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Stalin-Bucharin und die Chinesische Revolution

Von Albert Treint

(Albert Treint war jahrelang als Führer der französischen Kommunisten und Mitglied des Exekutivausschusses der Internationale ein ergebener Anhänger und Vorkämpfer des Stalinschen Regimes. Aber selbst Treint revoltierte, als Stalin und Bucharin die Niedermetzlung der chinesischen Arbeiter und Bauern stillschweigend billigten. In einem Briefe an seine Kameraden in der französischen Partei enthüllte er das ganze Vorgehen Stalins und Bucharins und wurde dann natürlich aus der Partei ausgeschlossen.)

»Zwischen der opportunistischen Politik der Stalin-Bucharin-Gruppe in China und dem echten Leninismus liegt jetzt das vergossene Blut der chinesischen Arbeiter. Schutzlos wurden die chinesischen Arbeiter der Unterjochung durch die Bourgeoisie preisgegeben, und die Kommunisten der ganzen Welt schwiegen dazu, da man sie in vollkommener Unwissenheit über die wirkliche Lage gelassen hatte. Mit einer solchen Politik darf es keinen Kompromiß geben ...

Ein ganzes Jahr lang hat die Stalin-Bucharin-Gruppe vor der russischen Partei und der ganzen Internationale den ersten Staatsstreich Tschang Kai-scheks vom März 1926 verheimlicht. Dieser Staatsstreich gab die Macht in die Hände der Reaktion. Der Mintuan, eine Bande von Söldnern, die von den großen Landeigentümern bezahlt wurden, entwaffnete die Bauern und bedrückte zugleich die Arbeiter ... Ebenso unterdrückten im Juli und August 1926 die Kuomintang und die Regierung von Kanton die Bewegung der Arbeiter und Bauern. In Wu Tschau in der Provinz Wang Si wurden Kommunisten verhaftet und erschossen. Die Regierung in Kanton verlangte, daß aus dem Programm der Bauernverbände jede Politik entfernt werden sollte ... Die Erlasse Tschang Kai-scheks vom sechsten August befahlen die Entwaffnung der Arbeiter und bedrohten jede bewaffnete Auflehnung gegen die Söldner der Kapitalisten mit standgerichtlicher Erschießung ... Eine Abteilung des sechsundzwanzigsten Regiments der dritten Armee drang des Nachts in die Eisenbahnwerkstätten ein, schoß auf die Arbeiter und legte sich dann auf einem Haufen von Toten und Verwundeten schlafen ... In Na Tschin Tong feuerten die Truppen auf eine Arbeiterdemonstration und töteten zehn... In Hunan wurden Bauernorganisationen aufgelöst und ihre Führer gehängt ... Solche Ereignisse wiederholten sich viele Male in dem gesamten Bereich der nationalen Regierung.

Die Stalin-Bucharin-Gruppe unterschlug alle diese Ereignisse vor der Masse der Kommunisten und arbeitete in Verbindung mit Tschang Kai-schek ruhig weiter ...

Im März 1927, nach der Einnahme von Schanghai richtete Tschang Kai-schek eine Ergebenheitserklärung an den Kuomintang, um die Vorbereitungen für seinen Staatsstreich zu verheimlichen. Die Stalin-Bucharin-Gruppe legte diese Erklärung als einen Beweis dafür aus, daß man auch weiterhin mit Tschang Kai-schek zusammengehen könnte. Am fünften April unterzeichnete der Sekretär der chinesischen Partei ein Manifest, in dem er ausführte, daß zwischen der chinesischen kommunistischen Partei und der Kuomintang nur einige Meinungsverschiedenheiten über nebensächliche und unwichtige Fragen vorhanden seien. Die Stalin-Bucharin-Gruppe fuhr fort, ihr Schweigen zu bewahren, obgleich sie wußte, daß diese nebensächlichen Meinungsverschiedenheiten sich auf das Erschießen von Arbeitern und Bauern bezogen.

Dies ist nur ein Teil von dem, was vor den kommunistischen Massen verheimlicht wurde, und es ist auch noch lange nicht die ganze Geschichte.

Die Stalin-Bucharin-Gruppe verheimlichte, so weit sie es konnte, alle Dokumente, die sich auf diese Ereignisse bezogen. Sie verheimlichte die Leitsätze Sinowjews über die chinesische Lage, die im ganzen einen richtigen Überblick gaben und genaue Voraussagen enthielten ... Sie schwieg zu der Kritik, die Trotzki gegen die Erklärungen Stalins richtete, ebenso zu den verschiedenen Bemerkungen Trotzkis über gewisse Depeschen aus China, deren Veröffentlichung der kommunistischen Presse verboten wurde. Alle diese Dokumente sind offizielle Schriftstücke von der letzten Session der Exekutive, und sie enthielten genaue Voraussagungen der bevorstehenden Ereignisse. Die Stalin-Bucharin-Gruppe unterschlug dann alle diese Dokumente, da sie ihre vollständig falsche Beurteilung der Lage nachwiesen. Stalin ging sogar so weit, daß er seine eigene Rede unterschlug. So wurde ein Vortrag Stalins, den er in der kommunistischen Akademie in Gegenwart von 3000 Parteiangestellten hielt, niemals veröffentlicht. Er wurde deshalb nie veröffentlich, weil zehn Tage später ein Staatsstreich Tschang Kai-scheks seine ganzen Ausführungen brutal und kategorisch widerlegte. Aber Radek, der auf der kommunistischen Akademie gegen Stalin sprach und bewies, daß der offene Verrat Tschang Kai-scheks nur noch eine Frage von Wochen, vielleicht von Tagen sei, wurde von seiner Stellung als Rektor der Universität Sun Yatsens entfernt, weil seine Voraussagungen sich als richtig erwiesen hatten ...

