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4

Der Tag war unterdessen vorgerückt. Nach dem Mittagessen brachten die Freunde einen langen mühevollen Abend damit hin, zu bestimmen, was mit den fünftausend Dollar Belohnung geschehen sollte, die sie erhalten würden, wenn sie den einarmigen Peter finden, fangen, seine Identität feststellen, ihn verhören und nach Tahlequah im Indianer-Territorium senden könnten. Aber es gab so viele verlockende Aussichten, bares Geld anzubringen, daß sie es unmöglich fanden, einen Entschluß zu fassen und ihn auch festzuhalten.

Mrs. Sellers wurde endlich der Sache überdrüssig und sagte: »Das ist Unsinn, ein Kaninchen zu braten, ehe es gefangen ist.«

Man ließ den Gegenstand einstweilen fallen, und alle gingen zu Bett. Am nächsten Morgen machte der Oberst auf Hawkins' Veranlassung Zeichnungen und Erklärungen zu seinem Vexierspiel und bewarb sich um ein Patent darauf. Hawkins nahm das Spielzeug und machte sich auf, um zu versuchen, was im Handelswege damit zu erzielen sein würde. Er brauchte nicht weit zu gehen. In einer kleinen alten Holzbude, die einst eine bescheidene Negerfamilie bewohnt hatte, fand er einen verschmitzt aussehenden Yankee damit beschäftigt, billige Stühle und andre alte Möbel auszubessern. Dieser Mann sah das ihm vorgelegte Spielzeug zuerst mit gleichgültigen Augen an, versuchte das Geheimnis desselben herauszufinden, wurde immer aufmerksamer und eifriger, kam endlich zum Ziel und fragte:

»Ist es schon patentiert?«

»Zur Patentierung angemeldet.«

»Das genügt. Was verlangen Sie dafür?«

»Was kann es im Einzelverkauf einbringen?«

»Nun, fünfundzwanzig Cent sollte ich meinen.«

»Was würden Sie für das ausschließliche Verkaufsrecht geben?«

»Ich könnte, wenn ich bar bezahlen sollte, keine zwanzig Dollar dafür geben; aber ich will Ihnen sagen, was ich tue. Ich stelle es her, bringe es in den Handel und gebe Ihnen von jedem Stück fünf Cent ab.«

Washington seufzte. Wieder eine vernichtete Hoffnung; es war also kein Geld damit zu verdienen. Endlich sagte er:

»Es mag drum sein, nehmen Sie es dafür. Setzen Sie einen Vertrag auf.«

Er ging mit dem Vertrag seiner Wege und schlug sich die Sache aus dem Sinn; desto eifriger sann er aber darüber nach, wie er wohl auf die vorteilhafteste Weise die Hälfte der zu erlangenden Belohnung anlegen könne, im Fall sie eine beide Empfänger befriedigende Anlage nicht finden würden. Er war noch nicht lange zu Hause, als Sellers dort ankam, schmerzerfüllt und doch strahlend vor freudiger Erregung und diese beiden Gemütsbewegungen mit Erfolg bald einzeln, bald vereint zum Ausdruck bringend. – Er sank an Hawkins' Brust und schluchzte:

»Oh, traure mit mir, mein Freund, traure um mein verödetes Haus. Der Tod hat meinen letzten Vetter ereilt, und ich bin nun Graf von Roßmore – gratuliere mir!«

Er wendete sich zu seiner Gattin, die während dieser Szene eingetreten war, legte seinen Arm um ihre Schulter und sagte:

»Du wirst dich fassen, mir zuliebe, Mylady. Es hat so kommen sollen. Es war Bestimmung.«

Sie faßte sich sehr leicht und sagte:

»'s ist kein großer Verlust. Simon Lathers war ein armer, gutmütiger, unnützer Mensch, weiter nichts; und sein Bruder war keinen Heller wert.«

Der rechtmäßige Lord fuhr fort:

»Ich bin durch die widerstreitenden Gefühle des Schmerzes und der Freude zu sehr angegriffen, um meine Gedanken auf Geschäftliches richten zu können. Ich will deshalb unsern guten Freund hier bitten, diese Nachricht telegraphisch oder durch die Post Lady Gwendolin mitzuteilen und ihr zu sagen –«

»Was für einer Lady Gwendolin?«

»Unsrer armen Tochter, die – ach! –«

»Sally Sellers? Mulberry Sellers, bist du verrückt geworden?«

»Bitte, vergiß nicht, wer du bist und wer ich bin bedenke deine Würde und nimm Rücksicht auf die meinige. Es wäre überhaupt am schicklichsten, den Gebrauch meines Familiennamens jetzt aufzugeben, – Gräfin Roßmore.«

