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3

Mrs. Sellers kam jetzt zurück; sie hatte ihre Fassung wiedererlangt und fing nun an, nach Hawkins Frau und Kindern zu fragen, nach deren Anzahl und so weiter. Das von ihr angestellte Verhör förderte einen umständlichen Bericht über alle freudigen und traurigen Erlebnisse zutage, welche die Familie während eines halben Menschenalters im fernen Westen befallen hatten. Der Oberst wurde abgerufen, und Hawkins ergriff die Gelegenheit, sich zu erkundigen, wie das Schicksal in den letzten fünfzehn Jahren gegen den Oberst verfahren sei.

»Oh, es ist mit ihm immer in derselben Weise verfahren, es könnte gar nicht anders, wenn es auch wollte, er würde es nicht zulassen.«

»Das kann ich mir wohl denken.«

»Wie Sie sehen, verändert er sich nicht, nein, nicht im geringsten; er bleibt immer Mulberry Sellers.«

»Das sehe ich deutlich.«

»Immer noch der alte, pläneschmiedende, großmütige, weichherzige, hoffnungsvolle, sorglose Unglücksvogel; und jedermann liebt ihn, als ob er ein Glückskind wäre.«

»Das war immer so und ist ganz natürlich; er ist so zuvorkommend und gefällig, und sein ganzes Wesen macht es einem leicht, ihn um Hilfe oder einen Gefallen anzugehen. Man fühlte sich ihm gegenüber nie verlegen, hatte nie, wie bei andern, eine Scheu davor, ihn in Anspruch zu nehmen.«

»Und so ist es noch jetzt; man muß sich eigentlich darüber wundern, denn er ist nur zu häufig schmachvoll behandelt worden von solchen, die ihn als Leiter zum Hinaufsteigen benutzt hatten und ihn dann zurückstießen, wenn sie ihn nicht mehr brauchten. Eine Zeitlang schmerzt ihn so etwas, sein Stolz ist verletzt, das zeigt sich dadurch, daß er sich von der Sache abwendet und darüber zu sprechen vermeidet, und manchmal dachte ich schon: nun hat er endlich eine Lehre erhalten und wird künftig vorsichtiger sein; – aber behüte Gott! – In einigen Wochen hat er alles wieder vergessen, und jeder eigennützige Lump, der Gott weiß woher kommt, bringt es, wenn er ein klägliches Gesicht macht, zustande, sich gestiefelt und gespornt in sein Herz einzuschleichen.«

»Auf diese Weise werden Ihrer Geduld harte Proben auferlegt.«

»O nein, ich bin daran gewöhnt, und es ist mir lieber, daß er so ist, als anders. Wenn ich ihn einen Unglücksvogel nenne, so meine ich, er ist das der Welt gegenüber; für mich ist er es nicht. Ich weiß nicht, ob ich ihn anders wünschen möchte, sehr viel anders gewiß nicht. Ich muß ihn manchmal schelten, selbst mit ihm brummen, aber ich glaube, ich würde das auch tun, wenn er ein andrer wäre; – ich bin nun einmal so. Aber ich brumme viel weniger und bin viel zufriedener, wenn er Mißerfolge hat, als wenn das nicht der Fall ist.«

»Also hat er doch nicht immer Unglück,« sagte Washington, in dessen Gesicht es freudig aufleuchtete.

