Friedrich von der Trenck
Des Freiherrn von der Trenck seltsame Lebensgeschichte
Friedrich von der Trenck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel

Mein Gefängnis war in einer Kasematte, wovon der vordere Teil, sechs Fuß breit und zehn Fuß lang, durch eine Zwischenmauer abgeteilt war. In der inneren Mauer waren doppelte Türen, und zum Eingang in die Kasematte selbst die dritte. Das Fenster in der sieben Fuß dicken Mauer war oben am Gewölbe derart angebracht, daß ich zwar Licht genug hatte, aber weder den Himmel noch die Erde sehen konnte. Gegenüber sah ich allein das Dach des Magazins. Innen steckten eiserne Stangen, außen ebenfalls, und in der Mitte dieses Mauerfensters war ein ganz enges Drahtgitter angebracht, welches wegen der hinaufsteigenden Abdachung um einen Fuß kleiner war als das Fenster selbst; auf solche Weise war es unmöglich hinaus oder hinein zu sehen. Von außen stand ein hölzernes Pallisadengitterwerk sechs Fuß von der Mauer, das verhinderte, daß die Schildwachen dem Fenster beikommen konnten, um mir etwas zuzustecken. Dabei hatte ich ein Bett mit einer Matratze, das aber, mit Eisen an den Fußboden befestigt, unbeweglich stand, damit ich es nicht an das Fenster rücken und aufsteigen könnte. Ein eiserner kleiner Ofen stand an der Seite der Tür, in seiner Nähe ein gleichfalls festgenagelter Lehnstuhl. Eisen legte man mir nicht an, hingegen bestand meine Kost in eineinhalb Pfund Kommißbrot und einem Krug Wasser.

Da ich nun wegen meiner Jugend einen besonderen Freßmagen hatte und mein Brot meist so verschimmelt war, daß man kaum die Hälfte genießen konnte, was vom Geiz des damaligen Platzmajors Rieding herrührte, der bei der großen Zahl der unglücklichen Gefangenen noch Gewinn suchte, so ist es mir unmöglich, meinen Lesern die grausame Folter zu schildern, die mir ein elf Monate dauernder unausgesetzt wütender Hunger verursachte. Ich hätte täglich sechs Pfund Brot begierig geschluckt, – wenn ich nun alle 24 Stunden meine kleine Portion erhielt, so blieb ich nach dem Genuß derselben noch ebenso hungrig, als ich vorher war, und mußte abermals 24 Stunden auf neue Labung warten. Wie gerne hätte ich einen Wechsel auf 1000 Dukaten auf mein Wiener Vermögen assigniert, um mich nur einmal an trocknem Brot satt zu essen! Kaum gestattete mir der Hunger einen ruhigen Schlaf, so träumte mir, als ob ich an einer großen Tafel schmauste, wo eben alle Speisen, die ich vorzüglich gern essen mochte, im Ueberflusse aufgetragen waren. Ich fraß träumend wie ein Nimmersatt; die ganze Gesellschaft erstaunte über meinen Appetit. Der Magen spürte nichts von Wirklichkeit; desto gieriger fraß ich in Gedanken. Ich erwachte oder vielmehr der Hunger weckte mich, dann schwebten mir die vollen Schüsseln vor den Augen, und dem leeren Bauche blieb die rasende Sehnsucht. Der Hunger, der Trieb der Natur, forderten immer mehr, immer reißender; diese Marter hinderte den Schlaf und desto fürchterlicher erschien mein grausames Schicksal der in die Zukunft forschenden Seele, welche sich die Dauer unübersteiglich schilderte.

Vorstellung, Bitten half nicht, die Antwort war: »Es ist des Königs ausdrücklicher Befehl, man darf Ihnen nicht mehr geben.« – Der Kommandant, General von Bork, ein geborener Menschenfeind, sagte mir sogar, als ich ihn bat, mir doch wenigstens Brot genug geben zu lassen: »Sie haben lange genug auf des Königs silbernem Service Pasteten gefressen, das ihm der Trenck bei der Bataille zu Sorau geraubt hat; nun mag Ihnen auch unser Kommißbrot auf Ihrem Sch . . . hause schmecken. Ihre Kaiserin hat Ihnen kein Geld geschickt, und Sie sind des Kommißbrotes und der Kosten nicht wert, die hier auf Sie verwendet werden usw.«

Die drei Türen wurden verschlossen, ich blieb meinem Nachdenken trostlos überlassen, und alle 24 Stunden brachte man mir mein Wasser und Brot um die Mittagsstunde; die Schlüssel von allen Türen waren bei dem Kommandanten. Die innere allein hatte ein besonders verschlossenes Mittelfenster, durch das mir meine Bedürfnisse hineingereicht wurden. Am Mittwoch aber wurden nur die Türen geöffnet, und der Kommandant nebst dem Platzmajor kamen herein zum Visitieren, wenn vorher mein Abtritt durch einen geschlossenen Delinquenten gereinigt war.

Nachdem ich dieses ein paar Monate hindurch beobachtet hatte und vollkommen sicher war, daß in der ganzen Woche niemand in mein Gefängnis kam, fing ich eine Arbeit an, die ich zuvor genau untersucht hatte und wirklich möglich fand.

Auf dem Platze, wo der Ofen und der Abtritt standen, war der Boden mit Ziegeln gepflastert, und die Wand war der Schwibbogen zwischen meiner benachbarten Kasematte, die niemand bewohnte. Ich hatte nur eine Schildwache vor dem Fenster, und fand bald ein paar ehrliche Kerle, die trotz des Verbotes mit mir sprachen und mir die ganze Lage meines Kerkers schilderten.

