Carl Franz van der Velde
Das Liebhaber-Theater
Carl Franz van der Velde

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1.

An einem stillen, trüben Winter-Sonntage, um die Zeit, wo in der Residenz das Schauspiel angeht, strömten auch die Honoratioren des Städtleins Krautberg durch das Thor, welches die Stadt mit dem Schlosse des Amtsrathes Hastig verbindet. Auf Phaetons und Whisky's, in Bomben, Karreten und Korbwagen rollte der umwohnende Landadel mit der Geistlichkeit, den echten und unechten Ober-Amtmännern und den Wirthschaftinspectoren herbei. Mit schallendem Gelächter und verhängtem Zügel kamen die Officiere des Dragoner-Regimentes angesprengt, das in der Gegend stand. Alles drängte sich in dichten Haufen die breite Schloßtreppe hinauf, um sich an Kotzebue's Stricknadeln, die heute gegeben wurden, und daneben an den sarkastischen 8 Bemerkungen zu ergötzen, zu denen dergleichen Darstellungen in der Regel jeden Zuschauer begeistern.

Während dem stand der Amtsrath, schon im vollen Kostüm des Advocaten Burrmann in seinem Schlafkabinet vor dem Spiegel, malte sich mit dem schwarzen Tuschpinsel die erforderlichen Falten nach den Vorzeichnungen, die das Alter schon auf seinem Gesichte angelegt, und relevirte Nase und Backenknochen mit etwas Kugellack.

Am Fenster lehnte Aphanasia, seine reizende Tochter, und soufflirte zum dritten Male dem schwerlernenden Vater die kurze Rolle. Aber seine Gedächtnißlücken entgingen ihr fast ganz, denn sie sah sehr häufig neben der Rolle weg durch die Dämmerung nach dem Schloßthore, mit so brennenden Blicken, als ob sie von daher etwas recht Angenehmes erwarte. Endlich schien das Erwartete zu kommen, denn das Mädchen erröthete auf einmal sehr lieblich, mit einem leisen Seufzer der Ungeduld schlug sie das Blatt um, und ließ ihren Vater schließen, 9 wie es dem Himmel gefiel und seinem Gedächtniß.

Du kannst es ja ganz vortrefflich, Väterchen! rief sie, und flog der Thüre zu.

Es wäre zu wünschen, brummte der Amtsrath. Du könntest mich immer noch einmal überhören.

Das wäre wirklich nur Schade um die überflüssige Mühe, erwiederte Aphanasia, die Klinke aufdrückend: schlimmsten Falles ist ja in den Zwischenakten noch Zeit dazu. Auch muß ich noch die Lichter in das Orchester herausgeben, und die Ingredienzien zum Punsch für die Garderobe. Es wird gleich fünfe schlagen.

Indem trat der Amtsbote mit den Postsachen herein. Ich wollte auch, daß Er geblieben wäre, wo der Pfeffer wächst! polterte der Amtsrath, ihm die Briefe aus der Hand reißend. Jetzt, wo man sich sammeln soll, bringt Er die fatalen Postsachen. Da steht vielleicht wieder allerlei Verdruß und Aergerniß darin, das mich für den ganzen Abend verstimmt.

10 Der gestrenge Herr Amtsrath dürfen die Briefe ja nur heute nicht aufmachen, schlug der treue Knecht vor, und schnitt dabei gräßliche Gesichter, um das Lachen zu verbeißen, zu dem ihn das Zerrbild des Prinzipals verführen wollte.

Er redet, wie Er es versteht! schalt der Amtsrath. Wie könnte ich einen unerbrochenen, ungelesenen Brief an mich in meinem Hause über Nacht leiden! Er würde mir keinen Augenblick Ruhe lassen.

Denn leichter trägt der Mensch, declamirte scherzend Aphanasia: das sichere Unglück, als die Furcht davor! Darf ich jetzt gehen?

Der Amtsrath hatte unterdeß das erste Schreiben entsiegelt, und winkte schon, in das Lesen vertieft, der Tochter ungeduldig die Entlassung zu. Die Pantomime, verbunden mit dem Unwillen auf der bemalten Larve, kam dem Amtsboten so possierlich vor, daß alle Zügel seiner Ehrfurcht auf einmal rissen und er dem Vorgesetzten geradezu in's Gesicht lachte.

