Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Mein Anteil an der Oktoberrevolution

Über meine Teilnahme an der Oktoberrevolution kann man in den Anmerkungen zum 14. Band der Gesammelten Werke Lenins folgendes lesen:

»Als die Mehrheit des Petersburger Sowjets in die Hände der Bolschewisten gelangt war, wurde Trotzki zum Vorsitzenden gewählt und organisierte und leitete in dieser Stellung den Aufstand vom 25. Oktober.«

Wieviel hiervon wahr und wieviel falsch ist, das mag das Bureau für Parteigeschichte – wenn nicht das gegenwärtige, dann ein zukünftiges – entscheiden. Genosse Stalin hat vor kurzem klar und deutlich die Wahrheit dieser Versicherung bestritten. Er erklärte in seiner Schrift über »Trotzkismus und Leninismus«:

»Ich muß sagen, daß Genosse Trotzki bei dem Oktoberaufstand keine besondere Rolle spielte und auch nicht spielen konnte, da er als Vorsitzender des Petrograder Sowjets einfach den Willen der entsprechenden Parteiautorität ausführte, die jeden seiner Schritte leitete.«

Und weiter erklärte er:

»Genosse Trotzki spielte keine besondere Rolle weder im Parteileben, noch im Oktoberaufstand, und er konnte es auch nicht, da er in der Oktoberperiode noch ein verhältnismäßig neuer Mann in der Partei war.«

Indem Stalin dieses Zeugnis gab, vergaß er ganz, was er selbst am 6. November 1918 gesagt hatte – also am ersten Jahrestag der Revolution, als die Tatsachen und Ereignisse sich noch frisch in der Erinnerung aller befanden. Schon damals hatte Stalin begonnen, gegen mich zu arbeiten. Aber er war zu jener Zeit noch gezwungen, seinen Kampf gegen mich viel vorsichtiger und heimlicher zu führen, als er es jetzt zu tun braucht. Hier steht, was er damals unter dem Titel »Die Rolle der am meisten hervorragenden Parteiführer« in der Prawda geschrieben hat:

»Das gesamte Werk der praktischen Organisation des Aufstandes wurde unter der unmittelbaren Leitung des Vorsitzenden der Petrograder Sowjets, des Genossen Trotzki geführt. Man kann mit Sicherheit erklären, daß die Partei den schnellen Übergang der Garnison auf die Seite der Sowjets und die kühne Ausführung der Arbeit des revolutionären Soldatenausschusses hauptsächlich und vor allem dem Genossen Trotzki verdankt.«

Es erscheint heute ganz unglaubhaft, daß diese Worte, die durchaus keine lobende Übertreibung sein sollten – im Gegenteil, Stalins Absicht war damals eine ganz andere, aber ich will dabei nicht verweilen –, daß diese Worte von den Lippen Stalins gekommen sind.

Es ist einmal gesagt worden, daß ein wahrheitsliebender Mann den Vorteil hat, sich auch bei einem schlechten Gedächtnis nie zu widersprechen. Ein verlogener, gewissenloser und unehrlicher Mann muß sich, um sich nicht zu beschämen, immer dessen erinnern, was er früher einmal gesagt hat.

Genosse Stalin versucht mit Hilfe Jaroslawskis jetzt, eine neue Geschichte der Organisation des Oktoberumsturzes auf der Tatsache aufzubauen, daß die Partei damals einen »tätigen Ausschuß für die planmäßige Durchführung des Aufstandes« geschaffen hatte, zu dessen Mitgliedern, wie es scheint, Trotzki nicht gehörte. Lenin war aber auch kein Mitglied dieses Ausschusses, und dies allein zeigt schon, daß der Ausschuß nur eine ganz untergeordnete organisatorische Bedeutung hatte. Er spielte überhaupt keine unabhängige Rolle. Die Legende von diesem Ausschuß ist heute auch nur aus dem einfachen Grunde geschaffen worden, weil Stalin deren Mitglied war. Ich gebe hier die Namen der Mitglieder: Swerdlow, Stalin, Tscherschinski, Bubnow, Uritzki. So wenig angenehm es ist, in altem Kehricht zu wühlen, so erscheint es mir, als einem genügend vertrauten Teilnehmer und Zeugen jener Ereignisse, doch notwendig, folgendes festzustellen:

