Friedrich von der Trenck
Des Freiherrn von der Trenck seltsame Lebensgeschichte
Friedrich von der Trenck

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Zwanzigstes Kapitel

Ich fuhr mit beklommenem Herzen nach Dresden zurück, sah noch von weitem den Felsen mit Wehmut an und freute mich, daß ich dort weder Arrestant noch Kommandant war. Meine Absicht war, gerade nach Wien zurückzureisen. Ich hatte aber bereits in Berlin so viel davon gehört, daß man mich in Paris halb vergötterte, daß jedermann in Frankreich meine Geschichte gelesen habe, daß sogar alle neuesten Moden à la Trenck getragen wurden, daß man mich fast täglich auf den Pariser Theatern mit ungeheuerem Volkszulaufe in rührenden Schauspielen dem Volke als einen Märtyrer fürstlicher Eigenmacht vorstellte und mich sogar in Lebensgröße in einer fürchterlichen Figur für Geld öffentlich sehen ließ. Eben dies bekräftigte mir ein Freund in Dresden und riet mir, daß ich auch in Frankreich meine Lorbeeren einernten solle. Ich faßte also kurz den Entschluß und eilte dahin. In Frankfurt, wo ich so oft in meinem Leben unbeobachtet durchgereist war, wurde ich dieses Mal ganz anders angesehen und mit Jubel empfangen, weil man indessen meine Lebensgeschichte mit Gefühl gelesen hatte.

Man gab mir Feste und Bälle. Die ganze Stadt war rege, und man erwies mir so viel Liebe und Achtung, daß ich die dort genossene Freude ewig nicht vergessen werde und den gutherzigen Einwohnern daselbst den redlichsten Dank opfere. Nun eilte ich nach Straßburg, wo mir auf dem Wege in allen Städten die gleiche Ehre widerfuhr.

In Straßburg sah ich aber zugleich, daß ich unter ein gefühlvolles Volk eingetreten war. Der Zulauf war allgemein, um mich zu sehen. Man überströmte mich mit Höflichkeit. Es wurden mir zu Ehren Bälle und Feste veranstaltet. Alle Schönheiten der Stadt erschienen in vollem Glanze, sie umringten mich, und jeder Tänzer gab mir die seinige in die Arme. Kurz gesagt, kein Mensch auf Erden ist jemals in einer so volkreichen Stadt besser bewillkommnet, liebreicher behandelt und ehrwürdiger aufgenommen worden als ich.

Der Gouverneur der Stadt, Graf Flachsland, lud mich ein, mit ihm in die Komödie zu fahren. Man hatte das Stück »Le Baron de Trenck« angekündigt, aber die Polizei verbot es auf mein Begehren, um dem Tumult vorzubeugen, weil mich das Volk erdrückt hätte.

Wir fuhren nun nebst den ersten Damen in das französische Theater. Kaum trat ich in die Loge, so empfing man mich im Orchester mit Pauken und Trompeten, und das Parterre mit lärmendem Händeklatschen und Zurufen: »Vive le Baron de Trenck!« Ich mußte mich nun dem Volke zeigen und danken.

Nach einer Stunde fuhren wir in das deutsche Theater, dort widerfuhr mir dieselbe Ehre. Die Nacht hindurch war Ball, die schönsten Damen und Mädchen machten mir die charmantesten Impromptus. Bei dem Souper sang man Arien, die mir zu Ehren gemacht waren, und ich kann mit Wahrheit sagen, daß mein Glück wirklich beneidenswürdig war und ich das Magdeburger zehnjährige Gefängnis nicht mehr bereute, weil es mir eigentlich die Bahn zu meiner gegenwärtigen Freude gebrochen hat. Ich blieb acht Tage bei so edlen Freunden und reiste mit wirklich schwerem Herzen als ein Verliebter von dem mir ewig unvergeßlichen Straßburg, wo ich mich wirklich im türkischen Himmel glaubte, da so viel göttlich schöne Damen und Mädchen mich alle mit heiteren Blicken anlächelten und jede Miene sagte, daß sie mir neue Jugend wünschten. Wohl dem Manne, der sie noch so wie ich im grauen Haare empfinden kann! Ja, ich fühlte wirklich in dieser prächtigen Stadt, daß ein solcher Tag, den ich daselbst genoß, wohl wert ist, sich nicht nur das Leben zu wünschen, sondern auch wirklich großes Unglück zu ertragen, um einen solchen Preis zu erwarten.