11 Ist Er bei sich?! fragte der Amtsrath ärgerlich.

Halten der gestrenge Herr Amtsrath zu Gnaden! rief der Amtsbote unter fortwährendem Gelächter mit thränenden Augen. Aber, wenn Sie mich auf 24 Stunden in die Custodia schicken, ich kann es nicht lassen. Es läßt gar zu kurios, wenn sich ein so alter, ehrenfester Herr so montirt und zurichtet, und sich dabei noch gebehrdet, als ob es sein völliger Ernst wäre mit dem närrischen Zeuge.

Jetzt mache Er, daß er fortkommt! rief zornig der Amtsrath.

Werfen aber der gestrenge Herr Amtsrath deßhalb keinen Groll auf mich, bat der Amtsbote immer fort lachend. Ich meine es nicht böse, und das Comödianten-Wesen hat mir in meinen jungen Jahren selber viel Spaß gemacht. Mein seliger Herr, der Herr Capitain von Thurmberg, war auch ein solcher Theaternarr.

Da sprang der heftige Amtsrath auf, den unverschämten Subalternen zur Thür 12 hinauszuwerfen; aber dieser las schnell in den Augen des Chefs das Schicksal, das ihm drohte, rettete sich durch einen mächtigen Satz, und man hörte ihn noch die Treppe hinunter in einem fort lachen, bis die Schloßpforte hinter ihm zuging.

Schlingel! brummte der Amtsrath ihm nach und kehrte zu seinen Briefen zurück. Er überflog sie nur, und warf sie auf die Seite, wenn sie nichts Erhebliches oder etwas längst Erwartetes enthielten. So hatte er sich schnell durch den ansehnlichen Stoß gearbeitet. Ein dickes Paquet blieb zuletzt.

Von meinem Mandatar! rief er, als er nach der Aufschrift und dem Siegel gesehen, und erbrach es rasch. Ein kurzer Brief, eine lange Liquidation, ein dickes Erkenntniß mit einem großen Siegel und eine nicht viel dünnere Abschrift fielen aus dem Couverte.

Auch in zweiter Instanz verloren! rief er, als er den Brief durchlaufen, warf ihn mit der Liquidation auf die Erde und ergriff das Erkenntniß.

13 Es bleibt bei den funfzig Ducaten Strafe! – Das ist himmelschreiend! schrie er, nachdem er die erste Seite gelesen, zum Himmel empor, und nahm nun die Abschrift vor. Aha! die Deduction des Gegentheiles, sprach er. Ich bat darum. Begierig fing er an zu lesen, aber je weiter er las, desto grimmigere Mienen bildeten sich auf dem verunstalteten Gesichte, und einzelne Ausrufungen: Grob! Impertinent! Infam! von wüthendem Fußstampfen begleitet, verriethen die Stimmung, in die ihn die unangenehme Lectüre versetzte. Er war noch nicht am Ende, da flog schon die arme Abschrift zusammengeballt in einen Winkel des Kabinets.

Ist das auch wohl Justiz?! tobte er. Ich wußte es ja von vorn herein, ohne den hochweisen Advocaten, daß ich Unrecht gethan hatte; aber, daß es einem solchen Federfuchser erlaubt wird, einem ehrlichen Manne neben der verwirkten Strafe durch seine giftigen Redensarten den Tod in die Glieder zu jagen und sich noch dafür taxmäßig bezahlen zu lassen, wie 14 sich der Scharfrichter sonst für seine Tortur-Grade bezahlen ließ, das ist ein neuer Beweis, daß es in unserm civilisirten Deutschland noch nicht recht vorwärts will mit der Civilisation, oder daß die heilige Justiz über jede Civilisation erhaben ist.

Brummend holte er sich die Abschrift aus dem Winkel hervor und durchflog sie noch einmal. Die Lebhaftigkeit der Empfindung überwältigte ihn endlich so: daß er laut zu lesen anfing:

Beklagter, perorirte er: hat den Kläger geständlich um deßhalb gemißhandelt, weil ihm dieser den getriebenen Unfug, zwar ohne wörtliche Beleidigung, aber doch mit einer groben Stimme vorgehalten. Wie ungerecht ist es aber, von einem Nachtwächter eine feine Stimme zu verlangen, oder zu fordern, daß er, aus Respect vor dem höheren Stande eines Tumultuanten, durch die Fistel mit ihm rede! Kläger war in seinem Berufe, und konnte mit dem Beklagten reden, wie ihm der Schnabel gewachsen war. 15 Beklagter scheint sich aber für einen indischen Nairen und den Beklagten für einen Paria gehalten zu haben, der mit dem Manne aus der höheren Kaste nur mit der Hand vor dem Munde reden durfte, damit sich nicht der gemeine Athem mit dem edleren vermische.

