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Briefe 1840 – 1849

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An Karl Rosenkranz

Berlin, 24. April 1840

(...) Ich wende mich zu Ihrem neuesten Unternehmen, der Biographie Hegels. Zu dieser hab ich leider wenig zu liefern. Ich sah Hegel ziemlich viel, aber unser Umgang blieb beschränkt, da ich weder sein Zuhörer war noch sein Gefährte in gesellschaftlichen Dingen. Rahel war sehr aufmerksam auf ihn und hörte ihn gern sprechen, erkannte auch die volle Geistesgröße in ihm an, allein wenn er uns besuchte, so brachte er meist seine Frau mit, die denn ganz auf Rahel fiel, während Hegel mit mir Politik sprechen mochte oder durch Ludwig Robert in verdrießliche und ertraglose Streitigkeiten verwickelt wurde und gestehen sollte, er sei doch im Grunde weniger als Fichte! Sie sehen, dabei war kein Heil zu finden! Hegel erkannte Raheln als eine kluge, denkende Frau und behandelte sie als solche, aber das eigentliche Wesen ihres Geistes hat er schwerlich gekannt. Ich selbst war mit Hegel auf dem besten Fuße, ein paar einsame Abende auf meinem Zimmer führten zu vertraulichen Bekenntnissen über Dinge, die er im größeren Gespräch immer vermied. Auch bei der Stiftung der »Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik«, wobei viele Leidenschaft erregt war, hatten unsre Reibungen keine Folgen. Ich mußte ihm öfters Widerpart halten, und dies um so kräftiger, als ich in der Gesellschaft der einzige war, der nicht durch persönliche Verhältnisse oder Rücksichten darin gehemmt wurde, also fast immer und allein die Opposition übernehmen mußte. Hegel aber, als die Jahrbücher schon im Gange waren, wurde immer schwieriger, tyrannischer, und benahm sich in den Sitzungen so sonderbar, daß die ganze Gesellschaft fühlte, so könne es nicht weitergehen und die ganze Sache müsse ins Stocken geraten – da fiel mir wieder die Rolle zu, mich im Namen aller zu widersetzen und den verehrten Mann zu bedeuten, daß auch er seine Schranken zu beachten habe. Dies war ein heftiger, von beiden Seiten mit bittrer Schärfe geführter Kampf, ein persönlicher Zank mit Anklagen und Vorwürfen. Aber nichts Unehrbares kam vor, nichts, was die Achtung verletzt hätte. Während des auf die Sitzung folgenden Abendessens dauerte die Verstimmung und der Nachhall des Zankes fort, die übrigen Anwesenden waren mehr mit Hegel befreundet als ich, aber in der Sache mehr auf meiner Seite. Als wir aber von Tisch aufstanden, trat ich an Hegel heran und sagte: »So dürfen wir uns zur Nacht nicht trennen! Sie haben mir, ich habe Ihnen harte Dinge gesagt, aber nichts, was nicht hinzunehmen wäre! Bedarf es noch der Versicherung, daß meine Hochachtung für Sie unverändert ist? Hier ist meine Hand, trennen wir uns versöhnt!« Er schlug nicht nur ein, sondern wir umarmten einander herzlich, und ihm standen Tränen in den Augen; er hatte diese Wendung nicht erwartet. Seitdem hatten wir keine Kämpfe mehr, er ließ in seinem störenden Benehmen nach, und die Sitzungen gingen ihren Gang. Er fragte mich in mancherlei Dingen um Rat, in seinen Beziehungen zu beiden Humboldts war ich mehrmals Vermittler. Wir blieben in bestem Vernehmen, außer daß wir im Jahre 1830 anfingen, unsre abweichenden politischen Urteile nicht ohne Not gegeneinander auszusprechen, weil wir da nur neue Entzweiung sahen. Sie wissen, Hegel war in den letzten Zeiten ganz absolutistisch, und die öffentlichen Bewegungen fanden bei ihm den stärksten Widersinn. Die belgischen Unruhen besonders haßte er voll Grimm, und als dieselben nicht gedämpft werden konnten, war er ganz außer sich. Diese politische Verstimmung hatte am meisten Gans zu tragen, der völlig auf der Gegenseite stand. Sie kennen doch seine letzte scharfe Äußerung gegen diesen? Dorow hat in seinem vierten Teile »Denkschriften und Briefe« das merkwürdige Blatt zum Druck gebracht, Gans selber wollte das schon immer, und ich hielt ihn nur davon ab, indem ich ihm vorstellte, er selbst könne nicht schicklich die Erläuterung schreiben, die damit verbunden sein müsse. Charakteristisch für Hegel ist das Blatt in jedem Fall; er hatte eine große Kraft des Zorns und Grimms, und wo er einmal glaubte hassen zu müssen, da tat er es recht gründlich; so auch im Schelten war er fürchterlich, wen er anfaßte, dem schlotterten alsbald die Gebeine, und so habe ich ihn einst den Hofrat Förster wie einen Schuljungen zurechtweisen gesehen, daß dieser selbst und alle Anwesenden erschrocken waren. Dies ist ungefähr alles, was ich von Hegel zu sagen habe. Benutzen Sie es nach Belieben. Ich selbst komme in meinen Denkwürdigkeiten wohl nicht bis in diese Zeiten herab! – (...)