Durch sie erfuhr ich, daß ich leicht entfliehen könne, falls es möglich wäre, in die nächste Kasematte hineinzubrechen, wo die Tür unverschlossen war; da käme es darauf an, wenn ich einen Freund mit einem Nachen an der Elbe bereit hätte, oder wenn ich mich durch Schwimmen retten könnte; die sächsische Grenze wäre nur eine Meile davon. Hierauf ward nun mein Entwurf gemacht.

Ich arbeitete die 18 Zoll langen Eisen los, vermittelst derer mein Abtritt an den Boden befestigt war. Die drei kleinen Nägel inwendig im Kastenblatte brach ich ab; außen aber, wo allein visitiert wurde, steckte ich die Nägel wieder richtig an ihren Ort.

Hierdurch erhielt ich Brecheisen, hob die Ziegel vom Boden auf, und fand unter demselben gleich Erde.

Ich fing also den ersten Versuch an, hinter diesem Kasten ein Loch durch den Schwibbogen zu brechen, der sieben Fuß dick war. Die erste Lage der Mauern waren Ziegelsteine, dann folgten aber sogleich große Bruchsteine. Nun versuchte ich erst, sowohl die Ziegel des Bodens, als die ersten der Wand zu numerieren und zu bemerken, um das Loch wieder genau zuzumachen. Dieses glückte, ich griff also weiter.

Am Tage vor der Visitation wurde alles ganz behutsam zugemacht. Beinahe einen Fuß hoch brach ich in die sichtbare Mauer. Die Ziegel wurden wieder eingesetzt, der feinste Kalk wohl verwahrt: der übrige von der Mauer abgeschabt, die vielleicht hundertmal vorher geweißt war und unmerklich Stoff genug zu meinem Bedürfnis gab. Aus meinen Haaren verfertigte ich einen Pinsel, machte alles gleich, dann den feinen Kalk in der Hand naß, überstrich, und blieb mit dem bloßen Leibe so lange an der Wand sitzen, bis alles trocken und der übrigen Wand gleich war. Dann wurden die Eisen wieder an dem Abtritt befestigt und es war unmöglich, das mindeste zu bemerken.

Während der Arbeit lagen Schutt und Steine in meiner Bettstelle. Hätte man nun in der ganzen Zeit einmal die Klugheit gehabt, an einem anderen Tage als am Mittwoch zu visitieren, so wäre ich sogleich entdeckt worden; da dieses aber binnen sechs Monaten gar nicht geschah, so war mir die Ausführung eines unmöglichen Unternehmens möglich.

Inzwischen mußte ich auf Mittel sinnen, den Schutt aus dem Gefängnisse zu schaffen, weil es nie möglich ist, aus einer gebrochenen Mauer alles wieder in den vorigen Raum zu bringen. Es geschah auf folgende Art: Kalk und Steine waren auf keine Weise fortzuschaffen; ich nahm also Erde, streute sie in mein Zimmer, und trat auf derselben herum, bis sie feiner Staub wurde.

Diesen Staub streute ich auf mein Fenster; um herauszusteigen, brauchte ich den losgemachten Abtritt. Dann machte ich mir einen kleinen Stab von Holzsplittern aus der Bettstelle; der Zwirn von einem alten Strumpf diente zum Zusammenbinden, und vorne machte ich aus meinen Haaren einen Büschel.

Im mittleren Drahtgitter am Fenster machte ich ein Loch größer, das von unten nicht bemerkt werden konnte; dann warf ich meinen Staub ganz dick auf die Fenstermauern und schob ihn mit großer Mühe mit meinem Stabe durch das Drahtgitter, bis an den äußern Rand des Fensters.

Dann wartete ich, bis windiges Wetter einfiel, und wenn die Windstöße in der Nacht am Fenster vorbeistrichen, stieß ich mit meinem Pinsel den Staub hinaus, der in die Luft geführt wurde und von außen keine Merkmale auf der Erde hinterließ.

Auf diese Weise habe ich gewiß allgemach mehr als drei Zentner Erde herausgeschafft und mir zur angefangenen Arbeit Luft gemacht.

Ich machte auch kleine Kügelchen und blies mit einem Stück Papier, wenn die Schildwache spazierenging, eines nach dem andern weit zum Fenster hinaus; auf diese Art verschaffte ich Platz, füllte den leeren Erdraum unter dem Bretterboden mit Kalk und Steinen aus und arbeitete glücklich vorwärts.

Unmöglich aber kann ich die Arbeit schildern, die ich fand, nachdem ich ein paar Fuß tief in die Bruchsteine kam. Meine Eisen vom Abtritt, zuletzt auch die vom Bett, waren die beste Hilfe. Eine redliche Schildwache steckte mir einmal einen alten eisernen Ladestock zu, der mir gute Dienste leistete, auch ein Messer, wie es die Soldaten zu kaufen pflegen. Es hat mir in der Folge unglaubliche Dienste geleistet. Ich schnitt damit Stücke von den Brettern des Bettes ab und machte Späne, mit denen ich nach und nach den Kalk zwischen den Steinen herausarbeitete.

Unglaublich ist es aber, was für Arbeit diese sieben Fuß dicke Mauer mich kostete. Das Gebäude ist uralt, und der Kalk war an einigen Orten ganz verhärtet, so, daß ich die ganzen Steine in Staub zerreiben mußte. Sechs Monate lang dauerte die Arbeit unausgesetzt, ehe ich an die letzte Lage kam, was ich an den Ziegeln erkennen konnte, womit jedes Kasemattenzimmer innen ausgemauert war.

