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»Reisebilder« von H. Heine. Zweiter Teil. (Hamburg, bei Hoffmann und Campe, 1827.)

Was ich in diesen Blättern im vorigen Jahr von dem ersten Teile der Heine'schen »Reisebilder« preisend und tadelnd gesagt, gilt in vollen, ja noch erhöhten Maßen auch von diesem zweiten. Der Leser findet stets seine Rechnung, sei es nun im angenehmen Erstaunen, in heiterer Befriedigung, in großartiger Erhebung, in unwiderstehlichem Lachen, oder in heimlichem Ärger, in heftiger Ungeduld, in empörtem Unwillen; denn zu allem diesen ist reichlich Anlaß, nur nicht zur Langeweile, für welche, bei dem Reichtum und Wechsel der Gegenstände, dem raschen Witz, den beweglichen Gedanken und Bildern, der Leser keine Zeit behält. Was zuerst auffällt, ist die Überdreistigkeit, mit der das Buch alles Persönliche des Lebens nach Belieben hervorzieht, das Persönliche des Dichters selbst, seiner Umgebung in Freunden und Feinden, in Örtlichkeiten ganzer Städte und Länder; diese Dreistigkeit steigt bis zum Wagnis, ist in Deutschland kaum jemals in dieser Art vorgekommen, und um ihr ein Gleichnis aufzufinden, müßte man fast an die berühmten Junius-Briefe 1769-72 erschienen unter dem Decknamen »Junius« 69 Briefe im Londoner Public Advertiser, in denen die führenden Staatsmänner Englands scharf angegriffen wurden. Diese Briefe gelten als Meisterstücke politischer Polemik. Ihr Verfasser wurde nie mit letzter Sicherheit festgestellt. in England erinnern, mit dem Unterschiede, den die politische Richtung und der englische Maßstab für diese letztern bedingt. Aber neben und mit dieser Dreistigkeit und Ungebühr, die in ihren oft rohen und geradezu frechen Äußerungen auch der beste Freund des Dichters durchaus nicht zu entschuldigen unternehmen kann, entfaltet sich eine Innigkeit, Kraft und Zartheit der Empfindung, eine Schärfe und Größe der Anschauung, eine Fülle und Macht der Phantasie, welche auch der erklärteste Feind nicht wegzuleugnen vermag! In diesem zweiten Teile seines Buches hat der Verfasser zugleich einen ganz neuen Schwung genommen. Seine poetische Welt, anhebend von der Betrachtung seiner individuellen Zustände, breitet sich mehr und mehr aus, sie ergreift Allgemeineres, wird endlich universell; und dies nicht nur in den Stoffen, die notwendig so erscheinen müssen, sondern auch in denjenigen, welche sich recht gut in einer gewissen Besonderheit behandeln lassen, und fast immer nur so behandelt werden, in allem nämlich, was die Gefühlsstimmung überhaupt und alles Gesellschaftsverhältnis im Allgemeinen betrifft. Es ist, als ob nach einem großen Sturme, der den Ozean aufgewühlt, die Sonne mit ihren glänzenden Strahlen die Küsten beleuchtete, wo die Trümmer der jüngsten Schiffbrüche umherliegen, Kostbares mit Unwertem vermischt, des Dichters eigener ehemaliger Besitz und die Güter eines geistigen Gemeinwesens, dem er selber angehört, alles untereinander. Das Talent unsres Dichters ist wirklich ein beleuchtendes; die Gegenstände, mögen sie noch so dunkel liegen, weiß er mit seinen Strahlen plötzlich zu treffen, und sie, wenigstens im Fluge, wenigstens von einer Seite, hell glänzen zu lassen. Der Lebensgehalt europäischer Menschen, wie er sich als Wunsch, als Seufzer, als Verfehltes, Unerreichtes, als Genuß und Besitz, als Treiben und Richtung aller Art darstellt, ist hier in gediegenen Auszügen ans Licht gebracht. Die Ironie, die Satire, die Grausamkeit und Rohheit, mit welchen jener Lebensgehalt