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Brady kam mit einer Schachtel und ging nochmals fort, nachdem er gesagt hatte:
»Sie beendigen gerade eins, aber sie kommen, sowie es fertig ist.«
Barrow nahm aus der Schachtel ein Ölbild ohne Rahmen, einen Fuß im Quadrat, stellte es in gutem Licht auf, ohne jede Erklärung, und griff nach einem zweiten, zugleich einen verstohlenen Blick auf Tracy werfend. Die steinerne Unbeweglichkeit in Tracys Zügen blieb dieselbe, und es wurde nicht das kleinste Zeichen von Interesse sichtbar.
Barrow stellte das zweite Bild neben das erste und spähte wieder nach Tracy, während er das dritte aus der Schachtel nahm. Das eherne Gesicht wurde um einen Schatten weicher. Nr. 3 brachte das Gespenst eines Lächelns hervor, Nr. 4 verwischte die Gleichgültigkeit gänzlich, und Nr. 5 weckte ein Lachen, das noch in guter und kräftiger Verfassung war, als Nr. 14 seinen Platz in der Reihe einnahm.
»Oh, mit Ihnen ist wieder alles in Ordnung,« sagte Barrow. »Sie sehen wohl, daß Sie mit dem Vergnügen noch nicht gänzlich abgeschlossen haben.«
Die Bilder waren fürchterlich in betreff der Farben und abscheulich in Zeichnung und Ausdruck; aber der Zug, der alle Feindseligkeit erstickte und das Ganze komisch machte, konnte seine volle Stärke nicht durch ein einzelnes Bild erreichen, sondern erforderte die wunderwirkende Hilfe der Wiederholung. Ein in auffallende Farben gekleideter Arbeiter in feierlicher Haltung, die Hand auf eine an der Meeresküste aufgestellte Kanone stützend, und ein in geringer Entfernung vor Anker liegendes Schiff – das alles ist bloß sonderbar; aber wenn man dieselbe Kanone und dasselbe Schiff in vierzehn in einer Reihe aufgestellten Bildern sieht und in jedem einen andern Wache stehenden Arbeiter, dann wird die Sache komisch.
»Erklären Sie – erklären Sie diese Abweichungen,« sagte Tracy.
»Nun, das sind nicht die Leistungen eines einzigen Geistes, eines einzigen Talentes – es gehören zwei dazu, solche Wunder zu verrichten. Es sind Kompaniearbeiten: der eine Künstler malt die Figuren, der andre das übrige, die Staffage. Der Figurenkünstler ist ein deutscher Schuhmacher mit einer ungeschulten Leidenschaft für die Kunst; der andre ist ein gutherziger alter Yankeeseemann, dessen Leistungen sich nur auf sein Schiff, seine Kanone und ein Stück versteinerter See beschränken. Sie malen diese Dinger auf Zinnplättchen, die sie fünfundzwanzig Cent kosten, und bekommen sechs Dollar für das Stück, und sie schmieren deren zwei in einem Tag zusammen, wenn sie gerade ›inspiriert‹ sind.«
»Und es gibt wirklich Leute, die Geld für solche Abscheulichkeiten bezahlen?«
»Ja, die gibt es, und sie bezahlen es noch dazu recht gern. Und diese Stümper könnten ihr Geschäft verdoppeln und die Frauen in ihren Kundenkreis hineinziehen, wenn Kapitän Saltmarsh ein Pferd, ein Klavier, eine Gitarre anstatt seiner Kanone hineinzuklecksen vermöchte. Die Sache ist die, daß er den Markt ermüdet mit dieser Kanone, selbst den männlichen Teil desselben. Diese vierzehn der Reihe nach sind nicht alle zufriedengestellt. Der eine ist ein alter ›unabhängiger‹ Maschinenheizer, und er möchte anstatt der Kanone eine Maschine haben; ein andrer ist Matrose auf einem Schlepper und wünschte einen solchen anstatt des Schiffes zu haben, und so weiter, und so weiter. Aber der Kapitän kann keine glaubhaften Schlepper fertigkriegen, und eine Dampfmaschine geht weit über seine Kräfte.«