»Lieber Himmel! Ist mir je so etwas vorgekommen! Wie soll ich dich denn nennen?«

»Wenn wir allein sind, mögen die gewohnten Zärtlichkeitsausdrücke noch bis zu einem gewissen Grade zulässig sein, aber in der Öffentlichkeit wird es passend erscheinen, daß Sie, gnädige Frau, mich Mylord anreden, und von mir sprechend entweder Roßmore, der Graf, oder Seine Lordschaft sagen.«

»Oh, Unsinn, das kann ich niemals fertig bringen.«

»Aber du mußt, meine Liebe; wir müssen unsrer veränderten Stellung Rechnung tragen und uns, so gut wir es vermögen, ihren Anforderungen unterwerfen.«

»Nun, meinetwegen, du sollst deinen Willen haben; ich habe noch niemals deinen Befehlen meine Wünsche entgegengestellt, Mul– Mylord, und es ist spät, jetzt damit noch anzufangen, wenn es auch meiner Meinung nach die ausgemachteste Torheit ist, die man sich denken kann.«

»Das heißt sprechen wie mein liebes, treues Weib. Komm, küsse mich und laß uns wieder Freunde sein.«

»Aber, Gwendolin! – Ich weiß nicht, wie ich mich jemals an diesen Namen gewöhnen soll. Kein Mensch wird doch Sally Sellers darunter vermuten; er ist auch viel zu groß für sie, kommt mir vor wie ein kleiner Cherub in einem weiten Mantel. Und dann ist es nach meiner Ansicht auch so eine ganz ausländische Art von einem Namen.«

»Du wirst nicht hören, daß sie selbst etwas dagegen einzuwenden hat, Mylady.«

»Das mag richtig sein. Sie neigt zu allem möglichen romantischen Unsinn, als ob sie dazu geboren wäre. Das hat sie nicht von mir, so viel ist gewiß. Und daß sie in das dumme College geschickt wurde, hat nichts dagegen geholfen, ganz das Gegenteil.«

»Höre nur, Hawkins, wie sie spricht! Rowena, Ivanhoe-College ist der auserwählteste und vornehmste Sitz der Gelehrsamkeit für die jungen Damen unsers Landes. Unter keiner Bedingung kann ein Mädchen dort eintreten, wenn sie nicht entweder sehr reich und in der Gesellschaft angesehen ist oder vier Generationen sogenannten amerikanischen Adels aufzuweisen hat. Das College hat burgartige Gebäude mit Türmen und Türmchen sowie einen imitierten Wallgraben; alles in diesem Anwesen ist mit Namen aus Walther Scotts Werken belegt, alles atmet Vornehmheit, Glanz und feinsten Stil. Die reichsten Mädchen halten sich Phaetons und Kutscher in Livree und haben Reitpferde, und englische Reitknechte mit hohen Hüten, zugeknöpften Röcken und Stulpenstiefeln, einen Peitschenstab ohne Peitsche in der Hand, reiten dreiundsechzig Fuß hinter ihnen –«

»Und dabei lernen sie nicht das geringste, Washington Hawkins, nicht das allergeringste, nur in die Augen fallende Torheiten und ganz unamerikanische Anmaßungen. Aber schicke nur nach Lady Gwendolin, tue es nur, denn vermutlich verlangen es die Vorschriften des gräflichen Standes, daß sie nach Hause kommt, um in Zurückgezogenheit für die Arkansaslandstreicher zu trauern, die sie verloren hat.«

»Meine Teure! – Landstreicher? Bedenke: Noblesse oblige

»Schon gut, schon gut; sprich mit mir nur in deiner eignen Sprache, Roß, denn du kannst doch keine andre und verpfuschst sie nur, wenn du es versuchst. Starre mich nicht so entsetzt an, es ist mir nur so entschlüpft und noch kein Verbrechen. Die Gewohnheiten eines ganzen Lebens legt man nicht in einer Minute ab, Roßmore – so, nun beruhige dich und geh, um für Gwendolin zu sorgen. Werden Sie schreiben, Washington, oder telegraphieren?«