»Er, o Gott bewahre! Er hat manchmal einen Treffer, wie er es nennt, und das ist dann eine Zeit der Unruhe und des Besorgtseins für mich, denn das Geld fliegt dann nur so herum – und wer dann zuerst kommt, der mahlt eben auch zuerst. Er füllt dann das Haus von oben bis unten mit Krüppeln und Blödsinnigen, verlaufenen Katzen und allen Arten von Armen und Elenden, die andre Leute nicht wollen, die er aber mag; und wenn dann die Armut wiederum an die Türe klopft, dann muß ich die meisten von ihnen hinauswerfen, damit wir nicht alle verhungern; und das macht ihn unglücklich und mich natürlich auch. Da haben wir zum Beispiel den alten Dan'l und die alte Jenny, die der Sheriff nach dem Süden verkaufte, als wir vor dem Kriege Bankrott machten; nach dem Frieden kamen sie aus den Baumwollplantagen hierher gewandert, ganz abgearbeitet, ausgehungert und hilflos und ohne einen Funken von Arbeitskraft in ihrer alten Haut; wir selbst waren sehr in Not, es fehlte uns fast an den Brosamen, die das Leben erhalten sollten. Er aber öffnete die Tür weit, und nach der Art, wie er jene empfing, hätte man meinen können, sie kämen auf sein Flehen hin direkt vom Himmel herab. Ich nahm in beiseite und sagte: ›Mulberry, wir können sie nicht behalten; wir haben selbst nichts; wir können sie nicht ernähren.‹ Darauf sah er mich fast beleidigt an und sagte: ›Sie abweisen? Und sie sind doch so vertrauensvoll zu mir gekommen, als ob – siehst du, Polly, dieses Vertrauen muß ich mir doch einst vor langer Zeit erworben und gewissermaßen einen Wechsel darüber ausgestellt haben, so etwas erhält man nicht als Geschenk – und wie kann ich nun eine solche Schuld nicht anerkennen? Du siehst, wie arm sie sind, wie alt und freundlos, und – und –;‹ aber ich schämte mich schon und unterbrach ihn; ich fühlte neuen Mut und sagte: ›Wir wollen sie behalten, der Herr wird weiter sorgen.‹ Er war sehr erfreut und schickte sich an, eine von seinen übermäßig hoffnungsvollen Reden zu halten, aber er gab es gleich wieder auf und sagte nur: ›Ich will auf jeden Fall.‹ Das war vor vielen Jahren, und Sie sehen, die alten Geschöpfe sind noch hier.«

»Aber sind sie Ihnen nicht bei der Hausarbeit behilflich?«

»In der Hausarbeit? Kein Gedanke daran. Sie täten es, wenn sie könnten, die armen Alten, und glauben wahrscheinlich einen Teil zu verrichten, aber es ist der reine Aberglaube. Dan'l bewacht die Haustüre und besorgt dann und wann einen Ausgang; manchmal tut einer von ihnen oder tun beide, als ob sie hier herum abstauben wollten – aber das geschieht nur, weil sie gern hören wollen, was vorgeht, und glauben, ihren Senf dazu geben zu müssen. Während der Mahlzeiten sind sie aus demselben Grunde bei der Hand. Aber tatsächlich müssen wir ein junges Negermädchen halten, das für sie sorgt, und eine Negerfrau, um die Hausarbeit zu tun und bei der Bedienung der Alten zu helfen.«

»Nun, ich meine, sie müßten auf diese Weise sehr glücklich sein.«

»So kann man es wohl nicht nennen. Sie streiten sich fast fortwährend – meistens über Religion, weil Dan'l ein Wiedertäufer ist und Jenny strenge Methodistin und an eine besondre Vorsehung glaubt, was Dan'l nicht tut; er hält sich für eine Art Freidenker. – Sie spielen und singen gemeinschaftlich Hymnen, die sie auf der Plantage gelernt haben, klatschen und schwatzen fortwährend und haben sich aufrichtig lieb; für Mulberry hegen sie die größte Verehrung, und er hat Nachsicht mit all ihren schlechten Manieren und Torheiten, und so – nun, sie sind im Grund genommen doch wohl glücklich. Ich mache mir nichts daraus, ich habe mich an sie gewöhnt, wie ich mich an alles gewöhnen kann, wenn Mulberry mir hilft. Ich frage nicht danach, was geschehen mag, so lange er mir erhalten bleibt.«

»Möge es ihm wohl gehen und er bald wieder einen sogenannten Treffer machen!«

»Damit er wieder Lahme, Blinde und Krüppel zusammenrufen und das Haus in ein Hospital verwandeln kann? Denn das würde er tun, ich habe es schon oft genug erlebt. Nein, Washington, ich wünschte, seine Treffer möchten für den Rest seiner Tage recht mäßige sein.«

»Ganz wohl – aber ob er große oder kleine oder gar keine Treffer hat, wir wollen doch hoffen, daß es ihm nie an Freunden fehlen wird; das kann auch, wie ich meine, nie der Fall sein, so lange es hier herum Leute gibt, die wissen –«

»Ihm an Freunden fehlen?« Sie warf den Kopf mit einem gewissen Stolz zurück – »wahrhaftig, Washington, Sie können mir keinen nur irgend erwähnenswerten Mann nennen, der ihn nicht lieb hätte. Ich sage es Ihnen im Vertrauen, es hat mich verzweifelt viel Mühe gekostet, seine Freunde davon abzubringen, ihm irgendein Amt aufzuladen. Sie konnten es ebensogut wissen wie ich, daß er für so etwas nicht taugt; es gibt ja keinen zweiten Menschen, dem es so schwer wird, etwas abzuschlagen wie ihm, Mulberry Sellers im Amt! Du meine Güte! Sie wissen, wie das gehen würde. Die Leute würden von allen Weltteilen herkommen, um eine solche Merkwürdigkeit zu sehen. Da wäre ich schon lieber mit dem Niagarafall verheiratet und hätte dann ein für allemal meine Ruhe.«