Die Rolle Lenins bedarf natürlich keiner Beleuchtung. Swerdlow traf ich häufig, und ich wandte mich oft an ihn, wenn ich Rat brauchte oder Menschen, die mir helfen sollten. Genosse Kamenew, der damals eine zögernde und für die Bewegung schädliche Haltung einnahm, deren Verkehrtheit er schon längst anerkannt hat, beteiligte sich dann an den eigentlichen Ereignissen der Revolution doch sehr tätig. Die entscheidende Nacht vom 25. zum 26. Oktober verbrachten Kamenew und ich im Quartier des revolutionären Soldatenausschusses, indem wir Anfragen beantworteten und am Telephon Befehle austeilten. Aber wenn ich mein Gedächtnis auch noch so anstrengte, ich könnte nicht die Frage beantworten, worin in diesen entscheidenden Tagen die Rolle Stalins bestanden hat. Nicht ein einziges Mal habe ich mich an ihn um Rat oder Mitarbeit gewandt. Er zeigte aber auch nicht die leiseste Initiative. Nie hat er einen selbständigen Vorschlag gemacht. Diese Tatsachen kann kein »marxistischer Historiker« des neuen Stils ändern.

 

Stalin und Jaroslawski haben, wie ich im vorstehenden schon sagte, mit vieler Mühe zu beweisen versucht, daß der von der Partei eingesetzte, aus den Genossen Swerdlow, Stalin, Tscherschinski, Bubnow und Uritzki bestehende tätige Ausschuß sozusagen den ganzen Verlauf des Aufstandes geleitet habe. Stalin hat in jeder ihm möglichen Art daraufhingewiesen, daß Trotzki kein Mitglied jenes Ausschusses gewesen sei. Aber leider erschien infolge einer Unachtsamkeit der Stalinschen Historiker in der Prawda vom 2. November 1927 – das heißt, als dieser ganze Brief von mir schon geschrieben war – ein genauer Auszug von dem Bericht, den der Zentralausschuß über die Zeit vom 16. bis zum 29. Oktober 1917 gegeben hat.

»Der Zentralausschuß schafft ein militärisches revolutionäres Zentrum mit den folgenden Mitgliedern:

Swerdlow, Stalin, Bubnow, Uritzki und Tscherschinski. Dieses Zentrum soll ein wesentlicher Teil des revolutionären Sowjetausschusses sein.«

Der revolutionäre Sowjetausschuß ist der durch den Petrograder Sowjet geschaffene militärisch revolutionäre Ausschuß. Es bestand kein anderes Organ für die Führerschaft im Aufstand. Jene fünf, durch den Zentralausschuß gewählten Genossen sollten als Ergänzung in den Stab desselben revolutionären Soldatenausschusses eintreten, dessen Vorsitzender Trotzki war. Überflüssig wäre es doch wohl gewesen, Trotzki noch einmal in den Stab einer Organisation aufzunehmen, dessen Vorsitzender er bereits war! Ja, es ist schwer, Geschichte zu korrigieren, wenn sie schon beendet ist!

11. November 1927.

Ich schrieb in Brest eine kurze Beschreibung der Oktoberrevolution. Dieses Buch hat in den verschiedensten Sprachen eine große Anzahl von Auflagen gehabt. Niemand hat mir je gesagt, daß in dem Buch eine auffällige Lücke vorhanden ist – nämlich, daß es nirgendwo auf den Hauptleiter des Aufstandes, auf »das militärisch revolutionäre Zentrum«, dessen Mitglieder Stalin und Bubnow waren, hinweist. Wenn ich mich so schlecht der Geschichte des Oktoberaufstandes erinnerte, warum hat mich nie jemand aufgeklärt? Warum wurde mein Buch unbehelligt in den ersten Jahren der Revolution in allen staatlichen Parteischulen studiert?

Selbst im Jahre 1922 schien das Organisationsbureau der Partei der Ansicht zu sein, ich verstünde doch wohl ziemlich viel von der Geschichte der Oktoberrevolution. Hier ist eine kleine, aber vielsagende Anerkennung:

 

»Nr. 14302 Moskau, den 24. Mai 1922

An Genosse Trotzki:

Auszug aus dem Bericht der Sitzung des Organisationsbureaus des Zentralausschusses vom 22. Mai 1922, Nr. 21. Auftrag an Genosse Jakowlew vom 1. Oktober, unter der redaktionellen Leitung von Genosse Trotzki ein Lehrbuch der Geschichte der Oktoberrevolution zu schreiben.

Das Sekretariat der Unterabteilung für Propaganda.«

Dies geschah im Mai 1922. Und dabei waren meine Bücher über das Jahr 1905 und über die Oktoberrevolution schon vor dieser Zeit erschienen und dem Organisationsbureau – dessen Leiter schon damals Stalin war – wohlbekannt. Trotzdem hielt es das Organisationsbureau für notwendig, mir die Aufgabe der Redaktion des Schulbuchs über die Geschichte der Oktoberrevolution zu übertragen. Wie kam das? Es kam daher, weil die Augen Stalins und der Stalinisten sich für den »Trotzkismus« erst geöffnet haben, als die Augen Lenins für immer geschlossen waren.


 << zurück weiter >>