In dieser Zeit hatte ich nun Gelegenheit, mit einigen Schildwachen zu sprechen; unter ihnen war ein alter Grenadier namens Gefhardt, den ich hier deshalb nenne, weil er in meiner Geschichte als Beispiel des großmütigsten Menschen auf Erden erscheinen wird. Von ihm erfuhr ich nun die ganze Lage meines Gefängnisses, auch alle Umstände, wie ich zu meiner Freiheit gelangen könnte.

Nichts fehlte mir als Geld, um einen Kahn zu kaufen und auf der Elbe mit ihm nach Sachsen zu fliehen. Durch diesen rechtschaffenen Mann machte ich Bekanntschaft mit einem Judenmädchen namens Esther Heymann aus Dessau, deren Vater auf zehn Jahre im Gefängnis saß. Dieses redliche Mädchen, das ich nie sehen konnte, gewann zwei andere Grenadiere, die ihr Gelegenheit boten, so oft sie bei mir Schildwache standen, mit mir zu sprechen. Ich machte von meinen Spänen einen langen zusammengebundenen Stock, der bis vor die Pallisadeneinfassung vor dem Fenster reichte; hierdurch erhielt ich Papier, auch ein Messer und eine Eisenfeile.

Ich schrieb an meine Schwester, die an den einzigen Sohn des Generals von Waldow verheiratet war, schilderte ihr meinen Zustand, gab ihr Instruktion, wie sie für meine Freiheit arbeiten sollte, und bat sie, daß sie diesem Judenmädchen 300 Reichstaler geben sollte, weil ich durch ihre Hilfe Möglichkeit gefunden hätte, aus meinem Kerker zu entfliehen.

Zugleich gab ich ihr einen Brief an den kaiserlichen Minister in Berlin, Grafen Puebla, mit, schloß einen Wechsel über 1000 fl. bei, um sie in Wien einzukassieren und sie dieser Heymann auszuhändigen. Diese 1000 fl. hatte ich ihr zur Belohnung für ihre Treue versprochen. Die 300 Reichstaler von meiner Schwester sollte sie aber mir bringen und dann ihren Grenadieren meine Anstalten zur sicheren Flucht befördern, was auch unfehlbar, entweder durch mein bereits damals halb fertiges Loch in der Mauer, oder durch Hilfe der Jüdin und Schildwache mit Durchschneiden meiner Türen um die Schlösser herum geschehen wäre.

Die Briefe waren offen, weil ich sie nur um den Stock wickeln und ihr auf diese Art zustecken konnte.

Das arme redliche Mädchen geht also nach Berlin, gerade und glücklich zum Minister Grafen Puebla. Er gibt ihr allen Trost, übernimmt Brief und Wechsel und befiehlt ihr, mit seinem Gesandtschaftssekretär Herrn von Weingarten zu sprechen und alles zu tun, was dieser ihr befehlen würde.

Sie geht zu ihm; wird auf das freundlichste empfangen, er fragt sie ganz aus. Sie vertraut ihm den ganzen Entwurf zu meiner Flucht durch Hilfe der beiden Grenadiere an, auch daß sie Briefe an meine Schwester nach Hammer bei Küstrin zu tragen habe.

Er fordert diese Briefe, liest sie, forscht alles aus, befiehlt ihr, sogleich zu meiner Schwester zu gehen, und gibt ihr zwei Dukaten auf die Reise mit dem Befehl, bei ihrer Rückkunft wieder zu ihm zu kommen, indessen wolle er die Zahlung des Wechsels über 1000 fl. in Wien besorgen und ihr sodann weitere Instruktionen geben.

Das Mädchen geht freudig nach Hammer. Meine Schwester, die Witwe war und ihren Mann nicht mehr wie im Jahre 1746 zu fürchten hatte, ist entzückt über die Nachricht, daß ich noch lebe, gibt ihr 300 Reichstaler und muntert sie auf, alles Mögliche zu meiner Rettung beizubringen.

Hiermit eilt Esther nebst einem Briefe an mich nach Berlin zurück und bringt die Nachricht dem Herrn von Weingarten. Dieser liest meiner Schwester Brief, fragt sie alles ab, auch sogar die Namen der beiden Grenadiere; sagt ihr, die 1000 fl. wären noch nicht aus Wien angekommen; gibt ihr aber zwölf Dukaten, mit dem Befehl, nach Magdeburg zu eilen, mir die gute Nachricht zu bringen, dann aber sogleich nach Berlin zurückzukehren und ihre 1000 fl. bei ihm abzuholen. Das gute Mädchen fliegt nach Magdeburg, geht auf die Zitadelle, begegnet aber zu ihrem größten Glücke vor dem Tore dem Weibe des Grenadiers, das ihr mit Winseln und Tränen erzählt, ihr Mann sei nebst seinem ihr bekannten Kameraden tags vorher arretiert, in Eisen gelegt und sitze scharf bewacht fest.

Die Jüdin hatte einen gesunden Verstand, roch den Braten, kehrte auf der Stelle um und flüchtete glücklich nach Dessau.

Nun will ich diese Erzählung unterbrechen und meinen Lesern das wichtige und schreckliche Rätsel auflösen, weil ich nach meiner erlangten Freiheit von eben dieser Jüdin den ganzen Bericht schriftlich erhalten, den ich noch gegenwärtig wirklich in Händen habe.