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An Heinrich Heine

Berlin, 11. Oktober 1842

Mein teuerster Freund! Ich schreibe Ihnen aus Stimmung, weil ich schon einige Morgenstunden mit Ihrem Andenken und dem Andenken der Zeiten, in welchen wir uns täglich sahen, sinnend verbracht – und weil ich mich gedrungen fühle, Ihnen eine Veränderung mitzuteilen, die sich in meiner Lage ereignet hat! Ich lebe nicht mehr allein, ich freue mich wieder holder freundlichen Gegenwart, in meinen eignen Zimmern. Meine Nichten, Ottilie und Ludmilla Assing, sind aus Hamburg zu mir gezogen und wollen bei mir bleiben; Sie erinnern sich, nicht wahr? dieser lieben guten Kinder, die nun zu liebenswürdigen Mädchen herangewachsen sind! Der Gewinn, der mir zuteil wird, ist freilich teuer erkauft, durch den Tod beider Eltern. Daß meine Schwester vor mir sterben würde, hatte ich mir nie als möglich denken dürfen; nachdem dies aber eingetroffen, könnt' ich auf das Leben meines Schwagers wenig mehr rechnen. Er starb in Hamburg dieses Frühjahr wenige Wochen vor dem Brande. Die Kinder beschlossen gleich, zu mir zu kommen, wenigstens nach Berlin; denn ob es ihnen bei mir gefallen kann, ist fürerst noch ein Versuch, und ich dürft es ihnen nicht verdenken, wenn sie sich nach andrem Aufenthalte sehnten, denn ich selbst kann ihnen zu keiner großen Freude sein.

Sie müssen wissen, teuerster Freund, daß es mit meinem Gesundheitszustande gar nicht sonderlich steht; seit einigen Jahren half mir Kissingen immer für einige Zeit, aber in diesem Sommer ist die Kur eher nachteilig geworden; ich bin schlimmer zurückgekehrt als hingegangen, konnte zuletzt nicht mehr im Freien gehen außer geführt, und so ist es bis heute noch; ich kann im Zimmer die größten Wege machen, aber nicht im Freien, da ergreift mich Schwindel und ich fürchte zu fallen. Mich in Berlin führen zu lassen, ist mir verhaßt, und auch das Fahren verdrießt mich, seit ich darauf beschränkt bin. So bleib ich denn viel zu Hause und muß die lieben Nichten für Spaziergänge und Gesellschaften meist ihren eignen Kräften überlassen. – Zum Glück ist mir das Schreiben unverkümmert, und ich habe grade in dieser Zeit viel zu Papier gebracht, was zum Teil schon bald ans Licht treten wird; es ist eine neue, vervollständigte Ausgabe meiner Denkwürdigkeiten K. A. Varnhagen von Ense, Biographische Denkmale, Tl. 1 und 2, 2., verm. und verb. Aufl., Berlin 1845. im Druck. – An andre als literarische Arbeiten, darf ich nicht denken. Man hat mich fast mit Gewalt in die politischen Geschäfte ziehen wollen, ich aber fühlte meine Unfähigkeit und machte sie geltend. Meine Unlust aber ist fast noch größer; ich blicke mit Widerwillen, ja mit Verachtung auf das kümmerliche Getreibe, das sich für Politik ausgibt; dieser Zug der Dinge ist es nicht, der mich reizen könnte! Mir ist jetzt die Zurückhaltung nicht nur notwendig, sondern auch einzig anständig. – Die Literatur geht mehr als je mit dem Staatswesen zusammen; auch in ihr möcht ich und könnt ich kein Amt übernehmen, ich gehe auch in ihr nur spazieren, und kann es, da ich in diesen Räumen keineswegs an Schwindel leide. Vielleicht erlebe ich es noch, daß auch in der Literatur sich große und schöne Richtungen eröffnen, an denen ich eifrig und geregelt teilnehmen kann. Der jetzige Wust hat keine Handhabe für mich; seine eigne Gärung muß ihn klären oder aufzehren. Was hört man für Urteile! was plaudert nicht einer dem andern nach! Gleich einer Ansteckung wirkt der Unverstand, die Beschränktheit, der Dünkel, und dann wieder die Überklugheit, die falsche Gelehrsamkeit, der besoffne Eifer! Unter den jüngern Leuten besonders herrscht, neben der trostlosesten Unkunde, die Falschheit und Herzlosigkeit, die Selbstsucht und Heuchelei; die letztere nicht bloß bei denen, welche den herrschenden Mächten sich anschließen, sondern auch bei denen, die ihnen entgegenstehen; der Vaterlands- und Volkseifer, der sich breit macht, ist meist ein erlogner. – Wie sehr sind Sie, mein teuerster Freund, aus solcher erheuchelten Beeiferung verunglimpft worden! Die Art, wie Ihr Verhältnis zu Börne – von Ihnen so wahr, so gründlich und gehaltvoll geschildert – aufgefaßt worden, gleicht den ekelhaftesten Karikaturen des revolutionären Parteigeistes, wie ihn die schlimmsten Zeiten von 1793 nur je gezeigt. Ich habe genug dagegen gestritten, die tolle Verblendung zur Besinnung aufgerufen; allein vergebens! Die Widersacher wußten heimlich wohl, was sie wollten, und liefen schreiend ihren Weg weiter. Jetzt scheinen sie etwas den Atem verloren zu haben, die Menge zerstreut sich, die Bessern kommen zur Besinnung. Bald wird man wieder einsehen, daß Ihr Buch Heinrich Heine über Ludwig Börne, Hamburg 1840. ein wahres und gutes ist, – wenn es auch einzelnes enthält, das nicht jeder billigen kann, auch ich nicht billige. –

