eine große Ursache des Verfalls des Heidenthumes erklärt, daß die Heidenpriester das Schauspiel besucht; wenn er ausdrücklich befiehlt, daß die Priester der Götter die Unfläthereien des Theaters dem Pöbel allein überlasse und solche völlig verabscheuen sollten –

ἀξιω δε τους ἱερας ὑποχωρησαι, και ἀποστηναι
τῳ δημῳ, της ἐν τοις ϑεατροις ἀσελγειας.

fiel des Seniors volltönendes Organ ein. Sehr richtig und wahr! Doch sagen Sie mir, liebster Freund, wie kommen Sie, als Jurist, zu dieser theologischen Gelehrsamkeit?

Ehrlich gestanden, Herr Senior, erwiederte Wespe mit erkünstelter Verlegenheit: ich habe 109 sie nicht eigentlich durch Studium, sondern durch Lectüre erworben. Erröthend muß ich es bekennen, ich dachte früher über das Theater – wie der Amtsrath, – aber gestern habe ich in seiner Bibliothek ein kleines Buch gefunden und, ich kann sagen, verschlungen, das mich ganz andern Sinnes gemacht hat.

Den Titel? fragte der Senior schmunzelnd.

Die große Diana der Epheser, antwortete Wespe: oder die entlarvte Schaubühne. Leider fehlt der Name des Autors, der, nach seinem Werke zu schließen, ein tiefer, scharfer Denker und ein stuppender Gelehrter seyn muß.

Ach nein, ach nein! rief der Senior, in Wonne vergehend. Sie thun dem Autor zu viel Ehre an. Ein armer Diener des Wortes, so gut als auf dem Dorfe lebend, mit geringen Hilfquellen versehen –

Ew. Hochwürden kennen ihn also?! rief feurig Wespe, des Seniors Hände ergreifend. Lebt er vielleicht hier in der Nähe? O nennen Sie mir seinen Namen! Ich muß ihn kennen lernen, denn so hat noch kein Buch zugleich 110 meinen Kopf und mein Herz ergriffen, wie dieß Meisterstück.

Sie finden also, daß der Mann Recht hat? fragte lächelnd der Senior. Nun das ist mir lieb. Er ist mein sehr guter, sogar mein beßter Freund!

Vielleicht gar? – wäre es möglich?! rief Wespe mit gutgespielter Ueberraschung. Ja, gewiß, Ew. Hochwürden sind es selbst! Das Urtheil über Sie, das mir allenthalben entgegenschallt, gibt mir die Ueberzeugung. Wie glücklich schätze ich mich, den Schriftsteller persönlich kennen zu lernen, der mich so gründlich überzeugt, so tief gerührt, so schlagend überwunden hat!

Mein lieber, junger Mann! rief der gerührte Senior, dem Referendar ein Paar zärtliche Küsse applicirend. Schenke das numen divinum nur allen unseren Jünglingen diese Empfänglichkeit für das Gute und Wahre, dann werden die Lehrer des Volkes leichtes Spiel haben!

Diese frohe, mir so theuere Nachricht, 111 sprach Wespe: bringt mich auf einen, vielleicht guten Gedanken, und gibt mir zugleich den Muth, ihn Ewr. Hochwürden vorzutragen. Die Ausführung dürfte einige Mühe machen, aber Sie haben es ja bereits der Welt bewiesen, daß Sie gern den Born Ihres Wissens öffnen zum Heil Ihrer Mitbürger, daß Sie keine Mühe und keine Nachtwachen scheuen, wenn es darauf ankommt, zu belehren und zu bessern.

Amtspflicht, mein Lieber! erwiederte der Senior. Nichts als schuldige Amtspflicht! Dafür sind wir ja da. Was wäre denn eigentlich Ihre Intention?

Der Amtsrath, sagte Wespe: der seine große Diana um jeden Preis bei Ehren erhalten will, thut sich besonders darauf etwas zu Gute, daß der Bayard, den wir jetzt aufführen wollen, ein höchst moralisches Stück sey. Seit ich Ihre Schrift gelesen habe, kann ich diesen Vorzug keinem Schauspiele einräumen, und ich habe es schon versucht, die Immoralitäten im Bayard aufzudecken. Es hat mir 112 aber nicht gelingen wollen, was, wie ich glaube, blos an mir liegt. Da hätte ich die Idee, ob Sie nicht vielleicht einen kleinen Aufsatz über das Machwerk schreiben und zeigen wollten: Ubi anguis latet in herba. Ist ein Mensch der Erde dazu vermögend, so sind es der Herr Senior.

