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Die verächtlichste Lüge der Stalinisten

Das allerverächtlichste an dem Feldzug der Stalinisten gegen mich ist die Beschuldigung, ich hätte Kommunisten erschießen lassen. Diese Beschuldigung wurde einmal durch unsere Feinde, durch die bekannte »Informationsagentur« in Umlauf gesetzt. Die politischen Abteilungen der Weißen Armeen versuchten nämlich, gedruckte Blättchen unter den roten Soldaten zu verbreiten, auf denen das rote Kommando und besonders Trotzki blutdürstiger Taten beschuldigt wurden. Jetzt gehen die Agenten Stalins denselben Weg.

Nehmen wir einen Augenblick an, diese Lüge sei Wahrheit. Warum haben dann Stalin, Jaroslawski, Gusew und die andern Stalinisten während des Bürgerkrieges geschwiegen? Was bedeutet denn diese jetzige, so spät kommende »Enthüllung« der Stalinagentur? Sie bedeutet folgendes:

»Arbeiter, Bauern und rote Soldaten, die Partei hat euch betrogen, als sie euch erzählte, daß Trotzki, der Befehlshaber der Armee, nach dem Willen der Partei gehandelt und nur ihren Auftrag ausgeführt hat. Die Partei hat euch betrogen, als sie in unzähligen Artikeln über das Werk Trotzkis und in den Resolutionen ihrer Kongresse die Tätigkeit Trotzkis billigte und vor euch solche Tatsachen, wie die Hinrichtung von Kommunisten verbarg. Lenin nahm an dieser Täuschung teil, indem er entschieden die militärische Politik Trotzkis unterstützte.«

Dies ist die wirkliche Bedeutung dieser verspäteten »Enthüllung« Stalins. Sie kompromittiert nicht Trotzki, sondern die Partei und ihre Führerschaft. Sie untergräbt das Vertrauen der Massen auf den ganzen Bolschewismus. Als in der Vergangenheit Lenin und die bewährtesten seiner Helfer an der Spitze der Partei standen, war es unmöglich, grobe Fehler und selbst Verbrechen zu verheimlichen, aber was kann man jetzt erwarten, da der Stab des Zentralausschusses unendlich geringere Autorität genießt? Wenn zum Beispiel im Jahre 1923, als der Bürgerkrieg lange vorüber war, Jaroslawski ein maßloses Lob auf Trotzki sang, auf seine Treue, auf seine revolutionäre Hingabe an die Sache der arbeitenden Klasse; was werden dann nachdenkliche junge Parteimitglieder heute sagen? Sie werden sich fragen: »Wann hat mich eigentlich Jaroslawski belogen – damals, als er Trotzki in den Himmel erhob, oder jetzt, da er ihn mit Schmutz zu bewerfen sucht?«

Dies sind die wirklichen Ergebnisse der Bemühungen Stalins und seiner Agenten, die Geschichte umzuschreiben.

Ähnlich steht es mit der famosen »Enthüllung« Stalins über Kamenew, den er fälschlich beschuldigte, ein Glückwunschtelegramm an Michael Romanow (an den Großfürsten Michael) wegen dessen angeblichen Plans, in Rußland eine konstitutionelle Monarchie zu errichten, abgesandt zu haben. Was hat damit Stalin der Partei und der Komintern in Wirklichkeit aber gesagt? Er sagte: »Zehn Jahre lang hat euch der Zentralausschuß über Kamenew getäuscht. In der Prawda haben die Redakteure eine falsche Dementierung abgedruckt. Lenin betrog die Partei. Ich, Stalin, habe an diesem Betrug teilgenommen und jetzt, da Kamenew andere politische Ansichten hat als ich, mich entschlossen, diesen ganzen Betrug zu enthüllen.« Die Partei kann unmöglich den größeren Teil der Stalinschen Enthüllungen glauben. Sie kann jetzt nur einen geringeren Glauben an die Parteileitung haben – an die frühere, die gegenwärtige und die kommende. Wir müssen diesen Glauben wieder zurückgewinnen – gegen Stalin und die Stalinisten.