Die Deduction ist mit keiner Feder geschrieben! tobte der Amtsrath. Der Bösewicht hat ein Banditen-Stilet in Boan-Upas Gift getaucht und sticht damit zu seiner teuflischen Ergötzlichkeit auf mich los. Mein Gott, ich habe es ja schon am Morgen darauf eingesehen, daß ich zu weit gegangen war, und hätte sich der dumme Kerl nicht von bösen Menschen zur Klage aufwiegeln lassen, ich hätte ihn um Verzeihung gebeten und reichlich entschädigt. Von dem rasenden Hochmuthe, der mir hier Schuld gegeben wird, weiß ich mich frei. Mein Temperament war einmal mit mir durchgegangen, das ist es alles, und mich deßhalb einer solchen verrückten Heiden-Bestie gleich zu stellen! Ich weiß es so gut als der – 16 Giftmichel, daß in unserem Staate der Amtsrath und der Nachtwächter gleich sind vor dem Gesetz, und meine Untergebenen werden meiner Humanität fürwahr kein schlechtes Zeugniß ertheilen, und doch tritt dieser Pharisäer hin und kräht: Ich danke Dir, Gott, daß ich nicht bin, wie die Nairen in Indien, oder auch, wie dieser Amtsrath!

Der Geyser hatte ausgesprudelt im heißen Wortschwall. Es trat deßhalb eine augenblickliche Ruhe ein. Der Amtsrath war erschöpft in den Sessel zurückgesunken. Wie heißt denn das Ungeheuer? sprach er nach einer Weile, den Schluß der Schrift suchend. Wenn ich einmal einen Gegner bekomme, den ich in möglichster Geschwindigkeit zu Tode ärgern will, so soll mir kein anderer Mensch bedient seyn, als er. Wespe! rief er, als er den Namen gefunden. Wespe! nomen est omen! Gut gewählt, nur viel zu gelinde ist das Bild! Brillenschlange sollte er heißen, oder Scorpion! Nun ich werde doch vielleicht einmal in diesem Leben mit der verdammten Wespe 17 zusammenkommen, und dann soll sie mir Rede stehen über diese Schandschrift, und wenn es mich auch noch funfzig oder hundert Ducaten kosten sollte!

Mamsell Naschen, meldete der Amtsrentschreiber, im Kostüm des alten freiherrlich von Durlachischen Dieners Christian eintretend: läßt dem Herrn Amtsrath sagen, daß der Herr Graf Erbach und Frau Gemahlin so eben in der Rangloge angekommen sind. Des Herrn Generals Baron von Rheinstein Excellenz waren schon früher da. Das Orchester hat bereits eine feine Weile darauf losgegeigt. Sie möchten nur bald kommen und die Gardine aufziehen lassen.

Augenblicklich war der Amtsrath besänftigt, als ihm sein Steckenpferd also vorgeführt wurde. Ist es schon recht voll im Parterre? fragte er wohlgefällig, indem er sich die Spitzenmanschetten über die Hände zupfte.

Kein Apfel kann zur Erde, versicherte der Rentschreiber. Man sieht fast nichts als Kopfzeuge und Uniformen.

18 Und wenn wir sieben Mal in der Woche spielten, sagte triumphirend der Amtsrath, den Philister-Dreistutz und das lange spanische Rohr ergreifend: sie würden sich doch um die Billete reißen. Ja, es kommt doch Alles auf einen guten Director an!

Auch auf dem Theater hat sich ein Gast eingefunden, meldete der Rentschreiber schmunzelnd.

Ein Gast? fragte der Amtsrath mit einer Directormiene. Habe ich nicht erst neulich in einem Epilog das störende Einlaufen auf dem Theater untersagen lassen?

Bei dem Gaste läuft keine Contravention unter, erwiederte der Rentschreiber. Er hat sich zugleich als Schauspieler engagirt, und wird dem Herrn Amtsrath gewiß recht wohl gefallen.

Es soll mir lieb seyn, wenn er brav ist, sprach fortgehend der Amtsrath. Den Nachtwächter und den verdammten Wespe abgerechnet, lebe ich mit der ganzen Welt in Frieden, und wenn es nur nicht einer von den Beiden 19 ist, so will ich ihn recht freundlich willkommen heißen.