Es ist jetzt eine Schiller-Zeit; eine Goethe-Zeit wird sie schon wieder ablösen; das wird dann auch wieder meine sein. Ein solches Auf und ab zwischen Schiller und Goethe wird in der deutschen Literatur wohl auf lange hin seine Wellen schlagen; wie man ähnliches in der Philosophie zwischen Platon und Aristoteles wahrnimmt. Aristoteles-Hegel soll jetzt zurückgedrängt werden; aber ich sehe den Platon-Träger noch nicht, denn der alte Schelling ist doch jetzt kaum ein Schatten seiner selbst; er ist hier zum Gespötte geworden, genießt aber aller Gunst des Hofes und alles Ansehns der Behörde. In Berlin, 1842, spricht der Philosoph von der Unbefleckten Empfängnis und Höllenfahrt, der Jurist vom Sündenfall, der Mediziner von der Heilkraft des Glaubens! Was werden noch am Ende die Pfaffen tun, wenn ihnen alle so ins Handwerk pfuschen? Sie werden im stillen sich auf ein andres legen, auf das des Regierens zum Beispiel. –

Sie haben doch meinen sechsten Band durch Brockhaus empfangen? Was macht der Marquis von Custine? Wenn Sie ihn sehen, grüßen Sie ihn, und sagen ihm, ich hätte ihm nach Mailand geschrieben. –

Kommen Sie nicht einmal wieder zu uns? Jetzt wär es tunlich. Ich riete Ihnen aber, nach Berlin über Wien zu gehen, der glänzende Empfang an letzerm Orte würde hier entscheidend sein! –

Ich habe schließlich noch eine Bitte an Sie. Ich bin in meinen alten Tagen ein Autographensammler geworden! Französisches hab ich nur wenig; schaffen sie mir Blätter von Frau von Dudevant, Chateaubriand, Ballanche, Thiers, Sainte-Beuve etc. Von der erstem dürften Sie, glaube ich, gradezu für mich ein Blatt fordern; meine Bewunderung und Liebe verdiente wohl diese Gunst! Vielleicht schenkt Ihnen jemand für mich die Blätter von Talleyrand, Lafayette, Mirabeau, Carnot! Sammeln Sie ein bißchen für mich, und senden es mir durch die Buchhandlung Brockhaus. –

Apropos von Sammeln! Wird denn nicht eine Sammlung Ihrer Schriften einmal erscheinen? Ihr Hauptverleger müßte doch wohl dazu geneigt sein! Der Eindruck würde über Erwarten ausfallen, ich bin es gewiß. Die Zensur würde jetzt keine große Schwierigkeit sein. Manches könnte auch jetzt wegfallen oder verändert werden; ich meine bloß einzelne Stellen, Zeilen. Denken Sie doch daran! –

Wie Sie leben, kann ich mir ungefähr vorstellen. Frisch und frei jedenfalls; innen tätig, wenn auch nach außen nicht; hoffnungsvoll, und nicht ohne gegenwärtigen Genuß, wenn auch schmerzlich und wehmütig. Wie jeder ordentliche Mensch lebt, wie Rahel lebte, wie ich noch zu leben trachte. Schenke der gütige Himmel Ihnen Gesundheit, das ist eine Hauptsache! –

Und so sag ich Ihnen für diesmal herzlichst Lebewohl! Bleiben Sie meiner Gesinnung in allem Betracht versichert. Ich wechsle nicht. Einen anerkennenden, beständigen Freund haben Sie stets an mir; ich habe den edlen reinen Kern in Ihnen nie verkannt und werde ihn nie verkennen, welcherlei Hüllen auch Sie selber darumzulegen genötigt oder gelaunt seien! –