Der Legationssekretär von Weingarten war, wie bald darauf weltkundig wurde, ein Verräter, dem Graf Puebla zu viel vertraut hatte, der als Kundschafter wirklich in preußischem Solde stand und alle Geheimnisse der kaiserlichen Gesandtschaft, auch den in Wien entworfenen Kriegsplan, an das Berliner Ministerium verraten hatte. Er blieb auch bei dem bald darauf ausgebrochenen Kriege wirklich als ein Treuloser in preußischen Diensten zurück. Mich hatte er verraten, um den Wechsel über 1000 fl. in seinen Sack zu schieben. Denn sicher und erwiesen ist es, daß Graf Puebla meinen Wechsel wirklich nach Wien geschickt und derselbe ihm am 24. Mai 1755 aus meiner Administrationskasse bezahlt, mir auch nach erlangter Freiheit hier angerechnet wurde.

Nachdem nun Weingarten das Judenmädchen auf das genaueste ausgekundschaftet hatte, so stürzte der Schelm, um 1000 fl. zu erobern, mich ins Verderben, verursachte meiner Schwester Unglück und frühzeitigen Tod, und seine Verräterei war schuld, daß ein Grenadier gehängt wurde, der andere hingegen drei Tage Gassen laufen mußte.

Das Judenmädchen kam allein glücklich davon. Nach meiner erlangten Freiheit hat sie mir erst Nachricht und Aufklärung über den ganzen Vorfall gegeben.

Ihr armer Vater, der im Gefängnis saß, empfing mehr als 100 Prügel. Er sollte gestehen, ob ihm die Tochter nichts vom Komplott vertraut hätte, auch, wohin sie geflüchtet sei; und er starb erbärmlich in seinen Fesseln.

Ich selbst geriet durch Weingartens Verräterei in die ungeheuren Fesseln, die mich noch neun Jahre folterten. Ein unschuldiger Mensch verlor am Galgen sein Leben, meine redliche Schwester hingegen mußte mir auf ihre Kosten das neue Gefängnis in der Sternschanze bauen lassen. Der Fiskus strafte sie um eine Summe, die ich nie erfahren habe; ihre Güter wurden danach bald gänzlich ausgeplündert und in eine Wüstenei verwandelt. Ihre Kinder gerieten durch diese Begebenheit in die bitterste Armut, und sie selbst starb im Kern der Jahre, im dreiunddreißigsten, von Gram und Verfolgung durch ihres Bruders Unglück und durch die Verräterei der kaiserlichen Gesandtschaft zugrunde gerichtet.

Genug hiervon! Sogar der rechtschaffene Kaiser Franz vergoß Tränen, als ich ihm diese schreckliche Geschichte in einer Audienz mit Wehmut erzählte. Ich erkannte sein edles Gefühl und fiel ihm von reinem Dank erschüttert zu Füßen. Der bewegte Monarch riß sich los, verließ mich, und ich schlich in Betäubung zur Türe hinaus.

Vielleicht hätte er mehr getan, als mich nur bedauert. Er starb aber bald nach diesem Vorfall, und ich erzähle ihn hier nur, um der Nachwelt zu versichern, daß Kaiser Franz edles, erhabenes Gefühl und ein Menschenherz besaß. Dies ist das einzige Beispiel, das ich in meiner großen Welterfahrung von Fürsten erlebt habe.

Nun weiter in meiner Sache.

In meinem Kerker erfuhr ich in den ersten Tagen gar nichts. Bald aber kam mein ehrlicher Geshard wieder auf Wache zu mir. Da aber die Posten verdoppelt waren, so war das Sprechen ohne Gefahr fast unmöglich. Indes gab er mir doch Nachricht von den beiden unglücklichen Kameraden.

Der König kam eben nach Magdeburg zur Revue. Er selbst ist in der Sternschanze gewesen und hat in aller Eile das neue Gefängnis in derselben für mich zu bauen befohlen, auch die Ketten angeordnet, an die ich geschmiedet werden sollte.

Mein ehrlicher Geshard hatte seine Offiziere sprechen hören, daß dies neue Gefängnis für mich bestimmt sei. Er gab mir Wind davon, versicherte mich aber, daß es vor Ende des Monats nicht fertig sein könnte.

Ich faßte also den Entschluß, eilfertig den Ausbruch meines Lochs in der Mauer zu beschleunigen und ohne auswärtige Hilfe zu entfliehen.

Möglich war es, denn aus meinem Bette hatte ich einen Strick verfertigt, den ich an eine Kanone anbinden und mich vom Walle herunterlassen wollte. Ueber die Elbe wäre ich geschwommen, und da die sächsische Grenze nur eine Meile entfernt ist, so wäre ich auch gewiß glücklich davongekommen.

Am 26. Mai wollte ich in die Nebenkasematte herausbrechen. Da ich mich aber unter dem Ziegelboden herausarbeiten wollte, fand ich ihn so fest ineinander gefügt, daß ich den Ausbruch auf den folgenden Tag verschieben mußte. Der Tag brach wirklich an, da ich müde und matt aufhörte, und wäre jemand zufällig am folgenden hineingegangen, so hätte man das bereits aufgewühlte Loch gefunden.

Der 27. Mai war aber ein neuer Unglückstag für mich. Mein Gefängnis war in der Sternschanze geschwinder fertig geworden, als man glaubte. Und eben da die Nacht hereinbrach und ich meine Anstalt zur Flucht treffen wollte, hielt ein Wagen vor meinem Gefängnisse still. Gott! Wie erschrak ich! Schlösser und Türen wurden geöffnet. In der Geschwindigkeit versteckte ich noch mein Messer zur letzten Nothilfe an einem geheimen Ort auf dem Leibe, und in eben dem Augenblicke trat der Platzmajor nebst dem Major du jour und einem Kapitän in mein Gefängnis, mit zwei Laternen in den Händen.