Lichter und Lampen brannten und qualmten, mit bescheidener Mäßigung murmelte im Parterre und in der Rangloge die Ungeduld, und das Orchester strich mit der Kraft der Verzweiflung eine Polonaise brillante zum dritten Male, als der Amtsrath in das Männer-Ankleidezimmer trat. Er fand dort nur den Gutsbesitzer von Brauß, der als Graf Eßlingen vor dem hohen Stehspiegel stand, sich in Portebras und Fußpositionen versuchte und sich nebenbei mit entzückten Blicken bekannte, daß ihm die glänzende Incroyable-Tracht ungemein wohl lasse.

Wo ist Aphanasia? fragte der Amtsrath den Schwiegersohn in Hoffnung.

Siehst du die Pomeranze?

trällerte dieser, die Haartolle noch einmal durchreibend:

Noch hängt sie an dem Baume!
Schon ist der März verflossen,
Und neue Blüthen kommen.

20 Wo ist Aphanasia? fragte der Amtsrath ungeduldig zum zweiten Male.

Oben! antwortete dieser kurz und trällerte fort:

Ich trete zu dem Baume,
Ich sage Pomeranze,
Du reife Pomeranze,
Du süße Pomeranze,
Ich schüttle, fühl', ich schüttle,
O fall in meinen Schooß!

Ein lieber junger Mann! sprach der Amtsrath für sich. Wenn er nur nicht nebenbei ein Geck wäre!

Kopfschüttelnd stieg er auf die weltdarstellenden Breter. Da sah er zwischen den Coulissen seine Tochter mit einem Bedienten in einem so angelegentlichen Gespräche und dabei so viel Verbindlichkeit in ihrer Miene und Stellung, daß er eben zu ihr treten und ihr seinen Verdruß über diese übertriebene Herablassung zu erkennen geben wollte. Indem betrachtete er aber den Bedienten genauer, und fand in ihm einen jungen, hübschen Menschen 21 mit einem sehr geistreichen Gesicht und edlem Anstande, der sich in der eleganten Livree wie ein verkleideter Prinz ausnahm.

Das wird der neue Schauspieler seyn, sprach er zu seiner Selbstberuhigung. Doch möchte ich wohl wissen, wer es ist.

Aber, beßter Herr Amtsrath, kiff die Frau Postmeister Horneck aus Krautberg, als Landräthin von Durlach prächtig ausstaffirt, ihm plötzlich von der andern Seite in die Ohren. Werden Sie denn heute gar nicht aufziehen lassen? Es ist wahrhaftig keine Kleinigkeit, in der fatalen, steifen, altfränkischen Tracht stundenlang auszuhalten, und ich dächte, ich hätte Ihnen schon dadurch ein hinreichendes Freundschaftopfer gebracht, daß ich mich bei meinen Jahren schon wieder einmal zu einer solchen vertrakten Mama-Rolle hergegeben habe.

Der Amtsrath wäre gern ungeduldig geworden, aber die Ueberzeugung von der Unentbehrlichkeit seiner einzigen komischen Alten schloß ihm den Mund und mahnte ihn zum Gehorsam. Mit großer Wichtigkeit gab er dem 22 Souffleur das Zeichen, dieser klingelte, der Vorhang rauschte auf, dem ganzen Amphitheater entfuhr ein einstimmiges Aha! der Freude und des Dankes für die endliche Erhörung seiner stillen Wünsche, und der alte treue Diener Christian, der zuerst heraustrat, verkündigte dem Publicum, daß sein Herr lange schlafe, ob er gleich gestern Abend früh zu Bette gegangen sey.

Das hätte ich damals auch thun sollen, brummte der Amtsrath hinter der Coulisse: so hätte ich mir die Ehrensache mit dem Nachtwächter, funfzig Ducaten, die gerichtlichen und aussergerichtlichen Kosten und die Wespenstiche erspart; aber Alter schützt vor Thorheit nicht! Verdrießlich sah er auf und Aphanasia noch immer im Gespräch mit dem Bedienten. Jetzt trat der Krieggerichts-Assessor Walther, der den Baron Durlach spielte, zu dem Paare, und die Vertraulichkeit, mit der er sich zu dem jungen Manne wendete, bewies, daß er ihn genau kennen müsse.