Nun kam ich in Paris in der Mitte des Februar an, wo ich in meinem Leben zu verschiedenen Zeiten schon fünfmal gewesen war, aber nie beobachtet wurde.

Hier gab man mir nun gleich den Rat, mich nicht auf öffentlichen Plätzen sehen zu lassen, um nicht vom vorwitzigen Volk umringt und überall gehindert zu werden. Die ganze Stadt hatte mich bei Herrn Curtius gesehen, bedauert und bewundert, der mich im Palais Royal in Lebensgröße und in meinen Fesseln neben dem König Friedrich für Geld sehen ließ. Man hatte zwei Theaterstücke, »Der Baron Trenck« betitelt, verfertigt, die seit drei Monaten fast täglich dem Volke vorgespielt werden mußten und wovon das eine besonders geeignet war, um den Aufruhrgeist gegen die königliche Eigenmacht zu erhitzen, weil es jeden Zuschauer zuerst zum Mitleid, dann aber zur Rache bewog, auch wirklich so gespielt wurde, daß es die Herzen dahin zu lenken vermochte, wohin man sie in jenem kritischen Zeitpunkt zu führen wünschte.

Kaum war ich drei Tage in Paris, so wußte es schon die ganze Stadt, und ich erhielt Visiten und Einladungen von allen Großen des Landes; sogar Damen erschienen, die die Neugier reizte, mich zu sehen. So war ich innerhalb sechs Tagen schon überall bekannt und die ganzen sechs Monate hindurch ein wirklich gequälter Mensch und auf vier Wochen im voraus engagiert. Jedes Mittagsmahl war ein Fest. In den meisten Häusern war das Dessert mir zu Ehren mit Anspielungen auf mein Gefängnis und Schicksal mit Triumphbogen und Lorbeerkränzen eingerichtet. Die Damen sangen Arien, die mir zu Ehren komponiert waren und präsentierten mir den Lorbeerzweig; zuweilen waren die Szenen so rührend, daß die ganze Gesellschaft Tränen aus den Augen rollen ließ. Ich selbst weinte bei der ersten Empfindung gefühlvoller Freude und Dankbarkeit mit, und das Ende war eine allgemeine Umarmung mit Ausdrücken, wo wirklich nicht befriedigter Vorwitz, sondern das Herz sprach.

Die ersten zwei Monate durfte ich mich im Palais Royal gar nicht sehen lassen. Endlich gewöhnte man sich an mich, und ich brachte viele Stunden im Palais Royal zu, wo zu dieser Zeit die ganze Revolution geschmiedet wurde. Da ich nun das ganze Zutrauen der Nation gewonnen hatte, so war es mir auch leicht, alles zu entdecken, was ich wissen wollte. Besonders mischte ich mich in die Versammlung der holländischen und brabantischen Patrioten. Diese hielten ihre geheimen Zusammenkünfte, deliberierten und schickten alle zwei Monate ihre vertrauten Deputierten nach Brüssel und Amsterdam, und da sie am meisten an der Pariser noch heimlich gärenden Revolution interessiert waren und kein Geld scheuten, um Versailles genau zu beobachten, so war dies die beste Gelegenheit für mich, um meine Neugierde zu befriedigen. Zuweilen hielt ich mich etliche Tage in Versailles auf, wo ich meine Zeit im größten Vertrauen mit der eigentlichen Hofpartei sehr angenehm zubrachte, zugleich aber die klügsten Mitglieder in den ebendaselbst versammelten Generalstaaten zum Umgang wählte und ihre Freundschaft zu gewinnen wußte. Hierdurch habe ich nun alles gründlich zu entdecken Gelegenheit gehabt und konnte auch fast den genauen Tag des wirklichen Ausbruches voraussehen und bestimmen.

