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9

Der Lord und Washington traten den traurigen Gang an, unterwegs von dem Unfall sprechend.

»Wieder wie gewöhnlich.«

»Was, Oberst?«

»Sieben von ihnen in dem Hotel, Schauspielerinnen nämlich, sind natürlich alle abgebrannt.«

»Ist eine von ihnen verbrannt?«

»O nein, sie kamen davon, das gelingt ihnen immer, aber niemals ist eine besonnen genug, ihre Juwelen zu retten.«

»Das ist sonderbar.«

»Sonderbar? – Es ist die unerklärlichste Sache von der Welt. Die Erfahrung lehrte sie gar nichts, sie scheinen nur aus Büchern lernen zu können. In manchen Fällen ist es wie eine Vorherbestimmung. Nimm zum Beispiel die Dingsda, die die sensationellen Kraftrollen spielt. Sie hat einen geradezu ungeheuren Ruf erlangt, zieht das Publikum an wie ein Hundekampf – und das nur durch ihre Verluste bei Hotelbränden.«

»Wie konnte das ihren Ruf als Schauspielerin begründen?«

»Das tat es nicht, es machte nur ihren Namen bekannt. Die Leute wollen sie spielen sehen, weil ihr Name viel genannt wird, aber sie wissen nicht, weshalb er so bekannt ist, weil sie sich der Ursache nicht erinnern. Am Anfang war sie ganz unten am Fuß der Leiter und vollständig unbekannt, Gage dreizehn Dollar wöchentlich, wobei sie die Wattons selbst zu liefern hatte.«

»Wattons?«

»Ja, mit deren Hilfe sie ihre Spindelbeine rund und voll und anziehend gestaltete. Nun, eben diese Schauspielerin brannte in einem Hotel ab und verlor dabei für dreißigtausend Dollar Diamanten.«

»Diese? – Wo hatte sie die her?«

»Gott weiß – wahrscheinlich von törichten jungen Grünschnäbeln und von schimmeligen alten Kahlköpfen, die in der ersten Reihe sitzen. Alle Zeitungen waren damals voll davon. Sie beanspruchte nun höhere Gage und bekam sie auch. Später brannte sie nochmals ab und verlor wieder alle ihre Diamanten. Das brachte sie so in die Höhe, daß sie nun berühmt – ein ›Star‹ geworden ist.«

»Nun, wenn sie auf weiter nichts als Hotelbrände für die Aufrechterhaltung ihres Namens zu rechnen hat, so ist das, meiner Meinung nach, ein ziemlich unsicherer Ruf.«

»Nicht in diesem Fall; nein, durchaus nicht. Sie hat zu viel Glück, angeborenes Glück, behaupte ich. Jedesmal, wenn ein Hotel brennt, ist sie dabei; und sollte sie selbst nicht dabei sein können, so sind wenigstens ihre Diamanten dort. Nun, das kann man doch nicht wohl anders erklären, als bloß durch Glück.«

»So etwas habe ich noch nie gehört. Sie muß ja Hände voll Diamanten verloren haben.«

»Was, Hände voll – scheffelweise hat sie sie verloren. Es ist dahin gekommen, daß die Hotels in bezug auf sie abergläubisch geworden sind; sie wollen sie gar nicht mehr aufnehmen. Sie fürchten, es könnte ein Brand ausbrechen; und außerdem wird die Versicherung ungültig, wenn sie da ist. In der letzten Zeit ist sie etwas aus der Mode gekommen, aber dieses Feuer bringt sie wieder in die Höhe; sie verlor diese Nacht wieder für sechzigtausend Dollar.«

»Ich meine, sie ist eine Närrin. Wenn ich Diamanten im Wert von sechzigtausend Dollar hätte, würde ich sie nicht einem Hotel anvertrauen.«

»Ich auch nicht; aber eine Schauspielerin kann man so etwas nicht lehren. Diese hier ist fünfunddreißigmal abgebrannt; und trotzdem, wenn diese Nacht in San Franzisko ein Hotelbrand vorkommt, muß sie wieder dabei bluten. Darauf kannst du dich verlassen. Ganz verrückt. Man sagt, sie habe Diamanten in jedem Hotel des Landes.«

Als die beiden Herren auf der Brandstätte ankamen, warf der alte Lord nur einen Blick auf die melancholische Morgue und wendete sich dann, von dem Schauspiel überwältigt, ab. Er sagte:

»Es ist nur zu wahr, Hawkins, das Erkennen ist unmöglich. Nicht einer von den fünf Toten könnte von seinen nächsten Verwandten identifiziert werden. Triff du die Wahl, ich kann es nicht.«