Ja, liebster Freund, erwiederte der Senior: das möchte ich recht gerne thun, und wäre auch wohl des Erfolges gewiß. Aber ein dergleichen Vornehmen hat seine besonderen Bedenklichkeiten und wird oftmals gar übel honorirt. Die Epheser lassen ihrer großen Diana nichts zu Leide thun. Es könnte mir leichtlich ergehen, wie damals dem Gajo und Aristarcho aus Macedonia, Pauli Gefährten!

Ich verbürge mich für Ihre Anonymität, fiel Wespe ein. Schlimmsten Falles will ich den Aufsatz auf mich nehmen und mich, als eitle Krähe, mit Ihren herrlich glänzenden Federn schmücken. Mir liegt besonders daran, den Amtsrath zu bekehren. Diese Schwäche abgerechnet, ist er ein vortrefflicher Mann, 113 aber, wie alle Naturalisten in der Philosophie, nur a posteriori, nicht a priori zu gewinnen. Ihre tiefen Raisonnements in jenem Werkchen, Ihre wahrhaft einzige Dialectik, sind ihm zu trocken. Er kann nur gewonnen werden durch ein Argumentum ad hominem, und das wäre der Beweis, daß gerade der von ihm gepriesene Bayard ein höchst unsittliches Stück sey. Freilich ein Beweis, der sehr schwierig seyn wird, denn ich dächte beinahe, daß eine fast lästige Tugend-Ueberladung darin zu finden wäre.

Das müßte nur Spaß seyn! rief mit Selbstgefühl der Senior. Wenn ich nur die Scharteke hätte, ich wollte es dem Amtsrath und der Welt beweisen, wie es damit beschaffen ist.

Hier ist sie, erwiederte Wespe, ihm den Bayard überreichend. Ich hatte sie zu mir gesteckt, um sie bei den historischen Nachforschungen zu adhibiren. Utinam, bonis avibus! Es wäre mir eine große Freude, wenn ich dadurch mittelbar Veranlassung gäbe, daß der Dianen-Tempel auf dem Schlosse vernichtet 114 würde, dessen Dienst mir seit gestern eben so langweilig als lästig vorkommt, und dessen Herostrat ich gern werden möchte.

Wir werden ja sehen, sprach, schon im Geiste triumphirend, der Senior, und fing an im Buche zu blättern.

Freilich ist das noch im weiten Felde, fuhr Wespe unbefangen fort, und dießmal werde ich schon noch einmal mit um den Altar tanzen müssen. Der Amtsrath hat seinen Kopf darauf gesetzt, das Stück zu geben. Es ist sein Ehrenpunkt, und ich würde ihn zu meinem unversöhnlichen Feinde machen, wenn ich das Geringste dagegen einwenden wollte.

Meinen Sie? fragte der Senior schon verlegen, weil er an seine Manövres gegen die Aufführung dachte.

Deßhalb wollte ich auch noch eine Bitte an Ew. Hochwürden wagen, sprach Wespe. Der gute Conrector ist im Begriff, sich in recht große Verlegenheiten und Unannehmlichkeiten zu bringen, ja vielleicht ganz und gar unglücklich zu machen; und da ich weiß, wie 115 väterlich der Herr Senior gegen ihre Untergebenen gesinnet sind, so hoffe ich, daß Sie Ihren Einfluß auf den guten Mann, zu seinem wahren Heil, anwenden werden.

Wie so? Wie meinen Sie das? fragte der Senior noch verlegner.

Des Conrectors beide Töchter sollten im Bayard mitspielen, erzählte Wespe. Er aber hatte es gerade zu abgeschlagen, weil es sich für ihn, als einen Schulmann und Theologen, nicht gezieme, seinen Kindern dergleichen zu gestatten. Er hat Recht, vollkommen Recht, aber er hat wahrhaftig nicht weltklug gehandelt. Ungerechnet, daß er den reichen Amtsrath, der so viel Einfluß in der Residenz hat, quasi in das Gesicht schlägt, so beleidigt er auch noch den General Rheinstein, zu dessen Geburtfeier das Stück gegeben werden soll. Der General aber, wie ich aus sicherer Hand weiß, ist der Vetter des Consistorial-Präsidenten –

Ach, Gott! das habe ich nicht gewußt! unterbrach ihn erschrocken der Senior.