Ich wurde vom kaiserlichen Gesandten Grafen Mercy bei Hofe vorgestellt. Hier muß ich doch etwas sagen, was denen lächerlich scheinen wird, die die französische Hofetikette noch nicht kennen. Der König darf mit keinem Fremden, der ihm von einem Gesandten durch seinen Minister vorgestellt wird, ein Wort sprechen. Auch ist es fast unmöglich, bei ihm eine Privataudienz zu erhalten. Dieses ist vermutlich ein alter Ministerialkunstgriff, damit er niemals höre, was er wissen soll. Nun hatte man seit etlichen Monaten überall nur vom Trenck gesprochen, und jemand, dem man glauben kann, hatte mir versichert, daß Ludwig XVI., der in seinem Leben kein Buch gelesen hat, sich dennoch meine Geschichte hatte vorlesen lassen, auch wirklich zu meinem Vorteil gerührt, mich persönlich zu sehen verlangte. Da ich ihm nun vorgestellt wurde, blieb er volle zwei Minuten unbeweglich vor mir stehen, betrachtete mich von oben bis unten, lächelte mich freundlich an und ging bis an die Türe zurück, kehrte auf der Stelle wieder um, trat dicht vor mich hin, betrachtete mich eine Weile wie vorhin, lächelte wieder, gab mir mit einer kleinen Bewegung des Kopfes seinen Beifall zu erkennen und ging davon, nachdem er sich bei der Tür noch einmal nach mir umgesehen hatte.

Endlich, nachdem ich in Paris alles gesehen hatte, was ich sehen wollte, und meine Familienumstände mich nach Hause riefen, ging ich auf das Rathaus zu Herrn de Lafayette und dem Maire Bailly, die damals allein Gewalt, Pässe zu geben, hatten, weil in der allgemeinen Gärung die auswärtigen Ministerrechte weder geachtet, noch geduldet wurden. Beide Häupter der bewaffneten Bürgerschaft waren meine Freunde, und beide baten mich inständig, meine Reise zu verschieben, weil mir niemand gutstehen könnte, daß ich nicht fünfzigmal unterwegs von den bewaffneten Bürgern und Bauern belästigt und angehalten würde, da eben der Zeitpunkt war, wo die Aristokraten und Häupter der besiegten Partei heimlich aus dem Lande flüchteten. Ich bestand aber auf mein Begehren, und man ging in die Ratsstube, um mich zu expedieren. Beide Herren brachten mir den Paß nun mit besonderer Höflichkeit heraus, und Lafayette sagte mir, er bäte mich inständigst, gar kein Gewehr mitzunehmen, weil jetzt kein Reisender Waffen bei sich führen dürfe. Ich sah ihn hierauf mit Verachtung und entschiedenen Merkmalen gereizter Beleidigung an und antwortete:

»Herr General, ich bin Offizier einer fremden Macht, und wer dem Trenck seinen Degen abfordert, der stirbt von seiner Faust.« – »Erhitzen Sie sich nicht, Freund!« erwiderte er. »Aber wenn tausend zugleich kommen und ihn fordern?!« – .Dann stirbt der, welcher mir der nächste ist und alle die, welche mich nicht überwältigen können.« – Man sah mich mit Verwunderung an, nahm den Paß zurück, ließ mich einige Minuten allein und brachte mir einen anderen, worin mir keine Waffen verboten waren. Man hatte noch dazu wegen besonderer Achtung die Zahl meiner Bedienten oder Mitreisenden nicht bestimmt. Ich hätte also ganz leicht noch jemanden von der Hofpartei mit mir aus dem Lande durchhelfen können. Dieses wäre aber in keinem Falle geschehen, weil ich die, die mich mit Freundschaft überströmten, auf keine Art beleidigen wollte.

Bei meiner Rückkunft nach Wien war aller Vorwitz gespannt, um von mir die Erzählung der französischen Revolution zu hören. Ich entfernte mich aber von allen Gesellschaften. Und da der Monarch eben schwer krank lag, so erfuhr er durch den Oberstallmeister Fürsten Dietrichstein von mir, was er wissen wollte, auch ohne mich vielleicht nicht wissen konnte. Diesem Herrn allein vertraute ich alle meine Geheimnisse ohne Rückhalt an. Ich verehrte ihn, weil ich seinen Charakter kannte, und da er den Monarchen täglich sah und von der Leber zu sprechen gewohnt war, so bin ich versichert, daß er die Wahrheit vorgetragen hat.



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