Um diese Tatsachen zu verheimlichen, um den Widerstand derer, die sie kannten, zu brechen, um alle wirklichen Kenner der Verhältnisse in Verruf zu bringen, war es notwendig, sowohl in der russischen Partei wie in der ganzen Internationale ein Regime einzurichten, das von Tag zu Tag unerträglicher wird.

Stalinismus ist eben dieses Regime bureaukratischer Erdrosselung und behördlicher Einschüchterung, das man in der russischen Partei und in der Internationale zum Besten einer opportunistischen Politik eingeführt hat, einer Politik, die von allen Kommunisten sofort einmütig verworfen würde, wenn man sie nur genau darüber informierte ...

Die Verwirrung durch die Stalin-Bucharinsche Politik führte dann dahin, daß die französische Partei an Tschang Kai-schek, als den Repräsentanten der chinesischen Kommune bei seinem Einzug in Schanghai ein Begrüßungstelegramm schickte. Dabei zog Tschang Kai-schek in Schanghai als der Gallifet der chinesischen Kommune ein, der entschlossen war, sie blutig zu unterdrücken. Die Politik der Stalin-Bucharin-Gruppe führte die Häupter der französischen Partei so sehr in die Irre, daß sie Gallifet mit der Kommune, den Henker mit seinem Opfer verwechselten. Eine Politik, die solche Folgen hat, trägt natürlich ihre eigene Verurteilung in sich ...

Nach dem Julistaatsstreich ging die Politik der Stalin-Bucharin-Gruppe dahin, sich zwar von der chinesischen Regierung zurückzuziehen, aber in der Kuomintang zu bleiben, trotz der dort erfolgten Ausschließung von Kommunisten. Sie ging ferner dahin, am 25. Juli den Gedanken der Bildung von Sowjets zu propagieren, den sie noch am Abend des 24. Juli für verfrüht erklärt hatte. Alles dieses zeigt nicht nur eine grobe bureaukratische Kurzsichtigkeit, sondern eine fast vollständige geistige Verblödung.

Indem die von Stalin geleitete kommunistische Partei aber in der Kuomintang blieb, mußte sie nicht nur gegen den durch die Vollzugsbehörde der Kuomintang durchgeführten Ausschließungsfeldzug kämpfen, sondern auch gegen die Generäle der Kuomintang, die die Arbeitergewerkschaften, die Bauernverbände, die kommunistischen Gruppen und überhaupt die oppositionellen Zusammenschlüsse in der Kuomintang selbst mit roher Waffengewalt zu unterdrücken suchten.

Um aber imstande zu sein, diesen Mächten mit Erfolg zu widerstehen, hätte man sich nicht nach dem Rate der Stalin-Gruppe an die Rockschöße der Bourgeoisie klammern, sondern sich nach den Vorschriften Lenins an die Spitze der Massenbewegung der Arbeiter und Bauern stellen sollen. Durch zur rechten Zeit geformte Sowjets, die zunächst Organe einer demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern gewesen wären, hätte man die Massen bewaffnet, die Leitung des Kampfes übernommen und das zaudernde Kleinbürgertum in die Reihen der Revolution gedrängt.

Und was tat statt dessen die Stalin-Bucharin-Gruppe? Sie weigerte sich, den Befehl zur Bildung der Sowjets zu geben, als die revolutionäre Bewegung der Massen auf dem Höhepunkte war, als die Gewerkschaften eigenmächtig daran gingen, die Feinde der Revolution aufzuhalten, als die Bauern zu Millionen anfingen, die Ländereien der großen Besitzer zu beschlagnahmen. Diese Bewegung der Massen wurde von vornherein durch die Politik Stalins und Bucharms gehemmt und dann unter stillschweigender Duldung Moskaus durch die Bourgeoisie völlig unterdrückt. Und jetzt, da dies alles zu einer schmählichen Niederlage geführt hat und die entmutigten Arbeiter sich entwaffnen lassen, jetzt, da die Generale die Gewerkschaftshäuser beschlagnahmen und der Bauernaufstand vorläufig an vielen Stellen gebrochen ist – jetzt, zur verkehrten Zeit, beeilt sich endlich die Stalin-Bucharin-Gruppe, den Befehl zur Bildung von Sowjets zu geben und predigt diese Idee trotz dem völligen Zusammenbruche der Massenbewegung, und obgleich die Partei bei allen, die ihre Fehler erkannt haben, nicht mehr die geringste Autorität genießt. Es gibt überhaupt keinen besseren Weg, um die Sowjetidee in den Augen der Chinesen für alle Zeiten in Verruf zu bringen.

Es ist notwendig, daß die Internationale und ihre Parteien eine sofortige, genaue und vollständige Aufklärung über die Probleme der chinesischen Revolution erhalten. Es ist ferner notwendig, daß nach einer ernstlichen und vollkommen freien Diskussion in allen Parteien, auch in der russischen Partei, ein besonderer Weltkongreß einberufen wird. Dies ist die einzige Möglichkeit, um zu einer richtigen Politik in dieser Frage zu kommen ...

Die augenblickliche Gefahr ist der Stalinismus, dieses System bureaukratischer Erdrosselung und behördlichen Terrors in der russischen Partei und in der Internationale, ein System, das gewaltsam jeden Protest gegen die herrschende opportunistische Politik verhindert und den Bankrott einer Politik verschleiert, die von Tag zu Tag umfassender und rettungsloser wird.

Gegen diese Gefahr müssen wir sofort einen erbarmungslosen Krieg beginnen.«


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