Mit treuem Handschlag herzlichst und treulichst Ihr

Varnhagen von Ense

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An Karl Rosenkranz

Berlin, 17. Juni 1843

(...) Sie sprechen in Ihrem Briefe, Verehrtester, von den Schwierigkeiten des bewegten Lebens, den Schwankungen und Widersprüchen, die es in den Äußerungen der Ansichten und Urteile hervorbringt, wenigstens in den Äußerungen, wenn auch Gesinnung und Richtung dabei fast dieselben bleiben. Sie klagen, daß man oft den Schein der Zweideutigkeit nicht vermeiden könne, ja bisweilen sich selber nicht freisprechen dürfe. Auch mir sind diese Empfindungen wohlbekannt. Ich habe mein ganzes Leben redlich gestrebt, durchaus wahr und aufrichtig zu sein, und bin doch oft genug in dem Falle gewesen, unwahr und treulos sein zu müssen, nicht weil die Umstände stärker waren, als mein Willen, sondern weil diesem die Unmöglichkeit entgegenstand. Die buchstäbliche Wahrheit haben wir oft keine Zeit auszusprechen, wir müssen abkürzende Formen zu Hülfe nehmen, es entsteht ein neues Gebilde, und in diesem Gebilde ist etwas, das die Wahrheit trägt, aber sie nicht ist. Alle Historie unterliegt dieser Bedingung, zum Schaden oder zum Heil, je nachdem der Historiker ist. Aber auch nach Maßgabe der Personen, mit denen wir sprechen, wechselt unsre Rede, tritt unser Urteil in abweichender, ja entgegengesetzter Weise hervor. Niemand war darin stärker als Rahel, die liebreichste Anerkennung und die unwilligste Verwerfung konnten miteinander abwechseln, und jedesmal wahr und richtig; nicht ihre Schuld war der Widerspruch, sondern die Schuld des Gegenstandes. Hielt man es ihr vor, oder kam es zufällig an den Tag, so war sie nicht im mindesten verlegen, sie leugnete keines von beiden, sondern erhärtete beides, mit größter Unschuld und Sicherheit. Ich fand das vortrefflich und hatte mich auch früher schon gewöhnt, mir aus Widersprüchen mit mir selbst nichts zu machen. So bestand neben meinem Franzosenhaß immer auch eine Franzosenliebe in mir, und es ist möglich, daß mancher Freund auf Augenblicke dadurch irr an mir geworden. Und heute noch! ich schreibe so viele Briefe, aber ich mache mich gar nicht anheischig, daß sie alle übereinstimmen sollen! Selbst der schnellste Wechsel ist nicht grade Falschheit, sondern eben nur Wechsel, und ein durch Umstände und Eindrücke auch wohl sehr begründeter. Reichbelebte, hohe Naturen haben und geben dazu am meisten Anlaß. Man hat mir erzählt, der Fürst von Hardenberg, lange Jahre mit Hrn. von Nagler feindselig gespannt, habe sich endlich bereden lassen, ihn zu einer Aussöhnung bei sich zu sehen, beide seien tief gerührt gewesen, und zuletzt unter Tränen voneinander geschieden; kaum aber sei Nagler aus der Türe gewesen, so habe Hardenberg sich besonnen, alsbald die Faust geballt und ausgerufen: »Daß mir die Kanaille nur nicht wieder über die Schwelle komme!« Ich glaube deswegen gar nicht, daß die Tränen kurz vorher nicht aufrichtig gewesen. Oder sollte Goethe, indem er gegen Schiller sich über Böttiger wegwerfend äußert, diesem nicht gleich darauf in bester Form achtungsvoll und freundlich eine antiquarische Notiz abverlangen? Ich sehe darin nichts Arges, im Gegenteil muß ich es für echt sittlich erachten, in Antipathien und auch in Sympathien sich nicht zu verhärten. Die wahre Treue beruht auf andrer Grundlage, die von solchen Schwankungen des äußern Lebens nicht berührt wird. (...)

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An Justinus Kerner

Berlin, 7. November 1843

Lieber Freund, kannst Du mir nicht auch ein Blatt von Hölderlin verschaffen? Ich weiß, Du selbst kannst Dich nicht bemühen, aber ein Wort der Für- und Ansprache magst Du gelegentlich anbringen; und auch in Betreff meiner Sammlung überhaupt (...)!

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An Heinrich Heine

Berlin, 26. Oktober 1844

(...) Ihre neuern Gedichte machen das größte Aufsehen, mit dem Schrei des Entsetzens wetteifert der Schrei der Bewunderung; alle Stimmen vereinigen sich, die volle Macht der Poesie, das hohe Walten des Genius anzuerkennen. In den Äußerungen, welche zum Druck gelangen, werden Sie diese Stimmen freilich nur sehr abgeschwächt vernehmen, ja aus dem Lobe hinaus und in den Tadel hinüber gedrängt – Sie kennen ja die Umstände und die Werkzeuge zum Teil! Aber jedermann weiß, daß unsre Öffentlichkeit und das lebendig Tatsächliche zwei sehr verschiedene Dinge sind, und mancher Sinn, der Ihnen unter jener Maske der Öffentlichkeit feindlich erscheint, ist Ihnen zugetan im Innern und meint wohl gar durch klugen Tadel Ihnen noch zu nutzen, wirft Ihnen vor, daß Sie unreine Reime brauchen (wie doch Schiller ebenfalls, und Goethe und Voß) und nicht Aristophanische Verskünste treiben! Als ob es darauf ankäme, als ob hier nicht ganz andre Dinge in Betracht ständen! – Mein Bericht wird Ihnen um so unverdächtiger erscheinen, als Sie sich ohne Zweifel erinnern, daß ich immer der Meinung war, Ihr Genius würde am schönsten leuchten und am mächtigsten wirken, wenn er anstatt der Schärfe die Milde hervorkehrte, und er das Pathos im Menschen anspräche; die schönen Gedichte auf die Mutter und den Oheim, einige herrliche Liebes- und Naturklänge in den Anfangsliedern stehen dieser Meinung auch heute nicht entgegen. – Doch wer dürfte hier, bei so starken autonomischen Kraftregungen, Rat geben wollen, wer ihn annehmen? Ich erkenne mehr als je den Spruch der Weisheit an: »Sehe jeder wie er's treibe«, und alles was folgt. –