Der soll mir Auskunft ertheilen! sprach der Amtsrath und setzte sich in Bewegung. Aber 23 indem gab Christian seinem gnädigen Herrn das Stichwort und dieser mußte heraus. Unmuthig trat der Amtsrath zurück, und da der Baron in diesem Akte fast gar nicht vom Platze kam, so mußte jener seine Ungeduld zur Geduld ermahnen, bis die Gardine fiel.

Aber auch jetzt gelangte er nicht zur ersehnten Kunde, da die Hälfte des Schauspieler- und Gehilfen-Personals mit zahllosen Erfordernissen auf ihn einstürmte. Die Landräthin von Durlach hatte ihren Fächer und ihre Rolle verloren, die Kammerjungfer Pauline bestand auf einem frischen Schminktöpfchen, Aphanasia fragte nach dem Briefe, den sie im zweiten Akte lesen, der Baron nach dem Stricknadelkästchen, das er überreichen sollte, und der Jäger und die beiden Bedienten des Amtsrathes verfolgten ihren Herrn auf allen Tritten, weil er die Requisite zur Schlittenfahrt verlegt hatte.

Das ist eine Dornenkrone, das Directorat! seufzte er, als er Alle befriedigt hatte, und, neuen Qualen zu entrinnen, gab er das Zeichen zum Anfang des zweiten Aktes. Während 24 Christian heraustrat, schlich er auf den Zehen zu dem Assessor, der jetzt lange nicht vorkam, und ihm deßhalb Rede stehen konnte.

Wer ist der junge Mann in der Livree? flisterte der Amtsrath dem Assessor zu.

Ein Universität-Freund von mir, antwortete dieser. Um sich nach glorreich bestandenem Examen zu erholen, hat er mich auf ein Paar Wochen besucht. Mein Schreiber, der den Bedienten machen sollte, hatte gerade ein unaufschiebbares Cito zu mundiren, ich war in Verlegenheit, und, gefällig, wie mein Freund ist, erbot er sich sogleich zum Vicar.

Das ist allerdings charmant und ganz ausserordentlich artig, sagte der Amtsrath: aber, wer ist der Herr denn eigentlich, wie heißt er, und von wannen kommt er?

Aus der Residenz, erwiederte der Assessor. Es ist der Referendar –

Im Schellengeläute und Peitschengeknall, welches die Ankunft der Baronin Durlach und des Grafen Eßlingen verkündete, verhallte der Name des erfragten Referendarii. Weil der 25 Jäger das Schellenbehänge schlecht dirigirte, lief der Amtsrath zu ihm, ihm die nöthige Anweisung zu ertheilen, und vergaß darüber, noch einmal nach dem verhörten Namen zu fragen. Aphanasia's herrliches Spiel hielt ihn in den folgenden Scenen zwischen der Coulisse fest, und während er so die schöne Tochter mit dem angenehmen Gefühle geschmeichelter Vatereitelkeit betrachtete, übersah er ganz den galanten Lakayen, der das liebliche Mädchen aus der Coulisse gegenüber mit brennenden Blicken betrachtete, und einen herzbrechenden Seufzer ausstieß, als Amalie dem Grafen Eßlingen die Wange zur Ausübung des Schlittenrechts darbot.

So ging der Akt zu Ende. Im Zwischenakte stellte sich endlich der Referendar dem Herrn Director selbst mit feinem Anstande vor, und entschuldigte sich sehr höflich, daß ihm das bunte Getümmel auf den Bretern nicht früher gestattet, wegen seines unberufenen Erscheinens um Verzeihung zu bitten.

Bitte, bitte sehr, Herr Referendarius, erwiederte der Amtsrath, der, froh einen Titel 26 als Handhabe des Mannes zu haben, sich nicht mehr um seinen Namen bekümmerte. Sie haben von mir keine Verzeihung, sondern Dank zu empfangen, daß Sie uns so gütig aus der Noth geholfen haben, und ich hoffe, daß Sie mir die Ehre erweisen werden, nach der Comödie auf eine freundschaftliche Butterschnitte bei mir vorlieb zu nehmen.

Der Referendar nahm die Einladung mit so feuriger Dankbarkeit an, als solle ihn die angebotene Butterschnitte vom Hungertode erretten, und ging dann in glühende Lobpreisungen von Aphanasia's Spiel über.