»Dies ist eine ganz außergewöhnliche Art von Diebstahl, ich habe nie von etwas Ähnlichem gehört; es ist aber interessant.«
»Ja, und auch die Künstler sind es. Beide sind durchaus ehrliche und aufrichtige Männer. Der alte Seemann ist voll wahrer Religiosität und dem Lesen und falschen Zitieren der Bibel so ergeben wie selten einer. Ich kenne keinen besseren, treuherzigeren Mann als den alten Saltmarsh, wenn er auch manchmal ein bißchen flucht.«
»Er scheint wirklich vollkommen zu sein; ich möchte ihn kennen lernen, Barrow.«
»Das soll Ihnen werden. Ich glaube, ich höre sie schon kommen. Wir wollen sie über ihre Kunst ausfragen, wenn Ihnen das recht ist.«
Die Künstler kamen, und es fand ein herzliches Händeschütteln statt. Der Deutsche war ein Vierziger, ziemlich wohlgenährt, mit einem glänzenden Kahlkopf, einem gutmütigen Gesicht und sehr höflichen Manieren. Kapitän Saltmarsh war sechzig Jahre alt, groß, hoch aufgerichtet, kräftig gebaut, mit kohlschwarzem Haar und Bart; sein Gesicht war wettergebräunt, seine Haltung und sein Gang zeigten Selbstvertrauen, Entschiedenheit und die Gewohnheit des Befehlens. Seine schwieligen Hände und seine Gelenke waren mit Tätowierungen bedeckt, und wenn er die Lippen öffnete, leuchteten seine weißen, tadellosen Zähne daraus hervor. Seine Stimme erklang im mühelosen, tiefen Baß einer Kirchenorgel und war imstande, auf fünfzig Meter Entfernung die Ruhe einer Gasflamme zu stören.
»Das sind wundervolle Gemälde,« sagte Barrow. »Wir haben sie eben besehen.«
»Das is ja sähr ankenehm, daß sie Ihnen kefallen,« sagte Handel, der Deutsche, hocherfreut. »Und Sie, Herr Tracy, Ihnen haben sie auch kefallen?«
»Ich kann aufrichtig sagen, daß ich noch nie etwas Ähnliches gesehen habe.«
»Scheen!« rief der glückliche Deutsche. »Hären Sie's, Gaptän? Hier is e Herr, ja – der unsre Gunst wirdigt.«
Der Kapitän war entzückt und sagte:
»Jedenfalls, mein Herr, sind wir dankbar für Komplimente, wenn dieselben jetzt auch nicht mehr so selten sind wie damals, als wir noch keinen Ruf hatten.«
»Das Erwerben des Rufes ist der schwierigere Teil der Arbeiten in den meisten Fällen, Kapitän.«
»So ist es. Es ist nicht genug, daß man verstehe, ein Segel zu reffen, man muß auch die Matrosen davon überzeugen, daß man es versteht. Das heißt Ruf haben. Das gute Wort, zur rechten Zeit gesagt, das ist das Wort, das uns hilft. Und Übles geschehe dem, der Übles denkt, wie Jesaias sagt.«
»Das ist sehr richtig und trifft genau den Nagel auf den Kopf,« sagte Tracy. »Wo haben Sie Ihre Kunststudien gemacht, Kapitän?«
»Ich habe gar keine Studien gemacht, es ist eine natürliche Gabe.«
»Er is mit dieser Ganone keboren. Er hat kar nichts zu dhun, sein Scheni dhut alle Arbeit von selbst. Wenn er auch halb im Schlaf is und nimmt einen Binsel zur Hand, gommt eine Ganone heraus. Wenn er ein Glafier zeichnen könnte, eine Kitarre, einen Waschdrog – das wäre ein Vermögen wert, heiliger Johannes – das wäre ein Glick.«
»Ja, es ist außerordentlich schade, daß das Geschäft in dieser betrübenden Weise gehindert und eingeschränkt ist.«
Der Kapitän wurde jetzt selbst ein wenig erregt.