Ich treibe meine Sache treulichst im alten Zuge, abwechselnd mit Lust und Unlust, mit und ohne Erfolg, wie das Wetter es mit sich bringt. Die eigne Befriedigung ist die Hauptsache bei jeder Tätigkeit; doch fehlt grade mir auch die Befriedigung von außen keineswegs; ich habe viele Menschen, die auf mich hören und die mir zustimmen. Sogar mein geselliges Leben, indem es sich zusammenzieht, erweitert sich zugleich, es öffnen sich immer neue Gänge. Meine literarische Tätigkeit beschränkt sich durch mancherlei Umstände, besonders aber durch mein Augenleiden, das mir sehr hinderlich wird, dann aber auch durch den Zustand der Literatur, der vollkommen anarchisch ist. Schufte und Lumpe haben sich der geringen Bühnen bemächtigt, wo man schreit und lärmt, der Markt ist mit Gesindel überfüllt. Die Bursche möchten einem vorschreiben, was man tun und lassen, wie man urteilen soll, und haben selber weder Gesinnung noch Ziel, treiben auf dem Meer ohne Steuer, abhängig von jedem Windstoß und jeder Welle, das nennen sie dann Freiheit! Ich bekümmere mich um das Volk gar nicht, verachte sein Lob wie seinen Tadel, und gehe meinen Weg. Einigen könnt ich den größten Gefallen tun, wenn ich gegen sie loszöge, aber ich hüte mich wohl! Auf bellende Hunde richtet man keine Kanonenschüsse, Stein und Stock wohl – bei Gelegenheit! – Auch die Bessern leiden von Mangel an Halt und Richtung und schweifen in der Irre umher, sich und andern nutzlos. Ich nehme ausdrücklich unsern Freund Laube aus, der bei hervorragendstem Talent am sichersten weiß, was er will, und sich selbst getreu ist und daher auch andern. Von ihm ist die beste, wärmste und geschickteste Anzeige Ihrer neuern Gedichte. Die in der Augsb. »Allg. Ztg.« war etwas blöde, ich weiß nicht von wem. Ich sende bisweilen auch kleine Artikel dorthin, vor einiger Zeit über Dahlmann, Rosenkranz, jetzt eben über Knigge, nächstens über Pücklers »Mehemed Ali«, alles mit V. v. E. bezeichnet; aber ich bemerke, daß mir die bayerische Zensur, oder in Furcht derselben die Redaktion, einige garstige Korrekturen in die Worte über Knigge hineingepfuscht hat. –

Die neue Auflage des »Buches der Lieder« war mir sehr erwünscht, es gibt kaum ein schöneres Buch zum Verschenken, und ich habe es recht oft verschenkt. Die erneuerte Erinnerung darin an Rahel tut meinem Herzen wohl, und es dankt Ihnen mit Innigkeit! Ich lebe doch zumeist in diesem Andenken, ich sehe mich selber nur als einen Wächter desselben an. Und wie lebt Rahel in ihrer Wirkung herrlich weiter! Ich erfahre davon täglich neue Zeugnisse! –

Leben Sie wohl, mein sehr teurer Freund! Ich hoffe Sie doch noch wiederzusehen, und wünsche es sehnlichst! Wie es kommen soll, kann ich nicht angeben, aber es kommt vieles mit der Zeit, ohne daß man das Wie vorher wußte; es ist nur erforderlich, daß man lebe. –

Mit herzlichem Gruß und neuem Handschlag, Ihr treulichst ergebner, unwandelbarer

Varnhagen von Ense.

Wie soll der Brief an Sie gelangen? Weiß ich doch Ihre Adresse nicht! –

Apropos! Ich bin ein Autographensammler geworden, und nicht zu leerer Spielerei! Schicken Sie mir einmal ein großes Paket von allem, was Sie entbehren und auftreiben können! Sie tun mir einen großen Gefallen und Dienst! –

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An Karl Rosenkranz

Berlin, 18. Mai 1845

(...) Über den Zustand unsrer Literatur drängen sich mir eigne Betrachtungen auf; er deutet in Wahrheit auf eine Krise, und die eigentliche Gelehrsamkeit reicht nicht mehr aus, ihr eignes Feld zu behaupten, sie muß den Bedürfnissen des Tages weichen. Sie haben Recht, daß Sie die Zeitschriften unbeachtet lassen, sie bringen nichts und wirken nichts. Die Schriftsteller vom Gewerbe, welche meist von den Blättern leben, wie diese von ihnen, sind Jammerleute oder werden es. Die Gesinnungslosigkeit ist gleich groß wie die Ungeschicklichkeit; sie verderben täglich die eigne Sache, sie haben weder Einsicht noch Zucht. Unsre noch übrige gute Kritik muß man aus tausend Winkeln zusammensuchen, und dann erschrickt man, wie wenig es sei. Hier in Berlin ist vollends die trübseligste Verwilderung. – Ich glaube, eine politische Bewegung wird nötig sein, um auch in der Literatur aufzuräumen; das wird aber ein großer Gerichtstag werden, und unsre großen Sterne werden heller leuchten denn je! – (...)

[PS] Hier liest alle Welt den »Kosmos«, mit Staunen; es kommen für unsre fanatischen Theologen auch einige harte Brocken darin vor; sie hassen den Autor schon von langer Zeit her.

Kann ich nicht durch Ihre gütige Vermittlung Autographen von Jacoby, Walesrode und Rupp erhalten? Gelegentlich! –

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An Justinus Kerner

Berlin, 30. Oktober 1845

(...)

[PS] Kann mir denn niemand ein Autograph von Hölderlin verschaffen? Meine Sammlung wächst, wird auch nach meinem Tode beisammen bleiben und einer künftigen Zeit ein merkwürdiges literarisches Vermächtnis unseres Lebens sein.