»Er wird telegraphieren, meine Liebe.«

»Das dachte ich mir gleich,« murmelte Lady Roßmore, als sie das Zimmer verließ. »Das will er haben, damit die Adresse auf dem Kuvert steht. Er wird aus dem Kind noch eine Närrin machen. Sie wird es natürlich bekommen, denn selbst wenn noch andre Sellers da sind, können diese es nicht beanspruchen. Und sie wird es schon überall herumzeigen und soviel als möglich daraus machen. Nun, das ist ihr am Ende zu verzeihen. Sie ist so arm, und die andern sind so reich, da hat sie von dem Hochmut dieser eingebildeten Emporkömmlinge gewiß manches ertragen müssen, und mir scheint, es ist nur menschlich, wenn sie es ihnen jetzt heimzahlt.«

Onkel Dan'l mußte das Telegramm besorgen, denn obgleich in einer Ecke des Wohnzimmers als in die Augen fallender Gegenstand ein Telephon angebracht war, fand doch Washington alle Versuche, eine Verbindung mit der Zentralstelle zu erreichen, vergeblich. Der Oberst brummte, es sei immer nicht in Ordnung, wenn man es besonders nötig brauche, unterließ aber zu erklären, daß das Ding überhaupt keine Drähte hatte. Trotzdem benutzte es der Oberst oft, wenn Fremde da waren und schien auf diesem Wege Botschaften zu erhalten. Schwarz gerändertes Papier und ein Siegel wurden bestellt, und dann begaben sich die Freunde zur Ruhe.

Am nächsten Nachmittag, während Washington, einer an ihn ergangenen Aufforderung folgend, das Porträt Andrew Jacksons mit schwarzem Krepp drapierte, meldete der rechtmäßige Lord dem Usurpator in England den Verlust, den die Familie erlitten, in jenem Brief, den wir bereits kennen. Er gab auch den Behörden in Duffys Corner, Arkansas, schriftlich den Auftrag, die irdischen Überreste der Zwillingsbrüder durch einen Sachverständigen aus St. Louis einbalsamieren und dem Usurpator mit der Rechnung sogleich per Schiff zugehen zu lassen. Dann zeichnete er das Roßmorewappen mit dem Motto auf ein großes Blatt Löschpapier, und er und Hawkins brachten es dem möbelausbessernden Yankee; von dort kamen sie nach einer Stunde mit zwei staunenerregenden Schildern zurück, die sie an der Vorderseite des Hauses befestigten. Das sollte Aufsehen erregen und tat es auch; ein so ungewöhnlicher Gegenstand übte auf die in der Nachbarschaft wohnenden trägen und arbeitslosen Neger und eine Menge zerlumpter Kinder und herumstreifender Hunde mehrere Tage lang eine bedeutende Anziehungskraft aus.

Der neue Lord fand – ohne davon überrascht zu sein – die folgende Notiz »aus der Gesellschaft« in der Abendzeitung, schnitt sie aus und klebte sie in sein Notizbuch:

»Durch einen neuerlichen Todesfall gelangt unser geschätzter Mitbürger, Oberst Mulberry Sellers, lebenslängliches Mitglied des diplomatischen Korps, als rechtmäßiger Lord in den Besitz der großen Grafschaft Roßmore, der dritten der großbritannischen Grafschaften dem Range nach, und wird durch einen vor dem Oberhause anzustrengenden Prozeß die nötigen Maßregeln ergreifen, um dem gegenwärtigen unrechtmäßigen Inhaber Besitz und Titel zu entreißen. Bis die Trauerzeit vorüber ist, wird der übliche Donnerstagabendempfang im Roßmore-Kastell ausgesetzt bleiben.«

Lady Roßmores Kommentar, Selbstgespräch:

»Empfangsabende! Leute, die ihn nicht genau kennen, mögen ihn für alltäglich halten, meiner Meinung nach ist er einer der ungewöhnlichsten Menschen, die ich je gesehen habe. In der Fähigkeit und Schlagfertigkeit, sich Dinge auszudenken und zu erfinden, hat er nicht seinesgleichen, das behaupte ich. Wem würde es denn eingefallen sein, diese armselige alte Rattenfalle Roßmore-Kastell zu nennen. Ihm kommt das ganz von selbst. Es ist ohne Zweifel ein Segen, eine Einbildungskraft zu besitzen, die einen immer glücklich machen kann, wie es auch geht. Onkel David Hopkins pflegte immer zu sagen: Sollte ich in Johann Kalvin verwandelt werden, dann würde ich erst zu wissen verlangen, wohin mein Weg führen würde; in Mulberry Sellers verwandelt, würde ich mir keinen Kummer darüber machen.«

Das Selbstgespräch des rechtmäßigen Lords lautete:

»Es ist ein schöner Name, sehr schön. Schade, daß ich nicht daran dachte, ehe ich dem Usurpator schrieb. Aber ich werde schon daran denken, wenn er antwortet.«


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