Nach einer kleinen Weile des Nachdenkens, in der sie wieder auf die Bemerkung zurückkam, die das Thema ihrer Rede gebildet hatte, fügte sie hinzu: »Freunde? Wahrhaftig, kein Mann hat deren je mehr gehabt, und solche Freunde: Grant, Sherman, Sheridan, Johnston, Longstreet, Lee – wie oft haben die in demselben Stuhl gesessen, in dem Sie jetzt sitzen!«

Hawkins sprang augenblicklich auf und betrachtete den Stuhl mit ehrerbietigem Staunen und mit einem Gefühl, als ob er auf geweihtem Boden stünde.

»Diese Männer!« sagte er mit einem tiefen Atemzuge.

»Gewiß, und das viele, viele Male.«

Er blickte immer noch wie verzaubert oder magnetisiert auf den Stuhl, und zum erstenmal in seinem Leben entzündete sich das in seinem Innern die Stelle der Einbildungskraft vertretende Stückchen trockenen Graslandes, und darüber hin zog eine Flammenlinie, die weiten Horizonte vereinigend und den Himmel mit Rauch überziehend. Es erging ihm, wie es einem geographisch unwissenden Ausländer ergehen kann, der gleichgültig und gelangweilt aus dem Fenster des Waggons blickt, und dessen Auge plötzlich auf ein gewisses Stationszeichen fällt, auf welchem »Stratford on Avon« steht.

Mrs. Sellers schwatzte gemütlich weiter. »Oh, sie hören ihn alle gern reden, besonders wenn ihre Last zu schwer für ihre Schultern wird und sie dieselbe sich erleichtern möchten. Er ist so leichtherzig, so frisch, und er erfrischt auch die andern; der Verkehr mit ihm wirkt bei ihnen, so sagen sie selber, wie ein Ausflug aufs Land. Wie oft hat er nicht den General Grant zum Lachen gebracht – und das will etwas heißen, das kann ich Ihnen versichern; – und wie heiter blicken Sheridans Augen, er hört Mulberry Sellers Worte ebenso gern wie Kanonendonner. Der Zauber Mulberrys liegt darin, daß er so vielseitig, so vorurteilsfrei ist; er paßt zu jedermann und überallhin. Das macht ihn zu einem mächtig guten Gesellschafter und so gesucht wie eine neue Skandalgeschichte. Gehen Sie nur einmal nach dem ›Weißen Hause‹ zum Empfang des Präsidenten, wenn Mulberry gerade dort ist; – auf mein Wort, Sie können nicht sagen, wer von beiden eigentlich den Empfang hält.«

»Er ist gewiß ein ungewöhnlicher Mann und war es von jeher. Ist er religiös?«

»Bis ins Mark hinein. Er denkt und liest mehr über diesen Gegenstand als über irgendeinen andern – Rußland und Sibirien ausgenommen; und dabei schweift er über das ganze Gebiet; es ist nichts Bigottes in ihm.«

»Welches ist sein Glaube?«

Sie schwieg und versank für einen Augenblick in tiefes Sinnen, dann sagte sie mit rührender Einfalt:

»Ich glaube, vorige Woche war er Mohammedaner oder so etwas.« –

Washington machte sich auf den Weg nach der untern Stadt, um seinen Koffer zu holen, denn die gastfreundlichen Sellers wollten keine Ausrede hören, ihr Haus sollte während der Sitzungszeit sein Heim sein. Der Oberst kam bald zurück und arbeitete wieder an seinem Spielzeug. Als Washington nach Hause kam, war es eben vollendet.

»Das ist es,« sagte der Oberst, »fix und fertig.«

»Was ist es eigentlich, Sellers?«

»Ach, nur eine Kleinigkeit, ein Spielzeug zur Unterhaltung für die Kinder.«

Washington besah es näher.

»Es scheint ein Vexierspiel.«

»Ja, das soll es sein. Ich nenne es ›Schweinchen im Stall‹. Bringe sie hinein; sieh zu, ob du sie alle in den Stall bringen kannst.«

Nach mehreren mißlungenen Versuchen brachte es Washington zustande und freute sich darüber wie ein Kind.