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An Amely Bölte

Berlin, 1. April 1848

Ich darf nicht säumen, verehrtes Fräulein, Ihnen den Empfang Ihres Briefes vom 21. März anzumelden, besonders auch wegen der Zeitumstände, die wie in der Nähe so auch in der Ferne mancherlei Besorgnis erregen können. Vor allem sag ich Ihnen, daß ich gutes Mutes bin und getrost in die Zukunft blicke, was auch immer persönlich mir begegnen möge! Der Umsturz aller gesellschaftlichen Verhältnisse, der schon vorhanden ist, die Verarmung, welche befürchtet wird, die Parteiwirren, die schon anfangen, können auch mich treffen und mir herbe Verlegenheiten bringen, aber mein eigenstes Leben schwebt hoch über diesen Bedingungen, und ich freue mich jeden Tag, diese Wandlung der Dinge noch erlebt zu haben; sie ist mir eine große Genugtuung, die uns für dreißigjährigen Druck, Verkümmerung und Schmach endlich zukommt. Da ich unserem Regierungswesen durch viele Beziehungen nahestand, so habe ich, besonders während der letzten Jahre, über die Verkehrtheit der Ansichten, den Dünkel und die Fahrlässigkeit der Obenstehenden täglich meinen Ärger und Grimm gehabt und oft ausgesprochen, was zu tun sei, was man versäume und wie es kommen werde; doch natürlich ohne allen Nutzen! Mich hat bei unsern Sachen wie bei den französischen nichts überrascht als Tag und Stunde; die konnte niemand wissen. Der äußerste Kampf wäre auch ohne die Dummheit und den Eigensinn der Verblendeten, welche der Himmel in der Zusammensetzung seiner Dramen immer als wirksame Triebfedern mitgebraucht, in der Tat vermieden worden; jetzt bildet dieser Kampf die eigentliche Kraft und Glut der fortschreitenden Bewegung. Ich habe den Kampf am 18. und in der Nacht zum 19. mitangesehen, das Einzelne war mir nicht neu, aber das Ganze kann ich mit nichts Erlebtem vergleichen. Der Heldenmut, die Ausdauer, die Todesverachtung, welche die Kämpfer gezeigt, übertreffen alles, was ich in meinen Kriegszeiten gesehen. Unsere Gegend war durch Barrikaden abgeschlossen, sie wurden verteidigt und behauptet bis zum hellen Morgen. Kanonen, Reiterei, Fußvolk, alles war im Streit, die Geschütz- und Gewehrsalven hörten nicht auf, dazu das Geprassel der von den Dächern geschleuderten Steine, das Geschrei der Kämpfer! Vor meinen Fenstern erlag eine Schar Fußvolk dem Steinhagel. Das Haus wurde durchsucht nach Waffen, übrigens nichts genommen. Mit dem Auszug der Truppen aus der Stadt und den freigebigsten Bewilligungen abseiten des Königs endigte die Sache, die zur wirklichen Revolution überging und eine neue Zeit anhob. In dieser geht es nun vorwärts, auflösend und gestaltend, in großem Drang und Gewirre, woraus aber die Ordnung hoffentlich bald erstehen wird. Der König ist aufrichtig in der neuen Richtung, er hat die Nacht vom 18. zum 19. wie ein Gottesurteil angenommen und sich in das sonst Verhaßteste willig gefügt. Das Volk hat ein richtiges Gefühl hierin und hat noch ein Herz für den König; dagegen trifft den Prinzen von Preußen der glühendste Haß, und man hält es für unmöglich, daß er je werde den Thron besteigen können; ihm wird alle Schuld des früheren Eigensinns und des letzten Blutbades beigemessen; selbst wenn erwiesen werden mag, daß dies unrichtig sei, wird es lange dauern, ehe das tief gefaßte Vorurteil weichen wird. Die Hauptsache für uns ist, daß das preußische Parlament und dann das deutsche bald zustande kommt, daran wird aus allen Kräften gearbeitet. Freilich muß alles im Sturme täglich erneuter Überraschungen geschehen, und das macht alles mißlich. Indes wir sind einmal mitten drin und müssen hindurch! Die Welt wird übrigens nicht untergehen. – (...)

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An Amely Bölte

Berlin, 16. Mai 1848

Ihr letzter Brief, verehrtes Fräulein, den ich etwas spät – wie es scheint durch vermittelnde Hand – erhielt, mahnt mich, an den Ereignissen der Zeit tätigen Anteil zu nehmen, Sie haben überall, sagen Sie, meinen Namen gesucht und nirgends gefunden! Die Mahnung traf mich in einer Zeit, wo ich aufs neue von Unwohlsein peinlichster Art heimgesucht, mir selbst als augenscheinlicher Beweis erscheinen mußte, wie unfähig ich bin, Ihrer so wohlgemeinten Erwartung zu entsprechen. Ich leugne nicht, daß ich in manchem Betracht gesünder und stärker bin als in früherer Zeit, daß ich manches wage und leiste, was ich vor drei, vier Jahren nicht imstande gewesen wäre, aber alles ist nur einzeln und gleichsam zufällig, ohne sichre Folge und Dauer; ich kann auf keinen Tag mit Gewißheit rechnen, am wenigsten auf eine Reihe von Tagen – was läßt sich da tun! Ich war bei den Urwahlen tätig, aber mit großer Anstrengung überwand ich die Mühsale und war nachher krank. Ich hörte, daß in einigen Wahlbezirken viele Stimmen mich zum Abgeordneten nach Frankfurt wollten, allein da ich nicht zugegen war, keine Reden halten konnte, so fiel die Sache wieder, und ich hätte mit gutem Gewissen die Sache nicht annehmen können. Ganz vor kurzem versucht' ich zum erstenmal einen Volksredner im Freien mitanzuhören, eine halbe Stunde hielt ich die enge heiße Luft im dichten Menschengedränge aus, mußte dann durch die Abendkühle heimkehren und bekam ein Flußfieber, von dem ich heute noch nicht ganz wieder frei bin. Sie sehen, ich kann keine öffentliche Rolle mehr durchführen, es ist zu spät! Ja, wenn vor zwanzig Jahren diese Zeitumstände mich gerufen hätten! Ich bin so unbescheiden zu glauben, daß ich etwas Tüchtiges zu leisten imstande gewesen wäre; ja, noch mehr, ich sehe unter allen heute Tätigen keinen, denen ich in meiner eignen Schätzung mich nachstellen müßte, im Gegenteil, ich sehe mich sehr vielen an Mut und Einsicht voraus; aber was hilft's? Das Schicksal hat es anders mit mir gemeint und ich füge mich seinem Spruche; ja ich bin ihm innigst dankbar, daß es mir noch vergönnt hat, dies alles wenigstens noch zu erleben, als Tat und Wirklichkeit zu sehen, was ich als Wunsch und Hoffnung so viele Jahre in mir gehegt! – Meine Gesinnung und meine Geisteskräfte dürfen Sie unbedenklich überall gegenwärtig und mittätig glauben, wo nur irgend für die Sache des Volks und der Freiheit gearbeitet wird, und diese Teilnahme ist auch keineswegs unwirksam, denn ich stehe in vielfacher Verbindung, mündlicher und schriftlicher, und ich habe die Freude, manches Saatkorn aufgehen zu sehn, das ich ausgestreut. Diese Tätigkeit und diese Freude möcht ich um keinen Preis entbehren. Übrigens war ich nie so frei von persönlichem Ehrgeiz als eben jetzt, ich fühle, welch ein Glück es ist, in der Sache selber zu leben, anstatt in ihrem Schimmer; Namen und Ruhm werden da gleichgültig. –