116 Des Consistorial-Präsidenten, fuhr Wespe nachdrücklich fort: von dem das Schicksal des armen Schulmannes abhängt.

So wie jedes Geistlichen! seufzte der Senior mit großer Betrübniß und wahrer Reue.

Nun wissen Ew. Hochwürden wohl, fuhr Wespe altklug fort: man kann freilich den Conrector deßhalb nicht ab officio amoviren, weil er seine Töchter nicht Comödie spielen lassen will, aber was für Mittel hat nicht eine Oberbehörde in den Händen, wenn sie dem Untergebenen das Leben schwer machen will. Da kann er nichts recht machen, und die Nasen fallen, gerade, wo er es recht gut gemacht zu haben glaubt, wie ein Blitz aus heiterem Himmel auf ihn herab. Nie fehlt es an Vorwänden, Verbesserung-Aussichten zu vernichten, die Arbeit wird gehäuft und belästigt –

Die Emolumente werden beschnitten! fiel der Senior hitzig ein. O Gott! Wer kennt diesen verruchten modum nicht! Ich – der arme Conrector dauert mich schon im voraus!

Das Schlimmste dabei ist, sprach Wespe: 117 daß das leidige Militair in der Sache melirt ist. Dem respectabeln Veteran zu Ehren hat sich dießmal eine Menge Officiere bei der Darstellung engagirt. Die Herren versprechen sich nebenbei viel Vergnügen davon, und werden Feuer und Flamme speien, wenn nichts daraus wird. Die Lieutenants von Falkenberg und Seethal sind besonders ganz tolle Christen. Wenn die erfahren, daß der Conrector daran Schuld ist, sie sind es im Stande und gehen ihm in seinem Quartier zu Leibe, und was dann geschehen kann, wenn er bei seiner Weigerung beharrt, das begehre ich nicht zu verantworten.

Sie sind es capabel, sie greifen ihn thätlich an! jammerte der Senior und rang die Hände. Und wenn sie dem furchtsamen Manne stark zusetzen, so schiebt er am Ende, um sich zu retten, die Schuld auf unschuldige Leute, deren Reden er offenbar mißverstanden hat.

Es kann viel Unheil daraus entstehen, meinte Wespe. Der Herr Senior müssen es freilich besser wissen, was hier zu thun ist, 118 als ein Laie; aber wenn ich meine unvorgreifliche Meinung sagen darf, so möchten Ew. Hochwürden als Vorgesetzter dem guten Conrector rathen, für dieses Mal zum bösen Spiel eine gute Miene zu machen und der großen Diana eine Kerze anzuzünden. Es ist doch immer besser, als wenn dergleichen traurige und ärgerliche Ereignisse eintreten sollten.

Ja – ich – wenn nur – stammelte der Senior, der in seiner Herzensangst nicht wußte, wie das alte Mandat, das er an den Conrector erlassen, mit dem neuen Rathe anständig zu vereinigen sey.

Ueberlegen der Herr Senior die Sache, schloß Wespe sehr ruhig. Ich habe jetzt nur noch einen nöthigen Besuch zu machen. Aber in zwei Stunden bin ich wieder hier, um die Bücher in Empfang zu nehmen, die Sie mir vielleicht unterdeß auszusuchen die Güte gehabt haben werden. Dann können wir ja mehr darüber sprechen. Ich würde mich überhaupt glücklich schätzen, wenn es mir erlaubt wäre, die noch kurze Zeit meines hiesigen 119 Aufenthaltes zu benutzen und mich durch den instructiven Umgang mit einem Manne auszubilden, den ich so über alle Beschreibung verehre.

Er schied unter den Umarmungen des gerührten und geschmeichelten Seniors, stolperte mit triumphirendem Kopfnicken die steile Treppe hinab, und hinter ihm her rief schon die Stentorstimme des Beschwatzten: Liese, springe sogleich zu dem Herrn Conrector hinüber, und bitte ihn, sich auf einen Augenblick zu mir zu bemühen!

 


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