Man sprach kein Wort, als: »Ziehen Sie sich an.« Dies war gleich geschehen. Es war noch meine kaiserliche Cordova-Uniform. – Hierauf reichte mir jemand ein paar Eisen, mit denen ich mich selbst über Kreuz an Hand und Fuß schließen mußte. Dann band mir der Platzmajor mit einem Tuche die Augen zu; man griff mich unter die Arme und führte mich in den Wagen. Aus der Zitadelle muß man nun durch die ganze Stadt und dann erst zur Sternschanze wieder hinausfahren. Ich hörte nichts, als das Geklirr der den Wagen umgebenden Bedeckung, in der Stadt aber einen gewaltigen Zulauf des neugierigen Volks, weil man ausgesprengt hatte, ich sollte in der Sternschanze enthauptet werden.

Gewiß ist es auch, daß verschiedene Leute, die mich damals mit verbundenen Augen durch die Stadt führen sahen, überall erzählt, auch geschrieben haben, daß am 27. Mai der Trenck in die Sternschanze geführt und ihm dort der Kopf vor die Füße gelegt worden sei. Die Offiziere der Garnison hatten auch den Befehl, dies zu bekräftigen, weil niemand wissen sollte, wo ich geblieben war.

Ich kannte leider mein Schicksal, ließ mir aber nichts merken, und da mir das Maul nicht zugestopft war, stellte ich mich, als wenn ich den Tod erwartete und redete mit meinen Führern in einem Tone, der sie erschütterte und ihren Monarchen eben nicht von der vorteilhaftesten Seite schilderte, daß er redliche Untertanen durch einen Machtspruch ungehört verurteilen könnte.

Man bewunderte meine Standhaftigkeit in eben dem Augenblicke, da ich den Tod durch die Hand des Büttels zu erwarten schien. Niemand antwortete das mindeste. Ihr Seufzen ließ mich allein Mitleid bemerken.

Endlich hielt der Wagen still. – Man führte mich in das neue Gefängnis. – Man löste mir bei dem Scheine einiger Lichter das Tuch von den Augen. – Aber o Gott! wie regte sich mein Gefühl, da mir zwei schwarze, dem Teufel ähnliche Schmiede, mit einer Glutpfanne und Hammer bewaffnet und der ganze Boden mit rasselnden Ketten bedeckt, in die Augen fielen.

Man ging sogleich zum Werke, und beide Füße wurden mir mit schweren Holzketten an einen eisernen in der Mauer befestigten Ring festgeschmiedet. Dieser Ring war drei Fuß von dem Boden erhaben, folglich konnte ich links und rechts etwa drei Fuß breit eine Bewegung machen. Dann wurde mir um den nackten Leib ein handbreiter Ring geschmiedet, der mit einer Kette an einer eisernen armdicken Stange hing, die zwei Fuß lang war, und an deren beiden Enden man meine Hände in zwei Schellen befestigte.

Kein Mensch sagte gute Nacht. Alles ging in grausiger Stille fort, und ich hörte nacheinander vier Türen mit fürchterlichem Gerassel zuschließen.

Hier saß ich ohne Trost und Hilfe, mir allein überlassen, auf dem nassen Fußboden in dicker Finsternis. Die Fesseln schienen mir unausstehlich, ehe ich mich an sie gewöhnte, und ich dankte Gott, daß man mein Messer nicht gefunden hatte, womit ich meinem Leiden in eben dem Augenblick ein Ende machen wollte.

Schildern kann meine Feder dem Leser nicht, wie ich in dieser ersten Nacht mit meinem Herzen, mit meinen Entschließungen kämpfte und den letzten Entschluß zurückhielt. Ich hatte Ursache zu zweifeln, ob man sich am Ende noch in Wien für mich interessieren werde, weil ich Wien aus Erfahrung kannte, auch wußte, daß die, welche meine Güter daselbst geteilt hatten, gewiß alles mögliche tun würden, um mir die Rückkehr zu wehren. Mit diesen Gedanken verfloß die Nacht. Der Tag erschien, aber nicht in seinem Glanze für mich. Dennoch konnte ich in der Dämmerung meinen Kerker betrachten.

Die Breite war acht und die Länge zehn Fuß. Neben mir stand ein Leibstuhl; vier Ziegel waren in der Ecke in die Höhe gemauert, worauf ich sitzen und den Kopf an die Mauer anlehnen konnte. Dem Ringe in der Mauer gegenüber, an dem ich angeschmiedet war, war ein künstliches Fenster in der sechs Fuß dicken Mauer angebracht, in der Form eines halben Zirkels, aber nur einen Fuß hoch und zwei im Durchmesser. Von innen ging die Oeffnung aufwärts gemauert bis an die Mitte, wo ein enges Drahtgitter befestigt war.

Da nun mein Gefängnis in dem Graben des Hauptwalles gebaut, von hinten an denselben gelehnt, inwendig acht Fuß breit und die Mauer sechs Fuß dick war, so stieß das Fenster beinahe an die Mauer des zweiten Walles; folglich konnte von oben her gar keines, von unten auf aber nur der Widerschein des Tageslichtes in meinen Kerker hereinbrechen, besonders durch ein so enges Loch, das dreimal mit Eisen und Gittern versehen war. Mit der Zeit wurde mein Auge dennoch so an die Dämmerung gewöhnt, daß ich eine Maus konnte laufen sehen. Im Winter aber, wo die Sonne gar nicht in den Graben schien, war bei mir ewige Nacht.

Inwendig war vor dem Gitter ein Fenster, dessen mittlere Scheibe als Luftloch geöffnet werden konnte.

Neben mir stand ein hölzerner Leibstuhl, der alle Tage geleert wurde, und ein Wasserkrug.