Meine Zuversicht und Hoffnung sind unerschüttert, ich sehe ferne herrliche Zielpunkte, auf die mit allem Vertrauen hinzustreben ist, die gewiß einst erreicht werden. Dabei weiß ich sehr wohl, daß grade jetzt eine große Verwirrung herrscht, die noch immer zunimmt, und die uns den größten Gefahren zuführt; ich sehe furchtbare Wetter im Innern und nicht geringere von außen, ich weiß, daß der Untergang dicht neben dem Siege lauert, aber darauf muß es gewagt sein. Wie teuer der Sieg sein wird, welche Opfer ihm fallen müssen, wieviel Blut noch fließen muß, das hängt nicht sowohl von der Bewegung ab, als von dem Widerstande, den sie findet. Die Feinde haben diese Bedingungen in der Hand, sie bestimmen, welche Mittel nötig sind, das Feld zu behaupten. Wenn ich gewissen Zeichen glauben darf, so fürcht ich, es wird arg werden, und es soll uns nicht besser gehen als andern Völkern. Noch wollen die Deutschen aufrichtig ihre Könige und Fürsten, noch wollen sie den Adel freundlich in die neuen Einrichtungen aufnehmen, noch hassen sie Bluturteile und Gütereinziehung, aber – zum Frieden gehören zwei, wenn Ein Teil den Krieg fortsetzt, so ist auch der andre dazu genötigt! Das weiß ich, solche Greuel, wie die französische Revolution hat durchmachen müssen, die möchte ich nicht erleben! Der Freiheit aber werd ich sie nie zur Schuld rechnen.– (...)

Von Fräulein Lewald werden Sie längst Nachricht haben, sie hat Ihren Brief richtig erhalten. Von Paris kam sie allzu früh zurück und versäumte die dortigen Annehmlichkeiten großenteils, das Unangenehme dagegen fand sie hier nur unangenehmer wieder; denn auch im Revolutionieren sind die Franzosen uns an Geschicklichkeit und Grazie voraus. Ich sehe Fräulein Lewald wenig, sie liebt es, einen engern Kreis um sich her zu haben, und die eigentlich geselligen Verhältnisse sind überhaupt sehr gestört. – Bettina von Arnim ist auch wieder hier, besuchte mich gleich nach der Wiederkehr und seitdem öfters, und ist so freundschaftlich und vertraulich als je. Mit der Revolution ist sie vollkommen einverstanden, und Freundin der Polen und Franzosen. –

Empfehlen Sie mich aufs innigste Herrn Carlyle! Seiner wird in diesen Zeiten oft bei uns gedacht, seine Schriften »Post and present« und über »Chartism« finden dankbare Leser. Ist denn das neue Bild, das ich von ihm bekommen soll, schon abgesendet? Erhalten habe ich nichts. –

Leben Sie wohl und genießen Sie eines guten Sommers! Wie der meinige sein wird, kann ich noch nicht sagen, meine Badereise hängt von unsern öffentlichen Angelegenheiten und selbst von Geldverhältnissen ab, die sich noch nicht übersehen lassen. Bewahren Sie mir Ihr freundschaftliches Wohlwollen

