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Die Verbannung Trotzkis

Der folgende Bericht über die Deportation Trotzkis und der anderen Führer der Opposition ist nach einem privaten Briefe eines russischen Kommunisten geschrieben. Trotzki hatte sich in einem Zimmer in Muralows Wohnung, wo er sich aufhielt, eingeschlossen. Ein Beamter der G.P.U., der politischen Polizei, Abram Bielinski, der mit Soldaten erschien, um ihn zu verhaften, erbrach die Tür. Das »Gehalt« von 30 Rubeln monatlich, das die Verbannten erhalten, genügt gerade, um die Kosten der Wohnung zu decken. Smilga zum Beispiel fand alle Wohnräume seines Bestimmungsortes durch deportierte Nepleute und Verbrecher belegt und sicherte sich mit großer Mühe ein Zimmer für 25 Rubel. Es ist eine wirkliche Tatsache, daß die alten Führer der Oktoberrevolution in der Verbannung durch Sammlungen unter ihren Freunden am Leben gehalten werden.

»Die Führer der Opposition wurden durch behördlichen Befehl der G.P.U. (der geheimen, politischen Polizei) genau wie in der zaristischen Zeit verbannt. Sie erhielten die Aufforderung, sich in vierundzwanzig Stunden bereitzumachen. In der ersten Gruppe wurden dreißig Mann verschickt. Unter diesen befanden sich Rakowski, der bis zu Lenins Tode Vorsitzender der ukrainischen Regierung und des politischen Bureaus der ukrainischen Partei gewesen war; Karl Radek, einer der Gründer der kommunistischen Internationale, ein Mitglied von Lenins Partei seit 1902 und Mitglied des Zentralausschusses der Partei und der kommunistischen Internationale bis zum Tode Lenins; I.N. Smirnow, Vorsitzender des sibirischen revolutionären Ausschusses und Begründer der Sowjetregierung in Sibirien, bekannt als der ›Lenin Sibiriens‹; V. N. Smirnow, ein Mitglied des Moskauer revolutionären Soldatenausschusses in den Oktobertagen; Sapronow, einer der Leiter der Oktoberrevolution in Moskau; Preobaschenski, ein Parteimitglied seit 1903, Organisator der Oktoberrevolution im Ural und Parteisekretär unter Lenin; Serebriakow, der 1920 Parteisekretär unter Lenin war; Smilga, Führer und Organisator der Oktoberrevolution in Finnland, Mitglied des Zentralausschusses der russischen Partei bis zum Tod Lenins; Sosnowski, Mitglied der Partei seit 1903, einer der Begründer der Prawda und ihr erster Schriftleiter bis zum Tode Lenins; Rafail, Sekretär der kommunistischen Partei der Ukraine unter Lenin, und noch viele andere, ebensowohl bekannte Genossen.

Die Verbannungsorte sind dieselben wie unter der alten zaristischen Herrschaft. Durch Beamte der G.P.U. wurden sie einzeln nach dem Verbannungsorte geleitet. Jeder mußte für sich reisen und erhielt ein ›Monatsgehalt‹ von 30 Rubeln. Irgendwelche Arbeit wurde keinem gegeben.

Anfangs versuchte man, einen Unterschied in der Art der Verschickung zu machen. Man wollte die hervorragenderen Führer direkt durch Befehl des Zentralausschusses verschicken, während die übrigen der G.P.U. ausgeliefert wurden. Als Radek mit einer Gruppe von Genossen zum Zentralausschuß ging, um gegen diese Bevorzugung zu protestieren, und verlangte, daß alle auf die gleiche Art versandt werden sollten, entließ ihn der Sekretär des Zentralausschusses mit den Worten: ›Sie denken wohl, Sie könnten sich über den Zentralausschuß lustig machen? Wenn Sie Gleichheit wünschen, dann werden Sie einfach alle der G.P.U. übergeben.‹

Der letzte, der verschickt wurde, war Trotzki. Seine Abreise ging in folgender Weise vor sich: Man befahl ihm, sich bis zum 16. Januar zur Fahrt nach Vierny in Turkestan, nahe an der chinesischen Grenze, fertigzumachen. Die Moskauer Arbeiter, die von seiner Abreise wußten, versahen sich mit Fahrkarten nach Perowo, dem Vorort, von dem er abreisen sollte, und so war zur Abfahrtsstunde auf dem Moskauer Bahnhof der Vorortzug nach Perowo mit Arbeitern überfüllt.

Ungefähr 10 000 Arbeiter hatten sich in Perowo eingefunden. Als das aber die G.P.U. erfuhr, widerrief sie ihren Befehl und verschob die Abreise. Die Menge wollte inzwischen nicht glauben, daß Trotzki nicht im Zuge sei und stand vier Stunden lang auf den Schienen, um die Abfahrt des Zuges zu verhindern. Als die Arbeiter schließlich erfuhren, daß Trotzki an diesem Tage nicht abreise, eilten sie nach seiner Wohnung, um herauszubekommen, was geschehen sei. Die G.P.U. legte sich inzwischen in der Nähe von Trotzkis Wohnung in einen Hinterhalt und verhaftete siebenundvierzig Mann.

Am nächsten Tage, am 17. Januar, also einen Tag früher, als es für die Abreise festgesetzt war, erschienen die Beamten der G.P.U. in Trotzkis Haus mit einem Befehl zur sofortigen Abreise. Trotzki weigerte sich zu gehen, indem er erklärte, das für ihn festgesetzte Datum sei der achtzehnte. Er habe sich aus diesem Grunde nicht fertiggemacht und seine Bücher und sonstige Sachen nicht eingepackt.

Die Polizeibeamten drohten, ihn mit Gewalt fortzuschleppen, aber er blieb hartnäckig. Sie ergriffen seinen Mantel und begannen, ihn hineinzuzwängen. Seine Frau versuchte, mit jemand zu telephonieren, und wurde in roher Weise von dem Apparate weggerissen. Trotzkis Sohn, der seinen Vater zu verteidigen suchte, wurde von einem der Beamten in einem Faustkampfe überwältigt.

Schließlich schleppten sie Trotzki gewaltsam aus dem Hause, steckten ihn in ein Automobil und fuhren mit ihm in schnellster Fahrt nach der Faustowostation, vierzig Meilen von Moskau.

Man steckte ihn mit einer Gruppe von Wachtsoldaten in ein Wagenabteil. Unterwegs wurde er krank, und in Samara mußte man ihn in einem bedenklichen Zustande aus dem Zuge nehmen und die Ärzte herbeirufen. Dies ist alles, was wir wissen, und es ist genau nach dem wirklichen Hergang geschildert.

Die in Moskau eingekerkerten Genossen der Opposition befinden sich in entsetzlichen Verhältnissen. Die Frauen sitzen im Gefängnis in den Zellen mit Verbrecherinnen und Prostituierten zusammen, die Männer mit Defraudanten und Dieben. Sie dürfen keine Besuche empfangen. Sie werden schlecht ernährt und bekommen keine Erlaubnis, etwas von außen zu empfangen. Es ist natürlich unausbleiblich, daß verschiedene unter diesem Regime zusammenbrechen.

Jetzt, da die Regierung immer tiefer in die wirtschaftlichen Schwierigkeiten hineingerät, vor denen die Opposition sie gewarnt hat, versucht sie, die Schuld an den Schwierigkeiten auf die Opposition abzuwälzen. Und wer weiß, ob sie nicht bald zu einem System von Verfolgungen übergeht, das sich seiner Opfer einfach durch Hinrichtungen entledigt?«


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