In der Mauer konnte man den Namen Trenck von roten Ziegeln ausgemauert lesen, und unter meinen Füßen lag ein Leichenstein mit dem Totenkopf, unter dem ich gleichfalls begraben werden sollte, und mit meinem Namen bezeichnet. Mein Kerker hatte doppelte Türen von zwei Zoll dickem, eichenen Holze. Vor denselben war eine Art von Vorzimmer mit einem Fenster, und dieses abermals mit zwei Türen verschlossen.

Weil nun der König ausdrücklich befohlen hatte, daß mir durchaus aller Umgang, alle Gelegenheit mit Schildwachen zu sprechen, abgeschnitten werden sollte, damit ich keinen mehr verführen könne und deshalb der Kerker undurchdringlich gebaut werden müsse, so war der Hauptgraben, in dem mein Palast prangte, von beiden Seiten mit zwölf Fuß hohen Pallisaden geschlossen, und allein den Schlüssel zu dieser fünften Tür hatte der wachthabende Offizier. Mir selbst blieb keine andere Bewegung übrig, als auf der Stelle, wo ich angeschmiedet war, zu springen, oder den oberen Leib so lange zu schütteln, bis ich warm wurde.

Das Gefängnis war binnen elf Tagen aufgemauert und mit Gips und Kalk ausgeweißt worden, und gleich wurde ich hineingebracht, wobei jedermann glaubte, daß ich in dem frischen Mauerdampf in einem ganz verschlossenen Loche nicht vierzehn Tage aushalten würde. Wirklich saß ich beinahe sechs Monate lang beständig im Wasser, das von dem ungeheuer dicken Gewölbe, eben da, wo ich sitzen mußte, beständig auf mich herabträufelte. Ich kann auch meinen Lesern versichern, daß mein Leib in den ersten drei Monaten gar nicht trocken wurde; dennoch blieb ich gesund.

So oft man zur Visitation kam, und dies geschah täglich um Mittag nach Ablösung der Wache, mußte man vorher die Türen einige Minuten offen lassen, sonst löschte der erstickende Dunst der Mauer die brennenden Lichter in der Laterne aus.

Mein Vorsatz war, dem Glücke zu trotzen und meinen Sieg trotz aller Hindernisse selbst zu erringen. Der Ehrgeiz, mir dereinst diesen Sieg selbst zuzueignen, war vielleicht die stärkste Triebfeder zu diesem Entschluß, der endlich durch wiederholte Prüfungen bis zu dem Grade des echten Heldengeistes heranwuchs, dessen Sokrates im grauen Haare sich gewiß in solchem Maße nicht rühmen konnte. Er war alt, hörte auf zu empfinden und trank den Giftbecher gleichgültig. Ich hingegen war im Feuer der Jugend, und das Ziel schien auf allen Seiten weit entfernt, das ich erstrebte. Die gegenwärtige Art der wirklichen Leibes- und Seelenfoltern war von solcher Art, daß ich von meinem Gliederbau wahrscheinlich keine Dauer erwarten konnte.

Mit solchen Gedanken rang ich, als es Mittag war und mein Käfig zum erstenmal geöffnet wurde. Wehmut und Mitleid war auf die Stirn meiner Wächter gemalt. Niemand sprach ein Wort, auch nicht einmal Guten Morgen, und fürchterlich war ihre Ankunft, weil sie mit den noch nicht gewöhnten ungeheuren Riegeln und Schlössern an den Türen etwa eine halbe Stunde rasselten, ehe die letzte geöffnet wurde.

Man trug meinen Leibstuhl hinaus, brachte eine hölzerne Bettstelle oder eine Pritsche herein, nebst einer Matratze und guten wollenen Decken; zugleich auch ein ganzes Kommißbrot von sechs Pfund, wobei der Platzmajor sagte:

»Damit Sie sich nicht mehr über Hunger zu beklagen haben, wird man Ihnen Brot geben, so viel Sie essen wollen.« Man setzte einen Wasserkrug von ungefähr zwei Maß dazu, schloß die Türen zu und überließ mich meinem Schicksal.

Gott, wie kann ich die Wollust schildern, die ich im ersten Augenblicke empfand, als ich nach elfmonatlichem wütenden Hunger mich zum erstenmal satt essen konnte, kein Glück schien mir im ersten Genusse willkommener als dieses, und keine Mühle zermahlt die harten Körner geschwinder, als damals meine Zähne das Kommißbrot. Ich fraß; ich rastete; stellte Betrachtungen an, aß wieder, fand mein Schicksal schon erleichtert, vergoß Tränen, brach ein Stück nach dem andern ab, und ehe es noch Abend wurde, war mein Brot im Leibe.

Meine erste Freude dauerte aber nicht lange, und gleich lernte ich, daß ein übertriebener Genuß, ohne Mäßigung. Ekel hervorbringt.

Mein Magen war durch so langen Hunger geschwächt; die Verdauung wurde gehemmt; der ganze Leib schwoll auf; mein Wasserkrug wurde leer; Krämpfe, Koliken und zuletzt Durst mit unglaublichen Schmerzen folterten mich bis zum andern Tage; und schon verfluchte ich die, welche ich kurz vorher segnete, weil sie mir satt zu essen gaben. Ohne Bett wäre ich in dieser Nacht gewiß verzweifelt. Meine grausamen Fesseln war ich noch nicht gewohnt; die Kunst in ihnen zu liegen, hatte ich noch nicht so gelernt, wie es mich endlich Zeit und Gewohnheit lehrten. Ich konnte mich nur auf trockner Matratze sitzend krümmen. Diese Nacht war eine der grausamsten, die ich je erlebt habe. Am folgenden Tage, da man meinen Kerker öffnete, fand man mich in einem erbärmlichen Zustande, – wunderte sich über meinen Appetit und trug mir ein anderes Brot an. – Ich protestierte, weil ich keines mehr zu bedürfen glaubte. – Dennoch ließ man eins holen, gab mir zu trinken, zuckte die Achseln, wünschte mir Glück, weil ich allem Anschein nach nicht mehr lange leiden würde, und schloß die Türen wieder zu, ohne zu fragen, ob ich anderer Hilfe bedürfe.