Ihr
ergebenster Varnhagen von Ense

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An Amely Bölte

Berlin, 8. August 1848

(...) Unsre Angelegenheiten verwirren sich immer mehr. Ich sehe darin die Folge der aus früheren Verhältnissen auf uns vererbten Schäden, die noch immer reichlich an das Licht kommen und ihre Heilung fordern, welche jetzt ohne gewaltige Mittel nicht zu gewähren ist; aber ich sehe darin auch die Anlage zu größerer Entwicklung, als wir sie im ersten Ausbruche der neuen Erscheinungen sehen und meinen konnten. Wir fassen diese Gegenstände meist zu klein und vereinzelt, wir möchten gutmütig als Zweck annehmen, was nur ein Mittel ist, um Größeres zu bewirken. Ein paar Kampftage und der alte Druck abgetan, die neue Freiheit eingeführt, das wäre eine gar einfache und hübsche Abmachung! Doch die Geschichte rechnet so nicht, die stellt ihre Anlagen auf weite Ferne hinaus. Wir möchten gerne konstitutionelles Fürstentum, und die Mehrheit würde damit sehr befriedigt sein. Aber wenn die Geschichte dazu den Kopf schüttelt, wenn sie die Herzen der Pharaonen verstockt, die Völker mit Blindheit schlägt, die unedlen Leidenschaften aufwühlt und die edlen überschüttet – was dann? Wir müssen weiter, wenn auch mit Seufzen und Bedauern. Der Einzelne hat in diesen Stürmen keinen Halt als den sittlichen; Wahrheit und Gerechtigkeit sind immer an der Tagesordnung, mit bester Einsicht die nächste Pflicht üben, das gilt zu jeder Stunde. Aber leicht und süß ist es freilich nicht, diese Rolle folgerecht durchzuführen! – Ich bin wahrlich nicht müßig in dieser Zeit, es ist aber nicht nötig, daß es in größerem Kreise gewußt werde. Bei der Masse des Verkehrten, des Halben und Schwachen, des völlig Unsinnigen, ist leider wenig auszurichten. – In Preußen geht alles jetzt aus dem Zufall des Tages, kein leitender Gedanke, keine kräftige Führung ist wahrzunehmen. Wir häufen Fehler auf Fehler, verwirren uns in stets neuen Widersprüchen. Weiß der Himmel, wie wir uns da herausfinden werden! – (...)

– Ich will vor allem Gerechtigkeit, für alle Völker und Menschen. Daß wir nach der Revolution und trotz der Revolution noch Unterdrücker der Polen, Tschechen und Italiener sind, und es sein wollen, ist eine Schuld, die wir durch eignes Unheil büßen werden. Die Stimmen in Frankfurt, welche Deutschland frei und groß wollen auf Kosten andrer Völker, sind undeutsche, verwerfliche; sie ahmen den früheren Franzosen das nach, was uns an ihnen durchaus verhaßt war. (...)

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An Ernst von Pfuel

Berlin, 12. Oktober 1848

Herr General!

In der Bedrängnis des Augenblicks richte ich an Ew. Exzellenz diese warnenden Worte. Bringen Sie die Sache nicht aufs äußerste, lenken Sie ein, da es noch Zeit ist, Sie sind auf dem Wege des Verderbens. Sie haben jetzt eben einen Gesetzesvorschlag eingebracht, der die Volksfreiheit in der Wurzel angreift. Sie haben sich damit das Urteil gesprochen. Nehmen Sie nun auch den Frankfurter neuesten Beschluß an, so sprechen Sie auch dem Staate das Urteil, er erscheint als völlig mediatisiert, die Regierung willigt in ihre Knechtschaft, um auch das Volk wieder knechten zu dürfen. Das alles geschieht unter Ihrem Namen! Ich will Sie nicht an die Gefahr erinnern, die Sie persönlich auf sich ziehen, denn Sie sind ein tapferer Mann, der sich dadurch nicht schrecken läßt; aber ich will Ihnen vorhalten, daß Sie Ihr greises Haupt mit Schande in die Grube legen, daß Ihr Name für immer den Haß und die Verachtung des ganzen Vaterlandes tragen wird. Und, was Sie mehr noch zu erwägen haben, durch Ihr törichtes Verfahren zerbricht der Thron, fällt die Monarchie, denn alle Ihre Maßregeln haben – des seien Sie versichert – keinen Erfolg, sie werden zuschanden an der stürmenden Bewegung dieser Zeit. Weiter habe ich Ew. Exzellenz nichts zu sagen.

Sie kennen meine Handschrift, also bedarf es keiner Unterzeichnung meines Namens.

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An Justinus Kerner

Berlin, 21. September 1849

Deinen Brief vom 14. September habe ich vorgestern empfangen, und an demselben Tage traf auch aus Leipzig das Buch Bilderbuch aus meiner Knabenzeit, Braunschweig 1849. bei mir ein, das er mir ankündigt. Ich danke Dir bestens für diese Sendung und für den guten Willen, den sie mir bezeugt. Das Buch war mir durch den Buchhandel schon früher zugekommen, und ich habe mit Eifer mir es angeeignet und mit wärmstem Anteil es gelesen. Ich weile gern in der Erinnerung der Vergangenheit, in der ich mich auch mit Dir noch innig verbunden fühlen kann. Die neueste Zeit trennt uns. Ich war, seit ich anfing meiner bewußt zu sein, ein Freund der Freiheit und des Volkes und werde es bleiben bis zum letzten Lebenshauche. In allem Wechsel habe ich beide nur immer mehr erkennen und verehren gelernt, und der Schein der Ereignisse macht mich nicht irr über ihr Wesen. Wir sind alt und haben von der Welt für uns wenig mehr zu fordern, mich erhebt aber der Gedanke, daß sie den Nachlebenden reichlichst in der Tat gewähren wird, was sie mir nur im Geiste zu besitzen gewährt hat. – Lebe wohl! Ich wünsche Dir von Herzen alles Gute und so viel Freudigkeit, als ich sie jetzt sogar in der scheinbar trüben Bedrängnis ungeirrt empfinde. Mögen Deine Augen Dir erhalten bleiben! Die meinen leiden sehr, wenn auch meine Handschrift noch ziemlich dieselbe ist. Ich grüße herzlichst Deine liebe Frau, Deinen mir sehr werten Sohn und Deine edle Schwiegertochter!

In treuer Gesinnung Dein
Varnhagen von Ense


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