»Das ist außerordentlich sinnreich, lieber Oberst, so hübsch erfunden und so interessant. Ich könnte den ganzen Tag damit spielen. Was willst du damit anfangen?«

»Oh, nichts. Ich lasse es patentieren und lege es dann beiseite.«

»Das wirst du nicht tun, das Ding kann Geld einbringen.«

Ein mitleidiges Lächeln huschte über Mulberrys Züge, und er sagte:

»Geld, ja, ein kleines Nadelgeld; einige Hunderttausend vielleicht. Nicht mehr.«

Washington riß die Augen auf.

»Einige hunderttausend Dollar nennst du ein kleines Nadelgeld?«

Der Oberst stand auf, ging auf den Fußspitzen durch das Zimmer, schloß die halb offene Türe, ging ebenso leise auf seinen Platz zurück und sagte mit halber Stimme:

»Kannst du ein Geheimnis bewahren?«

Washington nickte nur bejahend, er war viel zu befangen, um zu sprechen.

»Du hast wohl von der Beschwörung, der Verkörperlichung abgeschiedener Geister gehört?«

Washington hatte davon gehört.

»Und hast wahrscheinlich nicht daran geglaubt, woran du ganz recht tatest. Die Sache ist, wenn sie von unwissenden Scharlatanen betrieben wird, der Beachtung nicht wert. Wo von zweifelhaftem Licht und einem verdunkelten Kabinett und einem Haufen sentimentaler Einfaltspinsel die Rede ist, die ihren Glauben, ihr Gruseln, ihre Tränen – alles bereit haben, und wo dann eine und dieselbe fettige Entartung von Protoplasma und Humbug erscheint und sich in irgendeine beliebige Person – Großmutter, Enkelin, Schwager, die Hexe von Endor, John Milton, in siamesische Zwillinge, Peter den Großen und sonstigen höllischen Unsinn verkörperlicht – das ist alles nur dummes Zeug. Aber wenn ein sachverständiger Mann die höchsten Gewalten der Wissenschaft anwendet, dann ist es eine andre Sache, eine ganz andre Sache. Der Geist, der auf einen solchen Ruf antwortet, wird auch bleiben. Beachtest du auch den kommerziellen Wert dieser Einzelheit?«

»Nun – ich – die Wahrheit zu gestehen, ich weiß nicht, ob ich ganz in deine Ideen eingedrungen bin. Meinst du, daß solche bleibende, nicht vorübergehende Erscheinungen mehr allgemeines Interesse erwecken und so den Preis für die Eintrittskarten der Vorstellungen erhöhen würden?«

»Vorstellungen? – Höre mich an, mein Freund, und schöpfe so viel Atem als du kannst, denn du wirst ihn brauchen. Noch drei Tage, und meine Methode wird vollständig sein, dann wird die Welt staunen – denn sie wird Wunder sehen. Washington, nach Verlauf dieser drei Tage wirst du mich die Toten aller Jahrhunderte zitieren sehen, und sie werden aufstehen und wandeln. Wandeln nur und sich zeigen? Nein, für immer da sein, nie wieder sterben. Wandeln und leben mit all der Muskel- und Federkraft ihres vormaligen Daseins.«

»Sellers, ja, wirklich, das benimmt einem den Atem.«

»Begreifst du nun, was damit alles verdient werden kann?«

»Ich – nun – ich bin nicht ganz sicher, ob ich es fasse.«

»Nun, so höre. Ich werde ein Monopol haben, sie werden mir alle angehören, nicht wahr? In Neuyork gibt es zweitausend Schutzleute, Gehalt vier Dollar täglich. Ich werde sie für die Hälfte der Kosten durch Verstorbene ersetzen.«

»Oh – wunderbar! Daran hätte ich nie gedacht. Viertausend Dollar täglich! Jetzt fange ich an, klar zu sehen. Aber werden tote Schutzleute dem Zweck entsprechen?«

»Haben sie das nicht bis jetzt getan?«

»Nun ja, wenn du es von dieser Seite betrachtest.«

»Sieh es an, von welcher Seite du willst, verändre die Umstände nach Belieben, meine Leute werden doch allen andern überlegen sein. Sie werden nicht essen, nicht trinken – solche Dinge brauchen sie nicht; – sie werden in Spielhöllen und nicht konzessionierten Branntweinschenken nicht nach dem Geld schielen, die Küchenmädchen nicht entflammen; und die Banden, die ihnen auf einsamen Wegen in dunkler Nacht auflauern und sie meuchlings stechen oder schießen, können nur die Uniformen beschädigen und werden nicht lange genug leben, um daraus mehr als eine augenblickliche Genugtuung zu schöpfen.«