»Welchen von ihnen soll ich ...«

»Oh, welchen du willst; suche den besten heraus.«

Die Polizeioffiziere versicherten dem Lord – denn sie kannten ihn, jedermann in Washington kannte ihn – daß die Lage, in welcher diese Körper gefunden worden seien, es unmöglich erscheinen ließe, daß einer von ihnen der seines edlen jungen Verwandten sein könne. Sie zeigten ihm den Platz, wo er, wenn der Zeitungsbericht zutreffend war, der Zerstörung anheimgefallen sein mußte; und wieder an einem andern Ort in beträchtlicher Entfernung davon zeigten sie ihm, wo der junge Mann versunken sein müsse, wenn er in seinem Zimmer erstickt wäre. Zu einem dritten, ganz abgelegenen Platz führten sie ihn noch, wo jener möglicherweise den Tod gefunden, wenn er versucht hatte, durch den Ausgang an der Rückseite des Hauses zu entkommen. Der Obrist wischte eine Träne aus dem Auge und sagte zu Hawkins:

»Wie es sich jetzt herausstellt, lag in meiner Befürchtung etwas Prophetisches. Ja, es handelt sich nur noch um Asche. Willst du gefälligst nach dem nächsten Kramladen gehen und noch einige Körbe holen?«

In ehrerbietiger Weise sammelten sie einen Korb voll Asche von jedem der nun geheiligten Plätze und brachten sie nach Hause, um über die beste Art und Weise, sie nach England zu befördern, zu beratschlagen, aber auch um Gelegenheit zu einer Ausstellung auf dem Paradebett zu bieten, ein Zeichen der Achtung, welches der Oberst, dem hohen Rang des Verstorbenen gemäß, für geboten hielt.

Sie stellten die Körbe auf den Tisch des Zimmers, welches früher Bibliothek, Wohnzimmer und Werkstatt, jetzt Empfangszimmer war, und gingen in die Rumpelkammer hinauf, um eine britische Flagge zu suchen, die als ein Teil der für ein Paradebett geeigneten Ausschmückung dienen sollte. Kurz darauf kam Lady Roßmore von der Straße herein und erblickte die Körbe, eben als ihr auch die alte Jenny zu Gesicht kam. Ihre gewöhnliche Geduld verließ sie, und sie sagte zu der Alten: »Was wirst du denn noch alles anstellen! Wie kann es dir nur um alles in der Welt einfallen, den Tisch des Besuchzimmers mit diesen Aschenkörben zu beschmutzen?«

»Asche?« Sie kam näher, um sich das anzusehen und hob die Hände in pathetischem Erstaunen in die Höhe.

»Hab' ich je so was gesehen!«

»Hast du es etwa nicht getan?«

»Wer? ... Ich? Meine Güte, isse jetzt das erstemal, daß ich es sehe, Miß Polly. Das isse Dan'l, der alte Mann verlieren sein Verstand.«

Aber Dan'l hatte es auch nicht getan, denn er wurde hereingerufen und leugnete entschieden.

»Isse das nich keineswegs zu erklären; aber passiert so ungewöhnlich Ding, dann man kann rechnen, die Katze ...«

»Oh!« und ein Schauder schüttelte Lady Roßmore vom Kopf bis zu den Füßen. »Jetzt weiß ich es. Geht weg davon, es ist seine Asche.«

»Seine, Mylady?«

»Ja, eures jungen Herrn Sellers aus England, der verbrannt ist.«

Sie war allein mit der Asche, allein, ehe sie nur einen halben Atemzug tun konnte. Dann ging sie, Mulberry Sellers aufzusuchen, und nahm sich vor, kurzen Prozeß mit seinem Programm zu machen, was es auch sein mochte. »Denn,« sagte sie, »wenn seine Sentimentalität einmal im Zuge ist, hat er einen harten Schädel, und man kann nie wissen, was für übertriebene Streiche er ausführt, wenn man ihn gewähren läßt.«

Sie fand ihn. Er hatte die Fahne aufgestöbert und brachte sie herein. Als Mylady hörte, daß er die Überreste auf einem Paradebett ausstellen und Regierung und Publikum dazu einladen wollte, sagte sie:

