Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Briefe 1850 – 1857

*

An Amely Bölte

Berlin, 8. Januar 1850

(...) Wie es um unsere öffentlichen Angelegenheiten steht, wissen Sie durch die Zeitungen. Daß ein Engländer von diesen Sachen nichts weiß, sich nicht die Mühe geben mag, Näheres zu erfahren, wundert mich nicht; sind doch die meisten Deutschen selbst darüber völlig im unklaren; wenn sie auch das Tatsächliche hinreichend kennen, so sind sie doch der Bedeutung unkundig und lassen sich immerfort durch Blendwerke täuschen. So jetzt aufs neue durch die Wahlen zu dem sogenannten Erfurter Parlament. Es gibt noch immer Toren, die etwas von dieser Verkehrtheit, von dieser Vorspiegelung hoffen. Doch die Mehrheit des Volkes ist schon zu aufgeklärt und beteiligt sich dabei nicht. Daß die neue Bundeskommission in Frankfurt am Main nur eine schlimmere Wiederkehr des verhaßten Bundestages ist, wird auch so ziemlich eingesehen. Die Reaktion ist in vollem Gange, bald wird sie auch das Vereinsrecht und die Preßfreiheit unterdrücken. Allein ihr Sieg ist dennoch nur ein scheinbarer, die Revolution macht ganz andere Fortschritte, und jedes Gelingen der Reaktion beflügelt jene nur. Die Folgezeit wird es schon dartun! Unsere preußische Verfassung – ein trauriges Flickwerk – ist so gut wie fertig; allein man glaubt, der König werde sie noch anders wollen, und unsere Zustände noch nicht zum Abschlusse kommen. Alles das ist Nahrung, kräftige Nahrung für die Revolution. – (...)

*

An Karl Rosenkranz

Berlin, 2. Februar 1852

Hochverehrter Herr und Freund!

Mit lebhaftem warmen Anteil hab ich Ihre Lebenserinnerungen gelesen, und wie immer sind auch hier die ersten Kinderzeiten mir von besonderem Reiz und Wert. Diese Schicksale haben noch das allgemein Menschliche, das jedem Leser mitangehört, das er mitdurchgemacht, ehe noch Stand und Beruf ihn näher bedingt haben; sie sind es auch, die vorzugsweise mit voller Aufrichtigkeit erzählt werden, wenigstens so erzählt werden können, weil ihre kleinen Tatsachen, wie bedeutend sie auch für die Entwicklung der Gemüts- und Denkart sein mögen, doch außerhalb der Ansprüche des späteren Lebens liegen und dessen Stellung nicht berühren. Doch hiemit sei keineswegs gesagt, Sie hätten uns das Beste schon gegeben, im Gegenteil ist nun die Erwartung erregt, die jenen Anfängen entsprechende Fortsetzung folgen zu sehen, und ich sehe mit wahrem Bedauern, daß Sie meinen, diese nicht zu liefern! Ich hoffe, diese Meinung hält nicht stand, und Sie entschließen sich weiterzugehen und besonders das Bild Ihrer Universitätsjahre uns nicht vorzuenthalten, das, in Ihrer Behandlung, den größten Reichtum geistiger Gebilde wie persönlicher Gestalten gewähren muß. Die Schwierigkeiten, deren Sie gedenken, erkenn ich an, aber sie sind zu überwinden, erstlich durch Mut und Entschluß, dann durch Geschicklichkeit. Man darf weit mehr wagen, als man gewöhnlich glaubt, und das Erschrecken mancher Leute hat nicht viel auf sich, wenn man nur nicht zu sehr darauf achtet; sie geben sich bald zufrieden und danken wohl gar, daß man sie nicht schärfer angefaßt. Ich will gewiß nicht, daß Lebende rücksichtslos und unnötig verletzt werden, ich habe vielmehr die stärksten Beispiele von Schonung und Milde, von Hervorhebung des Löblichen gegeben; allein es gibt in jedem Menschen Seiten und Beziehungen, die der Öffentlichkeit verpflichtet sind, und die er ihr nicht versagen darf, auch wenn es ihm unangenehm ist, daß sie der Welt mitgeteilt werden. Was der gemeinste Gerichtshandel von ihnen begehren darf, daß sie als Zeugen auftreten, kann mit größerem Recht ein höheres Anliegen von ihnen fordern; eine Frau, die von Goethe geliebt worden, ein Mann, der Friedrichs des Großen Vertrauen hatte, sind ihrem Schicksal verfallen, sie können keine stille Verborgenheit mehr ansprechen. Wo sich das Ganze durchaus nicht sagen läßt, da wird doch immer ein Teil sich sagen lassen, und dann hat man nur dafür zu sorgen, den Ausdruck so zu wählen, daß die anderweitige oder spätere Ergänzung ihm sich anschließen könne, ohne ihn aufzuheben. Doch Sie kennen die Hülfsmittel des Vortrags und der Darstellung wenigstens ebensogut als ich und wissen, daß sie unendlich sind! Also vertrauen Sie dem Mut und der Kunst nur getrost, und setzen Sie Ihre biographischen Mitteilungen fort! Geben Sie uns ein Bild der Menschen und Bestrebungen in der Blütezeit der Hegelschen Philosophie, nach Ihren eignen Erlebnissen und Anschauungen, wovon einiger Schimmer bereits in Ihrem »Leben Hegels« leuchtet! – (...)

*

An Theodor Fontane

Berlin, 11. Februar 1852

Hochgeehrtester Herr Doktor!