»Ja, wenn du Schutzleute herstellen kannst, Oberst, dann natürlich –«

»Gewiß, ich kann jede gewünschte Art Ware liefern. Nehmen wir zum Beispiel die Armee; sie zählt jetzt fünfundzwanzigtausend Mann; Kosten: zweiundzwanzig Millionen Dollar jährlich. Ich werde Römer ausgraben, Griechen auferstehen lassen, ich kann der Regierung für zehn Millionen Dollar jährlich zehntausend Veteranen aus den siegreichen Legionen aller Jahrhunderte verschaffen – Soldaten, die jahraus jahrein die Indianer auf verkörperlichten Pferden jagen und keinen Heller für Nahrung und Instandhaltung kosten. Die europäischen Armeen kosten zwei Billionen jährlich, ich werde dieselben für eine Billion durch andre ersetzen. Die erfahrenen Staatsmänner aller Zeiten und Länder werde ich ausgraben und unserm Vaterlande einen Kongreß liefern, der klug und vorsichtig genug ist, glücklich durchzukommen, was bis jetzt seit der Unabhängigkeitserklärung noch nie gelungen ist und auch nicht gelingen wird, wenn nicht an Stelle dieser in Wirklichkeit toten Leute der echte Artikel gesetzt wird. Die europäischen Throne werde ich wieder mit dem besten Vorrat von Geist und Sittlichkeit versehen, den die königlichen Grüfte aller Jahrhunderte nur aufzuweisen haben – was freilich nicht viel sagen will – und ich werde Gehalte und Zivillisten ehrlich und gerecht verteilen, nur meine Hälfte beanspruchen und –«

»Bester Freund, wenn nur die Hälfte von alledem wahr ist, so stecken da Millionen drin, ja wohl, Millionen.«

»Billionen vielmehr – Billionen mußt du sagen. Siehst du nicht, daß die Sache so nahe liegt, so greifbar, so unmittelbar bevorstehend ist, daß, wenn jetzt ein Mann zu mir käme und sagte: ›Oberst, es geht mir ein wenig knapp, könnten Sie mir nicht zwei Millionen Dollar für –‹ Herein!«

Dies galt einem Klopfen an der Zimmertür. Ein energisch aussehender Mann mit einer großen Brieftasche in der Hand trat eilig ein, nahm ein Papier heraus und hielt es Sellers hin mit der kurzen Bemerkung:

»Siebzehnte und letzte Aufforderung – Sie müssen diesmal mit den drei Dollar vierzig Cent unweigerlich herausrücken, Oberst Mulberry Sellers!«

Der Oberst schlug zuerst auf die eine, dann auf die andre seiner Taschen, befühlte sich hier und dort und überall, indem er murmelte:

»Was habe ich nur mit der Brieftasche angefangen? Vielleicht hier – hm, nein, da auch nicht; ich muß sie in der Küche gelassen haben, ich will sie gleich –«

»Nein, das werden Sie nicht tun, Sie bleiben hübsch, wo Sie sind. Und diesmal müssen Sie mit dem Geld herausrücken.«

Washington erbot sich sogleich, nach der Brieftasche zu suchen. Sobald er das Zimmer verlassen hatte, sagte der Oberst:

»Offen gestanden, muß ich noch dieses eine Mal Ihre Nachsicht in Anspruch nehmen, Suggs; die Zahlungen, die ich erwartete –«

»Zum Kuckuck mit den erwarteten Zahlungen; das ist schon eine zu abgestandene Geschichte, das zieht nicht mehr. Sie müssen diesmal zahlen.«

Der Oberst blickte verzweiflungsvoll im Zimmer umher. Auf einmal erheiterten sich seine Züge; er ging nach der gegenüberliegenden Wand und fing an, eines von den entsetzlichen Farbendruckbildern mit seinem Taschentuch abzustauben. Dann brachte er es mit einer gewissen Ehrfurcht dem Kollektor, wendete den Blick ab und sagte:

»Nehmen Sie das, aber lassen Sie mich nicht sehen, wie Sie es wegschleppen. Es ist der einzige noch übrige Rembrandt, der –«

»Zum Henker mit Rembrandt! Es ist ja nur ein Farbendruck!«

»Oh, sprechen Sie nicht so davon, ich beschwöre Sie. Es ist das einzige wirklich große Original, das einzige erhabene Meisterwerk aus jener mächtigen Kunstschule, welche –«

»Kunst? – Das greulichste Ding, das ich –«

Der Oberst brachte noch ein solches Scheusal und staubte es zärtlich ab.

