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Der grüne Heinrich«. Ein Roman von Gottfried Keller Braunschweig. Vier Bände. (1854-1855)

Der von den Lesern der drei ersten Bände dieses ausgezeichneten Romans sehnlichst erwartete vierte Band ist endlich erschienen und somit das schöne dichterische Werk zum Abschlusse gebracht. Der Verzug, müssen wir gleich sagen, hat dem Buche keineswegs geschadet, weder Unsicherheit noch Ermüdung noch Übereilung des Autors werden sichtbar, die Geschichte geht im begonnenen Schritt und in gleichmäßiger Entwicklung weiter, das Ende verknüpft sich in ungezwungener Weise dem Anfang, und ungeachtet des großen Zwischenraums in der Abfassung ist alles wie aus Einem Guß und Fluß; ein Vorzug, der wie von selbst aus dem höhern sich ergibt, daß hier überall ein leitender Gedanke waltet und die Phantasien ohne Irrung demselben Ziele zuführt. Die lebhafte Teilnahme, mit der wir dem Lebenswege des Helden folgen, beruht auf dessen eigentümlichen Innern, das uns dargelegt wird, auf den ewigen Rätseln des menschlichen Herzens und Geistes, die erforscht und offenbart werden, weniger auf raschem Wechsel von Abenteuern und auf künstlichen Verschränkungen, die schon der biographische Zuschnitt des Romans einigermaßen ausschließt, wiewohl es auch an spannenden Auftritten, überraschenden Wendungen und kühnen Schilderungen nicht fehlt; doch diese bleiben stets dem höheren Geist untergeordnet, der über dem Ganzen schwebt und es durchdringt. Selbst einige scheinbare Auswüchse, z. B. die prächtige Ausmalung des Künstlerfestes in München und das gewagte Hinabsteigen in den Zwiespalt der menschlichen Freiheit und Notwendigkeit, sind nicht willkürliche Episoden, sondern hülfreiche Glieder des gebotenen Entwicklungsganges. Überhaupt ist diese Dichtung in jedem Sinn eine ungemeine zu nennen, eine zwar der Unterhaltung gewidmete, aber nicht für gewöhnliche Romanleser, sie fordert Leser von Gemüt, von höherem Geist, von edlem Kunstsinn. Auf solche Leser auch rechnete der Autor, als er in der Vorrede das – wir dürfen wohl sagen unnötige – Bekenntnis ablegte, er habe sich in der Ausarbeitung bisweilen vergriffen; der gemeine Leser möchte hierbei vielleicht den Dichter töricht beim Worte nehmen und festhalten wollen, der einsichtige wird den Tadel ablehnen und nur das hohe Maß künstlerischer Forderungen erkennen, welche der Dichter an sich selber macht und wahrlich auch erfüllt. – Das Werk ist ein durchaus ursprüngliches, aus kräftiger Eigenheit natürlich hervorgewachsen, reich an neuen, kernhaften Gestalten, in denen frisches Leben sprudelt, fern von aller Nachahmung, von aller Ziererei. Es weht echte Schweizerluft darin, der Geist allgemeiner Freiheit und persönlicher Selbstständigkeit. Einem solchen Ursprung und einer solchen Freigestalt dürfen wir auch einige landschaftliche Ausdrücke nicht als Flecken anrechnen; sie werden kaum störend in der sonst klaren und gewandten Schreibart, die nicht selten an die helle Festigkeit des »Wilhelm Meister«, an die zarte Anmut »Heinrichs von Ofterdingen« erinnert, und sogar den Schmuck von Sinnsprüchen des Angelus Silesius willig aufnimmt. – In Einem Stücke nur können wir unsre Unzufriedenheit nicht verhehlen; wir wünschen dem »grünen Heinrich« nicht einen so frühen Tod beschieden zu sehen, er soll mit seinen schönen Gaben und Kräften weiterleben, sich selber und uns zur Freude! Möge er als ein glücklicher redivivus uns fernerhin begegnen! Briefe


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