behandelt wird, sind selbst ein Teil desselben, so gut wie die Süßigkeit, die Feinheit und Anmut, welche sich dazwischen durchwinden, und so haben jene Härten, die man dem Dichter so gern wegwünscht, in ihm dennoch zuletzt eine größere Notwendigkeit, als man ihnen anfangs zugesteht. – Das Buch hat verschiedene Abteilungen. In der ersten werden die Bilder des See- und Küstenlebens fortgesetzt, welche schon im ersten Bande unter der Überschrift »die Nordsee« begonnen haben; zwölf Gedichte, kolossale Epigramme, wie schon die früheren genannt worden, stehen voran, reich an überraschenden, witzigen, aber auch an erhabenen, tiefergreifenden Wendungen; von hinreißendem, melodischen Zauber sind besonders zwei, »der Phönix« und »Echo«, in welchen der gemeinsame Refrain: »Sie liebt ihn! sie liebt ihn!« jeden Musiker von Gefühl zur Tonsetzung auffordert; »die Götter Griechenlands« und »der Gesang der Okeaniden« sind in andrer Art außerordentlich; sodann folgt in Prosa eine Schilderung des Seebades Norderney, voll beißender, scherzhafter und zum Teil auch sehr ernster Laune, in welcher eine tiefe Gesinnung sich nicht verkennen läßt; vor allem anziehend und geistreich sind einige Blätter über Napoleon und seine Geschichtschreiber. Den Beschluß dieser Abteilung machen Xenien von Immermann und Heine; sie zu loben wäre hier unangemessen, sie werden ohnehin schon von selbst sich durchbeißen, denn scharfe Zähne haben sie, mit denen sie auch zuweilen den Unrechten fassen mögen! Die zweite Abteilung ist der eigentliche Kern des Buches, sie ist überschrieben »Ideen. Das Buch Le Grand«. Davon eine Vorstellung in der Kürze zu geben, ist ganz unmöglich. Bei vielen und sehr großen Ungezogenheiten enthält dieser Aufsatz die tiefsten und wahrhaftesten Geschichtsbilder, und Napoleon ist darin mit den seltsamsten Mitteln, so rührenden und erhabenen als possenhaften und polemischen, höchst originell vor Augen und Seele geführt. Durch die Zuschrift dieses Buches an eine Dame, und die zwischen den Vortrag unaufhörlich sich durchdrängende Anrede: »Madame!« erhält das Ganze, in welchem sich Liebesgeschichte und Volks- und Weltgeschichte und wissenschaftliches und bürgerliches Treiben mit unerschöpflicher Wunderlichkeit der Formen und Übergänge verschränkt, eine noch seltsamere Farbe. Man muß das selbst lesen, um einen Begriff davon zu haben. Die dritte Abteilung gibt »Briefe aus Berlin« vom Jahre 1822, welche gleichfalls im Scherz manchen Ernst andeuten, im Ganzen jedoch milder und sanfter sind als die vorangegangenen Aufsätze. Wollte man aus dem Buche einige Proben mitteilen, so müßte man sich bald in Verlegenheit befinden, denn fast jedes Blatt bietet die außerordentlichsten Züge, deren gedrängte Fülle gerade den Charakter des Buches ausmacht; dasselbe ist gleichsam eine Sammlung von Einfällen, deren jeder, wie in einem Pandämonium, sich auf den kleinsten Raum zu beschränken sucht, um dem Nachbar, der sich aber ebenso wenig breit macht, Raum zu lassen. Mögen die Kritiker des Tages immerhin vorzugsweise die skurrile Außenseite beschreien und anklagen, dem sinnigen Leser kann nicht verborgen bleiben, welch heller, echter Geisteseinblick, welch starke, schmerzliche Gefühlsglut, mit einem Worte, welch edle und tiefe Menschlichkeit hier in Wahrheit zum Grunde liegt! – Die Ausstattung des Buches in Druck und Papier ist von der Art, daß auch von dieser Seite dasselbe sich mit Behagen lesen läßt.


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