»Nehmen Sie auch das noch, das Kleinod meiner Sammlung, den einzigen echten Fra Angelico, den –«

»Eine kolorierte Schmiererei und weiter nichts. Geben Sie her! – Adieu; die Leute werden denken, ich hätte den Barbierladen eines Negers geplündert.«

Als er die Türe hinter sich zuschlug, rief ihm der Oberst noch mit angsterfüllter Stimme nach: »Bitte, bedecken Sie die Bilder, lassen Sie sie nicht feucht werden, die zarten Tinten des Fra Angelico –«

Aber der Mann war schon fort.

Nun trat Washington wieder ein und sagte, er habe überall gesucht, wie auch Mrs. Sellers und die Dienerschaft, aber vergebens; wenn er nur, fügte er hinzu, eines gewissen Mannes habhaft werden könnte, dann brauchte man nicht mehr nach der Brieftasche zu suchen.

Augenblicklich war Sellers' Interesse erweckt.

»Was für einen Mann?«

»Den einarmigen Peter nennen sie ihn dort draußen – draußen im Cherokeelande, meine ich. Er bestahl die Bank in Tahlequah.«

»Gibt es denn in Tahlequah Banken?«

»Ja, eine Bank jedenfalls. Dieser Peter stand im Verdacht, sie beraubt zu haben; wer es aber auch getan hat, soviel ist gewiß, daß er mit mehr als zwanzigtausend Dollar entkam. Es wurde eine Belohnung von fünftausend ausgesetzt. Ich glaube nun, diesen Mann auf meiner Hierherreise gesehen zu haben.«

»Was du sagst! Ist dem wirklich so?«

»Das eine ist gewiß: am ersten Tage meiner Eisenbahnfahrt sah ich einen Mann, auf den die Beschreibung ziemlich genau paßte – wenigstens in bezug aus die Kleidung und den fehlenden Arm.«

»Warum ließest du ihn nicht gleich verhaften und beanspruchtest die Belohnung?«

»Das konnte ich nicht. Ich hätte doch einen Haftbefehl haben müssen; aber ich beabsichtigte, in seiner Nähe zu bleiben, bis sich eine günstige Gelegenheit bot.«

»Nun, und?«

»Nun. er verließ den Zug irgendwo in der Nacht.«

»Oh, verwünscht, das trifft sich unglücklich.«

»Doch nicht so ganz unglücklich.«

»Wieso?«

»Weil er doch in demselben Zug mit mir in Baltimore ankam, obgleich ich es damals nicht wußte. Als wir aus der Station fuhren, sah ich ihn nach dem eisernen Gitter zu gehen, er trug eine Reisetasche in der Hand.«

»Gut, wir werden ihn fangen; wir wollen gleich einen Plan machen.«

»Sollten wir nicht der Polizei in Baltimore eine Personalbeschreibung schicken?«

»Ei, was fällt dir ein; willst du denn, daß sie die Belohnung einstreicht?«

»Was können wir aber sonst tun?«

Der Oberst dachte nach.

»Ich will es dir sagen. Wir lassen eine Anzeige in die in Baltimore erscheinende Zeitung ›Die Sonne‹ einrücken, ungefähr so lautend:

A. Schreibe mir eine Zeile, Peter‹ – Halt! – welchen Arm hat er verloren?«

»Den rechten.«

»Gut, also:

›Schreibe mir eine Zeile, Peter, selbst wenn du mit der linken Hand schreiben mußt. Adressiere X. Y. Z. Hauptpostamt Washington. Du weißt von wem.‹ – So, darauf wird er sicher hereinfallen.«

»Aber er kann doch nicht wissen, von wem, nicht wahr?«

»Nein, aber er wird es gern wissen wollen.«

»Ja, gewiß; daran habe ich nicht gedacht. Wie kamst du nur darauf?«

»Durch meine Kenntnis der menschlichen Neugierde. Ein ausgesprochener, sehr starker Zug.«

»Ich gehe also jetzt nach meinem Zimmer, schreibe die Anzeige und lege einen Dollar bei mit der Bemerkung, sie so abzudrucken, daß es gerade diesen Betrag ausmacht.«


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