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Mit Lenin gegen Stalin, Rykow, Kalinin und Bucharin

Lenins Vorschlag, daß Rabkrin, das Kommissariat der Arbeiter- und Bauerninspektion, neu zu gestalten, wurde von der Stalingruppe mit äußerster Feindseligkeit aufgenommen. Ich teilte dies in einer sehr zurückhaltenden Sprache am 23. Oktober 1923 in einem Briefe an die Mitglieder des Zentralausschusses mit. Von diesem Briefe gebe ich hier einen Abschnitt:

»Wie reagierte das politische Bureau auf Lenins Plan zur Neugestaltung des Rabkrin? Genosse Bucharin wollte Lenins Artikel nicht drucken lassen, während Lenin seinerseits auf dessen sofortigem Erscheinen bestand. N. K. Krupskaja, der Redakteur der Prawda, sprach mit mir telephonisch über diesen Artikel und bat mich, dahin zu wirken, daß der Artikel so bald wie möglich gedruckt würde. In der gleich darauf auf meine Veranlassung einberufenen Sitzung des politischen Bureaus waren alle anwesenden Genossen, Stalin, Molotow, Kuibischew, Rykow, Kalinin und Bucharin, nicht nur gegen Lenins Plan, sondern sogar gegen den Druck des Artikels. Die Mitglieder des Sekretariats waren besonders schroff und kurz angebunden in ihrer Opposition. Schließlich schlug Genosse Kuibischew, der spätere Leiter des Rabkrin, vor, man sollte in Hinsicht auf Lenins dringendes Verlangen, ihm den gedruckten Artikel vorzulegen, eine besondere Nummer der Prawda mit Lenins Artikel herausbringen und ihm zeigen, während der Artikel selbst verheimlicht bleiben sollte.

Ich wies darauf hin, daß die vom Genossen Lenin vorgeschlagene gründliche Reform, wenn sie richtig durchgeführt würde, einen wirklichen Fortschritt darstellte, daß es aber doch, selbst wenn das Gegenteil der Fall wäre töricht und lächerlich sein würde, die Partei vor den Vorschlägen des Genossen Lenin zu schützen. Man antwortete mir in dem gleichen, formellen Geist: ›Wir sind der Zentralausschuß. Wir übernehmen die Verantwortung. Wir entscheiden darüber.‹ Ich wurde nur durch Genossen Kamenew unterstützt, der auf der Sitzung des politischen Bureaus fast eine Stunde zu spät erschien.

Der Hauptgrund, der sie dann doch dahin brachte, den Artikel zu drucken, war der Gedanke, daß ein Artikel von Lenin auf keinen Fall vor der Partei verheimlicht bleiben dürfte. Später wurde dieser Artikel eine besondere Waffe jener, die ihn zuerst gar nicht drucken wollten, eine Waffe, die sie gegen mich zu verwenden suchten! Genosse Kuibischew, damals ein Mitglied des Sekretariats, wurde an die Spitze des Kontrollausschusses und des Rabkrins gestellt. Statt gegen Lenins Plan offen zu kämpfen, ging man dazu über, diesem Plan ›die Zähne auszuziehen‹. Ob auf diese Weise das Rabkrin zu einer unparteiischen, unabhängigen Einrichtung wurde, die in der Partei Gerechtigkeit und Einigkeit gegen alle behördlichen Eigenmächtigkeiten schützte – die Frage überhaupt nur zu stellen, ist wohl nicht nötig, denn die Antwort ist völlig klar.«

Das Verhalten Stalins in dieser Frage zeigte mir zum ersten Male klar, daß der Vorschlag, den Kontrollausschuß und den Zentralausschuß zu reorganisieren, von Lenin einzig und allein gegen die damals schon außerordentliche bureaukratische Macht Stalins und gegen seine Unehrlichkeit gerichtet war. Daher stammte auch Stalins hartnäckige Opposition gegen Lenins Plan.


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