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Rezensionen

»Reisebilder« von H. Heine. Erster Teil. (Hamburg, bei Hoffmann und Campe, 1826.)

Will ich aufrichtig sein, so muß ich, bei mancher Mißempfindung, die mir der Verfasser bereitet, doch bekennen, daß mir sein Buch von Anfang bis zu Ende Unterhaltung gewährt, mich in Spannung und Eifer versetzt, überrascht, zuweilen besänftigt und gerührt, und sehr oft, was vielleicht nicht das Schlimmste ist, laut lachen gemacht hat. Der Humor unseres Autors hat in Wahrheit viel Eignes und Einziges; wenn die Tiefe und das Licht seiner Gedankenbilder oft an die Vorzüge Jean Pauls erinnern, manches Dunkel und manche Verwilderung seiner Gefühlsart an die glänzenden Fehler Byrons, so gehört dagegen anderes Ausgezeichnete nur ihm allein und läßt sich nur mit dem, was er selbst früher in solcher Art gegeben, in Vergleich stellen; dahin rechnen wir die ganze eigentümliche Mischung von zartestem Gefühl und bitterstem Hohn, die einzige Verbindung von unbarmherzigem, scharf einbohrendem, ja giftigem Witz und von einschmeichelnder Süßigkeit des Vortrags, lebhaftem zugleich und mildem Redefluß, der durch nichts gehemmt, durch nichts getrieben scheint, und gleichmütig über alles, was ihm in die Quere kommt, leicht dahinwallt. Auch dürfen wir als eine Eigenheit unseres Autors nicht übersehen, daß er mit gleicher Natürlichkeit – oder Fertigkeit, wenn man will – sich in beiden Formen, in Prosa und in Versen, bewegt, was bisher noch von keinem Geisteskinde seiner Art gesagt werden konnte. Er ist in der Tat nicht bloß ein Dichter, wie jeder Humorist im allgemeinen es heißen kann, sondern auch in dem engeren Wortsinne, in welchem die meisten Humoristen es nicht sind. Dies ist ein Vorzug, der noch sehr weit führen kann. Aber wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten, pflegt man zu sagen, will man vom Lobe zum Tadel übergehen, und so möchten auch wir gern das Sprüchwort uns zur Brücke machen, wenn sie uns nicht gleich unhaltbar würde! Denn das ist eben das Eigne, die Kunst, das Glück, oder auch der Nachteil jedes Autors dieser Art, daß die Elemente seiner Darstellungsweise nicht nebeneinander zum Sortieren, Auswählen und Absondern daliegen, sondern untereinander verflochten und verwachsen, ineinander gemischt und gebunden sind, und ihre Scheidung nicht ohne Zerstörung des Vorhandenen geschehen kann. Der Schatten, welchen wir nachweisen möchten, steht hier ganz im Lichte, das Licht, von dem wir geredet, ganz im Schatten, wenn wir so reden dürfen! Ohne Frage, die Wagnisse des Verfassers gehen bis zum Frevelhaften, seine Freiheiten bis zur Frechheit – die zwar selbst schon längst in unserer Literatur die göttliche heißt, seit Friedrich Schlegel in der »Lucinde« und im »Athenaeum« sie so getauft und geweiht!! – sein Mutwille wird Ausgelassenheit, seine Willkür verschmäht auch das Gemeine nicht, wenn sie unerwartet damit die Erwartung necken, durch einen Satz dorthin die gespannte Einbildungskraft plötzlich kann abschnappen lassen. Allein gerade in diese Wendungen und Sprünge windet sich der Gedanke mit ein, springt der Witz mit, und wir müssen – gleich dem Indier, der in dem unreinsten Getier, das vom geweihten Tempelbrote genascht, nun den Behälter des Geweihten verehrt – noch in der unangenehmsten Gestalt den darin verkörperten Geist anerkennen. Dies gilt jedoch einzig nur dann, wenn wirklich die Vereinigung eine wahre ist; zeigt sie sich als eine scheinbare, treffen wir die Frevelhaftigkeit und Frechheit, die im Geleit der höheren Macht höchstens unser Achselzucken erfahren dürfen, einmal für sich allein, ohne jenes Geleit, dann kennen wir auch keine Schonung, sondern fallen darüber grimmig her und reißen die Ungebühr