Nun ja, meine Tochter ist nicht übel in ihrem Fache, gestand der Amtsrath mit affectirter Unpartheilichkeit. Sie ist nicht ohne Talent, hat viel gelesen und mehrere der beßten deutschen Theater gesehen. Heute ist sie aber noch nicht in ihrem Lüstre. Kotzebue hat selbst nicht gewußt, was er aus der Amalie machen wollte. Sie liebt den Gemahl aus Dankbarkeit, den Cicisbeo aus Modesucht, und keinen recht. Aber als eigentliche Liebhaberin 27 müssen Sie Aphanasien sehen. Ich werde ihr im nächsten Stück eine recht zärtliche Rolle geben, und, daß sie sich gar nicht geniren darf, ihren Bräutigam zum Amoroso.

Aphanasia – schon verlobt?! stammelte der Referendar, unter der Schminke erblassend.

Wohl noch nicht, erwiederte der Amtsrath, der, nach seiner Gewohnheit, schnell vertraulich wurde. Das Mädchen spricht noch viel von goldener Freiheit und von den Inconvenienzen zu früher Heirathen. Aber es wird sich wohl in Kurzem zeigen, daß das bloße Redensarten sind. Herr von Brauß hat zwei herrliche, baar bezahlte Rittergüter und ist, wie Figura zeigt, auch sonst ein schöner, stattlicher, gebildeter Cavallier.

Allerdings eine sehr glänzende Parthie! seufzte der Referendar. Von der ungeduldigen Postmeisterin getrillt, schellte jetzt der Souffleur, ohne den Wink des Directors abzuwarten, und der dritte Akt begann.

In ihm fiel die erste Hälfte der wichtigen Bedientenrolle. In Aphanasia's Anblick 28 versunken, tiefe Schwermuth auf dem Gesicht, stand der Referendar an der Vorhangthüre des Hintergrundes, verhörte sein Stichwort, mußte von dem Assessor hinausgestoßen werden, und meldete nun die Frau Landräthin von Durlach mit einem Tone an, den er zu der desperatesten Liebeserklärung hätte brauchen können. Als er abgefertigt war, trat ihm der Amtsrath entgegen.

Recht gut für das erste Mal, mein lieber, junger Mann, sprach er, ihn mit einer schonenden Kennermiene auf die Schulter klopfend. Sie können wenigstens gleich von vorn herein auf den Bretern anständig gehen und stehen, was nicht allen Anfängern gelingt. Aber eine Bemerkung müssen sie von einem alten Practicus annehmen. Sie spielen noch zu viel, was ein allgemeiner Fehler junger, feuriger, ungeübter Dilettanten ist. Die Meldung brauchte nur ruhig mit der Achtung gesprochen zu werden, die der Bediente seiner Prinzipalin schuldig ist. Sie declamirten mit einem so tragischen Pathos, als ständen Sie qua Don Carlos vor der Königin Elisabeth. Nun, es wird schon 29 werden mit der Zeit, und auf keinen Fall haben wir auf unserer Bühne jemals einen so hübschen und eleganten Lakayen gesehen.

Da haben der Herr Amtsrath sehr Recht, lispelte mit süßem Tone Mamsell Willig, sonst die zweite Liebhaberin, die sich heute aus besonderer Gnade zum Kammermädchen herabgelassen hatte. Und mit einem Flammenblicke auf den Referendar setzte sie hinzu: Wäre ich die junge Baronin, der Bediente könnte mir gefährlicher werden als der Graf.

Sie sind zu gütig, erwiederte kalt der Referendar, durch dieses Entgegenkommen verletzt, und der Amtsrath führte ihn mit einem Satyrlächeln zum Punschtisch.

Nun, das war doch verständlich? fragte er, ihm das volle, dampfende Glas reichend. Wollen Sie Ihre Fortüne machen? Das Mädchen gehört zu den edlen, weichgeschaffenen Seelen, die es nicht über ihr gutes Herz bringen können, einem Chapeau etwas abzuschlagen. Allons, angestoßen! auf gute Geschäfte!

Ich muß depreciren, antwortete der 30 Referendar. Die Republiken sind die Regierungform, die mir am wenigsten zusagt.

Er sagte das so unvorsichtig laut, daß Mamsell Willig, die sich dem Tische genähert, die ungalante Ablehnung noch vernahm.

Es ist traurig, sprach sie giftig: daß ein Mann aus der Residenz weder Scherz versteht, noch das, was feine Lebensart gebietet.