Drei Tage verflossen, bis ich wieder den ersten Bissen Brot essen konnte. Indessen war die sonst starke standhafte Seele im kranken Leibe kleinmütig, und mein Tod wurde beschlossen.

Ich fand tausend Gründe, die mich überzeugten, daß es nunmehr Zeit sei, meinem Leiden ein Ende zu machen. Und da mich, wie gesagt, niemand gefragt hatte, ob ich in die Welt kommen und geboren sein wollte, so glaubte ich auch, vollkommen berechtigt zu sein, gleichfalls, ohne jemand zu fragen, sie zu verlassen, sobald mein Hiersein unerträglich wurde.

Auch im Wohlstande habe ich den Tod nie gescheut, und folglich schien er mir in meiner damaligen Lage eine wirkliche Wohltat.

Dennoch wollte ich den ersten Regungen eines verzweifelten Schmerzes noch mit aller möglichen Vernunft ausweichen, mir selbst Zeit lassen, alle Gründe und Gegengründe mit kaltem Blute abzuwiegen; und deshalb beschloß ich, noch acht Tage zu warten, bestimmte aber den 4. Juli zu meinem unfehlbaren Sterbetag.

Indessen sann ich auf alle möglichen Mittel, mir eigenmächtig zu helfen, oder in den Bajonetten meiner Wächter meine Seele auszuhauchen.

Gleich am folgenden Tage wurde ich bei Eröffnung meiner vier Türen gewahr, daß sie nur von Holz waren, und der Gedanke fiel mir ein, mit meinem aus der Zitadelle glücklich herübergebrachten Messer die Schlösser auszuschneiden, sodann aber weiter meine Rettung zu versuchen. Wäre dann kein Mittel, so sei es erst Zeit, den Tod zu wählen.

Nun ward sogleich der Versuch gemacht, ob es möglich sei, mich von den Fesseln zu befreien.

Die rechte Hand brachte ich glücklich durch die Schelle, obgleich das Blut unter den Nägeln gerann. Die linke aber konnte ich nicht herausbringen. Ich wetzte mit einigen Stücken Ziegelsteinen, die ich von meinem Sitze losschlug, so glücklich an dem nur nachlässig verschmiedeten Stifte der Handschelle, daß ich ihn herausziehen, und auch diese Hand befreien konnte.

Der Ring um den Leib war nun vermittels eines Hakens mit der Kette an der Armstange befestigt; ich stemmte die Füße gegen die Wand und konnte ihn aufbiegen. Nun blieb mir noch die Hauptkette zwischen Mauer und Fuß übrig; ich drehte sie übereinander. – Kräfte hatte mir die Natur gegeben – sprengte mit Gewalt von der Mauer weg, und zwei Gelenke zersprangen auf einmal.

Von Fesseln frei, glaubte ich mich schon glücklich; schlich zur Tür, suchte im Dunkeln die Spitzen der durchgeschlagenen Nägel um das auswendig befestigte Schloß, und fand, daß ich eben kein großes Stück Holz auszuschneiden hatte, um diese zu öffnen; gleich nahm ich mein Messer zur Hand und schnitt unten am Gerüste ein kleines Loch durch, fand die eichenen Bretter nur einen Zoll dick, folglich Möglichkeit, alle vier Türen an einem Tage zu öffnen.

Hoffnungsvoll eilte ich nun zu meinen Eisen, um sie wieder anzulegen; doch, ach Gott! was für Schwierigkeiten waren hier zu übersteigen . . .

Das zersprungene Gelenk fand ich nach vielem Herumtappen und warf es in den Abtritt. Mein Glück war, daß man bis dahin gar nicht visitiert hatte, auch bis zum Tage der Unternehmung selbst nicht visitierte, weil man keine Möglichkeit vermutete. Ich band also mit einem Stücke von meinem Haarbande die Kette zusammen.

Da aber die Hand wieder in die Schelle zurück sollte, war sie vom gewaltsamen Ausziehen geschwollen, und aller Versuch unmöglich. Die ganze Nacht wurde auch an diesem Stifte gewetzt, der aber so stark verschmiedet war, daß alle Arbeit vergebens blieb.

Der Mittag, die Visitierstunde erschien; die Not, die Gefahr war da; der Versuch wurde erneuert, die Hand hineinzuzwingen; endlich gelang es mit Foltermartern, und man fand beim Hereintreten alles in Ordnung.

Indessen war es unmöglich, die abgeschundene Hand wieder herauszubringen.

Am 4. Juli war kaum die Tür nach dem Visitieren geschlossen, so war auch schon die Hand aus der Schelle hinaus und alle Fesseln glücklich abgelegt. Sogleich ergriff ich mein Messer und fing die Herkulesarbeit an den Türen an.

In weniger als einer Stunde war die erste offen, weil sie einwärts aufging, und die Querstange nebst dem Schlosse von außen hängen blieb.

Aber, o Gott! wie schwer ging es bei der zweiten! Das Schloß war bald umschnitten; aber da die Querstange an demselben befestigt war, und die Türe hinaus geöffnet werden mußte, so war kein anderes Mittel übrig, als sie über der Stange ganz durchzuschneiden.