in Stücken. Einige der Gebilde unseres Autors können durchaus kein besseres Schicksal erwarten, sie überschreiten jedes Maß, und ohne alle Not; er wird selbst am besten wissen, was er sich selber zu Ehren und seinem Buche zum Frommen aus demselben hätte weglassen sollen. – Die »Reisebilder« bestehen aus vielerlei Mitteilungen. Die »Heimkehr« in 88 Liedern – die Lieder Heines, hat man bemerkt, dividieren sich immer durch die schlimme Zahl Elf – macht den Anfang. Hier ist noch ganz die alte trübsinnig-bittere, schmerzlich-höhnische Stimmung, die wir aus den Tragödien und dem lyrischen Intermezzo unseres Dichters kennen, aber weil es mit diesem Eingebrockten doch endlich zu Ende kommen muß, so ist hier gleichsam die Grundsuppe vorgesetzt, in der die schwersten und schlimmsten Brocken liegen. Da zeigt sich denn mancherlei, was man bedenklich ansieht, wobei man den Kopf schüttelt, was man auf keine Weise rechtfertigen kann; die Beispiele überlassen wir andern anzuführen. Dann folgen einige Gedichte, welche einen etwas größeren Schwung nehmen, und mannigfaltigere Welt behandeln. Die Romanze vom Sohne des schriftgelehrten Rabbi Israel von Saragossa, im schönsten spanischen Tone, dürfte auch im Treiben der heutigen Welt für manches Alkalden-Fräulein recht wohl passen; den drei stark mahometanischen Romanzen »Almansor« hält die echt christlich-katholische »Wallfahrt nach Kevlaar« die Waage, und der Verfasser, der unseres Wissens selber Katholik ist, hätte nicht nötig gehabt, sich wegen der Deutung zu rechtfertigen, die aus dem Stoffe dieser Romanzen irrig auf seine Denkweise gemacht werden könnte. Die dritte Abteilung enthält die »Harzreise«, welche, wie mehrere der Gedichte, zum Teil schon im »Gesellschafter« abgedruckt erschienen ist; sie hat aber Zusätze und Ergänzungen erhalten. Der Verfasser geht von Göttingen aus und besucht den Harz, hat aber dabei beständig auch Berlin vor der Seele. Diesen Zusammenhang von reichen, treffenden Naturbildern, feinen Beobachtungen, schalkhaften, witzigen, beißenden Scherzen, persönlichen Feindseligkeiten, weichen Gefühlen, reizenden Liedern, tollen Fratzen, unglaublichen Verwegenheiten u.s.w. können wir hier nicht zergliedern; wir überlassen dem Leser selbst, daran sich ärgerlich und liebevoll, wie er kann, zu ergötzen; nur bemerken wir, daß das Vernunftgespenst ein wahres Meisterstück tiefsinniger Laune, und daß die Ehrenrettung eines im Text irrig verunglimpften Schauspielers in ihrer Art einzig ist. – Den Beschluß des Buches machen Seebilder, »die Nordsee« überschrieben. Diese Abteilung dünkt uns die gehaltvollste, und, nach Ausscheidung einiges Frevels, die würdigste. Hier beurkundet sich noch mehr als in der »Harzreise« das bis zum Genie gesteigerte Talent des Autors. Welche Naturschilderungen in wenigen, aber markigen, für immer bezeichnenden Worten! Welche tief geschaute Eigentümlichkeiten, reiche Beziehungen, leichtbewegte Gestalten! Hier zeigt der Dichter seine echte Verbindung mit dem Ursprünglichen, der Natur sowohl als des Geistes; sein wahres Dichter-Talent zu sehen, zu bezeichnen! Wir empfehlen besonders Nr. 1, 3, 4, 5, 9, 10, und würden auch Nr. 12 empfehlen, wenn dieses nicht durch völlig unstatthafte, tadelnswerte, schwer zu rügende Beimischung entstellt wäre. Diese Dichtungsart, des kolossalen Epigramms möchten wir sie nennen, eignet ganz besonders dem Genius unseres Autors, und daß er aus dem epigrammatischen Liede zu ihr übergegangen, kann uns ein entscheidendes Zeichen seines innern und äußern Fortschrittes sein. – Ein zweiter Teil des pikanten Buches soll nächstens nachfolgen. Unsere Neugier kann nur mit Verlangen dessen Erscheinung entgegen sehen.


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