Sie haben mir gütigst einen Wunsch des Herrn Dr. Wolfsohn eröffnet, den ich zu erfüllen sogleich herzlich gern bereit war, aber dabei im Zweifel stand, in welcher Weise dieses am schicklichsten geschehen könnte. Das Manuskript des Werkes, das ich empfehlen soll, ist mir ganz unbekannt, und ich würde von demselben, wenn es auch zur Hand wäre, kaum nähere Kenntnis nehmen können, da meinen leidenden Augen das Lesen von Manuskripten überaus beschwerlich wird. Über Nacht fiel mir ein, daß der abgerissene Schluß eines Briefes die bequeme Form böte, mit guter Art alles das harmlos auszusprechen, was dem nächsten Zwecke förderlich sein könnte, und was zu sagen ich unter den waltenden Umständen auch in Wahrheit verantworten kann. Ein solches Blatt bin ich so frei Ihnen in der Anlage ergebenst zu überreichen, mit der gehorsamsten Bitte, solches, im Fall es Ihre Billigung hat, mit meinen besten Grüßen dem Herrn Wolfsohn zu senden, der dann sein Heil damit versuchen möge! – Die traurige Lage des Herrn Dr. Jung in Königsberg bekümmert mich sehr, und schon seit Jahren sinne ich mit andern Freunden desselben vergebens, auf welche Art ihr abzuhelfen, sie wenigstens zu erleichtern sein möchte; die örtlichen und persönlichen Verhältnisse, die Zeitläufte, ja sein Talent selbst, alles ist für ihn ungünstig gestellt, und sein ernstes würdiges Streben, sein edler tapfrer Eifer mühet sich ertraglos ab. Ich würde mich glücklich schätzen, wenn meine armen Worte dem Buche, auf welches er seine fast letzte Hoffnung gesetzt, irgendwie zur baldigen Erscheinung verhelfen könnten. Ihnen und Herrn Wolfsohn würde ich dann dafür dankbar verpflichtet sein, mir die Gelegenheit dazu dargeboten zu haben! –

Mit ausgezeichneter Hochachtung habe ich die Ehre zu verharren Euer Wohlgeboren ganz ergebener

Varnhagen von Ense

*

An Alexander von Humboldt

Berlin, 14. März 1856

Euer Exzellenz

gütige werte Geschenke kommen in meine Abgeschiedenheit, wie dieser rauhe Nachwinter sie mir auferlegt, heitrer und freundlicher als der Sonnenschein, der ihn begleitet! Empfangen Sie mit meinem wiederholten Danke die eifrige Versicherung, daß ich alles nach Gebühr zu schätzen weiß, am höchsten doch die wohlwollende Gesinnung, welche meiner so günstig gedenkt und mich so liebreich erfreut! Die Bleistiftzeilen des sterbenden Heine sind mir ein teures Andenken, und bleiben in dem Umschlage, von Euer Exzellenz Hand überschrieben, ehrenvoll verwahrt. Auch die heutige Gabe, die sinnige Verknüpfung von Archimedes und Franklin bezüglich ihrer Denksteine, habe ich mit wärmster Teilnahme gelesen.

Ich sehe, daß Sie nicht Wind noch Wetter scheuen, und glücklicherweise nicht zu scheuen brauchen, wenn es gilt, eine Ehrenpflicht zu erfüllen. Die heutige Zeit bringt seltsame Aufgaben! – Daß ein Polizeichef im Zweikampf erlegt wird, ist wohl in den Staaten des neuern Europa noch nicht dagewesen. Die Berufung eines Ministers der auswärtigen Angelegenheiten nach Paris, um zur abgemachten Sache den Streusand aus der Mark zu bringen, erscheint auch etwas fabelhaft. Doch – Allah ist groß! – In treuster Verehrung und dankbarster Ergebenheit unwandelbar Euer Exzellenz gehorsamster

Varnhagen von Ense

*

An Alexander von Humboldt

Berlin, 7. April 1857

(...) Seit einigen Tagen leb ich ganz in Erinnerungen vergangener Zeiten und Verhältnisse. Der soeben bei Cotta erschienene Briefwechsel zwischen Gentz und Adam Müller hat mich in einen Zauberkreis gebannt, und ich muß den ganzen Inhalt jener Lebensbilder nochmals in mir betrachtend durchleben. Ich habe beide Männer früh und vertraut gekannt und viel mit ihnen zu tun gehabt, persönlich befreundet, in den Sachen meist feindlich. Die Überlegenheit von Gentz über den jüngern, von ihm sehr überschätzten Freund war mir nie zweifelhaft und wird hier aufs neue bestätigt; nur zuletzt, als die Ermordung Kotzebues den Sinn verwirrt und betäubt, treibt die Gewalt des Schreckens den sonst Klarheit liebenden Staatsmann in die trübe Nebelschichte, in welche der geängstete Freund sich schon lange zurückgezogen hatte. Dieser Briefwechsel ist wohl einzig in seiner Art. Die Verhandlungen, Erörterungen, wechselseitigen Einwirkungen, Zuneigungen und Befehdungen haben den Reiz eines Dramas. In Adam Müller steckt übrigens der vollständige Keim der Kreuzzeitungspartei, jedoch in idealer Höhe, noch ohne Berührung mit der Wirklichkeit, daher ohne gehässige Gemeinheiten. –

Euer Exzellenz haben mir gütigst ein paar Zeilen über Franz Baader zugesagt; darf ich daran mit der Bemerkung bescheidentlichst erinnern, daß wirklich nur ein paar Zeilen dem Zwecke genügen? –

In treuester Verehrung und dankbarster Ergebenheit unwandelbar Euer Exzellenz gehorsamster

Varnhagen von Ense

Varnhagen von Ense kurz vor seinem Tode, 1858


 << zurück