»Sie sprechen es aus, Mr. Tracy. Gehindert, ja wohl, das ist es. Sehen Sie, dieser Bursche hier Nr. 11 ist ein Droschkenvermieter, ein blühender Droschkenbesitzer, kann man sagen. Er will nun seine Droschke auf dem Bild haben, will sie dort haben, wo die Kanone steht. Ich umgehe die Schwierigkeit dadurch, daß ich ihm sage, die Kanone sei gewissermaßen unsre Handelsmarke, und sie beweise, daß das Bild unser Werk ist, und ich fürchtete, daß, wenn wir sie wegließen, die Leute dann nicht sicher wären, ob es wirklich ein Saltmarsh-Handel sei; – Sie selbst werden vielleicht –«
»Halt, Kapitän, Sie tun sich selbst unrecht, gewiß, das tun Sie. Jeder, der einmal einen echten Saltmarsh-Handel gesehen hat, ist für immer vor Betrug sicher. Streifen Sie alle Einzelheiten davon ab, entziehen Sie dem Bild alles bis auf Farbe und Ausdruck, und man wird es doch erkennen und bewundernd davor stehenbleiben.«
»Oh, wie wohl dhut es mir, diese Worte zu hören.«
»Jeder wird sich sagen, wie er es sich schon hundertmal gesagt hat, daß die Saltmarsh-Handel-Kunst eine ganz eigenartige Kunst ist und daß es weder oben im Himmel noch unten auf der Erde etwas gibt, das ihr gleicht.«
»Ei Herrje, nu hären Se emal. In meinem kanzen Leben hab' ich noch keine so göstlichen Worte kehört.«
»Ich redete ihm also die Droschke aus, Mr. Tracy, und er gab nach und sagte, man solle statt dessen einen Leichenwagen hineinbringen – weil er Oberaufseher über einen Leichenwagen ist, der ihm nicht gehört, den er nur um Lohn bewacht. Aber ich kann ebensowenig einen Leichenwagen zeichnen als eine Droschke; da stehen wir nun und haben Windstille, verstehen Sie. Und mit den Frauen und dergleichen ist es ganz dasselbe. Sie kommen und wollen ein kleines Schangerbild –«
»Das Beiwerk ist es wohl, das es zu einem Genrebild macht?
»Ja, Kanone oder Katze, oder irgendein kleiner Gegenstand dieser Art, den man hineinmalt, um die Wirkung zu erhöhen. Wir könnten glänzende Geschäfte mit Frauen machen, wenn wir nur einen Vordergrund aus Dingen bilden könnten, die sie gern haben, aber für Artillerie geben sie keinen Heller. An mir liegt die Schuld,« sagte der Kapitän mit einem Seufzer. »Handels Teil am Geschäft ist ganz in Ordnung – ich kann Ihnen sagen, er ist ein Künstler von Hause aus.«
»Nu härn Se bloß den alten Mann. Er spricht immer so von mir,« stotterte der erfreute Deutsche.
»Sehen Sie nur seine Werke an; vierzehn Porträte in einer Reihe, und nicht zwei davon sind einander gleich.«
»Das ist wahr; erst jetzt, wo Sie davon sprechen, sehe ich es, vorher hatte ich es gar nicht beachtet. Das ist sehr bemerkenswert: ganz einzig.«
»Das will ich meinen. Die Hauptsache bei ihm ist, er unterscheidet. ›Unterscheidung ist der Dieb der Zeit,‹ Sela – 49. Psalm; aber darauf kommt es hier nicht an; es ist das ehrlichste und trägt schließlich auch etwas ein.«
»Ja, er ist ohne Zweifel groß in dieser Richtung, man muß es zugeben, aber – glauben Sie nur nicht, ich wolle wirklich kritisieren – meinen Sie nicht, daß er in der Technik ein wenig zu stark ist?«
Das Gesicht des Kapitäns wurde bei dieser Bemerkung völlig ausdruckslos; es blieb auch völlig nichtssagend, während er für sich murmelte: »Technik – Polytechnik – Pyrotechnik – das ist's wahrscheinlich – Feuerwerk – zu viel Farbe.« Dann sagte er laut mit wiedergewonnenem Selbstvertrauen und schließlich auch mit Gelassenheit:
»Nun ja, er trägt ein wenig dick auf, aber wissen Sie, das haben sie alle gern. Nehmen Sie hier Nr. 9, Evans der Fleischer. Er kommt ins Atelier so nüchtern in Farbe, als man nur sein kann; sehen Sie ihn aber jetzt an. Man glaubt, er habe das Scharlachfieber. Nun, das gefällt dem Fleischer über alle Maßen. Ich zeichne jetzt eine Studie für einen Kranz aus Würsten, der an der Kanone aufgehängt werden soll; ich bin noch nicht sicher, ob ich es fertigbringe, aber wenn ich es kann, so haben wir den Fleischer fest.«