»Deine Absichten sind ganz lobenswert, wie sie das immer sind. – Du wünschest diesen Überresten eine Ehre zu erzeigen, und gewiß wird niemand das tadeln können, denn er war dein Verwandter; aber du schlägst einen falschen Weg ein und wirst das selbst einsehen, wenn du dir Zeit zum Nachdenken läßt. Du kannst doch nicht um einen Korb mit Asche herummarschieren, ein betrübtes Gesicht machen und einen wirklich feierlichen Anblick zuwege bringen. Denn je feierlicher man es macht, desto weniger wird es das sein. Es würde schon mit einem Korbe so sein, mit drei Körben wird es dreimal ärger. Es versteht sich nun von selbst, daß, wenn es schon mit einem Leidtragenden nicht feierlich sein kann, es auch mit einem ganzen Zug nicht anders wird – und es würden ja Tausende von Menschen herkommen. Ich weiß nicht, ob es nicht beinahe lächerlich sein würde, ich glaube es fast. Nein, Mulberry, sie können nicht auf dem Paradebett ausgestellt werden ... das wäre ein törichtes Beginnen. Gib es auf und denke etwas andres aus.«

Er gab es auf, und nicht einmal sehr widerstrebend, als er darüber nachgedacht und erkannt hatte, wie richtig ihre Ansicht war. Er beschloß nun, wenigstens die Nachtwache zu halten, er selbst und Hawkins. Selbst das schien seiner Gattin eine zweifelhafte Ehrenbezeugung, aber sie tat keinen Einspruch, denn es war klar, er hatte den redlichen, gutgemeinten Wunsch, diesen verlassenen Überresten, die in dem fernen Lande von Fremden keine Gastfreundschaft beanspruchen konnten, etwas Freundliches und Ehrenvolles zu erweisen. Er drapierte die Fahne um die Körbe, schlang einen Kreppstreifen um die Türklinke und sagte mit einer gewissen Befriedigung:

»So ... nun ist er so gut versorgt, als wir es ihm unter diesen Umständen verschaffen konnten; ausgenommen ... ja, wir müssen da noch einen Punkt beachten ... man soll andre behandeln, wie man selbst gerne behandelt werden möchte ... er muß sie haben.«

»Was haben, mein Lieber?«

»Trauerschilder.«

Die Gattin fand, daß die Vorderseite des Hauses schon alles trug, was sie überhaupt tragen konnte, die Aussicht auf eine neue staunenerregende Dekoration dieser Art war ihr sehr unangenehm, und sie wünschte, die Sache wäre ihm nicht eingefallen. Ein wenig zaghaft sagte sie:

»Ich glaubte, solch eine Ehre sei nur für sehr, sehr nahe Verwandte zulässig, die ...«

»Ganz richtig, Mylady ... Du hast vollkommen recht, aber die nächsten Verwandten sind hier die usurpierenden. Wir können es nicht umgehen, wir sind nun einmal Sklaven der aristokratischen Gebräuche und müssen uns ihnen unterwerfen.«

Die Schilder waren ganz unnötigerweise großartig, denn jedes hatte die Größe einer Bettdecke, sie waren auch in betreff der Mannigfaltigkeit und Lebhaftigkeit der Farben viel lauter, als es durchaus notwendig gewesen wäre, aber sie sagten dem barbarischen Geschmack des Lords zu und befriedigten seinen Sinn für Symmetrie und Vollständigkeit, denn sie ließen an der Hausfront keinen irgend nennenswerten Raum mehr frei.

Lady Roßmore und ihre Tochter wohnten der Totenwacht bis fast um Mitternacht bei und halfen den Herren bedenken, was nun zunächst mit den Überresten geschehen sollte. Roßmore war der Meinung, sie müßten – begleitet von einem Komitee und den nötigen Erklärungen – sofort nach England geschickt werden. Aber seine Gattin war damit nicht einverstanden; sie sagte:

»Willst du alle diese Körbe schicken!«

»Ja, alle.«

»Alle mit einem Male?«

»An seinen Vater? ... O nein, beileibe nicht. Bedenke, welche Erschütterung. Nein, nur immer einen auf einmal: man muß es ihm nach und nach beibringen.«

»Würde das die gewollte Wirkung haben, Vater?«

»Ja, meine Tochter. Vergiß nicht, du bist jung und elastisch, er aber ist alt. Wollen wir ihm das Ganze mit einem Male schicken, so wäre das vielleicht mehr, als er ertragen könnte. Aber verteilt ... einen Korb nach dem andern in entsprechenden Zwischenräumen, da würde er sich nach und nach daran gewöhnen, bis er das Ganze hätte. Und wenn wir ihn in drei verschiedenen Schiffen versenden, so ist das jedenfalls sicherer wegen der Stürme und Schiffbrüche.«

»Mir gefällt der Plan nicht, Vater. Wenn ich sein Vater wäre, würde es mir entsetzlich sein, ihn auf diese Weise in ... in ...«

»In Abschlagszahlungen ...« schob Hawkins ernsthaft ein und war stolz, behilflich sein zu können.

