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»Nachträge zu den Reisebildern« von H. Heine (Hamburg, bei Hoffmann und Campe. 1831. 8.1 Tlr. 16 Gr.)

Heines Art und Weise ist bekannt. Freunde und Feinde haben für und gegen ihn längst Partei genommen, die gesamte Lesewelt ist in seinem Betreff scharf nach zwei Seiten gespalten; und selbst die Unsichern und Wankelmütigen, welche, geschreckt, seine Seite verlassen, oder, angezogen, zu ihr übergehen, verändern in dem Ganzen dieser zwiefachen Stellung nichts.

Schonungslose und oft unnötige Schärfe, unerhörte Dreistigkeit, äußerste Wagnisse sowohl hinsichtlich der Sachen als auch des Wortausdrucks haben auch die Freunde Heines ihm bisher nicht ungerügt gelassen; eigentümlicher Sinn, ungemeiner Geist und außerordentlicher Witz, dabei große Empfindung und süße Anmut der Sprache sind ihm auch von seinen Feinden nicht abgestritten worden.

Alles dies findet sich auch in dem vorliegenden Bändchen wieder, das, wie uns scheint, als ein Abschluß für diese Reihe von Darstellungen gelten soll. Die beiden sehr verschiedenen Hälften: »Die Stadt Lucca« und »Englische Fragmente«, sind durch eine »Nachschrift vom November 1830« verbunden; und wenn man finden muß, daß in jener Abteilung die sinnliche, ja man darf sagen weltlich und geistlich frevelhafte Keckheit eines italienischen Genußlebens atmet, in der zweiten Abteilung hingegen die gebildete Grobheit und barbarische Gehässigkeit eines englischen Parteisinnes herrscht, so läßt sich in der verbindenden Nachschrift der Hauch und die Farbe des französischen Geistes nicht verkennen, wie er sich in der bezeichneten Epoche kundgetan hat.

Bei solchem Inhalte fodert indes das Buch um so mehr unsere Schonung, als demselben, wie wir hören, gleich nach seinem Erscheinen ein widriges Geschick begegnet ist. Wer mit den Behörden verunfriedet ist, wer gleichsam schon vor Gericht gezogen steht, den darf kein unbefangener Zuschauer noch mehr bedrücken und anklagen, sondern hält lieber zurück, was er etwa schon Hartes gegen den Leidenden auf der Zunge hatte.

Man findet das Buch irreligiös und revolutionär. Wir geben zu, daß die Worte darin nur allzu oft diese beiden Färbungen haben. Doch möchte vieles fehlen, das auch der Sinn durchaus einer solchen Richtung angehörte. Denn abgesehen, daß mehr als andere Gegenstände gerade Religion und Staat, wenn sie die rechten sind, auch etwas müssen vertragen können und gar nicht bei jedem scheinbaren Angriffe so leicht gefährdet werden, so sind hier in der Tat manche Angriffe nur scheinbar und gehen aus der besten Gesinnung hervor, welche die Religion von der Heuchelei, den Staat von den philisterhaften und burschikosen Zerrbildern, die sich immer für das Wahre und Echte ausgeben wollen, sorgfältig trennt, und das Heilige nur um so reiner verehrt.

Überhaupt aber möchten wir ein Buch, welches, wie dieses, weder in der Sprache des Volks geschrieben ist, noch zu den Volksleidenschaften spricht, das ohne sentimentale Wärme und gleisnerische Süßigkeit nur immer in Witz und Bitterkeit verkehrt, das seiner Natur nach nur auf gebildete und vornehme Leser berechnet ist, ein solches Buch möchten wir niemals ein gefährliches nennen. Die vornehme Welt ist es ja, die mit dergleichen Stoffen und Gestaltungen ohnehin stets erfüllt ist, dergleichen Gift immerfort erzeugt und verzehrt, sich damit unterhält und vergnügt, ja ihr Geschäft daran hat, und welche doch die ihr selbst damit zumeist gedrohte Schädlichkeit am wenigsten darin finden will. In der höchsten Sphäre der Gesellschaft sind Spott und Witz über die höchsten Gegenstände am meisten gang und gäbe, man zerreißt dort am schonungslosesten den Nimbus, der sie umgibt, und man sucht und verschafft sich, wo der nächste Kreis nicht genug Stoff oder Freiheit für diesen Trieb darbietet, aus den entlegensten die anstößige Ware; die schlüpfrigen Romane, die verleumderischen Pamphlets, die giftigen Lieder und Blätter, die erschrecklichsten und bedenklichsten Karikaturen, läßt man aus Frankreich und England kommen und hat dabei sein größtes und, wir wollen es dreist behaupten, in den meisten Fällen wirklich sein harmloses Ergötzen und Behagen. Was soll daher in diesem Kreise, der mit solcherlei schon von jeher sicher und vergnügt umgeht, für den das Arge sich neutralisiert, das Verbotene fast wieder erlaubt wird, was soll da Heines Buch schaden?

Es ist aber nicht bloß vermutende Voraussetzung, es ist bestimmte Tatsache, die wir vielfältig erfahren haben, daß Heine gerade in der vornehmen Welt am meisten gelesen, geschätzt und gepriesen wird, wo doch ein großer Teil seiner Sätze unstreitig dem stärksten Widerspruch bloßstehen muß! Wenn, wie behauptet wird, das große, treffende und zu verdienter Zelebrität gekommene Witzwort vom Hofdemagogen ursprünglich Heinen angehört, so dürfte die Spitze dieses eindringlichen Wortes rückwärtsgebogen nun fast ihn selbst verwunden, indem man ihn, seiner Art und seiner Wirkung nach, allenfalls einen Salonrevolutionär nennen könnte, der das Spiel – aber nur das Spiel, witzig und beißig – der revolutionär genannten Ansichten und Ausdrücke zur Unterhaltung der vornehmen Welt darstellt. Ihn selbst deshalb revolutionärer Gesinnungen und Absichten zu beschuldigen, wäre ebenso ungerecht, als jemanden, der Berangers Lieder übersetzt oder singt, für deren Inhalt verantwortlich zu machen, oder den berühmten Publizisten, der uns den Gipfel der englischen Preßfreiheit in den übersetzten Junius-Briefen durch die Wiener »Jahrbücher« vorgelegt hat, für einen Teilhaber der darin ausgedrückten Schmähreden zu erklären!

Aber man wehklagt über das Ärgernis in der deutschen Literatur! Es ist wahr, das Ärgernis kann nicht geleugnet werden. Aber wieviel sind wir dessen nicht schon gewohnt, über wie vieles glücklich hinausgekommen! Man gedenke der »Xenien«, der »Ehrenpforte«, der »Lucinde«, des »Athenaeum«; das Geschrei war entsetzlich, aber es ist verhallt und das Tüchtige in jenen Schriften besteht. So auch wird das Geistige und Gediegene in Heines Arbeiten trotz ihrer zufälligen Unarten bestehen, und wir halten uns schon jetzt an jenes, nicht an diese!


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