»Ihr Spießgeselle – ich meine Ihr – Ihr Mitarbeiter – ist ohne Zweifel ein großer Kolorist.«
»Oh, danke schön.«
»Wirklich, ein ganz ungewöhnlicher Kolorist, ein Kolorist, das wage ich zu behaupten, der hier und auswärts ohne Nachahmer ist und einen kühnen, kräftigen Strich hat, einen Strich, der wie ein Sturmbock wirkt; und eine so eigentümliche, romantische Manier, so fremdartig und frei, so herzergreifend, daß – daß – ich vermute, er ist Impressionist?«
»Nein,« sagte der Kapitän in seiner Einfalt, »er ist Presbyterianer.«
»Das erklärt alles, alles. Es liegt etwas Göttliches, Frommes in seiner Kunst; sie ist seelenvoll, unbefriedigt, ein sehnsuchtsvolles Blicken nach dem fernen Horizont, ein geheimnisvolles Flüstern mit dem Geist aus der Ultramarineentfernung, und ein weit hertönendes Brausen aus dem unerschaffenen Raume. Hat er wohl jemals Temperafarben versucht?«
»Nicht daß ich wüßte, aber sein Hund.«
»Nee, nee, das war nich mein Hund.«
»Sie sagten doch, es wäre Ihr Hund?«
»O nee, Gapitän, ich – –«
»War es nicht ein weißer Hund mit abgeschnittenem Schwanz und nur einem Ohr, und –«
»Das is er, das is er – kanz der Hund. Nun bei St. Georg, der Hund fraß Farben, gerade als ob – –«
»Fangen Sie nicht wieder davon an – kein Aufheben. Wenn dieser Mann einmal von dem Hund anfängt, streitet er ein Jahr lang darüber. Ich habe es selbst erlebt, wie er zwei und eine halbe Stunde dabei beharrte.«
»Aber, Kapitän,« sagte Barrow, »das hörten Sie wohl nur sagen.«
»Nein, nichts von Hörensagen, er stritt mit mir selber.«
»Ich kann nicht begreifen, wie Sie das aushielten.«
»Oh, man muß – wenn man mit Handel lebt; aber es ist sein einziger Fehler.«
»Fürchten Sie nicht, daß Sie denselben auch annehmen könnten?«
»Oh nein,« sagte der Kapitän mit großer Ruhe, »damit hat es keine Gefahr, denke ich.«
Die Künstler verabschiedeten sich nun. Barrow legte die Hand auf Tracys Schulter und sagte:
»Sehen Sie mir ins Auge, mein Junge. Aber fest. Es ist ganz, wie ich dachte oder jedenfalls hoffte. Sie sind gottlob wieder vollständig in Ordnung. Ihrem Verstand fehlt nichts. Aber stellen Sie nicht wieder solche Dinge an, auch nicht im Scherz. Es ist nicht klug. Man würde Ihnen nicht geglaubt haben, wenn Sie wirklich der Sohn eines Lords wären. Man konnte es Ihnen nicht glauben, sehen Sie das nicht ein? Wie kamen Sie nur auf solch einen Einfall? Aber lassen wir das nun gut sein, und sprechen wir nicht mehr darüber. Es war ein Fehler, das sehen Sie jetzt selbst ein.«
»Ja, es war ein Fehler.«
»Schlagen Sie es sich nun aus dem Sinn, es ist ja nichts Böses, wir alle machen solche Fehler. Nehmen Sie Ihren Mut zusammen, grübeln Sie nicht und geben Sie die Hoffnung nicht auf. Ich stehe hinter Ihnen, und wir wollen schon durchkommen, seien Sie nicht bange.«
Als er fort war, ging Barrow eine Weile im Zimmer auf und ab, in seinem Innern ziemlich unruhig. Er sagte bei sich: »Ich mache mir doch Kummer seinetwegen. Er würde nie einen solchen Streich gemacht haben, wenn er nicht doch ein wenig aus dem Gleichgewicht gekommen wäre. Ich weiß, was aus einem Mann werden kann, der keine Arbeit und auch keine Aussicht auf Beschäftigung hat. Zuerst nimmt es ihm allen Mut und zieht seinen Stolz in den Staub; die Sorge tut das übrige, und der Verstand wird wackelig. – Ich muß mit diesen Leuten reden. Wenn irgendein wenig Menschenfreundlichkeit in ihnen ist – und im Grund ist das ja der Fall –, so werden sie ihn besser behandeln, wenn sie bedenken, daß der Kummer seinen Verstand getrübt hat. Aber ich muß Arbeit für ihn auftreiben; Arbeit ist die einzige Arznei für seine Krankheit. Armer Teufel! So weit von der Heimat weg und ohne einen Freund!«