Der herzutretende Assessor, an den sie diese Apostrophe richtete, fiel aus den Wolken. O weh! seufzte der Referendar über die Feindin, die er sich hier ganz unnöthiger Weise gemacht. Pauline! rief Amalie auf der Scene, und mit dem Domino der Herrin auf dem Arme rauschte die Zornige hinaus.

Der dritte Akt hatte geendet, der vierte begonnen. Der Referendar gelangte dazu, den Advocaten Burrmann mit vieler Fassung zu melden, und stand jetzt, da er die kurze Rolle seines Bühnenlebens ausgespielt hatte, Aphanasien bewundernd, aus der Ferne von Mamsell Willig scharf beobachtet, zwischen den Coulissen. Da hörte er einen ziemlich lebhaften 31 Wortwechsel in seiner Nähe. Er wendete sich um. Verlegen sich die Stirn reibend stand der Assessor da. Vor ihm zwei ehrsame Krautberger Bürger in ihrem Sonntag-Staate, und im Hintergrunde ein Gerichtsdiener, einige Bogen Papier unter dem Arme, Tintenfaß, Streusandbüchse und Federn in den Händen.

Was gibt es hier? fragte der Amtsrath, der eben seinen Part beendigt hatte.

Eine eben so unangenehme als unerwartete Störung, erwiederte der Assessor. Der Buschmüller liegt am Tode und will sein Testament machen. Der Assessor Ehrmann, an dem die Tour wäre, ist wieder einmal krank. Darum hat der Director mich substituirt, und die Schöppen kommen so eben, mich abzuholen.

Das ist reine Malice von dem Director! schrie der Amtsrath. Er weiß, was heute hier vorgeht, weiß, daß ich Sie brauche, und könnte das Testament recht gut einmal selbst aufnehmen; aber der trockene, kalte, unästhetische Aktenwurm mag sich im Stillen recht gekitzelt haben, mir die Freude zu verderben.

32 Dem sey, wie ihm wolle, sagte der Assessor: mir bleibt nichts übrig, als zu gehorchen.

Das ist nicht möglich, jammerte der Amtsrath. Der Akt hat schon angefangen. Sie haben die schöne Schlußscene darin, das Stück ist ruinirt, mein Theater prostituirt, wenn Sie jetzt davon laufen. Ich lasse Sie nicht fort. Der Buschmüller mag warten, und stirbt er unterdeß auch ab intestato, so wird das Gleichgewicht von Europa dadurch noch nicht erschüttert werden.

Das zwar nicht, antwortete ernstlich der Assessor, Hut und Stock nehmend: aber vielleicht meine Existenz. Der Nachlaß wird bedeutend seyn. Eine Vertretung, durch meine Zögerung veranlaßt, könnte leicht meine Kräfte übersteigen.

Ich bin gerade mit meiner Rolle fertig, lieber Walther, und will für Dich gehen, sprach der Referendar, der sich rasch den Ueberrock über die Livree gezogen hatte.

Du? fragte der Assessor überrascht. 33 Qualificirt bist Du zu dem Akte. Aber was wird der Director sagen?

Er ist ein alter Freund meines Oheims, antwortete der Referendar. Ich verbürge seine nachträgliche Genehmigung.

Deus ex machina! rief der Amtsrath, den Helfer in der Noth mit Rührung umarmend.

Es ist mir eine große Freude, mich Ihnen nützlich zu machen, sprach dieser verbindlich, und verschwand. Ernstlich die Köpfe darüber schüttelnd, daß sie einen geschminkten Lakayen zu einem so ernsten, wichtigen Geschäft begleiten sollten, folgten ihm die Schöppen und der Gerichtsdiener.

Da heißt es recht, wie es in der Schrift steht, sprach der entzückte Amtsrath zu dem Assessor: Der Stein, den die Bauleute verworfen, ist zum Ecksteine geworden. Dieser edle Jüngling hat sich unserer Bühne gleichsam anbetteln müssen zu einer miserabeln Bedientenrolle, und jetzt hält er allein das Stück, das ohne ihn gar nicht ausgespielt werden könnte. Nun, er soll sich 34 »keinem Kargen, keinem Ferdinand« verpflichtet haben. Bei dem nächsten Stücke gebe ich ihm ein Röllchen, so hübsch, wie er es nur machen kann bei seinen schwachen Kräften.

 


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