Bekanntlich hat Genosse Gusew sich mit besonderem Eifer der literarischen Revision unserer Kriegsgeschichte gewidmet. Er hat sogar eine besondere Broschüre geschrieben mit dem Titel: »Unsere militärischen Meinungsverschiedenheiten.« In dieser Broschüre erschien zuerst das vergiftende Geschwätz über die Erschießung von Kommunisten (nicht von Deserteuren oder Verbreitern, sondern von wirklichen Kommunisten).

Gusews Unglück, wie das so manches anderen, ist aber, daß er zweimal über dieselbe Tatsache, über dasselbe Problem geschrieben hat – einmal zur Zeit Lenins, einmal zur Zeit Stalins.

Folgendes schrieb Gusew zu Lenins Zeit, im Jahre 1924 in der »Proletarischen Revolution«:

»Die Ankunft des Genossen Trotzki in der Nähe von Kasan führte eine entscheidende Veränderung der Lage herbei. In Trotzkis Zug auf der kleinen Station Sviaschk war eine fest« Entschlossenheit zum Sieg, zum Angriff, zur wohlüberlegten Durchführung aller militärischen Aufgaben. Vom allerersten Tag an fühlte jeder in dieser von den Wagenparks unzähliger Truppen angefüllten Station, in der sich die Hauptquartiere befanden, und ebenso in den fünfzehn Werst weiter vorliegenden Regimentern, daß der große Wendepunkt erreicht war.

Dies wurde zuerst auf dem Gebiete der Disziplin klar ... Das strenge Verfahren des Genossen Trotzki war in jener Epoche der Parteigängerschaft, der undisziplinierten und kleinbürgerlichen Selbstsucht besonders angebracht und nützlich. Durch Überredung konnte man nichts erreichen, und es war auch vor allem keine Zeit dafür vorhanden. Im Verlauf der fünfundzwanzig Tage, die Genosse Trotzki in Sviaschk verbrachte, wurde eine ungeheure Arbeit vollbracht. Die unbotmäßigen und entarteten Regimenter der fünften Armee wurden in Kampftruppen umgewandelt und zur Einnahme Kasans geschult.«

Jedes Parteimitglied, das den Bürgerkrieg erlebt und sein Gedächtnis nicht verloren hat, wird sagen – wenigstens zu sich selbst, falls er sich fürchtet, es laut zu sagen –, daß man Tausende solcher gedruckten Zeugnisse der gleichen Art, wie dieses von Gusew geschriebene Zeugnis finden könnte.

Ich beschränke mich hier auf Zeugnisse von höchst autoritativem Charakter. In seinen Erinnerungen an Lenin sagt Gorki:

»Indem er mit der Faust auf den Tisch schlug, rief er (Lenin) aus: Zeigt mir einen andern Mann, der imstande ist, in einem Jahre eine fast vorbildliche Armee zu schaffen, jawohl, und die Hochachtung militärischer Sachkenner zu gewinnen. Wir haben solch einen Mann. Wir haben alles, aber ihr verlangt Wunder.«

Und in derselben Besprechung sagte Lenin nach Gorki:

»Ja, ja, ich weiß das. Man lügt eine ganze Menge über meine Beziehungen zu ihm. Man lügt, wie es scheint, besonders viel über Trotzki und mich.«

Ja, sie logen eine ganze Menge über die Beziehungen Lenins und Trotzkis. Aber kann man das armselige private Lügen jener Tage mit dem richtig organisierten allrussischen und internationalen Lügen von heute vergleichen? In jenen Tagen waren die Lügner die Schwarzen Hundert, die Weiße Garde und zum Teil auch die Sozialrevolutionäre und Menschewisten. Heute ist es die Stalingruppe, die diese Methode übernommen hat.


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