»Ja, entsetzlich, ihn in dieser unzusammenhängenden Weise kommen zu sehen. Die Qualen der Ungewißheit und der Erwartung würden während der ganzen Zeit auf mir lasten. Denke dir nur, eine so betrübende Sache wie ein Begräbnis vorzuhaben und es immer wieder verzögern, es aufschieben und warten zu müssen, weil noch nicht alles da ist ...«

»O nein, mein Kind ...« sagte der Lord beruhigend, »nichts derartiges würde vorkommen; ein so alter Herr könnte unmöglich einen solchen Aufschub ertragen. Es müssen eben drei Begräbnisse stattfinden.«

Lady Roßmore blickte erstaunt auf und sagte:

»Und das soll ihm die Sache erleichtern? Meiner Meinung nach ist das ganz verkehrt. Er sollte auf einmal beerdigt werden ...«

»Ich würde das auch besser finden,« sagte Hawkins.

»Und ich ganz gewiß,« fügte die Tochter hinzu.

»Ihr seid alle im Irrtum,« entgegnete der Lord. »Ihr werdet es selbst einsehen, wenn ihr darüber nachdenkt. Nur in einem dieser Körbe ist er ...«

»Ganz gut,« sagte Lady Roßmore, »die Sache ist also sehr einfach, begrabt diesen einen.«

»Gewiß,« warf Lady Gwendolin ein.

»Aber es ist eben nicht einfach,« sagte der Graf, »weil wir nicht wissen, in welchem Korb er ist. Er ist in einem derselben, das ist alles, was wir wissen. Ich denke, ihr seht nun, daß ich recht hatte; es sind drei Begräbnisse nötig, es gibt keinen andern Ausweg.«

»Und also auch drei Gräber, drei Grabsteine und drei Inschriften?« fragte die Tochter.

»Nun ja ... wenn man alles recht machen wollte. So würde ich es jedenfalls machen.«

»So kann es nicht ausgeführt werden, Vater. Jede von den drei Inschriften würde denselben Namen, dieselben Tatsachen angeben und melden, er liege unter jedem dieser Monumente; das würde doch nicht gehen.«

Der Graf rückte unruhig in seinem Stuhle hin und her.

»Das ist allerdings ein Einwand, ein berechtigter Einwand. Ich sehe jedoch keinen Ausweg.«

Ein allgemeines Schweigen folgte; dann sagte Washington Hawkins:

»Mir scheint, daß, wenn man die drei Bestandteile untereinander mischte ...«

Der Graf ergriff seine Hand und drückte sie dankbar. »Das löst die Schwierigkeit,« sagte er. »Ein Schiff, ein Begräbnis, ein Grab, ein Monument, das ist herrlich ausgedacht. Es macht dir alle Ehre, Major Hawkins; ich bin nun aus einer peinlichen Sorge und Verlegenheit befreit, und dem armen schwergetroffenen Vater wird viel Leid erspart. Ja, er soll in einem Korbe nach Hause reisen.«

»Wann?« fragte die Gattin.

»Morgen, sofort natürlich.«

»Ich würde damit noch warten, Mulberry.«

»Warten? Weshalb?«

»Du willst doch dem alten kinderlosen Mann nicht das Herz brechen.«

»Gott weiß, daß ich das nicht will.«

»Dann warte, bis er nach der Leiche seines Sohnes schickt. Wenn du das tust, bis du nicht genötigt, ihm den letzten und empfindlichsten Schmerz zuzufügen, den ein Vater erfahren kann ... ich meine die Gewißheit, daß sein Sohn tot ist – denn er wird niemals schicken.«

»Warum nicht?«

»Weil, wenn er schickte und die Wahrheit erführe, dies ihn des einzigen kostbaren, ihm noch gebliebenen Gutes berauben würde ... der Ungewißheit, der schwachen Hoffnung, daß trotz alledem doch vielleicht sein Sohn entkam und er ihn eines Tages wiedersehen wird.«

»Aber, Polly, er wird durch die Zeitungen erfahren, daß er verbrannte.«

»Er wird den Zeitungen nicht glauben; er wird sich gegen alles und jedes wehren, was ihm den Tod seines Sohnes beweisen könnte, und er wird dabei bleiben, sich daran aufrecht erhalten und davon leben, von nichts anderm, bis er stirbt. Aber wenn die irdischen Überreste ihm wirklich zukämen und dieser armen, schwach hoffenden Seele gezeigt würden ...«

»O mein Gott, das sollen sie niemals! Polly, du hast mich vor einem Verbrechen bewahrt, und ich werde dich lebenslang dafür segnen. Nun wissen wir, was zu tun ist. Wir wollen alles ehrerbietig beiseitestellen, und der Vater soll nie etwas davon erfahren.«


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