Auch dieses ward durch eine unglaubliche Arbeit möglich gemacht; diese Arbeit aber fiel mir desto schwerer, weil alles im Finstern allein durch Greifen bewerkstelligt werden mußte. Meine Finger waren alle wund, der Schweiß floß auf den Boden, und das rohe Fleisch blutete in den Händen.

Nun fand ich das Tageslicht; ich stieg über die halbe Tür, im Vorgemache war ein offenes Fenster, ich kletterte hinan, und sah, daß mein Kerker in den Hauptgraben des ersten Walles gebaut war. Vor mir sah ich den Aufgang auf denselben, die Wache etwa fünfzig Schritte von mir, auch die hohen Pallisaden, die noch im Graben vor meinem Kerker zu übersteigen waren, ehe ich auf den Wall kriechen konnte. Meine Hoffnung wuchs und meine Arbeit verdoppelte sich, da ich zur dritten Tür griff, die wie die erste nach innen aufging, folglich nur die Umschneidung des Schlosses erforderte. Die Sonne ging unter, da ich auch damit fertig war; die vierte mußte eben wie die zweite in der Quere durchgeschnitten werden, meine Kräfte hatten mich aber bereits verlassen, und das rohe Fleisch in beiden Händen machte alle Hoffnung schwinden.

Nachdem ich eine Weile gerastet, wurde dennoch auch diese Arbeit angegriffen; wirklich war bereits bei einem Schuh lang der Schnitt fertig, als meine Messerklinge zerbrach und hinausfiel.

Allsehender Gott! Was war ich in diesem schrecklichen Augenblicke! Fand sich wohl jemals eines deiner Geschöpfe mehr als ich zur Verzweiflung gerechtfertigt? Der Mond schien hell; ich sah durch das Fenster mit starrem Blick den Himmel an, fiel auf meine matten Knie, suchte neuen Mut und Trost, und fand keinen, weder in der Religion, noch in der Weltweisheit.

Ohne der Vorsehung zu fluchen, ohne die mindeste Furcht weder vor meiner Vernichtung, noch vor der Gerechtigkeit eines Gottes, der unseres Schicksals Schöpfer ist, und der mir auch nur menschliche Kräfte in Vorfällen gegeben hatte, welche diese Kräfte weit überstiegen, empfahl ich mich dem möglichen Richter der Toten; ergriff das Stück meines Messers und zerschnitt mir die Adern am linken Arm und Fuße; setzte mich ruhig in den Winkel meines Kerkers und ließ mein Blut rieseln. Eine Ohnmacht bemeisterte sich meiner Sinne, und ich weiß nicht, wie lange ich in diesem Zustande sanft geschlummert habe.

Auf einmal hörte ich meinen Namen rufen, erwachte, und abermals rief man draußen: »Baron Trenck!«

Meine Antwort war: »Wer ruft?« – Und wer war es? – Mein redlicher Grenadier Gefhardt, der mir auf der Zitadelle alle Hilfe versprochen hatte.

Dieser rechtschaffene Mann war über mein Gefängnis auf den Wall hingeschlichen, um mich zu trösten.

Er fragte: »Wie geht's?« – Ich antwortete, nachdem er sich zu erkennen gegeben: »Ich liege im Blute, morgen findet Ihr mich tot.« – »Was, sterben?« erwiderte er. »Hier ist viel leichter für Sie zu entfliehen, als auf der Zitadelle. Sie haben gar keine Schildwache, und ich werde schon Mittel finden, Ihnen Instrumente zuzustecken. Können Sie sich nur herausbrechen, für das übrige lassen Sie mich sorgen. So oft ich hier auf der Wache bin, will ich Gelegenheit suchen, mit Ihnen zu sprechen. In der ganzen Sternschanze steht nur eine Schildwache vor der Wache, und eine am Schlagbaum. Verzweifeln Sie nicht! Gott wird Ihnen noch helfen; verlassen Sie sich auf mich.«

Nach einer kurzen Unterredung wuchs mein Mut. Ich sah noch die Möglichkeit zur Rettung; eine geheime Freude durchdrang meine Seele. – Gleich zerriß ich mein Hemd, verband meine Wunden, und erwartete den Tag, der bald hernach mit heiterer Sonne heranbrach.

Ich lasse hier meine Leser urteilen, ob es ein bloßer Zufall oder die Wirkung der Vorsehung war, daß ich in eben dem Augenblick, da ich die Seele von mir hauchen wollte, noch Trost und Hoffnung erhielt. Wer rief den ehrlichen Gefhardt eben damals an mein Gefängnis? Denn ohne ihn hätte ich bei Erwachung aus meinem Schlummer unfehlbar alle meine Adern durchgeschnitten, um meinen Entschluß zu vollziehen.

Meine Mattigkeit kann ich niemand schildern. Das Blut schwamm im Gefängnisse; und gewiß war nur noch wenig in meinen Adern übrig. Die Wunden schmerzten; die Hände waren von der ungeheuren Arbeit starr und geschwollen und ohne Hemd stand ich da, weil es zur Verbindung meiner Adern dienen mußte. Der Schlaf überfiel mich, und kaum hatte ich Kräfte übrig, aufrecht zu stehen. Indessen mußte ich machen, um meinen Entwurf auszuführen.

Mit meiner eisernen Armstange stieß ich nun die Ziegelbank leicht auseinander, worauf ich saß, weil sie noch ganz neu gemauert war. Und alle Steine legte ich mitten in mein Gefängnis.

Die innere Tür war ganz offen. Die obere Hälfte der zweiten verstrickte ich an den Angeln und am Schlosse mit meinen Ketten, so daß keiner hinübersteigen konnte.



 << zurück weiter >>